Sicherheitslage im Bezirk Frankfurt (Oder)
28. September 1961
Bericht Nr. 596/61 über die im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen der DDR aufgetretenen politisch-operativen Schwerpunkte im Bezirk Frankfurt/O.
I. Territoriale und objektmäßige Schwerpunkte
Im Kreis Beeskow ist die politische Arbeit ungenügend, in sechs Orten bestehen noch keine Parteiorganisationen, in 30 % der LPG vom Typ I ist die genossenschaftliche Arbeit noch nicht durchgesetzt, und es treten starke Austrittserscheinungen – sowohl im Typ I als auch im Typ III – auf.
Die wesentlichsten Gründe sind politische Unklarheit und persönliche Differenzen innerhalb der LPG. Es sind Anzeichen von Zersetzungs- und Schädlingstätigkeit in der Landwirtschaft vorhanden. Nach den Maßnahmen unserer Regierung wurden im Kreis Zusammenkünfte ehemaliger Faschisten durchgeführt. Im Kreis besteht eine starke Konzentration der »Jungen Gemeinde«.
Die bereits bekannten negativen Personen sind nicht erneut angefallen nachdem die Sicherungsmaßnahmen bekanntgemacht wurden. Es sind Hinweise vorhanden, dass sie sich in der Hoffnung auf eine imperialistische Aggression durch »positives« Auftreten tarnen.
Die politische Arbeit im Kreis Strausberg ist ungenügend. Im Kreis treten starke feindliche Argumente auf, es wurden Hetzlosungen geschmiert, die sich gegen unsere Politik und gegen die Wahlen richteten.
Charakteristisch ist auch im Kreis Strausberg, dass sich die negativ angefallenen Personen durch positives Auftreten tarnen. In der Landwirtschaft ist der Einfluss des Gegners erkennbar, eine Reihe von LPG vom Typ I arbeiten nicht genossenschaftlich, es gibt Austrittserscheinungen und Schädlingstätigkeit bzw. wird Zersetzungstätigkeit betrieben. Der FDGB wird im Kreis seinen Aufgaben nicht gerecht und ist die am schlechtesten arbeitende Massenorganisation. In der Zeit des 13.8.1961 wurden die Arbeiterkontrollen ungenügend aktiviert.
Die politische Arbeit im Kreis Fürstenwalde ist unbefriedigend, auch hier treten verstärkt feindliche Argumente in Erscheinung, nach dem 13.8.1961 wurde eine Anzahl von Hetzlosungen geschmiert, die sich gegen unsere Regierung richteten.
In Vorbereitung der Wahl trat der Kreis wiederum durch mündliche und schriftliche Hetze als Schwerpunkt in Erscheinung. Auch im Kreis Fürstenwalde treten die als negativ bekannten Personen zurzeit »positiv« auf und decken damit ihre wahre Einstellung ab. In der Landwirtschaft sind durch den Einfluss des Gegners Austrittserscheinungen, Schädlings- und Zersetzungstätigkeit zu verzeichnen. Größere Teile der LPG Typ I arbeiten noch nicht genossenschaftlich. Im Kreis besteht eine größere Anzahl von Rowdygruppen Jugendlicher.
Im Kreis Angermünde sind verstärkt feindliche Argumente verbreitet, die politische Arbeit ist ungenügend. Starke Austrittserscheinungen sind in den LPG vom Typ I sowie auch beim Typ III zu verzeichnen.
Die wesentlichsten Gründe sind politische Unklarheit und Unstimmigkeiten innerhalb der LPG. Es gibt weiterhin Anzeichen von Zersetzungs- und Schädlingstätigkeit in den LPG.
Im Kreis ist eine sehr große Viehsterblichkeit zu verzeichnen.
Der Kreis Fürstenberg bildet ebenfalls einen Schwerpunkt in Bezug auf eine ungenügende politische Arbeit, vor allem in der Landwirtschaft. Hier sind eine größere Anzahl von Austrittserklärungen aus den LPG Typ I und auch Typ III abgegeben worden. Es sind Anzeichen vorhanden, dass Schädlings- und Zersetzungstätigkeit betrieben wird.
