»Störfreimachung« der Wirtschaft (1)
3. August 1961
Bericht Nr. 403/61 über die Situation auf dem Gebiet der Störfreimachung unserer Wirtschaft und die Arbeitsweise der Staats- und Wirtschaftsorgane auf diesem Gebiet
Das Vorliegen einer Vielzahl von Hinweisen aus den verschiedensten Verantwortungsbereichen veranlasst das MfS zu einer näheren Darlegung der uns bekannten Schwächen und Mängel.
I. Die Behandlung der Probleme zur Erreichung der Unabhängigkeit in den zentralen Staats- und Wirtschaftsorganen
Die von der SPK am 4.1. und 7.6.1961 gefassten Beschlüsse wurden nach unseren Feststellungen bisher nur teilweise wirksam. Ihre volle Realisierung wird durch eine Reihe negativer Momente gefährdet.1
Die vorhandenen Hinweise lassen erkennen, dass in allen Bereichen der ehem. SPK die Durchführung der beschlossenen Maßnahmen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgegriffen, nicht straff geleitet und die vorhandenen Kräfte nicht konzentriert und zielstrebig genug für die unmittelbar zu lösenden Aufgaben eingesetzt wurden.
Die Veränderungen in der Leitung der volkseigenen Wirtschaft auf zentraler Ebene (Bildung der SPK und des Volkswirtschaftsrates) haben demnach noch nicht zu solchen Bedingungen geführt,2 dass in Zukunft das Problem der Störfreimachung umfassend kontrolliert werden kann. Von verantwortlichen Mitarbeitern wird bezweifelt, ob der Stellvertreter des Vorsitzenden des Volkswirtschaftsrates, Genosse Markowitsch, ohne entsprechenden Mitarbeiterstab in der Lage sein wird, den gesamten Komplex der Störfreimachung zu übersehen und zu kontrollieren.
Von den Fachabteilungen der ehem. SPK wurden spezifizierte Listen über Grundmaterialien, Maschinen, Komplettierungsteile und Ersatzteile erarbeitet, die die Abhängigkeit statistisch nach Planpositionen ausweisen.
Es gibt jedoch noch keine exakten spezifizierten Übersichten, die Auskunft geben über die vielen einzelnen Erzeugnisse des Maschinenbaues und die Möglichkeiten der Eigenproduktion bzw. die Ausweichmöglichkeiten im sozialistischen Lager. Zum Teil wird dies dadurch erschwert, dass der Volkswirtschaftsplan 1962 in seinen speziellen Teilen noch nicht erarbeitet ist. Zum anderen werden die vielseitigen Verflechtungen zwischen den Industriezweigen noch nicht übersehen.
Durch die auf diese Weise, bis auf einige Ausnahmen, verzögerte spezifizierte Abstimmung mit den sozialistischen Ländern besteht die Gefahr, dass die benötigten Lieferungen für 1962 von diesen Ländern nicht mehr in den Plan aufgenommen werden können.
Einige Beispiele zur Arbeitsweise der ehem. SPK und einiger Fachministerien:
Im Bereich des Maschinenbaues mussten die einzelnen Abteilungen bis zum 30.7.1961 spezifizierte Angaben erarbeiten. Das bisher in dieser Richtung erarbeitete Material gestattete es nicht, die Abhängigkeitsgrade bis in die einzelnen Positionen festzustellen. Die Ursache für diese Verhältnisse und den damit im Zusammenhang stehenden Terminverzug sind darin zu sehen, dass von der Leitung des Maschinenbaues, speziell vom Genossen Wunderlich3, keine konkreten Konzeptionen gegeben wurden. Die Beschlüsse der SPK wurden zwar in den Leitungssitzungen bekanntgegeben, eine Aufgabenstellung, die sich aus diesen Beschlüssen – speziell für den Maschinenbau – ergibt, wurde nicht im nötigen Umfang erarbeitet.
Die Beschlüsse der SPK wurden an die einzelnen VVB weitergeleitet. Die Anleitungstätigkeit der Abteilungen der SPK gegenüber den VVB wurde vernachlässigt. Es wurden zwar Sonderbeauftragte eingesetzt, die aber qualifikationsmäßig nicht in der Lage waren, das komplizierte Problem allseitig zu beherrschen und zu bearbeiten. Die Auswirkungen zeigten sich darin, dass bis heute kein detaillierter Überblick gegeben werden kann. Deshalb musste bis zum 30.7.1961 kurzfristig diese Maßnahmen nachgeholt werden.
