Situation in der Produktion von Treibgemüse
5. April 1961
Einzel-Information Nr. 188/61 über einige Mängel und Hemmnisse in der Erfüllung der Treibgemüseproduktion
Nach unseren Feststellungen ist die durch das 7. und 8. Plenum des ZK1 ausgelöste Initiative zur Steigerung der Treibgemüseproduktion und der Erfüllung der Planaufgaben in den einzelnen Bezirken und Kreisen sehr unterschiedlich. In einer großen Anzahl von Bezirken – das trifft auch für viele Kreise zu – besteht keine Übersicht über die abgeschlossenen Verträge zur Treibgemüseproduktion und die derzeitige Erfüllung des Planes der Erfassung des Treibgemüses (z. B. Schwerin, Neubrandenburg, Leipzig, Cottbus). Die vorliegenden Hinweise lassen jedoch die Einschätzung zu, dass vermutlich in keinem Bezirk die geplante Treibgemüseproduktion gebracht wird.
Zu den Ursachen für diese Situation wurde bekannt, dass bereits bei der Planung der Flächen unter Glas für die Treibgemüseproduktion, bei der Beauflagung der einzelnen Betriebe und während der Vertragsabschlüsse seitens des örtlichen und zentralen Staatsapparates Fehler begangen wurden, die sich in der Folgezeit ungünstig auswirkten. Teilweise wurde administrativ und formal an die Erfüllung der Aufgaben herangegangen. Eingaben von Gärtnereibesitzern und Fachleuten wurden nicht geprüft und nur als persönliche Ablehnung der Maßnahmen des Staatsapparates oder spekulative Handlungen gewertet, wobei einschränkend jedoch bemerkt werden muss, dass diese Tendenz in Einzelfällen, besonders bei Privatgärtnern, bestand. Dieses Verhalten der Mitarbeiter des Staatsapparates führte häufig dazu, dass keine Differenzierung erfolgte, inwieweit die Ablehnung von Planaufgaben auf die fehlenden Möglichkeiten zur Erfüllung der Beauflagung zurückzuführen ist, oder andererseits spekulative Motive dafür maßgebend sind. Erst jetzt wurde in einigen Bezirken dazu übergegangen, diese Fehler in der Arbeitsweise des Staatsapparates zu korrigieren und durch Überarbeitung der Pläne, Neuerhebung der Flächen unter Glas usw. Veränderungen herbeizuführen.
Das administrative und formale Verhalten des Staatsapparates äußert sich u. a. mit darin, dass in mehreren Kreisen sämtliche Treibhausflächen für die Gemüseproduktion geplant wurden, ohne dabei zu berücksichtigen, dass in einem Teil dieser Treibhäuser wohl die Bedingungen für ein Wachstum der Zierpflanzen bestehen, aber nicht zur Aufzucht von Gemüsepflanzen, da die dazu notwendigen höheren Temperaturen wegen Veralterung oder Nichtvorhandensein ausreichender Heizungsanlagen, Kesselhäuser usw. nicht erreicht werden. Unter den letztgenannten Umständen würden die Pflanzen verkümmern oder die Vegetation wesentlich verlängert werden. Im Kreis Köthen z. B. besteht eine beheizbare Fläche von 23 000 m² während 37 000 m² erfasst und geplant wurden; im Kreis Quedlinburg wurden bei der Beauflagung durch den Rat des Bezirkes entgegen den Hinweisen von Fachleuten die Glasflächen des Instituts für Pflanzenzüchtung und des VEG »August Bebel« mit einbezogen, obwohl diese Flächen seit jeher nur für Forschungs- und Vermehrungszwecke Verwendung finden. Der Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde durch die Plankommission mit 35,5 ha Glasfläche beauflagt, obwohl nach Erhebungen jedoch nur 29 ha tatsächlich vorhanden sind. Ähnliche Erscheinungen wurden auch aus dem Bezirk Erfurt u. a. bekannt.
Nach der Aufschlüsselung der Planaufgaben auf der Grundlage dieser unrealen Zahlen auf die Kreise und einzelnen Gärtnereibetriebe, ergab sich eine ernsthafte Unzufriedenheit, vor allem unter den privaten Gärtnereibesitzern.
Diese Unzufriedenheit war mit die Ursache für eine Anzahl von Republikfluchten von privaten Gärtnern, besonders in Berlin. Im Februar 1961 wurden z. B. neben anderen Gärtnern des Stadtbezirks Berlin-Köpenick der Gärtner Pelz aus Verärgerung über die herzlose Arbeitsweise des Staatsapparates im Zusammenhang mit der Beauflagung für Treibgemüse republikflüchtig. Pelz hatte bis zum 31.12.1960 ein Soll an Treibhauskohlrabi von 2 000 kg zu liefern. Er war bemüht, diese Menge aufzubringen, obwohl sich seine Treibhäuser nicht für Gemüse eigneten und er durch die erforderliche Vernichtung von Zierpflanzen und durch umfangreiche zusätzliche Arbeiten mit der Gemüseaufzucht große finanzielle Verluste erlitt. Beim Absatz dieser Kohlrabi stieß Pelz beim Handel auf Schwierigkeiten, da sich die Handelsfunktionäre trotz vertraglicher Bindung weigerten, die Menge abzunehmen. Als Begründung führten sie an, dass Kohlrabi in der notwendigen Preislage nicht absetzbar wäre und zum Zeitpunkt der Planung überhaupt keine Abstimmung mit den Handelsorganen erfolgt sei. Der Konsum erklärte sich bereit, den Vertrag als erfüllt anzusehen, wenn der Gärtner die Kohlrabi in eigener Regie verkaufen würde. Ähnlich erging es dem Gärtner Leuschner aus Berlin-Friedrichshagen, dem der Konsum ebenfalls seine 200 kg Treibhauskohlrabi nicht abnahm. Auch aus dem Stadtbezirk Treptow wurden einige Gärtner aus ähnlichen Gründen republikflüchtig und ihre Betriebe mussten u. a. wegen Arbeitskräftemangel geschlossen werden. Der Stadtbezirk Treptow z. B. erhielt durch den Magistrat eine Auflage von 60 t Treibgemüse, wobei alle heizbaren Glasflächen, einschließlich der Wege in den Treibhäusern, des Mauerwerkes und der Nebenräume als zu bebauende Fläche veranlagt wurden. Die für die Treibgemüseproduktion völlig ungeeignete Bauart vieler Gewächshäuser wurde dabei ebenfalls nicht berücksichtigt.