Der Kreis Eberswalde bildet einen Schwerpunkt in der Durchsetzung einer guten genossenschaftlichen Arbeit. Von 21 LPG Typ I arbeiten nur neun nach dem Statut. Weiterhin sind Anzeichen von Schädlingstätigkeit und Zersetzungstätigkeit vorhanden.
Am 13.8.1961 wurden von den staatlichen Organen nicht sofort die zu lösenden Aufgaben in Angriff genommen. Die Kommission für Ordnung und Sicherheit nahm erst nach ernsten Hinweisen ihre Arbeit auf.
Im VEB Reifenwerk Fürstenwalde gab es in der Zeit nach dem 13.8.1961 Anzeichen von politisch-ideologischer Diversion. Eine Person, die zum »Langsamarbeiten« aufforderte, wurde verhaftet. Am 31.8.1961 betrug der Planrückstand 2,5 Mio. DM. Der Betrieb ist noch von Importen aus Westdeutschland abhängig.
Der VEB Kranbau Eberswalde hat mit 10,6 Mio. DM im Bezirk Frankfurt die größten Planschulden. Ursachen: ungenügende Leitungstätigkeit, ständige Planänderungen durch die VVB, unreales Verhältnis zwischen Arbeitsproduktivität und Lohn, Schwierigkeiten in der Materialversorgung, Verschnittquote liegt 6 % über der Norm, ehemaliger Konzernbetrieb, Schwerpunkt politisch-ideologischer Diversion.
Kaufmännischer Direktor und Leiter der Absatzabteilung bilden personellen Schwerpunkt, sie sind inaktiv, ihre Einstellung ist undurchsichtig.
Keine Initiative zur Störfreimachung.
VEG Gaselan Fürstenwalde – große Rückstände in der Planerfüllung durch schlechte Leitung der Produktion. Ungesundes Verhältnis zwischen Arbeitsproduktivität und Lohn, Normerfüllungen um 300 %, Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre verhalten sich versöhnlerisch. Konzentration ehemaliger SPD-Mitglieder, Diskussionen des Ostbüros der SPD kursieren.1 Sozialistische Brigaden nehmen keine Entwicklung. Der Betrieb ist noch nicht unabhängig von Westdeutschland.
Der VEB Kabelwerk Schönow hatte zum 30.8.1961 einen Planrückstand von 1,9 Mio. DM.
Es wird ungenügende Initiative zur Unabhängigmachung entwickelt.
Der VEB Chemische Fabrik Finowtal hatte 1,6 Mio. DM Planschulden.
Im Chemieprogramm2 besondere Bedeutung, Stand der Technologie entspricht nicht den Anforderungen. Wiederholt Störungen an Siebtrommeln, Fehler bei der Projektierung. Werk- und Produktionsleiter bilden personellen Schwerpunkt, haben Fehler bei Projektierung und Verwendung der Investitionen gemacht, setzen Maßnahmen zur Verbesserung der Produktion ungenügend durch.
Der VEB RKZ Rüdersdorf hat 2,3 Mio. DM Planschulden. Schwierigkeiten durch unkontinuierliche Waggongestellung.
Der VEB Bau-Union Frankfurt/O. erfüllte den Jahresplan zum 31.8.1961 nur mit 57,3 %; das bedeuten 4,4 Mio. DM oder 25 Tage Planrückstand. Die durchschnittliche Normerfüllung liegt bei 170,5 %.
VEB Industriebau Ost erfüllte auf der Baustelle Erdölwerk den Plan mit 96,4 %, Baustelle Papierfabrik Schwedt nur mit 86,8 %.
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Im August wurden auf dieser Bausstelle folgende Ergebnisse erzielt:
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Monatsplanerfüllung 63,9 %,
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Arbeitsproduktivität 71,1 %,
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Durchschnittslohn 102,4 %,
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durchschnittliche Normerfüllung 173,0 %,
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Hauptursache schlechte Arbeitsorganisation der Oberbauleitung,
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große Disproportionen zwischen Arbeitsproduktivität und Lohn,
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Schaffung gesunder Arbeitsnormen ist noch nicht Schwerpunkt im Produktionsaufgebot.
