Sicherung der DDR-Westgrenze (2)
3. Oktober 1961
2. Einzel-Information Nr. 614/61 über die Durchführung der Maßnahmen zur Festigung der Staatsgrenze West
In den bis jetzt vorliegenden Berichten wird allgemein festgestellt, dass die Agitations- und Einsatzgruppen mit den erforderlichen Transportkapazitäten zur festgelegten Einsatzzeit, spätestens aber bis 6.30 Uhr, alle zur Umsiedlung vorgesehenen Personen erreicht und ihnen die entsprechenden Beschlüsse bekanntgegeben haben.1
Es wird übereinstimmend festgestellt, dass sich die Mehrheit der von der Umsiedlung betroffenen Personen dem Umsiedlungsbeschluss fügt und den Anordnungen Folge leistet.
Negative Reaktionen unter den betroffenen Bevölkerungskreisen traten in Einzelfällen auf, wobei sich folgende Erscheinungen zeigten:
- –
Es wird versucht, sich durch Vortäuschen von Krankheiten oder gesundheitlichen Schäden der Umsiedlung zu entziehen (Einzelbeispiele aus Grenzkreisen im Bezirk Erfurt).
- –
Es wird mit Selbstmord gedroht (Einzelfälle wurden bekannt aus Neuleben/Rostock, Schadeberg/Salzwedel, Hoppenstedt/Halberstadt, Völpke/Oschersleben, Einzelfälle hysterischen Reagierens besonders von Frauen).
Neben diesen Fällen gab es noch vereinzelt Fälle negativen Reagierens mit verschiedenen Begründungen (z. B. »unmenschliches« Handeln usw.).
In Einzelfällen erlitten von der Umsiedlung betroffene Personen Herzanfälle bzw. brachen zusammen. Das trifft auf je eine Frau aus Neuleben/Rostock, Hoppenstedt/Halberstadt und Mißlareuth/Plauen sowie auf einen Bauern aus Ruderitz/Oelsnitz zu. In den genannten Fällen musste ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden bzw. Einlieferung in ein Krankenhaus erfolgen.
Beachtung verdienen auch zwei Einzelfälle, wo die betroffenen Personen forderten, nach Westdeutschland »abgeschoben« zu werden ([Name 1] aus Walbeck/Haldensleben, Frau [Name 2] aus Steimke/Bezirk Magdeburg.)
Die Reaktion der übrigen Bevölkerung in den Umsiedlungsgebieten kann als normal angesehen werden.
Im Zusammenhang mit der Umsiedlung aufgetretene feindliche Handlungen zeigten sich vereinzelt in Form des aktiven und passiven Widerstandes, so z. B. in der Bedrohung der Einsatzgruppen, in der Weigerung, die Wohnung zu verlassen, Möbel zu verladen usw. Einzelbeispiele für ein derartiges Verhalten wurden aus Gehrendorf und Kunrau/Klötze/Magdeburg, Lindhorst/Salzwedel/Magdeburg, Sabow/Rostock, je ein Fall aus drei Kreisen des Bezirkes Erfurt sowie aus Sonneberg/Suhl bekannt.
Außerdem wurden folgende Beispiele aktiven Widerstandes bekannt, in denen polizeiliche Maßnahmen ergriffen werden mussten:
In Triebel/Oelsnitz/Karl-Marx-Stadt ließ der Bauer [Name 3] die Räumung nicht zu. Er musste von der VP inhaftiert und außerdem musste Zwangsräumung veranlasst werden. In Mendhausen/Meiningen/Suhl bedrohte ein zur Umsiedlung vorgesehener Schmied die Agitatorengruppe mit der Axt. Sein Widerstand musste durch die Kampfgruppe gebrochen werden. In Kleinneuendorf/Saalfeld/Gera lief eine umzusiedelnde Person durch das Dorf und erklärte, nie wieder arbeiten zu wollen und dafür Sorge zu tragen, dass andere auch nicht mehr arbeiten würden. Die Person wurde in ihrem Haus isoliert. In Gutenfürst/Plauen äußerte ein Kraftfahrer des AZKW, nachdem er von der Umsiedlung seiner Schwiegereltern erfahren hatte, dass durch diese Maßnahme bestimmt einige Gebäude zu brennen beginnen würden. Im Straßen- und Tiefbau Gera/Zweigstelle Plauen wollen fünf Arbeiter ihre Tätigkeit nicht eher aufnehmen, bis sie genau wissen, was im Grenzgebiet los ist (operative Maßnahmen wurden eingeleitet).