Dieser Arbeitsstil des Genossen Wunderlich wirkte sich auch dahingehend aus, dass nach den Verhandlungen in Moskau keine Ausspezifizierung des Materials vorgenommen wurde. Da die sowjetischen Genossen jetzt die technischen Daten verlangen, gab Genosse Wunderlich am 13.7.1961 den Auftrag zur Ausspezifizierung mit Termin 16.7.1961. In Tag- und Nachtarbeit wurde das Material zusammengestellt und am 16.7.1961 festgestellt, dass es nicht zu verwenden ist und eine neue Überarbeitung bis 19.7.1961 vorgenommen werden musste. Gleichzeitig wurde aber der Auftrag gegeben, die Planvariante U für 1962 zu erarbeiten. Diese Aufgaben musste derselbe Personenkreis erfüllen.
Von einer systematischen Arbeit kann unter diesen Bedingungen nicht mehr gesprochen werden. Zur Erfüllung dieser Aufgabenstellung »Spezifizierung« mussten 50 Mitarbeiter aus den VVB zum Bereich Maschinenbau geholt werden.
Anfang Juli sprach ein Mitarbeiter der VVB Dieselmotoren, Pumpen und Verdichter Halle bei der Deutschen Investitionsbank vor und teilte mit, dass das Dieselmotorenwerk Halberstadt am 6.4.1961 einen Antrag an die SPK, Abteilung Schwermaschinenbau, zwecks Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Errichtung einer neuen Produktionshalle für den Bau von Groß-Schiffsdieselmotoren gestellt hat. Das Vorhaben umfasst einen Wert von rd. 16,0 Mio. DM und könnte bis 1963 durchgeführt sein. Die Verwirklichung dieses Vorhabens würde die DDR in die Lage versetzen, auf die bisher aus Westdeutschland bezogenen großen Schiffsdieselmotoren zu verzichten.
Die SPK hatte jedoch bis zum o. g. Zeitpunkt auf diesen Antrag nicht reagiert, sodass der vorgesehene Fertigstellungstermin immer mehr infrage gestellt wird, wenn nicht eine sofortige Entscheidung getroffen wird.
Die Bauunion Halle hat bereits ihre Arbeiter, die zur Durchführung des Vorhabens eingesetzt waren, wieder abgezogen, weil keine Finanzierung erfolgte.
Die Parteileitung des Bereichs Maschinenbau der SPK hat die Fragen der Störfreimachung in der Vergangenheit formal behandelt. In einer Parteileitungssitzung Anfang Juli 1961 wurde erstmalig erkannt, dass in der Abteilung bisher nur papiermäßig gearbeitet wurde, ohne die Lage in den Betrieben des Maschinenbaues genauer zu kennen.
Von der Abteilung Chemie der ehem. SPK wurde ein Programm zur Sicherung der Produktion der Chemischen Industrie gegen Störmaßnahmen seitens Westdeutschlands erarbeitet.
Nach dem vorliegenden Programm wurde die VVB beauftragt, weitere Lösungswege und Varianten zur Eigenproduktion und die benötigten Investmittel in zeitlicher Abstimmung als Gesamtprogramm bis zum 30.9.1961 bei der Abteilung Chemie vorzulegen.
Das erarbeitete Programm entspricht nach Auffassung von Fachexperten in keiner Weise den Anforderungen. Überwiegend fehlen darin die konkreten Termine, bis zu welchem Zeitpunkt eine endgültige Sicherung gegen die Störtätigkeit erzielt werden soll. In dem Material werden eine Reihe Angaben über Wahrscheinlichkeitsrealisierungen angeführt. Bei den wichtigsten Positionen ist ein Import im Rahmen des IDH bis zum Jahre 1965 eingeplant, wobei nur z. T. die Einschränkung gemacht wird, dass durch Beratungen mit den sozialistischen Ländern gewisse Umsetzungen angestrebt werden. Der unzureichende Inhalt dieses Programms muss besonders auf eine ungenügende Zusammenarbeit mit den anderen Institutionen (Chemiekontor und DIA Chemie) zurückgeführt werden.
So hat z. B. der DIA Chemie ohne Abstimmung mit dem Chemiekontor und der Abteilung Chemie chemische Erzeugnisse im Werte von 60 Mio. DM aus dem IDH in das KW verlagert. Diese Veränderung ist im vorliegenden Programm nicht berücksichtigt worden. Außerdem wurde bei einer Überprüfung festgestellt, dass z. B. einer der wichtigsten Rohstoffe für unsere Filmindustrie, Acetatcellulose, nicht verlagert wurde.
Weiter wurde festgestellt, dass z. B. für das zur Herstellung des wichtigen Cyanurchlorid und Monoethylamin nur ein Rohstoff verlagert wurde. Das würde bedeuten, dass bei der Kündigung des IDH das Unkrautbekämpfungsmittel nicht mehr erzeugt werden kann.
