»Störfreimachung« der Wirtschaft (2)
27. November 1961
Bericht Nr. 728/61 über einige Mängel bei der Leitung und Lenkung der Maßnahmen zur Sicherung der Störfreiheit unserer Wirtschaft durch die zentralen Staats- und Wirtschaftsorgane
Auf der Grundlage einer umfassenden Einschätzung über Mängel auf dem Gebiet der Störfreimachung, die der Leitung des Volkswirtschafsrates übergeben wurde, soll zusammenfassend auf einige Probleme hingewiesen werden, deren Lösung in erster Linie von den zentralen staatlichen Organen abhängig ist.
Aus den vorliegenden Hinweisen ist zu erkennen, dass es eine Reihe von Betrieben und Institutionen gibt, die sich als »störfrei« bezeichnen, jedoch verabsäumten, sich auch mit den Problemen der Störfreimachung in ihren Kooperationsbetrieben zu beschäftigen. Durch die lieferseitigen Verflechtungen ergeben sich deshalb erneut Schwierigkeiten in der Störfreimachung dieser Betriebe.
Eine klare Regelung erfordern auch die Bemühungen zur Herstellung neuer Kooperationsbeziehungen, insbesondere die Versuche zur Bindung zusätzlicher mechanischer Bearbeitungskapazitäten für den Maschinenbau, die häufig ohne Kontrolle und Einflussnahme übergeordneter Organe erzwungen werden. Im Ergebnis dieser Bemühungen sind im Maschinenbau eine Reihe unrationeller Kooperationsbeziehungen entstanden.
Diese Situation wird noch dadurch verschärft, dass die Notwendigkeit des Vertragsabschlusses häufig von den Betrieben ignoriert wird. Die Wirtschaftsfunktionäre begnügen sich mit der Feststellung, »wir haben einen entsprechenden Zulieferbetrieb gefunden« ohne jedoch dabei zu beachten, dass erst durch die vertraglichen Beziehungen die Lieferfähigkeit und die Qualitätsmerkmale der Zulieferungen festgelegt und gesichert werden können.
In den zentralen Staatsorganen ergeben sich im Einzelnen folgende Probleme:
Der Leitung der Hauptabteilung Maschinenbau im Volkswirtschaftsrat liegt ein Gesamtüberblick über die vorhandenen Probleme der Störfreimachung (Material und Zulieferungen) von den VEB und VVB vor. Es muss jedoch darauf verwiesen werden, dass die in dem Überblick enthaltenen Bedarfszahlen sich auf die Produktionshöhe beziehen, die sich die Abteilungen der Hauptabteilung Maschinenbau im Juni/Juli 1961 vorläufig gestellt hatten. Die jetzt herausgegebenen Kontrollziffern für 1962 liegen zum Teil wesentlich höher, sodass die in den Übersichten enthaltenen Maßnahmen das geforderte Produktionsvolumen 1962 nicht sichern können.
Unbefriedigend ist ferner die Realisierung der Forderungsprogramme der meisten Industriezweige des Maschinenbaues. Über die Forderungsprogramme anderer Industriezweige und die Möglichkeiten ihrer Erfüllung gibt es noch keine Übersicht im Maschinenbau. Dadurch ist eine systematische Kontrolle der Maßnahmen aus diesen Forderungsprogrammen nicht mehr gewährleistet.
Ein weiterer Mangel bei der Störfreimachung im Maschinenbau besteht darin, dass die Hauptabteilung Grundstoffindustrie des Volkswirtschaftsrates und auch die Abteilung Materialwirtschaft keine Garantie dafür übernehmen, dass das Grundmaterial in den entsprechenden Qualitäten und Abmessungen geliefert wird. Damit besteht für die Maschinenbaubetriebe der DDR bei der Planaufstellung 1962 ein erheblicher Unsicherheitsfaktor für die sortimentsgerechte Erfüllung des Staatsplanes. Da die Pläne der Metallurgie keine Ausweichmöglichkeiten bieten, dürften für den Maschinenbau 1962 bei nicht sortimentsgerechter Belieferung mit Grundmaterial erhebliche Schwierigkeiten für die Planerfüllung eintreten.
