»Störfreimachung« der Filmindustrie
14. Juli 1961
Bericht Nr. 373/61 über die Verwirklichung des Politbürobeschlusses über die Erreichung der Unabhängigkeit in der Filmindustrie
Das MfS sieht sich aufgrund einiger Hinweise veranlasst, zu einigen Problemen der Erreichung der völligen Unabhängigkeit unserer Filmindustrie Stellung zu nehmen, besonders auf dem Gebiet der Triacetatcellulose und Fotogelatine. Bereits in der Information vom 25.5.19611 über einige Probleme der Realisierung des Chemieprogramms2 waren kurze Hinweise aus der Sicht der Vorbereitung und Durchführung von Investitionsvorhaben auf diesem Gebiet enthalten.
Im Interesse einer schnelleren Überwindung der auf diesem Gebiet vorhandenen Schwächen und Mängel wird nachfolgend ausführlich auf die derzeitige Lage eingegangen:
Die vom IG-Nachfolgekonzern gegründete Agfa AG Leverkursen sicherte sich bis etwa 1954 auf den entscheidenden Absatzmärkten der Welt das Recht auf alleinige Weiterführung des Warenzeichens Agfa. Zum damaligen Zeitpunkt besaß dieses Unternehmen keine produktionstechnischen Voraussetzungen, um qualitätsgerechte Filme unter dem ehemaligen weltbekannten Firmenzeichen Agfa-Wolfen herstellen zu können.
Anfang 1954 setzte sich daher das westdeutsche Unternehmen mit der DIA Chemie in Verbindung, indem u. a. auch zu verstehen gegeben wurde, dass es an einem Warenzeichenstreit nicht interessiert sei. Es erfolgte der Abschluss eines Lohnveredlungsabkommens, wonach die Agfa-AG Leverkusen der DDR für 10 Mio. Verrechnungseinheiten die benötigten Rohstoffe liefert. Dabei verpflichtete sich das Unternehmen, Wege für die Rohstoffzulieferung zu finden, falls von Bonner Regierungsstellen Schwierigkeiten bereitet werden sollten. Die DIA Chemie musste sich verpflichten, für 10 Mio. VE aus diesen Rohstoffen hergestellte Filme nach der von der Agfa-AG festgelegten Nomenklatur zu liefern. Damit geriet die Wolfener Filmfabrik in ein verstärktes Abhängigkeitsverhältnis wegen der Rohstoffzufuhren (Triacetatcellulose) und des Filmexports.
Die Verhandlungen zur Verlängerung des Abkommens in jedem Jahr werden von der Agfa-AG Leverkusen als Druckmittel benutzt, um Zugeständnisse vonseiten der DDR zu erzwingen. So wurde die westdeutsche Vertretung der Filmfabrik Wolfen (Thümer, Düsseldorf) durch die einseitige Kündigung der gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Filmgeschäft ausgeschaltet. Durch die Ausschaltung der Düsseldorfer Vertretung gelang es der Agfa-AG Leverkusen, einen Einblick in die Lieferbeziehungen der Wolfener Filmfabrik in das kapitalistische Währungsgebiet zu erhalten.
Die weiteren Auswirkungen bestehen darin, dass das Außenhandelsunternehmen der DDR sich des Vertreternetzes der Agfa-AG im kapitalistischen Währungsgebiet bedienen muss und gezwungen ist, Warenlieferungen ins kapitalistische Ausland zunächst der Agfa-AG Leverkusen zu übersenden. Beabsichtigte Geschäfte im kapitalistischen Ausland sind mit der Agfa-AG Leverkusen abzusprechen. Die Erzeugnisse der Wolfener Filmfabrik werden zzt. nach Leverkusen gesandt, dort umgepackt und erscheinen als Erzeugnisse der Agfa-AG Leverkusen auf dem kapitalistischen Weltmarkt.