In Sonneberg weigerte sich der Sohn eines zur Umsiedlung vorgesehenen Bürgers, der sich zzt. in Untersuchungshaft befindet, die Einsatzgruppe in die Wohnung einzulassen. Er bedrohte die eingesetzten Genossen mit einem Messer. Durch den Einsatz des Schnellkommandos wurde der Widerstand gebrochen. In Eisfeld/Hildburghausen musste eine zur Umsiedlung vorgesehene Person in Schutzhaft genommen werden, da sie auf der Straße Lärm verursachte und den Ablauf der Räumungsarbeiten der Wohnung gewaltsam zu stören versuchte. In einem Falle versuchte eine umzusiedelnde Person aus Lütgendorf/Rostock um 6.27 Uhr ein Blitzgespräch nach Oberhausen/Rheinland (Telef. Nr. […]) anzumelden. Die Verbindung wurde nicht hergestellt. In Ellrich/Nordhausen/Erfurt versuchten zwei zur Umsiedlung vorgesehene Personen den Ort zu verlassen. Sie wurden am Bahnhof Ellrich gestellt und werden zurzeit über die Gründe noch vernommen.
Am 2.10.1961 kam es, außer den bereits berichteten, zu zwei weiteren Grenzdurchbrüchen an der Staatsgrenze West. In der GB Zschachenmühle, Kp Effelder brach eine männliche Person nach Westdeutschland durch. Im Bereich der GB Hildburghausen, Kp Poppenhausen gelang es drei Personen nach Westdeutschland durchzubrechen.
Im westlichen Gebiet wurde bis zzt. keine verstärkte Aktivität festgestellt, lediglich an der Stelle des Grenzdurchbruchs der 53 Personen wurde vom BGS ein ständiger Beobachtungsposten (1 Offizier und 2 Mann) eingerichtet.
Organisatorische Schwächen traten in mehreren Fällen in der Form einer verspäteten und zum Zeitpunkt des Beginns der Aktion ungenügenden Bereitstellung von Transportraum auf. So trafen die Fahrzeuge beispielsweise in den Orten Groß Molzan, Thandorf und Heiligeland (Kreis Gadebusch, Bezirk Schwerin) erst nach 7.30 Uhr an den Bestimmungsorten ein.
Die gleiche Schwäche zeigte sich auch in den Grenzkreisen anderer Bezirke. Verspätet trafen die Fahrzeuge besonders in den Kreisen Heiligenstadt und Mühlhausen des Bezirks Erfurt und im Kreis Zwickau des Bezirkes Karl-Marx-Stadt ein. (Die Ursachen dafür konnten im Einzelnen noch nicht überprüft werden. Überprüfungsmaßnahmen wurden eingeleitet.)
Erste Überprüfungen ergaben, dass beispielsweise im Kreis Zwickau einige der vorgesehenen Fahrer im Laufe des 2.10. in verschiedenen Teilen der Republik eingesetzt waren und nicht rechtzeitig benachrichtigt sowie in einigen Fällen auch nicht überprüft werden konnten. Im Kreis Schmalkalden wurden unterschiedliche Anforderungen von Transportraum an den VEB Kraftverkehr gerichtet und von der VP widersprüchliche Anweisungen erteilt. In den Gemeinden Ellrich und Klettenberg im Kreis Nordhausen, Bezirk Erfurt wurden zehn Fahrzeuge nicht entsprechend eingewiesen. (Diese Angelegenheit wurde später geklärt.)
Unklarheiten über den künftigen Wohnort der umzusiedelnden Personen wurden bisher nur aus der Gemeinde Klein Neuendorf, Kreis Saalfeld/Gera gemeldet (inzwischen geklärt).
Im Kreis Gadebusch, Bezirk Schwerin trafen Kompanieführer zur Einweisung der Angehörigen der Grenzpolizei eine Stunde zu spät ein, was zu einer Verzögerung des Anlaufens der Aktion führte.
Nach der bisherigen Übersicht haben bis gegen 12.00 Uhr bereits ca. 260 bis 280 Personen ihre Orte zur Umsiedlung verlassen, wobei die Bezirke Schwerin (92) und Gera (112) an der Spitze der Umsiedlungsaktion stehen.