Streiks in der DDR 1960
18. Januar 1961
Bericht Nr. 27/61 über Arbeitsniederlegungen in der DDR im Jahre 1960
I. Statistische Übersicht
Nach noch unvollständigen Angaben kam es im Jahre 1960 zu insgesamt 234 Arbeitsniederlegungen. Im Gegensatz zu den Vorjahren, u. a. auch zum Jahre 1959, wo nur ca. 60 derartige Vorkommnisse festgestellt wurden, ist die Anzahl der Arbeitsniederlegungen erheblich angestiegen.
Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung hat sich gleichfalls die Anzahl der beteiligten Personen erhöht. Im Jahre 1960 waren ca. 2 380 Arbeiter an Arbeitsniederlegungen beteiligt.
Die Dauer der einzelnen Arbeitsniederlegungen war dabei sehr unterschiedlich und erstreckte sich auf die Zeit von 15 Minuten bis – allerdings nur in Einzelfällen – zu mehreren Tagen. Die Beteiligung eines einzelnen Arbeiters liegt dabei im Durchschnitt bei drei Stunden.
Territorialer Schwerpunkt in der Durchführung von Arbeitsniederlegungen während des gesamten Jahres 1960 war der Bezirk
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Dresden mit 97 Vorkommnissen.
Danach folgen die Bezirke:
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Karl-Marx-Stadt mit 30 Arbeitsniederlegungen,
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Gera mit 17 [Arbeitsniederlegungen],
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Halle mit 17 [Arbeitsniederlegungen],
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Erfurt mit 15 [Arbeitsniederlegungen],
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Magdeburg mit 12 [Arbeitsniederlegungen],
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Leipzig mit 10 [Arbeitsniederlegungen],
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Frankfurt/O. mit 9 [Arbeitsniederlegungen],
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Rostock mit 9 [Arbeitsniederlegungen].
In den übrigen Bezirken wurden jeweils unter fünf Arbeitsniederlegungen festgestellt.
II. Arbeitsniederlegungen in den Industriebetrieben
a) Statistische Übersicht
Aus den Industrieobjekten der Volkswirtschaft sind im Jahre 1960 202 Streiks bekanntgeworden. Sie gliedern sich in folgende Industriezweige auf:
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Maschinenbau: 59 Arbeitsniederlegungen,
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Bauindustrie: 51 [Arbeitsniederlegungen],
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Baustoffindustrie: 8 [Arbeitsniederlegungen],
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Holz-, Zellstoff- und Papierindustrie: 2 [Arbeitsniederlegungen],
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Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie: 20 [Arbeitsniederlegungen],
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Lebensmittelindustrie: 10 [Arbeitsniederlegungen],
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Bergbau (Kohle/Kali): 9 [Arbeitsniederlegungen],
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Reichsbahn: 8 [Arbeitsniederlegungen],
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Glas und Keramik: 7 [Arbeitsniederlegungen],
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Energie: 6 [Arbeitsniederlegungen],
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Metallurgie: 5 [Arbeitsniederlegungen],
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Schifffahrt: 4 [Arbeitsniederlegungen],
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Chemie: 1 [Arbeitsniederlegung],
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sonstige Betriebe: 12 [Arbeitsniederlegungen].
Dabei traten folgende Betriebe wiederholt mit Arbeitsniederlegungen in Erscheinung:
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Fortschrittwerk Neustadt, Bezirk Dresden, mit seinen Betriebsteilen in Kirschau, Bischofswerda, Stolpen-Altstadt, Singwitz, Wilthen und Neukirch (17 Arbeitsniederlegungen),
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Chemische Werke Buna und Chemiebaustelle Buna 9 [Arbeitsniederlegungen],
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VEB Vakoma Magdeburg 3 [Arbeitsniederlegungen],
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VEB Granitwerke Demitz-Thumitz/Dresden 3 [Arbeitsniederlegungen],
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VEB Pumpspeicherwerk Hohenwarthe/Gera 3 [Arbeitsniederlegungen],
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VEB Lederwerk Coswig/Dresden 2 [Arbeitsniederlegungen],
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VEB (K) Stadtbau Jena/Gera 2 [Arbeitsniederlegungen],
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VEB Bau Bischofswerda/Dresden 2 [Arbeitsniederlegungen],
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VEB Stahlwerk Riesa/Dresden 2 [Arbeitsniederlegungen],
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VEB Steinkohlenwerk Ölsnitz/Karl-Marx-Stadt 2 [Arbeitsniederlegungen].
Territorial gesehen sind in folgenden Orten mehrere Streiks aufgetreten (jeweils verschiedene Betriebe): Dresden, Löbau, Bischofswerda, Riesa, Zittau, Bautzen, Görlitz/Dresden, Zwickau, Lengenfeld/Karl-Marx-Stadt, Leuna/Halle, Erfurt, Leipzig, Gera.
In einzelnen Fällen konnten zwischen den im gleichen Ort stattgefundenen Arbeitsniederlegungen Zusammenhänge festgestellt werden, vor allem dort, wo während der ersten Vorkommnisse dieser Art seitens der Werkleitungen oder anderer Organe ungerechtfertigte Zugeständnisse gemacht worden waren.