Bedingt durch die Rohstoffabhängigkeit der Wolfener Filmfabrik misslang der Versuch, ein eigenes Warenzeichen »Orwo« für Wolfen im sozialistischen Lager einzuführen. Während der langwierigen Beratungen, die im Werk wegen Hinauszögern von Entscheidungen zu keinen positiven Ergebnissen führten, erhielt das westdeutsche Unternehmen von dieser Absicht Kenntnis. Aus diesem Grund geführter Schriftwechsel zwischen beiden Werken lässt die Absicht des westdeutschen Unternehmens erkennen, bei Einführung des Warenzeichens »Orwo« für Filme der Wolfener Fabrik die Rohstofflieferungen einzustellen. Sie begründen ihre Absicht mit »Desinteressiertheit des Wolfener Betriebes an einer weiteren Zusammenarbeit mit dem westdeutschen Unternehmen«.
Aufgrund dieser Situation in der Abhängigkeit der Filmindustrie der DDR wurden daher vom MfS vorhandene Hinweise über die Situation zur Erreichung der völligen Unabhängigkeit von westdeutschen Rohstoffzulieferungen (Triacetatcellulose bzw. Cellit und Fotogelatine) analysiert und näher untersucht.
1. Die Situation auf dem Gebiet der Triacetatcellulose
Ab 1954 wurde mit dem Aufbau einer Anlage zur Gewinnung von Triacetatcellulose im VEB Chem. Fabrik Finowtal begonnen. Die Erarbeitung einer brauchbaren Technologie und eines entsprechenden Verfahrens nahm ca. vier Jahre in Anspruch. 1958 lief die Anlage als Versuchsproduktion an. Es wurde daher beschlossen, eigene Kapazitäten für die Herstellung von Triacetatcellulose zu schaffen. Die Terminstellung für die Errichtung entsprechender Kapazitäten wurde bisher in keinem Fall eingehalten.
Nach der Materialbilanzierung im VEB Agfa-Wolfen hat der VEB Chem. Fabrik Finowtal im I. Quartal 1961 nur mit 34 % (Plan 75 t; Ist 25,5 t) erfüllt. Die Ursachen der Untererfüllung werden mit laufenden Havarien im Werk Finowtal begründet. In der Zeit vom 2.1. bis 22.2.1961 gab es im Finowtal insgesamt 29 Havarien, d. h., fast jeden 2. Tag trat eine Störung an den Anlagen auf. Hauptsächlichste Störungsquelle war bisher das Brechen der Wellen bei zu hoher Beanspruchung der Zellulosetrommel. Techniker weisen darauf hin, dass bei der Konstruktion der Anlage der Bereich der »kritischen Schwingungen« nicht genügend beachtet wurde und es zu einer übermäßigen Beanspruchung des Materials kommt. Außerdem ist die Konstruktion der Privatfirma Heckmann aus Pirna mit technischen Mängeln behaftet.
Obwohl der Politbürobeschluss besagt,3 dass bis zum 1.10.1960 die 150-moto-Anlage mit 1 800 jato [Jato = Jahrestonnen] fertiggestellt sein und produktionswirksam werden sollte, wird im VEB Chem. Fabrik Finowtal die Produktion von Triacetatcellulose für 1962 nur mit 1 200 t und erst 1963 mit 1 800 t geplant. Als wesentlichste Ursache müssen in der terminlichen Verzögerung die Erweiterungsvorhaben (Aufbau der Trommelkessel) und das Auftreten der laufenden Havarien an den Trommelkesseln angesehen werden.
Zur völligen Abdeckung des Bedarfs an Triacetatcellulose verpflichtete der Politbürobeschluss die Abteilung Chemie der SPK, die Projektierung einer halbtechnischen Anlage für das Lösungsverfahren im II. Quartal 1958 zu beginnen und abschließen zu lassen. Weiterhin sollte ein Studienobjekt ausgearbeitet werden, auf dessen Grundlage die Entscheidung über das zu wählende Verfahren, den Standort und die Technologie ermöglicht werden sollte. Allein die Standortfestlegung wurde aber entgegen diesem Beschluss um ca. zwei Jahre verzögert. Erst am 14.3.1960 wurde dem VEB Eilenburger Celluloid-Werk (ECW) mitgeteilt, dass in diesem Werk der Standort für die Triacetatanlage festgelegt wurde.