Die gleiche Situation wurde bei den Positionen Bleitetraethylfluid und Ethylendibromid festgestellt.
In der Abteilung Materialwirtschaft wurde der Termin für die Herausgabe von Verwendungsverboten für Engpassmaterialien nicht eingehalten. Es wurden eine Ordnung und einzelne Verwendungsverbote erarbeitet, die erst vor wenigen Tagen in Kraft getreten sind. Hierbei wurde über mangelnde Unterstützung durch die Fachabteilungen geklagt. Speziell von der Abteilung Maschinenbau liegen noch keinerlei Vorschläge in dieser Hinsicht vor. Die bisherigen Vorschläge beruhen nur auf eigenen Erfahrungen der Mitarbeiter der Gruppe Materialeinsparung.
Bei der Abteilung Nachrichten und Verkehr liegen die Übersichten vor, welche Materialien bei Abbruch des Handels mit Westdeutschland ausfallen. Es handelt sich dabei in der Hauptsache um nahtlose Rohre, Kesselwagen, technische Einrichtungen für Fernsehen und Fernmeldetechnik.
Es bestehen jedoch bisher keinerlei Vorstellungen, wie diese Fragen anderweitig gelöst werden sollen. Man hat in dieser Hinsicht auch noch keinerlei Anstrengungen unternommen, um eine Klärung zu erreichen. Angeblich mangelt es an der notwendigen Anleitung. Die Mitarbeiter wissen nicht, wie sie sich weiterhin verhalten sollen.
Auch in dieser Arbeit der Abteilung Bezirke der SPK sind hinsichtlich der Störfreimachung Mängel und Versäumnisse zu bemerken. Durch die Leitung der Hauptabteilung Perspektivplanung wurde die Aufgabe gestellt, Konzeptionen für die Störfreimachung auf allen Arbeitsgebieten auszuarbeiten. In der Realisierung dieser Aufgaben wurde festgestellt, dass in der Abteilung Bezirke kaum Maßnahmen veranlasst wurden. Ein Maßnahmeplan mit den Aufgaben für die nächste Zeit wurde erst um den 21.7.1961 den Wirtschaftsräten übersandt.
Zu den Fragen der technisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit liegen Hinweise vor, dass die Abteilung Internationale-Ökonomische Beziehungen (IÖB) mit den sozialistischen Ländern vereinbarte, dort eingehende Anträge mit Themen für die Unabhängigmachung kurzfristig (8 bis 14 Tage) zu bearbeiten. Die Länder waren damit einverstanden, nur konnten bis heute keine Anträge gestellt werden, da von den Fachabteilungen der SPK keine eingingen. Einige Zusammenfassungen über gewünschte Themen der Abteilung Forschung und Technik mussten zurückgewiesen werden, da ihre Qualität völlig unzureichend war. Die Abteilung IÖB vertritt die Auffassung, dass die Maßnahmen verzögert werden, kein Überblick besteht und keine volle Konzentration darauf erfolgt.
Die vorstehend erwähnten Beispiele über die Situation und die Arbeitsweise der ehem. SPK hinsichtlich der Störfreimachung hatten naturgemäß Auswirkungen auf die Arbeit verschiedener Fachministerien.
Im Ministerium für Bauwesen wird seit Ende 1960 an der Störfreimachung gearbeitet. Die Arbeit erfolgte jedoch nicht systematisch und konzentriert. Ein verantwortlicher leitender Mitarbeiter wurde erst vor kurzer Zeit für diese Aufgaben benannt. Der Termin der SPK, bis 1.6.1961 exakte Ausarbeitungen vorzulegen, wurde nur formal erfüllt. Obwohl ein umfangreicher Bericht angefertigt wurde, ist er unvollständig und enthält nicht alle Importe aus Westdeutschland und dem kapitalistischen Ausland und gibt keine klare Übersicht über den Grad der Abhängigkeit.
Die in der Ausarbeitung enthaltenen Maßnahmen zur Sicherung der benötigten Erzeugnisse bei Sperrung der Handelsabkommen umfassen nicht alle Importe und sind daher als einseitig zu betrachten. Längere Zeit wurde im Ministerium für Bauwesen versäumt, die entsprechenden politischen Schlussfolgerungen zu ziehen und ein einheitliches Programm zur Sicherung der gesamten Bauwirtschaft bei Störungen auszuarbeiten. Das macht sich besonders jetzt negativ bemerkbar, da zurzeit der Volkswirtschaftsplan 1962 ausgearbeitet wird und ein konkretes Programm dabei sehr von Nutzen wäre. Zur intensiven Untersuchung und Festlegung konkreter Maßnahmen wurde im Juni 1961 im Ministerium für Bauwesen eine Kommission mit mehreren Arbeitsgruppen gebildet.