So legten z. B. am 1.7.1960 vier Arbeiter aus dem VEB Kunststeinwerk Lengenfeld/Karl-Marx-Stadt mit der unberechtigten Forderung nach höherer Entlohnung die Arbeit nieder. Nachdem ihnen vom Meister ungerechtfertigt eine höhere Bezahlung zugesichert worden war, wurde nach einer halben Stunde weitergearbeitet.
Am 15.7.1960 verweigerten 13 Arbeiterinnen in der Baumwollspinnerei Lengenfeld die Arbeit und verlangten eine Umbesetzung. Mit ihnen wurden betrieblicherseits Auseinandersetzungen geführt. Dabei erklärte eine Arbeiterin, dass in anderen Betrieben die Arbeiter auf gleiche Weise Veränderungen erreichen.
b) Umfang und Ausbreitung der Arbeitsniederlegungen
Der Umfang und die Ausbreitung von Arbeitsniederlegungen hinsichtlich der beteiligten Personen sind verschieden. Dort, wo der Einfluss positiver Kräfte und der Massenorganisationen überwiegt, bleiben die Arbeitsniederlegungen nur auf wenige Personen des jeweiligen Kollektivs beschränkt, die Arbeiter erkennen die falsche Handlungsweise und Unsachlichkeit der Forderungen und distanzieren sich von den Initiatoren.
In den überwiegenden Fällen – mit Ausnahme offener provokatorischer Vorkommnisse – umfassen die Arbeitsniederlegungen jedoch mehrere Personen, ganze Schichten, Brigaden oder Abteilungen. Die Höchstzahl der Beteiligten betrug ca. 130 Arbeiter.
Der äußere Anlass dieser Arbeitsniederlegungen sind Lohn- und Normenfragen, mangelnde Arbeitsorganisation und Materialzuführung, administrative Entscheidungen usw.
Beachtenswert und die ungenügende Arbeit der Partei- und Massenorganisationen charakterisierend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass sich Parteimitglieder (auch Gruppenorganisatoren), BGL-Mitglieder und andere Funktionäre an Arbeitsniederlegungen beteiligen. Mit größerer Beteiligung und längerer Ausdehnung fanden z. B. folgende Arbeitsniederlegungen statt:
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im VEB Pumpspeicherwerk Hohenwarthe/Gera, wo die Schicht [Name 1] (17 Arbeiter) vom September bis November 1960 dreimal streikte und eine Veränderung der Normen forderte, ohne dass sofortige Aussprachen erfolgten,
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im VEB Zeiß-Jena, wo am 7.9.1960 die gesamte P-Dreherei mit 30 Arbeitern wegen der verspäteten Auszahlung der Wettbewerbsprämie die Arbeit niederlegte,
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im VEB Stern-Radio Staßfurt/Magdeburg, wo 65 Arbeitskräfte Anfang Juli 1960 ca. eine Stunde wegen unzureichender Materialzufuhr die Arbeit einstellten.
c) Ursachen der Arbeitsniederlegungen
Eine Reihe in der Industrie stattgefundener Arbeitsniederlegungen sind auf direkt provokatorisches Auftreten feindlicher Elemente zurückzuführen.
Als Initiatoren traten dabei u. a. Rückkehrer und Erstzuziehende, Vorbestrafte, ehem. Faschisten, Provokateure vom 17.6.1953, Rowdys und ständige Bummelanten in Erscheinung, wobei durch das MfS und die VP eine Reihe von Inhaftierungen erfolgten.
Charakteristisch im Auftreten dieser Personen ist, dass sie ihr Vorgehen zunächst durch Lohn-, Normen- und Prämienfragen sowie durch übermäßigen Alkoholgenuss abzudecken versuchen, um auf dieser Grundlage ihre provokatorischen Forderungen wie:
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Langsamarbeiten,
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Einführung der 5-Tage-Woche,
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unberechtigte Lohnerhöhung und Veränderung der Arbeitsnormung,
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Erhöhung des Urlaubes, der Prämien- und Zuschlagszahlungen (Schmutz- und Erschwerniszulagen),
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Freilassung von zu Recht von VP und MfS Inhaftierten,
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Auflehnung gegen andere Maßnahmen der Sicherheitsorgane usw.
vorbringen zu können.
Diese Forderungen und die in diesem Zusammenhang gebrauchten Argumente widerspiegeln sehr stark den Einfluss westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen. Unter Bezugnahme auf Kenntnisse aus derartigen Sendungen wird z. B. behauptet, dass in den westlichen Ländern die 5-Tage-Woche bereits durchgesetzt sei – vor allem bei den Bauarbeitern –, oder dass angeblich günstigere Arbeitsbedingungen gewährleistet seien. Dabei werden oft Partei- und Staatsfunktionäre und die Entwicklung unseres Staates verächtlich gemacht.
Provokationen dieser Art fanden z. B. statt:
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Am 7.9.1960 in der GA Köthen/RBD Magdeburg, wo drei Arbeiter, darunter der BGL-Vorsitzende, die Arbeit niederlegten und erklärten, dass sie langsam arbeiten würden, da sie angeblich zu wenig verdienen. Ihre Forderung war unberechtigt.