Da die Ausarbeitung des Grundprojektes mit den Ausführungsunterlagen ein weiteres Jahr (bis etwa 1961) den Baubeginn verzögert hätte, wurde mit Ausnahmegenehmigung das Investvorhaben »Triacetatcellulose Eilenburg« begonnen. Die bisherigen Ergebnisse der Planerfüllung, des Bauablaufes und der Koordinierung der Bauarbeiten auf der Baustelle sind nahezu ein klassisches Beispiel für die Missstände, die mit einer gleitenden Projektierung verbunden sind.
Zzt. gibt es Terminschwierigkeiten mit dem KIB Leipzig wegen der Einhaltung der Fertigstellungstermine von Teilvorhaben. Die Ausreichung der Ausnahmegenehmigungen durch die SPK erfolgt nur mit erheblichen Verzögerungen. Ein weiterer Faktor für die jetzt eingetretenen zeitlichen Rückstände bei der Realisierung des Investvorhabens war die verspätete Festlegung der Leitbaufirma. Durch das Fehlen des Grundprojektes und durch die Kapazitätsmängel im Bauwesen verzögerte sich der Abschluss eines dementsprechenden Bauleistungsvertrages. Die Unterstützung der SPK und des Rates des Bezirkes Leipzig in dieser Frage war äußerst mangelhaft. Erst nach längeren Verhandlungen wurde auf Weisung zentraler Stellen die Bau-Union Leipzig als Leitbaubetrieb verpflichtet.
Da durch den Investträger und Projektanten die Unterlagen sehr spät an den Baubetrieb eingereicht werden, ist eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende Bauvorbereitung (Materialdisposition und Arbeitskräftelenkung) kaum gewährleistet. Da der VEB ECW bei Übergabe der Unterlagen auf sofortige Durchführung der Bauleistungen dringen muss, ist er gezwungen, hohe Vertragsstrafen wegen verspäteter Übergabe der Bauunterlagen zu zahlen.
Die unplanmäßige und gesetzwidrige Vorbereitung und Durchführung dieses Investitionsvorhabens zwingen alle daran beteiligten Wirtschafts- und Verwaltungsorgane, einschließlich der DIB, erhebliche Zugeständnisse zu machen, da bei Anwendung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen die Durchführung des Investitionsvorhabens hätte oftmals eingestellt werden müssen.
Aber auch bei der Bauausführung ergaben sich in der Vergangenheit eine Reihe von Mängeln und Hemmnissen. Durch die ungewöhnlich lang anhaltenden Hochwasser der Mulde ist im April 1961 die Baugrube des Hauptgebäudes vollgelaufen. Dadurch konnte das Fundament nicht rechtzeitig errichtet werden und demzufolge auch der Beginn des Stahlbaues lt. Bautermin nicht eingehalten werden. Der Betonierplatz, der bereits Anfang 1961 fertig gestellt sein sollte, war im April 1961 noch nicht betriebsfähig. Der Bauablaufplan sieht zur Realisierung der Bausumme für 1961 vor, dass die Arbeitskräfte von Januar bis April 1961 auf 171 Produktionsarbeiter ansteigen und diese Zahl der Arbeitskräfte bis Ende 1961 beibehalten werden soll. Bisher stehen aber nur 80 Produktionsarbeiter effektiv zur Verfügung, was dazu führen dürfte, dass die beauflagte Bausumme 1961 kaum realisiert werden kann.
Ein sehr ernstes Problem stellt auch die Unterbringung der vorübergehend anwesenden Arbeitskräfte in Eilenburg dar. Bei planmäßigem Ablauf der Investitionen aller acht Teilvorhaben wären ca. 700 auswärtige Arbeitskräfte vom Betrieb zusätzlich unterzubringen.
