Tod eines NVA-Hauptmannes
19. August 1961
Einzel-Information Nr. 454/61 über den Tod des Hauptmanns [Name A]
[Name A] geboren [Tag, Monat] 1929 in Leipzig, wohnhaft: [Straße, Nr.], Gehilfe für Jugendfragen der Polit-Abteilung des 1. MSD und Vorsitzender der Jugendkommission in der 1. MSD, NVA seit 16.6.1952.
Hptm. [Name A] ist seit 1954 verheiratet und hat zwei Kinder. Er war von 1946 bis 1949 Mitglied der LDPD und trat im Dezember 1949 der SED bei. Sein verstorbener Vater war Großschlächter und von 1937 bis 1945 Mitglied der NSDAP.
Am 14.8.1961, gegen 11.30 Uhr wurde bei einer Suchaktion im Jagen 160 des Falkenhagener Forstes, der nicht zum Stab zurückgekehrte Hptm. [Name A] von zwei Angehörigen des MSR 3 tot aufgefunden.1
Hptm. [Name A] befand sich am 13.8.1961 bei Erfüllung seiner Aufgaben im Pz.-Btl. und Stab des MSR 3 und beabsichtigte, den Konzentrierungsraum des 1. MSB des MSR 3 aufzusuchen.
In der Zeit von 12.00 bis 12.45 Uhr sprach er zuletzt mit dem Parteisekretär Hptm. Busse, wobei [Name A] einen ungewohnten und mürrischen Eindruck machte. Nachdem [Name A] erklärt hatte, dass er noch zum 1. MSB müsse, benutzte er die Waldschneise, die zum 1. MSB führt und die von den Armeeangehörigen gewöhnlich begangen wird.
Gegen 17.00 Uhr sollte Hptm. [Name A] mit dem Offizier für Parteiinformation Major Hahn zum Stab der 1. MSD zurückfahren, um an einer Besprechung teilzunehmen. Als Major Hahn den Hptm. [Name A] am verabredeten Treffpunkt nicht antraf, machte er dem stellv. Leiter der Politabteilung, Major Franke, davon Mitteilung. Dieser leitete jedoch keine Suchmaßnahmen ein. Obwohl ein verantwortlicher Funktionär fehlte, wurden weder der Kommandeur noch andere Offiziere oder Dienststellen verständigt. Erst am Morgen des 14.8.1961 machten Major Hahn und Oberstleutnant Reinhardt, Propagandist der 1. MSD, weitere Mitteilung über das Fehlen von Hptm. [Name A], wonach die Suchaktion eingeleitet wurde.
Hptm. [Name A] lag ca. 10 m von der Schneise entfernt im Wald. Die Leiche lag auf dem Rücken, die Pistole befand sich in der rechten Hand. Es wurden keine Spuren eines gewaltsamen Kampfes oder Schleifspuren festgestellt. Nach dem Ergebnis der Untersuchungen und dem Obduktionsbefund hat Hptm. [Name A] durch einen Schuss in den Mund den Tod herbeigeführt.
Diese Anzeichen eines Selbstmordes werden auch durch einen in der Tasche seines Kampfanzuges vorgefundenen Zettel bestätigt, worauf [Name A] schrieb: »Ich bin nicht mehr in der Lage, meine Aufgaben zu erfüllen. Ich bin zu schwach dazu. Meine Frau soll mir verzeihen. Es ist besser so.«
Die Schrift wurde auch von Frau [Name A] einwandfrei als die Handschrift ihres Mannes erkannt.
Auch das Fehlen eines 2. Schusses wurde durch Frau [Name A] geklärt. Sie sagte aus, dass ihr Mann am 6.8.1961 in der Wohnung einen Schuss abgab und ihr gegenüber dieses Verhalten als »ein Versehen« entschuldigte.
Am 10.8.1961 äußerte er zu seiner Frau, dass er zehn Tage nach Lehnin müsse, wobei man sich wieder die Nächte um die Ohren schlagen würde. Bei der Betrachtung des Films »Der stille Don« (2. Teil) im Fernsehen, sagte er zu seiner Frau, als die Kriegsszenen gezeigt wurden, sie solle endlich den Apparat abstellen, er könne es nicht mehr mit ansehen.
Gegen Hptm. [Name A] lag nichts vor, auch persönliche Schwierigkeiten waren nicht bekannt.
Obwohl alle Umstände, die Ergebnisse der eingehenden Untersuchung am Tatort sowie der Obduktion offensichtlich einen Selbstmord erkennen lassen, werden vonseiten des Leiters der Politabteilung OSL Drews starke Zweifel erhoben und verbreitet. OSL Drews ordnete zwar am 13.8.1961 keine Suchaktion an, er will aber unter keinen Umständen die auf Selbstmord hinweisenden Ergebnisse akzeptieren.
Er vertritt die Meinung, dass man sich mit einem Befund »Selbstmord« in der heutigen Situation nicht begnügen könne und nach der konkreten Lage »Mord« konstatieren müsse. Man müsse sehr gut abwägen, was richtig sei. In dieser Form beeinflusste er die Offiziere der Staatsanwaltschaft, der MUK und andere Offiziere, die an der Untersuchung teilnahmen.
In der Politabteilung wird aufgrund dieses Verhaltens die Meinung vertreten, dass es zwischen ihr und dem MfS in dieser Frage Meinungsverschiedenheiten gibt. Ein Teil der Offiziere macht sich bereits diese »subjektivistische« Meinung zu eigen und spricht von Mord.