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Am 8.12.1960 im VEB Steinzeugwerke Krauschwitz/Weißwasser/Cottbus. In diesem Betrieb streikten 40 Arbeiter der Töpferei fünf Stunden, und auf den Einfluss des dortigen FDJ-Sekretärs und einiger negativ eingestellter Elemente intervenierten sie gegen eine sachliche Kritik eines Parteiveteranen. Erst nach Aufklärung durch die Gewerkschafts- und Parteileitung sahen sie ihr falsches Verhalten ein.
In der Bauindustrie trat im vergangenen Jahr sehr stark die Forderung nach Einführung der 5-Tage-Woche in Erscheinung, wobei besonders Rückkehrer und Erstzuziehende die Initiatoren waren.
Arbeitsniederlegungen mit offenen provokatorischen Forderungen breiteten sich jedoch in der Mehrzahl nicht auf ganze Abteilungen und Brigaden aus, sondern beschränkten sich auf einzelne Personen; die Arbeiter folgten den negativen Elementen wegen der offensichtlich provokatorischen Absichten nicht.
So beteiligten sich am 15.1.1960 an einem 8-stündigen Streik auf der Baustelle Hochseehafen Rostock nur fünf von 15 Brigademitgliedern. Die Bauarbeiter stellten die Forderung nach Freilassung von zwei Arbeitern, die vom MfS und VP wegen wiederholtem Absingen faschistischer Lieder festgenommen wurden. Der Brigadier, der als Anstifter entlarvt wurde, ist siebenmal vorbestraft, zuletzt wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt.
Den Streiks mit provokatorischen Forderungen war in der Mehrzahl ein übermäßiger Alkoholgenuss vorausgegangen. Dabei wurden Geburtstage, bevorstehende Hochzeiten, letzter Arbeitstag vor Urlaubsantritt usw. als Vorwand für Trinkereien während der Arbeitszeit benutzt. Im Laufe dieser Trinkereien und Arbeitsverweigerungen kam es in Einzelfällen auch zu Tätlichkeiten gegen fortschrittliche Arbeiter, die eine weitere Ausschreitung verhindern wollten.
Im VEB Bau Stralsund z. B. wurde am 13.10.1960 ein alter Genosse, Kreistagsabgeordneter, der die Arbeiter zur Wiederaufnahme der Arbeit veranlassen wollte, von acht Arbeitern mit einem Strick um den Hals so lange über den Lkw gezerrt, bis er bewusstlos wurde. Erst mithilfe der Bevölkerung wurde der Genosse befreit.
In der Mehrzahl aller durchgeführten Streiks wurden als äußerer Anlass Fragen der Entlohnung, Prämiierung, der Einführung der neuen Technik und der damit verbundenen Arbeitsnormung, der Zuschlagszahlung, der Materialanfuhr und -qualität, der Umbesetzung von Arbeitskräften infolge nicht eingehaltener Lieferverträge von Zulieferbetrieben, der Arbeitsorganisation, ungenügender Arbeitsschutzvorrichtungen usw. genommen.
Unter den Arbeitern entstehen Unstimmigkeiten in solchen Fragen oftmals durch grobe Verletzungen der Prinzipien der Lohnpolitik und der Arbeitsnormung, durch Bürokratismus, Administrieren und Herzlosigkeit der Wirtschaftsleitungen sowie durch mangelnden Kontakt seitens der Massenorganisationen zu den Arbeitern und die daraus resultierende Unkenntnis um die Belange der Werktätigen.
In Lohnfragen gab es Unstimmigkeiten, Arbeitsniederlegungen und -androhungen u. a. bei folgenden Vorkommnissen:
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unterschiedliche Entlohnung für gleiche Arbeit in verschiedenen Industriezweigen,
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ungenügende Aufklärung über den Wirtschaftslohnkatalog,
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infolge ungenügender technischer und arbeitsorganisatorischer Voraussetzungen wurde die Produktion nicht erfüllt, wodurch ohne Verschulden der Arbeiter Lohnminderung eintrat,
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durch Fehlen von Material gab es Wartestunden und einen geringen Verdienst (Durchschnittsverdienst),
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der Verdienst verringerte sich am Jahresanfang durch Verzögerung in der Planaufschlüsselung und im -anlauf,
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Leistungsprinzip wird nicht angewandt; gelernte Arbeiter bekommen nur den gleichen oder weniger Lohn als ungelernte Kräfte,
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gesetzmäßig festgelegte Lohnregulierungen wurden mehrere Wochen und Monate zum Nachteil der Arbeiter verzögert,
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Lohnversprechungen wurden nicht eingehalten,
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die Termine der Lohnzahlungen wurden überschritten,
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falsche Berechnungen durch die Lohnbuchhaltungen.
Bei Normenfragen ergaben sich folgende Unregelmäßigkeiten:
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Normen wurden neu verrechnet, ohne die Arbeiter vorher zu verständigen, sodass die Arbeiter plötzlich weniger Lohn erhielten,
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Normen wurden neu gestoppt, ohne dass die Arbeiter vorher davon in Kenntnis gesetzt wurden,
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Arbeiter baten von sich aus um eine erneute Normung des Produktionsganges, ohne dass die Betriebsleitung auf die Vorschläge einging.