Alle vom Betrieb eingeleiteten Maßnahmen und Beschwerden beim Rat des Kreises Eilenburg zur Abhilfe waren bisher erfolglos. Der Rat des Kreises Eilenburg sieht zzt. keine Möglichkeit der Hilfe. Da seine Baukapazitäten für den Wohnungsbau nicht ausreichend wären, sehe er keine Möglichkeit, zeitweilig aus dem Wohnungskontingent Wohnraum für die Unterbringung der Bau- und Montagearbeiter bereitzustellen. Erst jetzt werden Überlegungen angestellt, wie mithilfe von Barackenbauten Abhilfe geschaffen werden kann.
Ein weiteres negatives Moment bei der planmäßigen Realisierung dieses Investitionsvorhabens stellt die Koordinierung der Teilvorhaben dar. Für 1962 sind zur Weiterführung und Vollendung der Ac-Anlage insgesamt 36,3 Mio. DM eingeplant (Bau und Ausrüstung). Zugleich müssen auch die Energieerweiterungsanlage (18 Mio. DM) und das Wasserwerk (ca. 13 Mio. DM) errichtet werden. Beide Anlagen bilden eine wesentliche Voraussetzung für die Inbetriebnahme der Ac-Anlage. Bisher sind für beide genannten Teilvorhaben keine Vorplanungsunterlagen erarbeitet. Obwohl das KIB Leipzig bereits erhebliche Terminschwierigkeiten für die Fertigstellung der Projektierungsunterlagen für die Ac-Anlage hatte, wurde derselbe Projektierungsbetrieb mit der Ausarbeitung der Projektierungsunterlagen für diese Teilvorhaben beauflagt. Nach Ansicht der entsprechenden Organe dürfte die Fertigstellung der Projektierungsunterlagen zur rechtzeitigen vertraglichen Bindung mit den Baubetrieben nicht zu erwarten sein. Da kein Baubetrieb einen Vertrag über Bauleistungen ohne entsprechende Unterlagen abschließt und die DIB die Kontenfreigabe verweigern kann, ist in diesem Fall die ordnungsgemäße Durchführung der Vorhaben kaum erreichbar. Die Inbetriebnahme der Ac-Anlage ist aus diesem Grund nicht gesichert.
Ein weiteres Problem stellt die notwendige Erweiterung der Bekohlungsanlage dar. Die Erweiterung ist mit Rücksicht auf den Mangel an Baukapazitäten erst im Plan 1964 vorgesehen. Zzt. ist ein Gleis vorhanden, auf dem der tägliche Kohleverbrauch von ca. 900 t umgeschlagen wird. Bei Inbetriebnahme der Ac-Anlage wird der Kohleverbrauch auf ca. 2 000 t täglich ansteigen, der in gleicher Zeiteinheit und mit gleicher Arbeitskräftezahl zu bewältigen ist. Nach den bisher erkennbaren Umständen dürfte die alleinige Bearbeitung dieses Problems durch die Werkleitung nicht ausreichend sein, um die Steigerung des Kohleumschlags um 110 % vom technischen und ökonomischen Standpunkt erfolgreich zu lösen. Die besondere Hilfe fachlich zuständiger Organe wäre unbedingt erforderlich.
