Technische Probleme mit SU-Autokränen
20. Februar 1961
[Einzel-Information] Nr. 88/61 über den Einsatz sowjetischer Autokräne Typ K 104 im VEB Leuna-Werk »Walter Ulbricht«, VEB Farbenfabrik Wolfen und VEB Erdöl- und Erdgaskombinat Gommern
Nach den Überprüfungen des MfS erfolgte Mitte September 1960 die Auslieferung des sowjetischen Autokranes Typ K 104 vom DIA-Maschinenexport-Kontor M 42. Von den fünf ausgelieferten Autokränen erhielten je einen der VEB Leuna-Werk »Walter Ulbricht« und VEB Filmfabrik Wolfen sowie drei Autokräne der VEB Erdöl- und Erdgaskombinat Gommern. Alle fünf Kräne wurden bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eingesetzt.
Die technischen Abnahmeprüfungen durch die Bezirksinspektionen der technischen Überwachung Halle und Magdeburg, der Zentralstelle für technische Überwachung Berlin, dem Zentralinstitut für Schweißtechnik Halle und der Intercontroll-GmbH ergaben übereinstimmend Mängel in konstruktiver, schweißtechnischer, elektrotechnischer und verkehrstechnischer Hinsicht. Daraufhin wurde der Einsatz dieses Autokrantypes gesperrt.
Alle Kontrollergebnisse sind annähernd inhaltsgleich und ergaben im Einzelnen folgende Beanstandungen:
- 1.
Die Schweißausführungen des Auslegers sowie des Unter- und des Oberwagens sind sehr schlecht. Bei fast allen Nähten bestehen tiefe Einbrandkerben und unzulässige Endkrater. Die Nahtformen und Nahtlängen entsprechen ebenfalls nicht den Regeln der Technik.
Besonders am Ausleger und auch am Hilfsausleger sind die Diagonalprofile schlecht angepasst bzw. nicht voll angeschweißt, sodass eine rasche Korrosion stattfinden kann.
- 2.
Die U-Profile des Fahrgestellrahmens sind an drei Stellen ausgeklinkt. Dabei wurde der gesamte Steg des Profils herausgeschnitten, was eine starke Verminderung der Tragfähigkeit zur Folge hat.
- 3.
Die U-Profile der Ausgleichsschwingungen sind mangelhaft an den Achsen angepasst und angeschweißt, dass mit Schweißnahtrissen zu rechnen ist.
- 4.
Die Aussparungen der Haltebügel des Oberwagens zeigen eine sehr schlechte Ausführung. Besonders die Zwischenlagen zwischen Ober- und Unterwagen sind willkürlich eingelegt worden und auch beim Anstrich nicht mit beachtet worden.
- 5.
Die Sicherungen aller vier Abstützungen sind zu schwach ausgeführt.
- 6.
Als Anhängerkupplung ist eine Kupplung nach der STVZO anzubauen.
- 7.
Das Fabrikschild und die Warnschilder an der Krananlage sind nicht in deutscher Sprache angebracht.
- 8.
Die erforderlichen Reifendrücke sind am Fahrgestellrahmen nicht angeschrieben.
- 9.
Viele Winkelprofile des Auslegers liegen unter der zulässigen Abmessung von 50 × 50 × 5 nach der DIN 120. Allerdings wird eine Auflage hierfür nicht mehr gestellt, da in der Neubearbeitung der DIN 120 diese Begrenzung nicht mehr festgehalten wird und auch im Leichtbau eine solche nicht vertreten werden kann.
- 10.
Im Führerstand fehlt die nach der ASAO 908 geforderte Heizung.
- 11.
Im Oberwagen sind an den Stellen, an denen sich Wasser ansammeln kann, keine Wasserablauflöcher vorhanden.
- 12.
Die Befestigung des Auslegerseiles am Festpunkt darf nicht mit Seilklemmen erfolgen (entweder gespleist oder mit Keiltasche).
- 13.
Sämtliche Beschriftungen im Führerstand, an denen Kontrollen durchgeführt werden, Schaltern und Anzeigegeräten, sind nicht in deutscher Sprache angeführt.
- 14.
Zur Beobachtung der Schrägstellung des Kranes ist im Führerstand der Einbau einer Dosenlibelle (mit 3°-Einteilung) erforderlich.
- 15.
Im Führerstand fehlt weiterhin ein Tragkraftschaubild bzw. eine Tragkrafttabelle.
- 16.
Die Skala und der Zeiger der Auslegerverstellanzeige sind so angebracht, dass die Auslegerstellung vom Führerstand schlecht erkennbar ist.
- 17.