Bei den Fragen der Prämiierung waren folgende Vorfälle Anlass zu Unstimmigkeiten, Arbeitsniederlegungen usw.:
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Verletzung des Leistungsprinzips; an alle Arbeiter wurden trotz unterschiedlicher Leistungen Prämien in gleicher Höhe gezahlt,
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zwischen den Prämien der Arbeiter, Angestellten und der technischen Intelligenz seien die Unterschiede zu groß,
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bei der Auszahlung von Prämien würde nicht die Arbeitsleistung, sondern die gesellschaftliche Tätigkeit gewertet,
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Wegfall der Prämien bei der Nichterfüllung des Planes aus Gründen des mangelhaften Materialnachschubs usw.,
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bei der Reichsbahn wurde vor Inkrafttreten der neuen Prämienordnung Unterbesetzungsgeld gezahlt, was jetzt in Fortfall kommt,
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Wegfall der Prämien für das Bahnhofspersonal der Reichsbahn bei Zugverspätungen,
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im Bergbau bei ungünstigen Wetterverhältnissen Schmälerung des Lohnes und Wegfall der Prämien durch mangelhafte Planerfüllung, oder Minderung der Schichtprämien, wenn durch Gebirgsdruck usw. Arbeitsunterbrechungen entstehen.
Bei Zusatzzahlungen gab es Differenzen, z. B.
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bei solchen Festlegungen, dass nur die Arbeiter Trennungszulage erhalten, die länger als vier Stunden Anfahrt bis zur Familie haben,
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bei unterschiedlicher Zahlung von Schmutz- und Erschwerniszulagen bei gleicher Arbeit in verschiedenen Betriebs- oder Industriezweigen,
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bei der Zahlung des Kindergeldes gab es anfänglich Unstimmigkeiten, gleiches bei der Zahlung des Zuschlages für den Wegfall der Lebensmittelkarten.
Häufig werden weiterhin solche Entscheidungen der Betriebsleitungen zum Anlass von Arbeitsniederlegungen genommen, wenn Facharbeiter infolge mangelnden Materialnachschubs Aufräumarbeiten und andere Nebenarbeiten verrichten müssen, oder bei der Fa. Hunger, Frankenberg (staatl. Beteiligung), mussten 28 Arbeiter der Nachtschicht in ungeheizten Arbeitsräumen arbeiten, außerdem waren alle Fenster in Reparatur gegeben worden. Die Arbeiter legten daraufhin die Arbeit nieder.
Aus einer größeren Anzahl von Beispielen ist ersichtlich, dass die Wirtschaftsleitungen von den Arbeitern wiederholt auf bestehende Ungerechtigkeiten, auf Schlamperei und Misswirtschaft hingewiesen wurden, ohne dass entsprechende Änderungen erfolgten. Dieses Verhalten erweckte den Unwillen der Arbeiter. Es gab Einzelbeispiele, wo Werkleiter es ablehnten, Delegationen aus dem Betrieb zu empfangen, obwohl ihnen bekannt war, dass die Arbeiter Vorschläge zur Verbesserung des Betriebsablaufes unterbreiten wollten (VEB Baustoffe Suhl/Steinbrüche Boxberg und Struth).
Erst nach Streikandrohungen und Arbeitsniederlegungen erfolgte eine Änderung. In anderen Fällen wurden Werk- oder Abteilungsleiter an den Arbeitsplatz der Arbeiter gebeten, um bestimmte Unstimmigkeiten und Unklarheiten zu beseitigen, ohne dass die Betreffenden dort erschienen (VEB Zuckerfabrik Thöringswerder/Frankfurt/O.).
Der Misswirtschaft, Schlamperei, mangelnden Arbeitsorganisation und der Trinkerei während der Arbeitszeit wird durch die Meister und Brigadiere mehrfach nicht entgegengetreten, und durch ihre Beteiligung werden im Gegenteil die Zustände noch begünstigt.
So legte am 26.8.1960 eine Brigade – darunter der Brigadier – im VEB Glaswerke Schwepnitz/Dresden die Arbeit nieder. Sie hatte während der Hitzpause mit einer Trinkerei begonnen und setzte diese ohne Einschreiten des Brigadiers oder anderer Funktionäre bis zum Feierabend fort.
Wie bereits aus der statistischen Übersicht erkenntlich ist, bilden die Industriezweige Bau/Holz mit insgesamt 61 Arbeitsniederlegungen und Maschinenbau mit insgesamt 59 Schwerpunkte. Als Anlass der Arbeitsniederlegungen in diesen Industriezweigen wurden am häufigsten Lohn- und Normenfragen genommen. Im Maschinenbau kam es infolge unkontinuierlicher Materialzustellung zu Arbeitsumdisponierungen, die mehrfach mit einer geringeren Entlohnung verbunden waren und dadurch Missstimmungen unter den Arbeitern hervorriefen.