Über die technologische Seite und technische Ausrüstung des Betriebsteiles Ac-Anlage besteht nach dem Wladimir-Projekt Klarheit. Der VEB ECW hat auf der Grundlage des Politbürobeschlusses mit dem VEB KCA ohne Vorliegen der technischen Dokumentationen noch der technologischen Variante des Wladimir-Projektes Verträge zur Lieferung der Ausrüstungen abgeschlossen. Der VEB KCA schloss seinerseits entsprechende Vorverträge mit dem VEB Maschinenbau Rudisleben. Da der KIB Leipzig die Auslieferungstermine der Projektierungsunterlagen nicht einhalten konnte, benutzt nun der VEB Maschinenbau Rudisleben die entstandene Möglichkeit, um sich von den vertraglich eingegangenen Verpflichtungen zu lösen. Nach vorhandenen Einschätzungen kann der VEB Maschinenbau Rudisleben mit oder ohne Vorliegen entsprechender technischer Dokumentationen aus kapazitätsmäßigen Gründen die vertraglichen Verpflichtungen nicht realisieren. Aus diesem Grunde muss angenommen werden, dass die durch die abgeschlossenen Lieferverträge geschaffene Sicherheit der Auslieferung von Ablagenteile für die Ac-Anlage durch den VEB Maschinenbau Rudisleben nicht mehr gewährleistet wird. Dennoch versucht der VEB Maschinenbau Rudisleben aufgrund der verspäteten Übergabe der Projektierungsunterlagen und technischen Dokumentationen vom ECW Vertragsstrafen berechnen zu lassen, deren Höhe im ECW mit ca. 1 Mio. DM eingeschätzt wird.
Der Verlauf des Investitionsvorhabens zeigt, dass es die verantwortlichen Funktionäre aller beteiligten Wirtschafts- und Verwaltungsorgane offensichtlich nicht verstanden haben, die Forderung der Partei nach Erreichung der völligen Unabhängigkeit von Westdeutschland, in diesem Fall durch bedeutende Investitionen, ständig in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen zu stellen, um vorhandene und erkannte Schwächen schnell zu überwinden. Die vorhandenen Investitionsmittel werden nicht planmäßig produktionswirksam, die bereitgestellten Kapazitäten des Bauwesens und der Montage werden zersplittert und die Terminverzögerungen werden immer größer.
Bei der Realisierung dieses Investitionsvorhabens gibt es nach Einschätzung der Fachleute einen weiteren Unsicherheitsfaktor. Die Anlage wird nach dem Wladimir-Projekt der SU errichtet. In der SU wird diese Anlage zur Herstellung von Seide verwendet. Welche Möglichkeiten der Herstellung filmwürdiger Triacetatcellulose bestehen, müssen erst die Versuche an einer Pilot-Anlage zeigen, die zzt. noch laufen. Damit besteht unter Umständen die Möglichkeit einer bedeutenden Fehlinvestition. Für die zu errichtende Anlage sind 4 400 jato Triacetatcellulose eingeplant, darunter 3 000 jato mit Filmqualität. Bisher ist jedoch keine Entscheidung getroffen worden, welche weitere Verwendung die verbleibenden 1 400 jato Fehlchargen finden sollen. Die bis jetzt erreichbare Begründung (»Wir machen Seide«) dürfte nicht allzu genau genommen werden, da hierzu weitere Anlagen und Lösungsmittel notwendig wären. Hierzu müssten weitere Voraussetzungen geschaffen werden, die bisher nicht eingeplant sind. Eine endgültige Entscheidung sollte daher zeitlich nicht allzu weit hinausgezögert werden, etwa bis der Anfahrttermin der Ac-Anlage erkennbar ist.
Wichtigste Voraussetzung für die Aufnahme einer eigenen Produktion von Triacetatcellulose ist auch die Klärung des einsetzbaren Rohstoffes. Vorgesehen ist Linters aus der VR China. Der VEB Zellstoffwerk Pirna, Betriebsteil Pechelmühle, beschäftigt sich seit 1959 labormäßig mit der Verarbeitung von China-Linters. Obwohl bisher keine Erfahrungen vorlagen, haben die Laborversuche positive Ergebnisse zu verzeichnen.
Dennoch ist zu erkennen, dass die bisher ausstehende Entscheidung über den einzusetzenden Rohstoff die weitere Laborarbeit und Verwendung von China-Linters gefährden.
Die technische Verwendung von China-Linters zur Herstellung von Triacetatcellulose ist im Wesentlichen geklärt und labormäßig erprobt. Geringe technische Mängel werden zzt. noch behoben. Es fehlt nun die Entscheidung der SPK, ob in Zukunft der Rohstoff ausreichend durch das Außenhandelsunternehmen bereitgestellt wird, da sonst eine Weiterführung der Versuchsarbeiten sinnlos erscheint.
