Untersuchung des Zugunglücks in Bitterfeld
17. April 1961
Einzel-Information Nr. 202/61 über die bisher ermittelten Ursachen des Zugzusammenstoßes am 15. April 1961 um 7.18 Uhr im Bahnhofsbereich Bitterfeld
Es handelt sich bei diesem Zusammenstoß um eine Flankenfahrt zwischen dem D 129 (Saßnitz-Express) und dem D 1150 (Schnellverbindung Berlin–Leipzig), bei der vom D 129 die Lok und ein Personenwagen umstürzten und ein Personenwagen entgleiste und vom D 1150 die Lok und zwei Personenwagen umstürzten und ebenfalls ein Personenwagen entgleiste. Zwölf Personen, davon vier Eisenbahner und ein Westberliner Bürger, mussten verletzt ins Krankenhaus Bitterfeld eingeliefert werden, darunter zwei Schwerverletzte, aber ohne dass Lebensgefahr für sie besteht. Weitere 15 Personen wurden leicht verletzt und konnten nach ambulanter Behandlung ihre Reise fortsetzen. Der Gesamtschaden beträgt ca. 527 000 DM.
Nach den bisherigen Ermittlungen und auch nach dem Sachverständigengutachten liegt die Schuld an diesem Zugzusammenstoß einwandfrei beim Lokpersonal der Schnellverbindung Berlin–Leipzig – Lokführer [Name 1], Lokheizer [Name 2], beide vom Bahnbetriebswerk Personenbahnhof Erfurt – die das »Halt« zeigende Einfahrtsignal »A« und vorher bereits das Vorsignal »Va« überfuhren. Der Lokheizer bestätigte, dass nach Ausfahrt aus dem Berliner Ring entgegen den Dienstvorschriften die Signalstellungen auf der gesamten Strecke nicht mehr zwischen Lokführer und Lokheizer zugerufen wurden. Hinzu kommt noch, dass zur Zeit des Zusammenstoßes durch Nebel bedingt nur eine Sicht zwischen 50 und 100 m möglich war.
Vom Verkehrsstaatsanwalt wurde gegen den Lokführer [Name 1] Haftbefehl wegen fahrlässiger Transportgefährdung erlassen. In der Vergangenheit wurden von ihnen noch keine Zuggefährdungen verursacht. [Name 1] liegt zzt. mit schweren Verletzungen im Krankenhaus Bitterfeld. Er und der Heizer [Name 2] mussten aus der umgestürzten Lok (um 45° geneigt) herausgeschweißt werden.
Bei den Untersuchungen wurde außerdem festgestellt, dass der Lokführer und Lokheizer des D 129, die erwiesenermaßen keine Schuld an diesem Zusammenstoß hatten, unter leichtem Alkoholeinfluss (0,5 Promille) standen, obwohl dem Eisenbahnpersonal während der Dienstausübung jeglicher Alkoholgenuss verboten ist.
Im Zusammenhang mit dem Zugzusammenstoß soll auch noch darauf verwiesen werden, dass am 16.4.1961 drei Zuggefährdungen, ebenfalls durch fahrlässige Handlungsweise hervorgerufen, erfolgten, die auf die noch immer ernsthaften Mängel besonders subjektiver Art in der Betriebssicherheit bei der Deutschen Reichsbahn hinweisen.
Am 16.4.1961, gegen 10.03 Uhr erfolgte auf dem Bahnhof Magdeburg/Rothensee eine Zuggefährdung, indem der Triebwagen 3477 das »Halt« zeigende Blocksignal überfuhr und in einen mit einem Personenzug besetzten Abschnitt einfuhr. Ein Zusammenstoß konnte noch rechtzeitig verhindert werden.
Am 16.4.1961, gegen 10.33 Uhr überfuhr auf dem Bahnhof Magdeburg/Buckau ein Durchgangsgüterzug das »Halt« zeigende Wegesignal. Eine entgegenkommende Rangierabteilung konnte noch rechtzeitig umgesetzt werden, wodurch auch hier ein Zusammenstoß verhindert wurde.
Am 16.4.1961, gegen 5.05 Uhr wurde auf dem Bahnhof Seeligstadt für einen Personenzug eine falsche Fahrstraße gelegt. Das Befahren eines bereits besetzten Gleisabschnittes wurde noch rechtzeitig vereitelt.