In der Bauindustrie gab es außerdem Arbeitsverweigerungen infolge unzureichender Arbeitsschutzvorrichtungen. Besonders stark ist in diesem Industriezweig die Forderung nach Einführung oder Beibehaltung der 5-Tage-Woche und des freien Wochenendes, wobei fast immer auf in Westdeutschland bereits bestehende Verhältnisse verwiesen wird. Eine Anzahl von Arbeitsniederlegungen auf Baustellen sind dadurch entstanden, dass sich die Arbeiter weigerten, am Sonnabend zu arbeiten, bzw. am Montag bereits um 8.00 Uhr, statt 10.00 Uhr, mit der Arbeit wieder zu beginnen. Derartige Vorkommnisse treten vor allem auf solchen Baustellen auf, wo Bauarbeiter aus anderen Kreisen oder Bezirken arbeiten und anreisen.
Den ernsthaften Charakter dieser Bestrebungen zeigt z. B. das Auftreten eines BGL-Mitgliedes vom VEB Bau Schwerin in einer BGL-Sitzung am 22.11.1960, in der er erklärte, dass sie für die 5-Tage-Woche kämpfen werden, auch mit Streik, was laut Verfassung statthaft sei.
Die in der Bauindustrie mit den Arbeitsniederlegungen verfolgten Ziele sind in den einzelnen Bezirken entsprechend der politisch-ökonomischen Aufgaben des Bauwesens unterschiedlich. Im Bezirk Halle, wo es auf den Chemiebaustellen um die volle Ausnutzung der Technik mithilfe der 6-Tage-Woche und des Schichtsystems geht, treten Arbeitsniederlegungen, aggressive Kündigungen und Drohungen mit der Forderung nach einer 5-Tage-Woche am stärksten auf. Ähnlich ist die Konzentration von Arbeitskonflikten mit dieser Zielstellung im Bezirk Magdeburg, der große Anstrengungen im ländlichen Bauwesen unternimmt und zur Erfüllung der Aufgaben die 6-Tage-Woche durchsetzen will.
Zu Arbeitsverweigerungen kam es besonders dann, wenn zentrale Beschlüsse bürokratisch und administrativ durchgesetzt wurden, wie teilweise auf den Chemiebaustellen des Bezirkes Halle, wo die 6-Tage-Woche und die Schichtarbeit eingeführt wurden, ohne solche Fragen wie Berufsverkehr, Versorgung mit Getränken und warmen Mahlzeiten für die Spätschichten usw. vorher zu lösen.
Im Bezirk Dresden dagegen standen Fragen der Lohnpolitik im Bauwesen im Vordergrund.
Die aus den Reichsbahnbetrieben bekanntgewordenen acht Arbeitsniederlegungen wurden in der Hauptsache von Rangierbrigaden, Boden- und Gleisbauarbeitern verursacht, die eine Verbesserung der Lohnzahlung oder eine genauere Aufschlüsselung der Prämien forderten.
Aus den vorliegenden Untersuchungsergebnissen ist ersichtlich, dass Rückkehrer und Erstzuziehende in vielen Fällen als Organisatoren der Arbeitsniederlegungen auftreten. Dabei werden von ihnen häufig Vergleiche zu den angeblich besseren Arbeitsbedingungen in Westdeutschland als Begründung angeführt, wobei dies jedoch nur zum Ausgangspunkt von hetzerischen Äußerungen gemacht wird.
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So streikten am 13.1.1960 zwölf Arbeiter – darunter zwei Parteiaktivisten – des Pumpspeicherwerkes Hohenwarthe/Saalfeld/Gera bei Hangberäumungsarbeiten zwei Stunden, weil ein Rückkehrer die Lieferung von Filzstiefeln für diese Arbeit verlangte und die Arbeiter zur Arbeitsniederlegung aufforderte. Durch Arbeitsschutzbestimmungen ist jedoch das Tragen von Filzstiefeln bei dieser Arbeit untersagt.
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Am 30.8. und 1.9.1960 arbeiteten sieben Arbeiter – darunter zwei Rückkehrer – vom VEB Sächsische Granitwerke Demitz-Thumitz/Bischofswerda/Dresden nicht, sondern veranstalteten eine Trinkerei. Die Rückkehrer hatten sie dazu angehalten, da ein Arbeiter Hochzeit hatte.
Die Untersuchungen dieser und anderer Beispiele zeigten, dass mit diesem Personenkreis eine ungenügende politische Arbeit geleistet wird. Häufig ist bis zum Zeitpunkt eines solchen Vorkommnisses nicht bekannt, dass es sich um Rückkehrer oder Erstzuziehende handelt, da die Personen bereits vorher in einem anderen Betrieb beschäftigt oder in einem anderen Ort wohnhaft waren.
d) Ungenügende Arbeit der Gewerkschaftsleitungen und der Massenorganisationen
In fast allen Betrieben, in denen Arbeitsniederlegungen auftraten, ist die Arbeit der betrieblichen Gewerkschaftsleitungen und der jeweiligen Industriegewerkschaften mangelhaft oder überhaupt nicht zu spüren. In Aussprachen mit den Arbeitern, die im Anschluss an Arbeitsniederlegungen geführt wurden, zeigte sich, dass über Grundfragen unserer Politik – vor allem über die Stellung der Arbeiter zu ihrem Betrieb und die Rolle der Gewerkschaft – große Unklarheiten bestanden. Die Beschlüsse von Partei und Regierung wurden nicht oder nur mangelhaft erläutert. Z. B. erklärten Arbeiter aus dem VEB Waggonbau Dessau/Halle, die an einem Streik beteiligt waren, dass sie kein Vertrauen zur Gewerkschaft und zur Werkleitung hätten, da sie sowieso nie Recht bekämen. Ähnlich verhielt es sich im VEB KIB »Vorwärts« Bezirk Schwerin.