Es wurden auch dahingehend Befürchtungen geäußert, dass die Situation, wonach die VR China aufgrund der Unwetterschäden eine Reihe von Exportverpflichtungen gegenüber der DDR nicht realisiert, u. a. bei Linters, die baldige großtechnische Produktionsaufnahme von Triacetatcellulose gefährden könnte.
2. Die Situation auf dem Gebiet der Fotogelatine
Aufgrund des Politbürobeschlusses zur Erreichung der Unabhängigkeit unserer Filmindustrie ist die Erweiterung der Kapazitäten zur Produktion von Fotogelatine mittels Investitionen vorgesehen. Bis 1962 wurde eine Kapazitätserhöhung von insgesamt 2 700 jato Gelatine, darunter 1 000 jato Fotogelatine vorgesehen. Aufgrund der Untersuchungen einer Kommission, die die Fragen der modernsten Technologie und des zukünftigen Standortes klären sollte, wurde die ursprüngliche Konzeption, die Herstellung von 1 000 jato Fotogelatine, verändert, mit dem Ziel, die zu projektierende Kapazität auf 1 300 jato zu erhöhen. Als Standort wurde das Gelatinewerk Calbe festgelegt.
Bei der Investitionsrealisierung zeigen sich zzt. Terminverzüge bei der Projektierung des elektrotechnischen Teils der Ausrüstungen, bedingt durch Kapazitätsmangel des VEB Starkstromanlagenbau Magdeburg. Dadurch ist die rechtzeitige Materialbestellung für den Bauablauf 1962 nicht gegeben. Wegen mangelnder Projektierungskapazität gibt es zzt. Schwierigkeiten bei der Projektierung der Wasserversorgungsanlagen, sodass die Gefahr besteht, dass in Calbe zwecks Sicherung des kontinuierlichen Bauablaufes 1962 mit Ausnahmegenehmigungen gearbeitet werden muss.
Bei der Gelatineproduktion werden die Qualitätsmerkmale durch den einsetzbaren Rohstoff (Knochen und Häute) wesentlich beeinflusst. An die Fotogelatine müssen die höchsten Anforderungen an Viskosität und fotografische Eigenschaften gestellt werden. Da der Politbürobeschluss festlegt, dass die Kapazitätserhöhung für die Gelatineproduktion ausschließlich zur Produktion von Fotogelatine zu dienen hat, kommt der qualitätsgerechten Versorgung mit Rohstoffen erhöhte Bedeutung zu. Das bedeutet in zunehmendem Umfang, das Werk in Calbe mit ausreichenden Rinderknochen aus eigenem Aufkommen zu versorgen. Zzt. importiert die DDR zusätzlich indischen Knochenschrott. Die Hälfte des gegenwärtig zur Verarbeitung kommenden Einsatzstoffes muss noch importiert werden.
In der DDR werden alle anfallenden Knochenabfälle durch den Altstoffhandel erfasst und den Produktionsstätten zugeführt. Dabei ist gegenwärtig zu verzeichnen, dass die Organe des Altstoffhandels bei der Belieferung der verarbeitenden Werke keine Unterschiede hinsichtlich der qualitativen Anforderungen einzelner Werke an die Rohstoffe machen. Damit wird naturgemäß in der Produktion von Fotogelatine nicht in jedem Fall eine qualitätsgerechte Produktion gewährleistet. So werden dem Werk in Calbe unausgesuchte, ob minderwertige Rippen und Knochen, die noch mit allem Unrat behaftet sind, angeliefert. Die Erfassung der geeigneten Knochen für das Werk in Calbe wird zzt. zu einem Problem gemacht. Im Apparat der SPK wird die Klärung der Erfassung zu einem »Streitobjekt« gemacht, da die beteiligten Fachabteilungen (Chemie, Lebensmittelindustrie und Altstoffhandel) keine Einigung erzielen können.