Die bisher im Ministerium für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft geleistete Arbeit ist vollkommen ungenügend und gibt keinen konkreten Überblick über den gegenwärtigen Stand in der Störfreimachung von Westdeutschland. Die Terminstellung der ehem. SPK (1.6. und 1.7.) zur Ausarbeitung eines Programms zur Erreichung der Störfreiheit im Verantwortungsbereich des Ministeriums für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft wurde nicht eingehalten. Der Abteilung Planung dieses Ministeriums war die Aufgabenstellung völlig unbekannt, sodass von dieser Abteilung keine Ausarbeitungen gefertigt wurden.
Ein einheitlicher Plan für das gesamte Ministerium betreffs der Störfreimachung ist nicht vorhanden. Der Abteilungsleiter Planung, Genosse Sigusch, war am 11.7.1961 noch nicht in der Lage, einen konkreten Überblick über die angefertigten Materialien zu geben. Im Ministerium gab es bis vor Kurzem keinen verantwortlichen Mitarbeiter für diese Fragen. Neuerdings ist der Genosse Kupke damit beauftragt worden, der jedoch ohne Unterstützung allein nicht in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen.
In der vergangenen Zeit beschäftigten sich zwar alle infrage kommenden Abteilungen mit der Unabhängigmachung, ohne aber ein konkretes Ergebnis zu erzielen. Die bisher ausgearbeiteten Materialien sind nicht vollständig, und es wurde auch nur in den wenigsten Fällen überprüft, wo eine Reduzierung möglich ist, bzw. die Produktion in der DDR aufgenommen werden kann. Besonders trifft das auf den Import von Veterinärgeräten und -instrumenten sowie von Schädlingsbekämpfungsmitteln zu.
Bei der Überprüfung wurde weiterhin festgestellt, dass in den Positionen, wo Störungen durch Westdeutschland möglich sind, keine ausreichenden Maßnahmen zur Sicherung der DDR-Produktion getroffen wurden. Besonders deutlich kommt das zum Ausdruck bei den geplanten Importen an Vitaminen A und Wirkstoffen. Bei der Störung dieser Importe kann es zu einer ernsten Gefährdung der Futtermittelproduktion in der DDR kommen.
Diese Probleme sind bereits seit über einem Jahr bekannt, ohne dass von der Leitung des Ministeriums Maßnahmen getroffen wurden, um Vitamine A und Wirkstoffe aus anderen Ländern zu importieren.
Eine wesentliche Ursache für das schleppende Vorangehen der Arbeit zur Unabhängigmachung im Ministerium ist, dass keine klare Abgrenzung in der Aufgabenstellung zwischen der Landwirtschaft, der Chemie und dem Maschinenbau vorgenommen wurde.
Insgesamt muss eingeschätzt werden, dass in der Arbeit des Ministeriums für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft in der Störfreimachung eine ernste Unterschätzung der politischen Bedeutung dieser Aufgabe vorhanden ist.
Auch im Ministerium für Außen- und Innerdeutschen Handel4 und in den Außenhandelsunternehmen gibt es noch Erscheinungen, aus denen zu erkennen ist, dass die Fragen der Unabhängigmachung oberflächlich und leichtfertig behandelt werden. Unreale Einschätzungen werden von den DIA-Fachanstalten an die Hauptabteilungen des Ministeriums eingereicht. Ohne Überprüfung gelangen die Vorlagen zur Leitung des Ministeriums bzw. werden an die SPK weitergereicht und bilden die Grundlage wichtiger Entscheidungen.
So berichtete z. B. der Generaldirektor der Deutschen Stahl- und Metallhandelsgesellschaft (DSM), Genosse Sämisch, an den Hauptverwaltungsleiter des MAI, Genosse Schalck5, dass die Fragen der Unabhängigmachung im Verantwortungsbereich der DSM im Wesentlichen geklärt seien. Die Leitung der Hauptverwaltung gab sich mit dieser Einschätzung zufrieden. Eine spätere Überprüfung ergab, dass diese Einschätzung eine Desinformation darstellt und keinesfalls der realen Situation entsprach. Für ca. 53 Mio. VDM bestehen zzt. noch keine Vorstellungen, wie die Importausfälle aus dem Innerdeutschen Handel anderweitig bezogen werden können.
Vom Bereich der Hauptabteilung Grundstoffindustrie und Metallurgie des MAI, Verantwortungsbereich des stellv. Ministers Enkelmann, wird nur ungenügender Einfluss auf die Industrie bei der Organisierung der Unabhängigmachung genommen. Es herrscht ein rein administrativer Arbeitsstil vor, indem versucht wird, über die Fachabteilung der SPK die grundsätzlichen Fragen zu klären. Im Außenhandelsunternehmen Maschinenexport-Transportmaschinen herrscht eine Ideologie, die besagt, lieber Waren und Maschinen zu importieren, als die der eigenen Produktion zu verwenden, da die importierten Maschinen aufgrund »falscher Preisrelationen« (Binnenhandelspreise) billiger seien.