Das Vertrauen zur Gewerkschaft wurde z. B. in der Tuchfabrik Crimmitschau/Werdau1/Karl-Marx-Stadt (staatliche Beteiligung) durch die Gewerkschaftsfunktionäre selbst untergraben, indem sie zu einer Aussprache über die Einführung von TAN mit Einverständnis der Parteileitung ein Tonbandgerät aufstellten. Der BGL-Vorsitzende wies zu Beginn der Versammlung auf das Aufnahmegerät hin. Zu einer Diskussion kam es in diesem Rahmen nicht, aber kurz darauf zu einem Streik infolge bestehender Unklarheiten über TAN.
Die ungenügende Einflussnahme der Gewerkschaftsleitungen auf das Bewusstsein der Arbeiter zeigt sich auch darin, dass Brigaden mit dem Titel »Brigade der sozialistischen Arbeit« an Arbeitsniederlegungen beteiligt waren. Mit solchen Arbeitsniederlegungen stellen sich die Arbeiter in vielen Fällen nicht subjektiv gegen die Arbeiter-und-Bauern-Macht, sondern wehren sich gegen bürokratisches und administratives Verhalten, schlechte Arbeitsorganisation, Missachtung von Arbeitsvorschlägen durch die Wirtschaftsleitungen usw.
Dabei ist festzustellen, dass Gewerkschaftsleitungen Arbeitsniederlegungen oftmals bagatellisieren, die Ursachen nur in Mängeln im Arbeitsablauf usw. suchen, jedoch ungenügende Schlussfolgerungen ziehen und die politisch-ideologischen Auseinandersetzungen organisieren. Die falsche Einschätzung derartiger Vorkommnisse beginnt bei den Betriebs- und Abteilungsfunktionären der Gewerkschaft, indem sie sich häufig an die Spitze solcher Arbeitskonflikte stellen, oder sich aktiv daran beteiligten, die ungerechtfertigte Forderungen zum Inhalt hatten. Z. B.
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forderte der Kreissekretär der Gewerkschaft Land und Forst Auerbach/Karl-Marx-Stadt, Kollege Taubner (ist inzwischen abgelöst), die Jugendlichen des VEB Rodewisch, die mit dem Brotaufstrich zum Frühstück nicht zufrieden waren, zum Streik auf, ohne selbst eine Veränderung herbeizuführen.
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Im Baukombinat Merseburg, Brigade [Name 2], beteiligte sich am 12.10.1960 der BGL-Vorsitzende der Taktstraße 3 aktiv an der Arbeitsniederlegung, da die Arbeit zu unsauber sei.
Eine Reihe von Beispielen aus den Bezirken beweisen, dass Mitglieder der Partei die Schädlichkeit von Arbeitsniederlegungen für die Volkswirtschaft und deren Auswirkungen nicht immer erkennen, keine vorbeugende Arbeit zur Verhinderung leisten, dabei nicht als Vorbild und als Parteimitglied in Erscheinung treten, an diesen Arbeitskonflikten selbst teilnehmen und in Einzelfällen sogar als Sprecher wirken. Zum Beispiel
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streikten im VEB Keramik Gräfenroda/Arnstadt/Erfurt am 9.6.1960 zwölf Arbeiter wegen eines zu Recht bestehenden Lohnabzuges, darunter sieben Mitglieder der SED und der 2. Sekretär des Betriebes.
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Vom Pädagogischen Institut Dresden streikten während eines Produktionseinsatzes am 18.7.1960 13 Studenten und forderten eine Erhöhung der Entlohnung. Initiatoren waren zwei Mitglieder der SED.
Im stärkeren Maße waren im II. Halbjahr 1960 Jugendliche an den Arbeitsniederlegungen beteiligt.
Vereinzelt verweigerten Jugend- und Lehrlingsbrigaden geschlossen die Arbeit. In diesen Brigaden war der Einfluss der FDJ oder anderer Massenorganisationen nur wenig oder überhaupt nicht vorhanden (z. B. Jugendbrigade Paul aus dem VEB (St) Bau Dresden).
Besonders Jugendliche, die wegen Schlägerei u. a. kleineren strafbaren Handlungen bereits bekannt sind, oder sog. Rowdys treten dabei als Organisatoren auf. Ungerechtfertigte Beschwerden, so z. B., dass die Vorgesetzten angeblich zu viel Arbeit von ihnen verlangen würden, dienen dabei als Vorwand und Begründung.
Partei-, Betriebs- und Gewerkschaftsleitungen stellten in Einzelfällen bei unberechtigten Forderungen anlässlich von Arbeitsniederlegungen Zugeständnisse in Aussicht oder verhielten sich versöhnlerisch, um die Arbeiter zu beruhigen und zur Arbeitsaufnahme zu veranlassen.
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So forderten 15 Arbeiter im VEB Hebezeugwerk Sebnitz am 23.7.1960 eine Änderung der Arbeitszeit und verwiesen auf Westdeutschland. Die Betriebsleitung stellte Zugeständnisse in Aussicht.