Aufgrund von Untersuchungen, unter Mitwirkung des Instituts für Fleischwirtschaft Magdeburg, könnte in der DDR das Rinderknochenaufkommen, bei einem Anteil von ca. 75 % Gelatineknochen und 40 % Entfettungsverlusten, ca. 15 000 t betragen. Diesem möglichen Aufkommen steht die Planauflage des Volkswirtschaftsplanes 1961 mit folgender Bilanz gegenüber:
Plan der Erfassung 1960: 4 050 t,
Erfüllung 1960: 3 000 t.
Aus dieser theoretischen Überschlagsrechnung ist entnehmbar, dass das gesamte Problem der Rohstoffversorgung zur Produktion von Fotogelatine in den Fachabteilungen der SPK unterschätzt wird. Man geht dem Problem aus dem Wege, indem man einfach die Zustimmung von Knochenimporten gegeben hat, wofür harte Devisen benötigt werden.
Die Unterschätzung der qualitätsgerechten Rohstoffversorgung drückt sich auch im Folgenden aus: Mit einem Schreiben vom 17.1.1961 wandte sich die Werkleitung von Calbe an das Staatliche Vermittlungskontor für Maschinen und Materialreserven, um die völlig unzureichende und mangelhafte Versorgung mit Rinderknochen zu kritisieren. Das Schreiben wurde durch die Abteilung Ökonomische Materialverwertung der SPK, Sektorenleiter Dr. Paetzold, am 9.2.1961 beantwortet. Darin wird die Ablehnung der Annahme von unentfetteten Rinderknochen als unverständlich bezeichnet und darauf hingewiesen, dass der Altstoffhandel alle vorhandenen Möglichkeiten ausnutzt, um die geforderten Qualitätsmerkmale einzuhalten. Weiter wird in dem Schreiben des Dr. Paetzold unterstellt, dass die Forderungen des Werkes Calbe auf eine Erhöhung der Importe aus dem kapitalistischen Währungsgebiet hinauslaufen.
Die Stellungnahme des Dr. P. als verantwortlichen Mitarbeiter der SPK bezieht sich offensichtlich auf eine unrealistische Einschätzung der vorhandenen inländischen Rohstoffreserven, die im Gegensatz zu den weiter oben genannten Angaben über die inländischen Rohstoffreserven steht. Bei richtiger Organisation der Altstofferfassung von Knochen müsste demnach die Möglichkeit bestehen, jegliche Knochenimporte zu annullieren und damit die bestehende Abhängigkeit vom kapitalistischen Währungsgebiet zu beseitigen. Die nicht rechtzeitige Erkennung dieses Problems kann dazu führen, dass in Zukunft die Produktionskapazitäten für die Herstellung von Fotogelatine vorhanden sind, jedoch durch die Rohstoffsituation die Unabhängigkeit nur bedingt erreichbar wird.
In Anbetracht der Vielseitigkeit und Kompliziertheit der vorhandenen Probleme wäre es nach Erachten des MfS bei der Realisierung des Politbürobeschlusses von 1958 notwendig, stärker die politische Bedeutung der Lösung dieser Probleme in den Mittelpunkt zu stellen, um zu erreichen, dass alle beteiligten und verantwortlichen Wirtschaftsorgane, einschließlich der Bau- und Maschinenbetriebe, die Zulieferungen zum Investitionsvorhaben Triacetatcellulose (Eilenburg und Finowtal) mit vorrangig behandeln und durch eine schnelle Realisierung der übertragenen Aufgaben eine systematische Koordinierung im Bauablauf ermöglichen.
Zur termingemäßen Realisierung des Politbürobeschlusses zur Erreichung der Unabhängigkeit unserer Filmindustrie müsste daher im Rahmen des Verantwortungsbereiches der beteiligten Fachabteilungen der SPK (Chemie und Maschinenbau) ein Arbeitskreis gebildet werden, welcher sich ständig mit den auftretenden Problemen befasst und auf operativem Wege Maßnahmen zur Überwindung vorhandener Schwierigkeiten verbindlich festlegen kann.