In der örtlichen Bauindustrie beträgt der Planrückstand 20 Tage = 10 Mio. DM. Ebenfalls ungesundes Verhältnis zwischen Arbeitsproduktivität und Lohn.
Schwerpunkt bei den Reichsbahnbetrieben bildet das RAW Eberswalde mit einem Planrückstand von 294 auszubessernden Tagen.
Der Werksverkehr im EKS bildet [den] Schwerpunkt in Wagenbeschädigungen und Überschreitung der Be- und Entladefristen.
Im Gesundheitswesen bilden das Bezirkskrankenhaus Frankfurt/O. und das Kreiskrankenhaus Eberswalde einen Schwerpunkt in der politisch-ideologischen Diversion. Hier traten besonders Ärzte hetzerisch in Erscheinung.
II. Bezirksmäßige Probleme, die als Schwerpunkte in Erscheinung treten:
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In der Industrie und im Bauwesen hat das Produktionsaufgebot noch keinen genügenden Widerhall gefunden.
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Es bestehen noch große Missverhältnisse zwischen Arbeitsproduktivität und Lohn.
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Der FDGB wirkt zu wenig aktivierend auf die Werktätigen.
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Zum Produktionsaufgebot liegen beim FDGB-Bezirksvorstand bisher nur 19 konkrete Kollektivverpflichtungen vor.
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Vonseiten des Wirtschaftsrates wurde bis Mai 1961 sehr schleppend in Bezug auf Störfreimachung der Betriebe gearbeitet. Keine konkrete Übersicht über den Stand der Störfreimachung vorhanden.
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In 75 ländlichen Gemeinden des Bezirkes traten verstärkt Erscheinungen politisch-ideologischer Diversion auf. Politische Arbeit ungenügend.
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In einem Teil der LPG Typ I ist die genossenschaftliche Arbeit nicht durchgesetzt.
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Austrittserscheinungen aus LPG Typ I und III in allen Kreisen.
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Erscheinungen vorhanden, dass durch aktiven Einfluss des Gegners LPG nicht genossenschaftlich arbeiten, Austrittserklärungen zu verzeichnen sind, Schädlings- und Zersetzungstätigkeit betrieben wird.
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Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Viehverendungen, die z. B. bei Schweinen 90 % höher als im Vorjahr liegen. Ursachen: Ungenügende Sorgfalt und Pflege, Nachlässigkeit und Interessenlosigkeit durch die in der Viehwirtschaft tätigen Personen.
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Planerfüllung landwirtschaftlicher Produkte nicht befriedigend, größere Rückstände bei Schwein und Eiern.
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Die größere Erfassung von Rindern wird zur Folge haben, dass am Jahresende 5 000 Stück zu wenig gehalten werden.
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Der Einfluss der FDJ auf die Jugend ist ungenügend, unter einem großen Teil treten unklare und negative Argumente auf. Besondere Schwerpunkte bilden die Randkreise von Berlin.
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Etwa 50 % der nach dem 13.8.1961 von den Sicherheitsorganen inhaftierten Personen waren im Alter bis zu 25 Jahren.
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28 Rowdygruppen mit durchschnittlich zehn Anhängern sind bekannt; eine Gruppe wurde inhaftiert.
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Der Einfluss der Kirche auf die Jugend ist hier stark, die »Junge Gemeinde« hat im Bezirk eine relativ hohe Mitgliederzahl. Es bestehen eine Reihe »Freizeitheime« zur Ausbildung von Chören, Durchführung von Treffen u. Ä.
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Evangelische Geistliche treten stark gegen Maßnahmen unserer Regierung auf. Zwei staatliche Belehrungen wurden ausgesprochen.
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Einen Schwerpunkt bilden die ehemaligen Grenzgänger, Rückkehrer, Erstzuziehende und ehemalige Angehörige der faschistischen Organisationen. Aus diesen Personenkreisen wurde eine größere Anzahl Festnahmen getätigt.
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Die Nationale Front steht im Bezirk nicht auf der Höhe ihrer Aufgaben.