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Bei einer Auseinandersetzung im VEB Armaturenwerk Wehrsdorf/Bautzen über mehrere Arbeitsunterbrechungen durch Alkoholgenuss verhielt sich der Werkleiter versöhnlerisch.
Eine ungenügende Erziehungsarbeit der Personen, die an Arbeitsniederlegungen oder ähnlichen Vorkommnissen beteiligt waren, zeigt sich auch in der Methode der fristlosen Entlassung aus den Betrieb. Dadurch wird nicht nur die Kontrolle über die weitere Entwicklung dieser Personen erschwert oder verhindert, sondern vor allem der Faktor der sozialistischen Erziehung im Kollektiv völlig missachtet. Untersuchungen über stattgefundene Arbeitsniederlegungen haben ergeben, dass als Organisatoren oft solche Personen in Frage kommen, die in anderen Betrieben in gleicher Weise aufgetreten sind. Dies war jedoch dem Betrieb, in dem der Arbeiter jetzt beschäftigt war, nicht bekannt.
Zum Beispiel im Schlachthof Bautzen/Dresden. Der Streikorganisator war vorher aus dem HO-Kreisbetrieb wegen Arbeitsverweigerung fristlos entlassen worden.
Fristlos entlassen wegen Beteiligung an einer Arbeitsniederlegung wurden u. a. im August 1960 ein Schichtmeister aus dem VEB Fortschritt/Wilthen/Bautzen und zwei Arbeiter aus dem VEB Schreibmaschinenwerke Dresden, Abteilung Galvanotechnik.
Nicht selten sind Fälle bekannt, in denen Arbeiter nach erfolgter Aussprache und Kritik aufgrund der vorangegangenen Arbeitsniederlegung von sich aus kündigen und die Kündigung auch sofort genehmigt bekommen (z. B. im VEB [Glaswerk] Schwepnitz/Kamenz).
Zu bemerken ist, dass die bekanntgewordenen Beispiele der fristlosen Entlassung oder selbstständigen Kündigung in der Hauptsache den Bezirk Dresden betreffen.
Im Zusammenhang mit den Arbeitsniederlegungen muss die häufig noch vorhandene mangelhafte Arbeitsmoral und -disziplin der Arbeiter angeführt werden, wodurch ebenfalls Ausfallstunden entstehen. Arbeitspausen werden überzogen, weil während der Pause der Geburtstag eines Kollegen oder ein »Einstand« gefeiert wurden, innerhalb der Arbeitszeit gibt es längeren Aufenthalt in der Kantine, die Arbeitszeit wird selbstständig um Stunden verlegt, oder der Arbeitsplatz wird zu spät aufgesucht und früher verlassen.
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Im VEB Ernst-Thälmann-Werk Magdeburg wurde z. B. anlässlich einer Untersuchung über die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen festgestellt, dass Maschinen während des Schichtwechsels bis zu einer halben Stunde ohne Aufsicht sind.
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Im RAW »7. Oktober« Zwickau bestand seit Jahren ein Gewohnheitsrecht vieler Arbeiter, in der Spätschicht am Sonnabend früher zu beginnen oder früher nach Hause zu gehen, wobei der Meister jeweils einen Durchlassschein für den Pförtner unterschrieb. Als am Sonnabend, dem 3.12.1960, eine Kontrolle am Werktor stattfand, verließen 138 Arbeiter ca. 2 Stunden vor Arbeitsschluss das Werk durch Nebenausgänge und über Zäune, um einer Kontrolle aus dem Wege zu gehen. Nur ca. 20 Arbeiter hielten die Arbeitszeit bis 21.00 Uhr ein.
III. Arbeitsniederlegungen in landwirtschaftlichen Betrieben
Aus der Landwirtschaft wurden im Jahre 1960 nach äußerst unvollständigen Hinweisen 32 Arbeitsniederlegungen bekannt, davon
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23 aus LPG,
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5 aus MTS,
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3 aus VEG,
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1 aus VEAB.
In den LPG waren es vor allem Melker- und Feldbaubrigaden, welche die Arbeit niederlegten und höhere Arbeitseinheiten, bessere Arbeitsvoraussetzungen, Urlaub oder einen freien Sonntag forderten. Dabei wurde wiederholt geäußert, dass der Lohn im Verhältnis zu den Industriearbeitern zu gering sei, dass mehr Maschinen zur Arbeitsentlastung zur Verfügung gestellt werden müssten, dass bessere Arbeitsbekleidung beschafft werden muss (vor allem für die Feldbaubrigaden, die teilweise auch bei nassem Wetter auf den Feldern arbeiten müssen), dass der Urlaub jedem Landarbeiter zusteht, da Industriearbeiter ebenfalls Jahresurlaub erhalten. In Einzelfällen wurden von Genossenschaftsbauern die unzureichenden Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von Ferienplätzen zum Anlass derartiger Vorkommnisse genommen, wobei bei den verschiedenartigsten Beispielen durch Vergleiche mit den »Vorteilen« der Industriearbeiter eine solche Tendenz vertreten wird, dass die DDR zwar ein Arbeiter-und-Bauern-Staat sei, jedoch die Arbeiter mehr Rechte in Anspruch nehmen könnten.