Bezeichnend für das Unverständnis, das den Problemen der Unabhängigmachung von einem Teil der Mitarbeiter des Außenhandels entgegengebracht wird, ist folgendes Beispiel:
Zur Orientierung der Forschung und Entwicklung im Bereich der VVB Rundfunk und Fernsehen ist es notwendig, Kleinstmengen von Bauelementen aus dem sozialistischen Ausland zu beschaffen, die bisher aus Westdeutschland oder anderen NATO-Staaten importiert wurden.
Die Mitarbeiter des DIA Heimelektrik, [Name 1] und [Name 2], erklärten der VVB Rundfunk und Fernsehen, dass es zwar Prospekte für diese Bauelemente aus den sozialistischen Ländern gibt, aber keine Möglichkeit besteht, davon Kleinstmengen zur Herstellung von Funktionsmustern zu beschaffen.
Die VVB Rundfunk und Fernsehen war daraufhin gezwungen, sich eine kleinere Menge Widerstände tschechischer Produktion aus Einzelhandelsgeschäften in Westberlin zu kaufen.
Bei den der SPK nachgeordneten Versorgungskontoren werden die Fragen der Störfreimachung seit einiger Zeit unter direkter Anleitung des Genossen Selbmann6 verstärkt behandelt. Die mehrfach bezeichneten Schwächen treffen für die Arbeitsweise der staatlichen Versorgungskontore in ähnlicher Form zu. So erfolgte z. B. seitens des staatlichen Metallkontors (SMeK) keine ständige und straffe Kontrolle bei der Realisierung der gefassten Beschlüsse und erteilten Auflagen. Die ideologische Vorbereitung der Mitarbeiter auf unmittelbar zu lösende Aufgaben erfolgte nur kampagnemäßig. Die Folge besteht zum Teil darin, dass bei einer Reihe von Mitarbeitern noch immer nicht die notwendige Klarheit über den gesamten Komplex der Unabhängigmachung vorhanden ist. Vorhandene Übersichten aus dem SMeK lassen erkennen, dass die Erfassung und Bilanzierung des Grades der Abhängigkeit unter einer unzureichenden Arbeitsweise gelitten hat. Obwohl Übersichten gefertigt wurden, die auch den verantwortlichen Abteilungsleitern bekannt sind, haben die meisten Mitarbeiter keinen oder nur einen ungenügenden Überblick über den Stand der Ausarbeitungen, wodurch eine Koordinierung zwischen den Abteilungen und Mitarbeitern kaum möglich ist. Als typisch für dieses Versorgungskontor muss angesehen werden, dass die anfallenden Arbeiten in Fragen der Unabhängigmachung von den leitenden Mitarbeitern allein bearbeitet werden.
Im Zusammenhang mit den Darlegungen über die Behandlung der Frage der Störfreimachung durch die zentralen Staats- und Wirtschaftsorgane muss entsprechend den Hinweisen noch auf folgende angeblich ungelöste Schwerpunkte verwiesen werden.
Für die Ausarbeitung der Planvariante U wurden von den Genossen der Abteilungen Materialwirtschaft, Außenhandel und Perspektivplanung Berechnungen angestellt. Das Ergebnis war, dass 160 Tt Engpasssortimente, die bisher aus Westdeutschland bezogen wurden, nicht untergebracht werden können. Eine Zusammenfassung aus dem VEB Energieprojektierung Berlin besagt, dass für die zzt. in Arbeit befindlichen Projekte noch Importe aus Westdeutschland in Höhe von 58,3 Mio. VDM vorgesehen sind. Die größten Positionen liegen bei Rohrleitungen für die Großkraftwerke Lübbenau II und III und Vetschau mit insgesamt 42,3 Mio. VDM. Weiterhin bei Kabel für die o. g. Kraftwerke in Höhe von 3,5 Mio. VDM sowie bei Gasturbinenanlagen für das Kraftwerk Gispersleben in Höhe von 7,9 Mio. VDM. Angaben der Abteilung Energie der SPK zufolge ist es erst 1964 möglich, die benötigten Rohrleitungen aus der SU zu beziehen. Daraus ergibt sich die Tatsache, dass die Volkswirtschaft der DDR in den nächsten Jahren auf diesem Gebiet sehr störanfällig sein würde, wenn keine andere Lösung gefunden wird.