III. Politisch-ideologische Schwerpunkte
Nach der Bekanntgabe der Dokumente3 wurde von allen Bevölkerungsschichten zum Ausdruck gebracht, dass die Maßnahmen des Ministerrates richtig sind, dass es an der Zeit ist, dass der Agentensumpf verschwindet, dass das Grenzgängerproblem gelöst wird und dass die Maßnahmen der Sicherung des Friedens dienen.
Nach dem 14.8.1961 traten verstärkt unklare Fragen und zum Teil negative Argumente in der Form auf, wie sich nun der Westen verhalten wird, dass man damit hätte bis nach den Wahlen warten sollen und Ähnliches.
Später spiegelte sich die verstärkte feindliche Propaganda des Gegners in der Veränderung der Stimmung eines Teils der Bevölkerung wider. Nachstehend einige feindliche Diskussionen, die RIAS-Parolen erkennen lassen:
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Durch diese Maßnahmen tritt eine Verschärfung der internationalen Lage ein, die zum Krieg führen wird.
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Ganz Berlin soll freie Stadt sein.
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Es ist eine Provokation, Westberlin mit einem Stacheldrahtzaun zu umgeben.
Den größten Einfluss hatte der Gegner auf die LPG-Bauern, auf die Angehörigen des Mittelstandes und auf einen großen Teil der medizinischen Intelligenz, mit Ausnahme der veterinärmedizinischen Intelligenz, die in der Zeit des 13. August eine positive Haltung einnahm.
Der größte Teil dieser Personen ist sehr zurückhaltend und sagt nicht die wahre Meinung. In vertrauten Kreisen werden negative Äußerungen dahingehend getätigt, dass sich die Amerikaner das nicht gefallen lassen werden, dass die Panzer und Stacheldraht ablehnen, dass die Einheit Deutschlands in weite Ferne gerückt ist, dass sie keinen Krieg wollen aber ihre Freiheit, dass man ruhig sein muss, denn jeder dritte passt auf, und dass die Maßnahmen sich negativ auf den innerdeutschen Handel auswirken können.
Die Ursachen für diese Haltung sind in mangelhafter politischer Arbeit innerhalb dieser Schichten zu suchen. Sie sind nicht überzeugt vom Sieg des Sozialismus, unterhalten enge postalische und persönliche Verbindungen nach Westdeutschland und Westberlin, waren eifrige Westberlinfahrer, hörten die westlichen Rundfunk- und Fernsehstationen, und bei einer Reihe von Personen besteht der Verdacht, dass sie Westkonten besitzen.
Ärzte traten besonders im Bezirkskrankenhaus Frankfurt/O. und im Kreiskrankenhaus Eberswalde hetzerisch in Erscheinung.
In diesem Zusammenhang muss festgestellt werden, dass von den bürgerlichen Parteien – mit Ausnahme der DBD – eine vollkommen ungenügende politische Arbeit in der Zeit des 13. August und auch in der Wahlvorbereitung geleistet wurde.
In der Vergangenheit war der Einfluss der FDJ auf die Jugend des Bezirkes ungenügend. Von 110 000 Jugendlichen sind nur 46 000 in der FDJ organisiert. Unter einem Großteil der jungen Bürger treten unklare und teilweise negative Argumente auf. Schwerpunkt bilden die Randkreise von Berlin.
Folgende Äußerungen werden zu den Maßnahmen vom 13. August und zum Kampfauftrag der FDJ gebraucht:
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Hätten wir gewusst, dass es so kommt, wären wir noch rechtzeitig abgehauen.
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Wir gehen erst zur Armee, wenn die Wehrpflicht eingeführt wird.
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Die Sowjetunion soll die militärische Sicherung übernehmen.
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Wer eine Waffe in die Hand nimmt, will auch den Krieg.
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Durch den Dienst in der NVA wird unsere berufliche Entwicklung gehemmt.
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Der Eintritt in die NVA ist freiwillig, was hier gemacht wird, ist halber Zwang.
Von der kirchlich gebundenen Jugend wird argumentiert:
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Das 5. Gebot der Christenlehre sagt, du sollst nicht töten.
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Der Dienst in der NVA ist unvereinbar mit dem christlichen Glauben.