An den 4 Ecken des Oberwagens und an der Auslegerstütze fehlt ein schwarz-gelber Warnanstrich. Am Unterwagen ist ebenfalls an den erforderlichen Stellen nach der STVZO ein rot-weißer Warnanstrich erforderlich.
- 18.
Die Schutzleiter ist nach den Bestimmungen des VDE nicht über einen besonderen Schleifring bis an den Oberwagen und in alle Schaltgeräte verlegt.
- 19.
Für den Fremdstromanschluss fehlen am Unterwagen eine Steckdose und ein Umschalter (Fremdstrom – aus – Generator).
- 20.
Die Zuleitung vom Generator zum Schleifringkörper ist nicht ordnungsgemäß verlegt. Die behelfsmäßige Befestigung der Kabel mit Al-Draht wird verworfen.
Diesem Ergebnis stehen nach Informationen einige Faktoren und Momente gegenüber, die die Entscheidungen der technischen Überwachung als fragwürdig erscheinen lassen.
- 1.
Der 2. Sekretär der Kreisleitung der SED Leuna, Genosse Meyer, weilte in Most/ČSSR und konnte sich bei dieser Gelegenheit von der Verwendbarkeit dieses Autokrantypes überzeugen. Der K 104 wurde unter voller Belastung (10 t) im 3-Schichten-System eingesetzt und soll nach seinen Angaben im gesamten sozialistischen Lager arbeiten.
- 2.
Verantwortliche Funktionäre und Arbeiter des VEB-Leuna-Werk »Walter Ulbricht« forderten von der technischen Überwachung Halle eine Funktionsprobe unter voller Belastung des Kranes. Diese Forderung wurde prinzipiell abgelehnt.
- 3.
Durch das sowjetische Konsulat in Magdeburg wurden sowjetische Ingenieure zur Revision in das Leuna-Werk gesandt. Es wurde von Ihnen zum Ausdruck gebracht, dass der im Werk befindliche Kran den Bedingungen der normalen Serienproduktion entspreche und überall, wo sie in der SU zum Einsatz gelangen, zur vollsten Zufriedenheit arbeiten. Die von der TÜ angeführten Mängel wurden durch die sowjetischen Ingenieure zurückgewiesen.
- 4.
Eine inoffizielle Stellungnahme aus Fachkreisen der Schweißtechnik aufgrund fotografischer Unterlagen besagt, dass die angeführten Mängel die Funktions- und Tragfähigkeit im Wesentlichen nicht beeinträchtigen werden. Weiterhin wird auf die gute Qualität der sowjetischen Schweißelektroden verwiesen, die die Schweißnähte sehr haltbar machen, da sie einen höheren Titaneinsatz haben als die Schweißelektroden der DDR.
- 5.
Im BMK-Chemie/Halle befinden sich sowjetische Kräne vom Typ K 102 (10 t) und K 123 (12 t), welche angeblich ähnliche Mängel aufweisen wie der Typ K 104, jedoch befristet und unter halber Belastung einsatzfähig sein sollen.
- 6.
Von einer Reihe Angehöriger der technischen Intelligenz und Techniker des BMK-Chemie wird die Auffassung vertreten, dass der K 104 in seiner jetzigen Form und seinen angeblichen Mängeln durchaus mit voller Sicherheit einsetzbar ist.
Der Autokran im Leuna-Werk wurde als einziger dieses Typs mit einem Kostenaufwand von ca. 23 000 DM überarbeitet (neue Ausleger und Beseitigung der verkehrstechnischen Mängel). Die restlichen vier Kräne sollen in absehbarer Zeit ebenfalls neu überarbeitet werden.
Die Tatsache der verzögerten Inbetriebnahme verursachte in den Kreisen der Arbeiter und Techniker negative Diskussionen, die teilweise antisowjetischen Charakter annahmen.
In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass entsprechend vorliegenden Hinweisen, beginnend mit diesem Jahr, eine größere Anzahl von Turmdreh- und Mobilkränen aus der SU importiert werden sollen. Sollte die Verfahrensweise der technischen Überwachung die gleiche bleiben, werden sich ernste Schwierigkeiten für die Inbetriebnahme derartiger Anlagen ergeben und größere Verzögerungen in der Planerfüllung der Bauindustrie durch den geplanten Einsatz derartiger Geräte auftreten.
Deshalb wäre es zweckmäßig, sofort durch eine entsprechende Expertenkommission – bestehend aus geeigneten Fachkräften des Kranbaus, der Schweißtechnik und des Automobilbaus – die Einsatzfähigkeit des Autodrehkranes untersuchen zu lassen und Maßnahmen zum sofortigen Einsatz derselben zu treffen.