Bei der Spezifizierung des Kreditabkommens mit Frankreich wurden die geplanten Mittel ausgeschöpft, ohne dass der geplante Bedarf an Ausrüstungen für die Metallurgie gedeckt werden konnte. Es wurden laufend neue Positionen, wie Kabel usw. in das Kreditabkommen mit einbezogen. Dieses führte schließlich dazu, dass der geplante Import der Ausrüstungen für das Rohrwerk III Riesa in Höhe von 28 Mio. bei dem jetzigen Kredit nicht mehr berücksichtigt werden konnte. Obwohl es sich bei den Ausrüstungen für das Rohrwerk Riesa um Schwerpunktpositionen handelt, bestehen bis heute keine Vorstellungen, wie diese gesichert werden sollen.
Dieser Zustand ist der Abteilung Berg- und Hüttenwesen seit Monaten bekannt, jedoch wurde bis heute kein Antrag auf Erhöhung des Kreditabkommens gestellt. Vermutlich befürchtet man eine Kritik wegen Überschreitung der geplanten Summe.
II. Die Behandlung des Problems der Störfreimachung in den VVB
In den VVB wurde die Forderung des 11. Plenums der Partei nach kurzfristiger Erreichung der Unabhängigkeit von den Partei-, Gewerkschafts- und Betriebsleitungen in ihrer politischen Bedeutung zeitlich zu spät erkannt. Die politisch-ideologische Klärung und Auswertung der Plenartagungen zu den Fragen der Störfreimachung wurde mit recht unterschiedlichem Niveau vorgenommen. Dieses äußert sich bei einer Reihe verantwortlicher Wirtschaftsfunktionäre z. B. in Fragen der Materialversorgung, nach denen die bisher erfolgten Bezüge aus Westdeutschland in Zukunft aus anderen kapitalistischen Staaten, insbesondere aus den NATO-Staaten England, Frankreich und Belgien, ausgeglichen werden sollen. Allgemein kann festgestellt werden, dass in Auswertung der Plenartagung die politische Notwendigkeit der Störfreimachung erkannt wurde.
Gegenwärtig ist jedoch festzustellen, dass die politischen Erkenntnisse nur ungenügend in exakt messbaren Aufgaben für den entsprechenden Verantwortungsbereich ihren Niederschlag finden.
Zur Tätigkeit der Leitungen der VVB muss gesagt werden, dass von dieser Seite kaum auf die Entwicklung einer breiten Initiative der Werktätigen in den Betrieben zur Lösung vorhandener Probleme bei der Unabhängigmachung orientiert wird. Die Fragen der Störanfälligkeit werden in vielen Betrieben zur reinen Sache der Betriebsleitungen, des technischen Direktors o. a. Funktionäre gemacht.
Im RAW Kirchmöser z. B. entwickelte eine Arbeitsgemeinschaft für Stapelbehälter eine Konstruktion, die für das bisher verwandte nahtlose Rohr Winkeleisen versieht. Die Einsparung entspricht einem Wert von 167 TDM. Trotz dieser Änderung in der Konstruktion der Stapelbehälter bekam der Betrieb von der zentralen Beschaffungsstelle der HV RAW des Ministeriums für Verkehrswesen Importrohre zugeteilt. Um keine Überplanbestände zu haben, verkaufte das RAW diese Importrohre an LPG. Die Organisierung von Wettbewerben mit betrieblicher Aufgabenstellung überlässt man in den meisten Fällen allein den Gewerkschaften.
Ein wesentliches Hemmnis zur Erreichung der Unabhängigkeit gegenüber den Störversuchen militaristischer Kreise Westdeutschlands ist die noch mangelhafte Koordinierung der Arbeit zwischen den Betrieben einer VVB sowie zwischen den einzelnen VVB. Die mangelnde Koordinierung ist zu einem großen Teil auf bereits aufgeführte Missstände in der Arbeitsweise des zentralen Staatsapparates zurückzuführen.
Dazu können nachfolgende Beispiele angeführt werden:
Für die Überwindung der Abhängigkeit unserer Wirtschaft stellt das Fehlen der in Aussicht gestellten Kataloge und Verzeichnisse über die Produktionsprogramme der sozialistischen Länder nach Erzeugnisgruppen ein ernstes Hindernis dar. Die Verzögerungen in der Ausarbeitung dieser Kataloge sind im Wesentlichen auf die Arbeitsweise der jeweils zuständigen Bereiche der SPK zurückzuführen.
So hat beispielsweise der VEB Energieprojektierung Berlin einen Katalog erhalten, in dem höchstens 5 % der im Plan der Energieprojektierung zur Senkung der Westimporte erfassten Materialien enthalten sind. Der zuständige Mitarbeiter der SPK war bei der Ausarbeitung des Kataloges hauptsächlich daran interessiert, den ihm gestellten Termin, 30.6.1961, einzuhalten.