Im Beschluss des Ministerrates vom 15.8.1961 wurde gefordert,1 dass bis zum 18.10.1961 die für die Entwicklung der Volkswirtschaft bedeutenden Entwicklungsprogramme – Kohle-, Energie-, Chemieprogramm2 und die wichtigsten Vorhaben der Metallurgie – vorrangig zu sichern sind. Dieser Beschluss ist bisher nur zum Teil realisiert. Die Hauptabteilung Chemie des Volkswirtschaftsrates hat erst Anfang Oktober den Plan für 1962 erhalten. Dadurch gibt es bisher noch keine Klarheit für die 1962 auszuführenden Projekte und demzufolge auch keine Objekt- und Ausrüstungslisten. Das bedeutet, dass vonseiten des Maschinenbaues eine Einschätzung der Störanfälligkeit des Chemie-Programms nicht gegeben werden kann.
Gegenwärtig besitzen die verantwortlichen Mitarbeiter der Hauptabteilung Chemie keine Übersicht über die Ergebnisse der Verhandlungen mit den sozialistischen Ländern. Es ist zwar deren Lieferbereitschaft bekannt, jedoch liegt keine Zusammenfassung über den Stand der vertraglichen Bindungen vor. Eine weitere Schwäche auf dem Gebiet der Störfreimachung in dieser HA besteht darin, dass die angeordnete Bildung von Arbeitsgruppen der VVB mit anderen Versorgungsbereichen durch die HA Chemie nicht zielstrebig durchgesetzt wird. Eine Reihe von VVB argumentieren gegen die schnelle Realisierung dieser Maßnahmen u. a. damit, dass die HA Chemie aufgrund ihrer derzeitig ungenügenden Kaderbesetzung ohnehin nicht in der Lage sei, die ihr übersandten Unterlagen termingemäß und intensiv zu bearbeiten. Es wurde z. B. angeführt, dass die Unterlagen der VVB Lacke und Farben von April bis September 1961 unbearbeitet in der HA Chemie vorlagen.
Im Beschluss des Ministerrates vom 15.8.1961 werden u. a. Maßnahmen zur sparsamen Verwendung von Engpassmaterialien festgelegt. Es gibt jedoch noch Beispiele, wie im Schwermaschinenbau, die verdeutlichen, dass der sparsame Umgang mit Material in einer Reihe von VEB immer noch nicht eingehalten wird. Obwohl der Vertrag über die Lieferungen von Kraftwerksanlagen für die VR China annulliert werden musste, wird auf Weisung der Leitung des Volkswirtschaftsrates, die in dieser Angelegenheit falsch informiert wurde, in allen beteiligten Betrieben die Produktion für diesen Auftrag weiter geführt. Da die gefertigten Teile in der DDR nicht verwendet werden können, wird auf diese Weise wertvolles Material, wie z. B. nahtlose Chrom-Molybdän-Rohre, vergeudet.3
Die VVB Landmaschinenbau benötigte bisher eine Reihe von Importmaterialien, besonders von Rohren. Um störfrei zu werden, sollen künftig Profilbleche aus eigener Produktion bzw. aus dem sozialistischen Lager verwendet werden. Gegenwärtig ist aber auch noch nicht entschieden, welches Material dafür in Frage kommt und endgültig in die Produktion Eingang finden wird. Die Bestellungen der Importmaterialien wurden vom Metallkontor angenommen. Da die Lieferungen aber unsicher sind, wurden von der VVB auch profilierte Bleche bestellt, woraus sich ungerechtfertigte Doppelbestellungen ergeben haben.
