Tod von zwei Männern bei Fluchtversuchen
31. August 1961
[Einzel-Information] Nr. 499/61 über die Erschießung von zwei Grenzverletzern am 24.8. und 29.8.1961
Am 24.8.1961, gegen 16.15 Uhr versuchte eine männliche Person über das Bahngelände zwischen Bahnhof Friedrichstraße und Lehrter Bahnhof nach Westberlin die Grenze zu durchbrechen. Die Person wurde von einem Posten der Trapo beim Fluchtversuch entdeckt und zum Stehenbleiben aufgefordert. Dieser Aufforderung kam sie jedoch nicht nach, sprang trotz eines Warnschusses in die Spree und versuchte schwimmend Westberlin zu erreichen.
Nachdem die Person auch auf weitere Warnschüsse nicht reagierte, legte ein Transportpolizist mit drei Schuss ein Sperrfeuer. Erst als die Person noch immer keine Anstalten machte, umzukehren, gab der Transportpolizist einen gezielten MPi-Feuerstoß ab. Wie nach der gegen 19.10 Uhr in Nähe der S-Bahn-Brücke Humboldt-Hafen von der Feuerwehr vorgenommenen Bergung und der späteren Untersuchung der Leiche festgestellt wurde, wurde die Person durch einen Einschuss im Genick und Ausschuss am Kinn tödlich verletzt und ertrank.
Während der Bergung versammelten sich auf dem gegenüberliegenden westlichen Ufer ca. 300 Personen, die den Bergungsarbeiten zuschauten. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Fotografen, und der Bergungsvorgang wurde auch fotografiert.
Wie die weiteren Untersuchungen ergaben, handelt es sich bei der erschossenen Person um den Litfin, Günter, geboren 19.1.1937 in Berlin, wohnhaft Berlin-Weißensee, [Straße, Nr.].1 Litfin ist ledig gewesen und hatte keinen erlernten Beruf.2 Er arbeitete als Grenzgänger3 in Westberlin. Seit 13.8. hielt er sich vorwiegend zu Hause auf, ohne eine Arbeit im demokratischen Berlin aufgenommen zu haben.
Litfin war seit mehreren Jahren Mitglied der illegalen »Jungen Union« des illegalen Kreisverbandes Weißensee und Teilnehmer des sog. Bildungswerkes der Adenauer-CDU. Die Teilnehmer des Bildungswerkes führten im April 1960 eine Fahrt durch die NATO-Länder Belgien, Holland und Luxemburg durch, auf der sie Einrichtungen der Montan-Union und der Euratom besichtigten. Im Mai 1961 besichtigten sie das NATO-Hauptquartier in Paris und es ist anzunehmen, dass Litfin mit zu dieser Gruppe gehörte, die seinerzeit in Paris die Pressekonferenz störten.
Litfin war im Wohngebiet nicht sehr beliebt, weil er älteren Personen gegenüber vorlaut und frech auftrat. Er hatte den Spitznamen Puppe, weil er als homosexuell eingeschätzt wurde. [Satz mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
Über die Familienverhältnisse des Litfin, Günter liegen folgende Hinweise vor: Sein 1961 an Magenkrebs verstorbener Vater Litfin, Albert, geboren 10.11.1903, war Mitbegründer des illegalen Kreisverbandes der Adenauer-CDU von Weißensee. Seit 1958 besuchte er regelmäßig die in Westberlin stattfindenden Versammlungen des illegalen Kreisverbandes und erhielt 1960 die Ehrennadel für 15-jährige Mitgliedschaft der Adenauer-CDU.
Die Mutter des Litfin, Günter, Litfin, Margarete, geboren 8.10.1906 in Berlin, wohnhaft Berlin-Weißensee, [Straße, Nr.], ist ebenfalls Mitglied des illegalen Kreisverbandes der Adenauer-CDU. Sie steht der politischen Entwicklung in der DDR ablehnend gegenüber, was sich darin zeigt, dass sie nicht flaggt, Listensammlungen ablehnt und jeder politischen Diskussion ausweicht. [Satz mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.] Sie ist nicht berufstätig und wird von ihren Kindern finanziell unterstützt. Während alle anderen Familienmitglieder streng katholisch sind, ist sie evangelischer Konfession.
Litfin hat noch 2 Brüder, Litfin, Jürgen, geboren [Tag, Monat] 1940, wohnhaft Berlin-Weißensee, [Straße, Nr.] und Litfin, Bernd, geboren [Tag, Monat] 1942, seit 1.6.1960 r-flüchtig geworden und vermutlich in Hamburg oder Bremen wohnhaft.
Jürgen Litfin gehört ebenfalls seit Jahren der illegalen »Jungen Union« – Kreisverband Weißensee – an und war auch Teilnehmer des sog. Bildungswerkes der Adenauer-CDU. Er wurde am 15.5.1957 r-flüchtig, kehrte aber im Januar 1958 wieder in die DDR zurück, arbeitete jedoch als Grenzgänger weiterhin in Westberlin.
Bereits vor dem 13.8.1961 nahm er aber in einer PGH im demokratischen Berlin Arbeit auf. Seit ca. drei Wochen ist er verheiratet, und seine vorher in Westberlin wohnhafte Ehefrau hält sich jetzt ständig bei ihm auf, allerdings ohne polizeilich gemeldet zu sein.
Bernd Litfin war letztmalig anlässlich des Todes seines Vaters ca. eine Woche illegal im demokratischen Berlin.