Dieses führt zu dem allgemeinen Zustand, dass die Entwicklungs-, Konstruktions- und Projektierungsbüros, die Außenhandelsorgane und die für die Erteilung von Negativattesten zuständigen VVB keinen umfassenden Überblick über das Produktionssortiment der sozialistischen Länder haben.
Vom Leiter der VVB Chemie und Klimaanlagen Berlin wurde auf die Frage, auf welche Unterlagen sie sich bei der Ausstellung von Negativattesten stützen, erklärt, wir können nur das schreiben, was wir wissen, wobei er einer konkreten Beantwortung der Frage auswich.
Allgemein ist noch dieser Zustand zu verzeichnen, wenn die Produktion bestimmter Maschinen oder Ausrüstungen der sozialistischen Länder nicht bekannt ist, wird aus Westdeutschland oder dem kapitalistischen Ausland importiert.
Im Bereich der VVB Ausrüstung für die Schwerindustrie und Getriebebau gibt es bei einigen Wirtschaftsfunktionären keine vollkommene Klarheit über die Fragen der Störfreimachung. Das laut Volkswirtschaftsplan 1962 vorgesehene Limit an Valuta für den Import wurde in der Planung mit 1,6 Mio. VDM überzogen. Der Warenbezug soll aus dem kapitalistischen Währungsgebiet vorgenommen werden.
In der VVB Regelungstechnik, Gerätebau und Optik gab es verschiedene Schwächen bei der Organisierung der Arbeit zur Unabhängigmachung. Der mit diesen Aufgaben betraute Mitarbeiter wurde vor ca. drei Monaten von seinem Aufgabenbereich abgezogen und für das Arbeitsgebiet Anlagenbau eingesetzt. Das Aufgabengebiet Störfreimachung musste mit einem neuen Mitarbeiter besetzt werden, der eine längere Einarbeitungszeit benötigte. Diese Maßnahmen hatten zur Folge, dass in der VVB RGO seit diesem Zeitpunkt die notwendigen Arbeiten nicht mehr systematisch und zielstrebig durchgeführt werden konnten.
So befanden sich u. a. Unterlagen im Stadium der Ausarbeitung, auf denen eine spezifizierte Aussage über den Grad der Abhängigkeit erkennbar gemacht werden sollte, speziell für solche aus Westdeutschland zu importierenden Geräte, die in Zukunft in den Betrieben dieser VVB entwickelt und produziert werden sollen. Durch die völlig unzureichende Arbeitsweise im Institut für Regeltechnik Berlin, hat sich bis in die Gegenwart an diesem Zustand nichts Wesentliches geändert.
In ähnlicher Art wurden bisher die Fragen der Unabhängigkeit von der VVB Bauelemente und Vakuumtechnik beantwortet. Die aufgestellten Programme zu diesem Problem wurden bisher wenig wirksam, da sie im Schreibtisch des technischen Leiters der VVB lagen. Erst im Juni wurde ein Mitarbeiter der VVB verantwortlich für dieses Aufgabengebiet eingesetzt. Dieser Mitarbeiter ging Anfang Juli 1961 in Urlaub, ohne dass eine Vertretung benannt wurde. Dies hatte zur Folge, dass bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum von einer nennenswerten Arbeit an den Problemen der Störfreimachung in der VVB gesprochen werden kann.
In einigen VVB, so z. B. Chemie und Klimaanlagen oder VVB Hochspannungsgeräte und Kabel, herrscht die Ideologie, dass die bestehenden Möglichkeiten zur Erhöhung der Produktion mit den verfügbaren materiellen Mitteln und Arbeitskräften vollständig ausgeschöpft seien und daher Möglichkeiten zur Aufnahme der Produktion neuer Erzeugnisse zur Minderung des Grades der Abhängigkeit nicht mehr gegeben sind.
Durch die teilweise zu verzeichnende Unbeweglichkeit der SPK in den Fragen der Koordinierung ist u. a. das weitere Produktionsprogramm der VVB Büromaschinen gefährdet. Vorhandene Hinweise besagen, dass die Abteilung Grundstoffindustrie der SPK und die VVB Metallurgie nicht im genügenden Umfang ihr Investitionsprogramm auf die Bedürfnisse der verarbeitenden Industrie abgestimmt haben. Die Realisierung der Investvorhaben im Stahlwerk Gröditz ist terminlich nicht mit den Anforderungen der verarbeitenden Industrie zur Störfreimachung abgestimmt. Im Stahlwerk Gröditz soll eine Stangenpresse vorhanden sein, die nicht genutzt wird. Der Einsatz dieser Presse wäre aber zur Bearbeitung von Einzelteilen zur Herstellung von Büromaschinen dringend erforderlich.