In der Zusammenarbeit mit den Staaten des sozialistischen Lagers auf dem Gebiet der Störfreimachung gibt es ernsthafte Versäumnisse und Unzulänglichkeiten in der Tätigkeit der staatlichen Organe der DDR. Dies trifft besonders auf die Erarbeitung von Vereinbarungen über Materiallieferungen und deren Überprüfungen, die Übergabe von Spezifikationen sowie die Aufnahme von Verhandlungen zur Spezialisierung und Kooperation der Produktion zu. Es wurde festgestellt, dass die Kontore der DIA-Fachanstalten größtenteils über die getroffenen Vereinbarungen der Länderbesprechungen nicht unterrichtet waren. Sie konnten daher die Durchführung von Verhandlungen erst zu einem verhältnismäßig späten Zeitpunkt in Angriff nehmen, was bei den sozialistischen Staaten wenig Verständnis fand.
Im Bereich des Ministeriums für Außenhandel und Innerdeutschen Handel und einer Reihe von Außenhandelsunternehmen bestehen ebenfalls noch Mängel bzw. noch ungeklärte Probleme im Zusammenhang mit der Störfreimachung.
Die Deutsche Stahl-Metall-Handelsgesellschaft befasste sich zum letzten Mal im Juli mit den Maßnahmen der Störfreimachung.
Im Außenhandelsunternehmen Elektrotechnik gibt es besonders beim Import von Motoren und Geräten der Mess- und Regeltechnik sowie den dazu benötigten Ersatzteilen Schwierigkeiten. Die Ablösung der vorgesehenen Importe aus dem IDH wurde erst zu 50 % geklärt. Auch der Export von 80 Mio. VDM ist zzt. noch ungeklärt, da das Volumen sich hauptsächlich aus dem Sektor der Leichtindustrie zusammensetzt und vornehmlich im innerdeutschen Handel ausgetauscht werden sollte. Zzt. besteht noch keine Übersicht über Möglichkeiten der Umlagerung dieses Exportvolumens in andere Länder.
Auf dem Gebiet der Landwirtschaft ist das wichtigste Problem der Störfreimachung die Belieferung mit Phosphordüngemitteln. Über die hier bestehenden Lücken haben die verantwortlichen Funktionäre im Landwirtschaftsministerium keinen Überblick, da die Kunstdüngerbelieferung vonseiten der Chemie bilanziert wird. Im o. g. Ministerium gibt es gegenwärtig keinen verantwortlichen Funktionär für das Gebiet der Störfreimachung, sodass von dieser Seite kein aktiver Einfluss auf die Klärung vorstehender Fragen genommen wird.
Im Bereich des Bauwesens bestehen verschiedentlich noch Unklarheiten in der Ersatzteilversorgung für Baumaschinen und Ausrüstungen der Baustoffindustrie aus westdeutscher Herkunft. Im Ministerium für Bauwesen gibt es zu diesen Fragen keine Übersicht. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass im Ministerium für Bauwesen die Fragen der Störfreimachung leichtfertig behandelt werden. So sollte beispielsweise für die Beschaffung von Auskleidematerial für Brennöfen von der VVB Feuerfeste Meißen4 erst 1962 eine Arbeitsgemeinschaft gebildet werden. Es ist aber bekannt, dass in der ČSSR Auskleidematerial vorhanden ist, welches zehn Jahre ohne Beanstandungen die Belastung in den Öfen überdauerte. In der ČSSR ist man bereit, die Dokumentation über dieses Material den interessierten Betrieben der DDR zur Verfügung zu stellen. Über diese Angelegenheit wurden die VVB Feuerfeste Meißen sowie der stellv. Minister Jeske des Ministeriums für Bauwesen im August 1961 unterrichtet. Bis heute wurden jedoch von diesen Dienststellen keine Schritte eingeleitet, um die entsprechenden Unterlagen von der ČSSR zu übernehmen.
Mielke [Unterschrift]