In früheren Berichten (Einzelinformation Nr. 13/61) bereits erwähnte Beispiele beweisen außerdem, dass Gärtner von Mitarbeitern des Staatsapparates zu betrügerischen Handlungen veranlasst wurden, indem ihnen der Rat erteilt wurde, Freilandgemüse von Bauern zur Abdeckung ihres Solls in Treibgemüse aufzukaufen.
Durch die administrative Arbeitsweise des Staatsapparates in Berlin ist infolge Vernichtung großer Zierpflanzenbestände zur Freimachung von Flächen für die Gemüseproduktion ein starker Mangel an Schnittblumen eingetreten. Im vergangenen Jahr standen für Berlin für ca. 16 Mio. DM Zierpflanzen zur Verfügung (= pro Kopf 14,00 DM). Der Bedarf der Bevölkerung liegt jedoch bei 21,00 DM pro Kopf, und entsprechend der Stellung Berlins (repräsentative Aufgaben) kann der Pro-Kopf-Verbrauch sogar auf 30,00 DM geschätzt werden. Verschiedene Blumenverkaufsstände wurden in Berlin bereits geschlossen.
Neben diesen Erscheinungen zeigen sich auch verbreitet Tendenzen, die Zierpflanzenzucht nicht oder nur gering einzuschränken, mit der Begründung, dass der finanzielle Nutzen bei der Blumenzucht höher liege. Besonders stark sind diese Argumente in größeren Blumenanbaugebieten wie Quedlinburg, Gera, Erfurt usw. anzutreffen. Sie werden nicht nur von privaten Gärtnern, sondern auch von volkseigenen landwirtschaftlichen Betrieben sowie von Gärtnereien der Großbetriebe angeführt.
Viele Anbaubetriebe erklären sich bereit, bei entsprechender Herrichtung ihrer Flächen unter Glas den Treibgemüseanbau zu intensivieren; ihre Bereitschaft scheitert jedoch häufig am Fehlen entsprechender Materialien wie Fensterrahmen, Fensterglas, Holz, Ziegelsteine, Zement, Heizungs- und Wasserrohre sowie Heizkessel. Außerdem ist ein Mangel an Töpfen zur Aufzucht von Gemüsepflanzen vorhanden. Im Bezirk Halle werden z. B. zwölf Waggons Töpfe benötigt, ein Waggon wird aber nur geliefert. Die Bereitstellung von Torfmull ist ebenfalls nicht ausreichend (Halle).
Mängel bestanden außerdem noch in der kontinuierlichen Bereitstellung von Heizmaterial für die Gewächshäuser, da der Bedarf bei der Aufzucht von Frühgemüse im Gegensatz zu Zierpflanzen höher liegt. Da in einigen Bezirken in der Belieferung mit Brennstoffen Lücken eintraten, wurden teilweise auch auf Kosten der Bereitstellung von Brennstoffen für Gärtnereien Kürzungen vorgenommen oder Erhöhungen der Kontingente verhindert (Bezirke Magdeburg, Neubrandenburg, Frankfurt/O.). Diese Schwierigkeiten führten teilweise dazu, dass beschlossene Rekonstruktionsmaßnahmen zur Erweiterung der bestehenden Gewächshauskapazitäten nicht oder nur zum Teil durchgeführt werden konnten.
Negative Auswirkungen auf die Produktion von Treibgemüse entstanden in einigen Bezirken auch durch die nicht quartalsmäßige vertragliche Bindung. Im Bezirk Magdeburg z. B. erfolgte eine halbjährliche Bindung, was dazu führte, dass die Produktionsbetriebe weniger Wert auf Frühgemüse legten, da dies in der Aufzucht kostspieliger ist, sondern mehr auf Gemüse, welches im Laufe des II. Quartals zur Auslieferung gelangen kann.
Durch einige Bezirke (z. B. Karl-Marx-Stadt und Cottbus) wird darauf verwiesen, dass die Handelsfunktionäre den Anbau von Frühgemüse nur in Tonnen fordern, aber keinen oder zu wenig Einfluss auf den sortimentsgerechten Anbau nehmen. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde eine beträchtliche Menge Chicorée angebaut, die Abnahme jedoch vom Handel mit der Begründung verweigert, dass andere Sorten Frühgemüse von der Bevölkerung verlangt werden.