[Absatz mit schutzwürdigen Informationen, vermutlich aus einem abgehörten Telefonat, nicht wiedergegeben.]
Bei einer Hausdurchsuchung wurde neben verschiedenen westlichen Zeitungen und Illustrierten sowie Kriminal- und Liebesromanen ein als Notizzettel verwandter Briefumschlag gefunden, auf dem der Name und die Anschrift von Frau Dr. Maxsein,4 Kreisvorsitzende der illegalen CDU Weißensee, angegeben war.
Am 29.8.1961, gegen 14.10 Uhr versuchte eine männliche Person in Teltow (24 m ostwärts der Industriebrücke) den Teltow-Kanal zu durchschwimmen und die in der Kanalmitte verlaufende Staatsgrenze nach Westberlin zu durchbrechen.
Durch die am Kanal eingesetzten Sicherungskräfte wurde die Person kurz vor Erreichen des Kanales festgestellt und angerufen. Es gelang der Person zunächst noch, in das Wasser zu springen und in Richtung Westberlin zu schwimmen. Daraufhin wurde ein Warnschuss abgegeben, auf den diese Person aber nicht reagierte. Von den Sicherungskräften erfolgten danach mehrere gezielte MPi- und ein Karabinerschuss, die dazu führten, dass diese Person sofort unterging.
Durch die sofort eingeleiteten Untersuchungen konnte kurze Zeit später eine Aktentasche aus dem Wasser geborgen werden, die der Grenzverletzer bei sich geführt hatte. Aus dem in der Aktentasche befindlichen Arbeitsbuch war ersichtlich, dass es sich um den Hoff, Roland, geboren 19.3.1934 in Hannover, wohnhaft gewesen in Forst/Lausitz, [Straße, Nr.] handelte.5
Gegen 17.45 Uhr konnte unsere Feuerwehr die Leiche unbemerkt bergen, während die Westfeuerwehr die Suche bis zum nächsten Tag fortsetzte. Die Leiche wurde nach Potsdam überführt.
Die über Hoff geführten Ermittlungen ergaben, dass er am 26.6.1961 aus Hannover in die DDR gekommen ist und vom Aufnahmeheim Barby nach Forst eingewiesen wurde. [Zwei Sätze mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
Nach seiner Einweisung nach Forst war Hoff im Wasserwerk Forst beschäftigt. Dort zeigte er sich ebenfalls als eine unverlässliche Person, die ständig negativ auftrat, zu starkem Alkoholgenuss neigte, durch Arbeitsbummelei auffiel und Schlägereien mit den Arbeitskollegen zu inszenieren versuchte. H. brachte wiederholt zum Ausdruck, dass er nach Westberlin zurück will und alles daran setzen wird, um dies zu erreichen.
Am 23.8.1961 betrank sich Hoff im Betrieb derart stark, dass er nicht mehr arbeitsfähig war. In diesem Zustand fing er mit dem Meister und dem Betriebsleiter des Wasserwerkes einen Streit an. Da Hoff der Aufforderung des Betriebsleiters, den Betrieb zu verlassen, nicht nachkam, sah sich der Betriebsleiter gezwungen, das Schnellkommando der VP anzufordern und H. gewaltsam aus dem Betrieb zu entfernen. H. wurde aufgrund dieses Zwischenfalles sofort fristlos entlassen. In einer Aussprache bei der VP am 24.8. versprach Hoff zwar sich zu bessern, wurde aber am gleichen Tage von Forst aus flüchtig.
Das Vorkommnis selbst wurde von unserer Seite noch von ca. 40 Arbeitskräften des VEB GuM – Außenstelle Trebbin – beobachtet, die ca. 300 m vom Durchbruchsort mit Grenzsicherungsarbeiten beschäftigt waren. Da aus unmittelbarer Nähe dieses Arbeitskommandos ebenfalls auf den Grenzverletzer geschossen wurde, kam es unter den Arbeitern zu einer gewissen Erregung.
Aufgrund dieser Situation und einer damit verbundenen Menschenansammlung auf Westberliner Seite wurde zur Verhinderung von Provokationen von dem Brigadier des Arbeitskommandos angewiesen, die Arbeiten sofort einzustellen. Zu diesem Zeitpunkt erfolgte auch durch die Posten der DGP die Anweisung, dass die Arbeiter sofort den Grenzbereich zu räumen haben.
Einer dieser Arbeiter, [Name 1], geboren [Tag, Monat] 1940, wohnhaft Mahlow, [Straße, Nr.], äußerte in diesem Zusammenhang: »Hier wird von Deutschen auf Deutsche geschossen.« Er wurde daraufhin der Grenzabteilung zugeführt und vom Aufklärungsoffizier dieser Einheit vernommen.
Die Untersuchung ergab jedoch keinerlei Hinweise darüber, dass Schmidt diese Äußerung zu provokatorischen Zwecken getan hatte. Es handelte sich offensichtlich um eine Äußerung, die unter dem unmittelbaren Eindruck des Geschehens und ohne weitere Überlegung erfolgt war. [Name 1] wurde deshalb gegen 17.00 Uhr wieder entlassen.
Zur Einschätzung der in dem Arbeitskommando tätigen Arbeiter ist noch zu sagen, dass sie bereits vier bis fünf Tage in diesem Abschnitt zur Anlage von Grenzbefestigungen eingesetzt waren und ihre Aufgaben bisher einwandfrei durchführten.