Eine den Interessen der Störfreimachung widersprechende Arbeitsweise wird von einigen verantwortlichen Mitarbeitern der VVB Leder praktiziert. Von Mitarbeitern der VVB werden ständig Vorträge von Fachleuten und Vertretern der Farbenfabrik Bayer Leverkusen und den BASF in den Räumen der VVB organisiert. Dabei sind die Vertreter der Chemischen Industrie der DDR von der Teilnahme an diesen Vorträgen ausgeschlossen. Weiterhin organisiert und unterstützt die VVB Leder die Durchführung von Versuchen der genannten Konzerne in den Lederwerken der DDR. Die Ergebnisse dieser Versuche gelangen ausschließlich den Konzernen zur Kenntnis und alleinigen Auswertung. Damit dienen die VEB der DDR den Konzernunternehmen als Versuchsobjekte, und zum anderen wird damit erreicht, dass die lederverarbeitenden Betriebe der DDR eine immer stärkere Orientierung und Abhängigkeit von den westdeutschen Unternehmen erhalten. Es kam in der Vergangenheit sogar so weit, dass von den Konzernvertretern abhängige Personen aus der Lederindustrie einschließlich der VVB und des Deutschen Lederinstitutes auch dort Westimporte forderten, wo bisher Produkte der DDR eingesetzt waren.
III. Die Behandlung der Probleme zur Erreichung der Unabhängigmachung im Verantwortungsbereich der örtlichen Organe (Wirtschaftsräte und Kreisplankommissionen)
Die vorhandenen Hinweise aus vielen Bezirken und Kreisen der Republik lassen allgemein erkennen, dass in diesen Verantwortungsbereichen die zeitlich größten Rückstände zu verzeichnen sind.
In der Mehrzahl dieser Organe, insbesondere in den Kreisplankommissionen, ist der Zustand zu verzeichnen, dass keine konkreten Übersichten über die notwendigen Maßnahmen vorhanden sind, um die in ihrem Verantwortungsbereich befindlichen Betriebe in der Störfreimachung zu unterstützen.
Weiterhin machen sich auf örtlicher Ebene, besonders in den Kreisen, Erscheinungen bemerkbar, nach denen selbst die Räte der Kreise die wichtigen Probleme der Unabhängigmachung unterschätzen. So liegen aus dem Bezirk Erfurt Hinweise vor, dass sich die Räte der Kreise bisher kaum mit der Beseitigung der Störanfälligkeit in der örtlichen Wirtschaft beschäftigt und diese Aufgabe mit in den Mittelpunkt der staatlichen Leitungstätigkeit gestellt haben.
Die Anleitung der Kreisplankommissionen durch die Wirtschaftsräte ist ungenügend entwickelt und erstreckt sich vorwiegend auf die formale Weitergabe der Beschlüsse der SPK. Die Kreisplankommissionen erhalten durch die Wirtschaftsräte in den wenigsten Fällen konkrete Hilfe und Anleitung. Als hauptsächlichste Ursache für diese Erscheinungen ist festzustellen, dass die übergeordneten Staatsorgane laufend spezielle Berichte und Statistiken anfordern, wodurch den Mitarbeitern der Wirtschaftsräte die operative Anleitung der Kreisplankommissionen erschwert wird. Bei einem derartigen Arbeitsstil ist die Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung der Beschlüsse der SPK weder dieser selbst noch den Wirtschaftsräten möglich.
In einer Reihe von Wirtschaftsräten werden die vorhandenen Ausweichmöglichkeiten zur schnelleren Erreichung der Unabhängigkeit nicht voll wirksam. So ist durch die Vielzahl der Betriebe der örtlichen Wirtschaft und das Vorhandensein von Betrieben aller Industriezweige im Territorium der Wirtschaftsräte es diesen nicht möglich, die Organisation der Eigenproduktion von Ersatzteilen vollkommen zu koordinieren, da dieses Problem sich durch fehlende Übersicht als sehr kompliziert und schwierig erweist.
Eine weitere Schwäche bei der Lösung der Probleme der Störfreimachung besteht darin, dass sie bei der Aus- bzw. Überarbeitung des Planes »Neue Technik«7 nur ungenügend berücksichtigt wurden.
Außerdem macht sich die ungenaue Abgrenzung der Verantwortlichkeit in den Wirtschaftsräten und Kreisplankommissionen bei der Lösung der Probleme der Störfreimachung hemmend bemerkbar.
Allgemein kann festgestellt werden, dass die Koordinierung der zentralgeleiteten und der örtlich geleiteten Wirtschaft und allen Fragen, die mit der Unabhängigmachung verbunden sind, noch Schwächen aufweist [sic!].