In den LPG ist teilweise das Leistungsprinzip noch nicht oder nur ungenügend durchgesetzt, daher kommt es zu Unstimmigkeiten und dort, wo die gesellschaftlichen Organisationen nicht oder ungenügend arbeiten, finden gegnerische Kräfte die Basis für Arbeitsniederlegungen. So fanden Arbeitsniederlegungen statt, weil z. B. in LPG des gleichen Ortes Arbeitseinheiten in unterschiedlicher Höhe gezahlt wurden (LPG Hohenpriesnitz/Eilenburg/Leipzig). In einigen LPG waren die Zahlungen pro Arbeitseinheiten schon innerhalb der Brigaden verschieden, wie z. B. in Dörnschten/Dippoldiswalde/Dresden, wo der LPG-Vorsitzende an seine Familienangehörigen höhere Arbeitseinheiten auszahlte.
Persönliche Differenzen zwischen Mitgliedern der Genossenschaften bildeten ebenfalls Anlass zu Arbeitsniederlegungen (LPG Schönbrunn/Dresden).
Weiterhin entstanden durch administratives Handeln seitens der LPG-Vorstände Arbeitsniederlegungen. So wurden Arbeitseinheiten ohne Rücksprache mit den Mitgliedern verändert, oder die Zuteilung von Naturalien wurde verringert und von wichtigen Änderungen wurden die Mitglieder nicht in Kenntnis gesetzt.
Nicht eingehaltene Versprechungen von Festigungsbrigaden der Partei und des Staatsapparates wurden gleichfalls zu Arbeitsniederlegungen ausgenutzt. Von den Mitgliedern dieser Brigaden wurden zur Gewinnung der Bauern für die LPG teilweise Zugeständnisse und Versprechungen gemacht, die jeder gesetzlichen Grundlage entbehrten. So wurden Lohnerhöhungen, der Einsatz von zusätzlichen Maschinen, weitere individuelle Ablieferung der ha-Erträge u. a. zugesichert.
In fast allen Bezirken ist festzustellen, dass LPG-Mitglieder und Arbeiter aus anderen landwirtschaftlichen Betrieben während der Arbeitszeit Gaststätten aufsuchen und teilweise unter Beteiligung der Brigadiere oder einzelner Staats- und Parteifunktionäre Trinkgelage durchführen. Diese Trinkereien, die meistens in HO- und Konsum-Gaststätten stattfinden, erstrecken sich manchmal auf ganze Tage, oder arteten so aus, dass die Mitglieder wegen Volltrunkenheit nach Hause geschickt werden mussten wie im VEB Gressow/Wismar/Rostock der Partei-Gruppenorganisator. In Einzelfällen beschädigten Traktoristen nach dem Aufenthalt in Gaststätten landwirtschaftliche Maschinen.
Rückkehrer und Erstzuziehende treten ebenfalls in landwirtschaftlichen Betrieben als Streikorganisatoren und -beteiligte in Erscheinung. So nutzte ein Zuzügler im VEG Rahnsdorf/Cottbus eine Missstimmung der Feldbaubrigade über Mängel in der Arbeitsorganisation und der Bereitstellung von Arbeitsschutzbekleidung zur Organisierung einer Arbeitsniederlegung aus, an der sich die Brigade geschlossen beteiligte.
Arbeitsniederlegungen und Missstimmungen in den landwirtschaftlichen Betrieben werden dadurch begünstigt, dass in einer Reihe Betriebe noch keine Parteigruppen bestehen oder ungenügende Aufklärungsarbeit geleistet wird. In den Sommermonaten z. B. werden Aussprachen und Versammlungen über wichtige Partei- und Regierungsbeschlüsse sowie über Grundfragen unserer Politik oft verzögert oder gar nicht durchgeführt, mit der Bemerkung, dass dafür keine Zeit vorhanden sei.
Die Erziehung der Jugendlichen in FDJ-Gruppen ist häufig nicht gewährleistet.
IV. Androhung von Arbeitsniederlegungen
Neben den durchgeführten Arbeitsniederlegungen in Industrie und Landwirtschaft wurden noch eine Reihe von Streikandrohungen bekannt. Diese Androhungen erfolgten in mündlicher Form während persönlicher Aussprachen oder in Versammlungen sowie in schriftlicher Form durch das Verbreiten von selbstgefertigten Hetzzetteln.
So äußerten Mitglieder einer Brigade, die um den Titel »Sozialistische Brigade« im VEB Erzgebirgische Wirkwaren/Karl-Marx-Stadt kämpft, ihrem Meister gegenüber, dass sie wie in Westdeutschland das Recht zum Streik hätten und Lohnforderungen stellen würden. Im Juni 1960 wurden im Betrieb Zettel gefunden mit der Aufschrift »Kampf gegen Lohnraub«, »Wir erklären uns solidarisch, bis wir unser Geld haben«, »Recht auf ordnungsgemäße Entlohnung«.
In der Mehrzahl der bekanntgewordenen Streikandrohungen, die meistens im Zusammenhang mit Lohn-, Normen-, Prämienfragen usw. erfolgten, wurden von den zuständigen Organen Maßnahmen zur Verhinderung und zur Änderung tatsächlich bestehender Unzulänglichkeiten eingeleitet.