Syndikalistische Tendenzen in Brigaden (Bezirk Dresden)
3. Juni 1961
[Einzel-Information] Nr. 279/61 über im Bezirk Dresden aufgetretene negative (syndikalistische) Erscheinungen in sozialistischen Brigaden
Dem MfS liegen verschiedene Hinweise vor, aus denen hervorgeht, dass im Bezirk Dresden negative Erscheinungen in sozialistischen Brigaden in der Form auftreten, dass in sozialistischen Brigaden zusätzlich sog. Brigadeleiter gewählt und Brigadekassen eingerichtet wurden. Bei den Versuchen verantwortlicher Gewerkschaftsfunktionäre, diese Brigadeleiter abzulösen, wurde unter den Arbeitern Verärgerungen verursacht, weil administriert wurde, statt politische Überzeugungsarbeit zu leisten.
So wurde z. B. bekannt, dass im VEB Edelstahlwerk Freital auch Genossen, unter ihnen der »Held der Arbeit«, Genosse Fischer, ihre Fehler noch nicht restlos einsehen wollen. Die falschen Auffassungen werden damit zu rechtfertigen versucht, dass sich solche Brigadeleitungen bisher gut entwickelt hätten und auch positive Produktionserfolge zu verzeichnen seien.
Entsprechend der u. a. von der IG Metall gegebenen Linie sollten die Brigadeleiter im Rahmen der Gewerkschaftswahlen abgeschafft und die besten Brigadeleiter als Vertrauensleute der Gewerkschaft vorgeschlagen werden. Die leitenden Gewerkschaftsfunktionäre gingen jedoch in die Brigaden, operierten mit Formulierungen wie Syndikalisten usw., ohne den Arbeitern zu erklären, warum ihre Auffassungen falsch sind.
Auch im VEB Verbundnetz Ost, Netzbetrieb Siederwartha (Umspannwerk und Pumpspeicher) ist zu verzeichnen, dass sich zwei Brigaden neben dem Brigadier noch einen Leiter der sozialistischen Brigade wählten, der die Aufgabe habe, das »sozialistische Leben zu entwickeln«. Die Gewerkschaftsarbeit im Netzbetrieb wird als sehr schleppend eingeschätzt und ist durch diese »neue« Organisationsform fast völlig zum Erliegen gekommen. In diesem Zusammenhang verdient Beachtung, dass die Leiter der beiden Brigaden Zuzügler bzw. Rückkehrer sind. Ein weiterer Zuzügler versuchte außerdem die Wahl eines Brigaderates zu organisieren.
In beiden geschilderten Fällen wurden vom MfS entsprechende Maßnahmen eingeleitet.
Erscheinungen dieser Art werden von leitenden Gewerkschaftsfunktionären offensichtlich noch etwas unterschätzt. Der Bezirksvorstand der IG Metall schätzt zwar selbst ein, dass es in einer Reihe von Betrieben solche Erscheinungen gibt, hat aber keine genaue Übersicht.
Der zweite Bezirksvorsitzende der IG Metall Genosse Drechsler erklärte lediglich, dass ähnliche Erscheinungen noch im VEB Robur/Kamenz, Stahlwerk Gröditz/Werkteil Großenhain und im Waggonbau/Bautzen aufgetreten seien. Dem MfS ist außerdem bekannt, dass in der Schlosserei im Werk II des VEB Kerb-Konus eine Brigadekasse besteht. Die Brigadekasse wird aus einem monatlichen Beitrag von 1,00 DM jedes Mitgliedes und aus der monatlichen Wettbewerbsprämie (Wettbewerb von Abteilung zu Abteilung) gebildet. Die Werkleitung habe ebenfalls 20,00 DM in die Kasse eingezahlt. Genosse Drechsler (IG Metall) vertritt die Meinung, dass es in bis zu 40 % der volkseigenen Betriebe sog. Brigadekassen geben würde.