Verletzung von NVA-Soldaten durch SU-Militärs
9. März 1961
Einzel-Information Nr. 139/61 über Anwendung von Schusswaffen durch Angehörige der sowjetischen Armee gegenüber NVA-Angehörigen
Am 8.3.1961 kam es zu zwei Zwischenfällen, wo Angehörige der NVA durch Schusswaffengebrauch seitens sowjetischer Armeeangehöriger verletzt wurden.
Während einer Übung der rückwärtigen Dienste des MB III und der Führungsgruppe der rückwärtigen Dienste der 7. Panz.-Div. der NVA befand sich eine Fahrzeugkolonne in der Nacht vom 7./8.3.1961 im Kreis Eilenburg/Leipzig auf der Fahrt zu einem neuen Standort. Gegen 24.00 Uhr kam diese Kolonne vom Wege ab und durch einen Lkw H3A, der in einen Graben fuhr, wurde die Kolonne zerrissen. Während sieben Fahrzeuge zurückbleiben mussten, setzten die übrigen ihre Fahrt fort.
Die um 0.10 Uhr ihre Fahrt fortsetzenden sieben Fahrzeuge unter Führung des Chefs der Transportkompanie der 7. Panz.-Div., Hptm. Urban, gerieten dabei in den Bereich eines Munitionslagers der sowjetischen Streitkräfte. Die entsprechenden Warn- und Hinweisschilder wurden in der Dunkelheit übersehen. Auf den Anruf von zwei sowjetischen Posten stoppten die Fahrzeuge und Hptm. Urban erklärte den Posten, dass es sich um Fahrzeuge der NVA handelt, die sich in einer Übung befinden und verfahren haben.1
Die sowjetischen Posten gaben daraufhin die Anweisung umzukehren. Unmittelbar nachdem die Fahrzeuge gewendet hatten wurden von anderen Angehörigen des sowjetischen Wachpersonals – wie sich später herausstellte – von der Seite her mehrere MPi-Garben auf die Fahrzeuge abgegeben. Dabei wurden der im ersten Fahrzeug befindliche Soldat [Name 1] durch vier Schüsse ins rechte Bein und der im zweiten Fahrzeug befindliche Zivilkraftfahrer [Name 2] durch einen Schuss in die rechte Kniescheibe und durch einen Streifschuss am Kopf verletzt.2
Bei Abgabe dieser Schüsse stoppten sofort die NVA-Fahrzeuge, worauf das Schießen unterbrochen wurde und ca. zehn sowjetische Soldaten die Fahrzeuge umstellten. Die NVA-Angehörigen (ein Offizier, 7 Soldaten und 2 Zivilangestellte) mussten die Fahrzeuge verlassen, die Hände hochheben und wurden durchsucht. Hptm. Urban wurde die Pistole weggenommen. Eine versuchte Hilfeleistung für die zwei Verletzten wurde von den sowjetischen Soldaten unterbunden und die Verletzten mussten wie die anderen auch zur Durchsuchung mit antreten.3
Erst nachdem ein Oltn. der sowjetischen Armee erschienen war, wurde den Verletzten 1. Hilfe zuteil. In der gleichen Zeit trafen auch drei Offiziere und ein Arzt der 1. Kolonne der NVA, die sich auf der Suche nach den zurückgebliebenen Fahrzeugen befanden, am Ort des Zwischenfalls ein. Die Verletzten wurden dann in das Armeelazarett Leipzig überführt.
Auf Anordnung des sowjetischen Oltn. wurden die Angehörigen der NVA und auch die Kraftfahrzeuge, die je von einem sowjetischen Soldaten begleitet wurden, unmittelbar zum sowjetischen Objekt gebracht. Im sowjetischen Objekt wurde Hptm. Urban vernommen und man vertrat dort die Meinung, dass von den NVA-Angehörigen zuerst geschossen worden wäre. Aus diesem Grunde wurde auch die Pistole Hptm. Urbans überprüft, dabei aber festgestellt, dass aus dieser Pistole nicht geschossen worden ist. Gleichzeitig wurde nachgewiesen, dass die anderen NVA-Angehörigen keinerlei Munition bei sich trugen. Daraufhin entschuldigte sich ein inzwischen eingetroffener sowjetischer Oberstleutnant für dieses Vorkommnis und versprach eine Bestrafung der Schuldigen. Außerdem versicherte er, dass die Verwundeten durch Angehörige der sowj. Armee aufgesucht und betreut werden.4
Gegen 1.00 Uhr setzten die NVA-Fahrzeuge ihre Fahrt fort.
Um keine gegen die Waffenbrüderschaft mit der Sowjetarmee gerichteten Diskussionen aufkommen zu lassen, wurde mit allen Angehörigen der NVA, die von diesem Zwischenfall Kenntnis hatten, eine Aussprache geführt und ihnen erklärt, dass es sich um ein Missverständnis gehandelt hat.
So sind auch bis jetzt keinerlei negative Diskussionen aufgetreten.
Lediglich der verletzte Soldat [Name 1] äußerte, weil ihm nicht sofort geholfen wurde: »Da sieht man unsere Freunde.«
Wie außerdem festgestellt werden konnte, hat bis jetzt die Bevölkerung noch keine Kenntnis über diesen Vorfall erhalten.
Im Verlaufe einer Übung des 2. Btl. von MSR 16 der NVA im Raum Grimma/Leipzig fuhr am 8.3.1961, gegen 9.00 Uhr ein wegen Kupplungsdefekt zurückgebliebenes Fahrzeug vom Typ K 30 mit einem angehängten 120-mm-Granatwerfer in unmittelbare Nähe eines Sonderobjektes der Sowjetarmee. Das Fahrzeug war mit drei Angehörigen der NVA (Uffz. [Name 3], Gefr. [Name 4] und Gefr. [Name 5]) besetzt und sollte der weitergefahrenen Einheit nachfolgen. Zu diesem Zweck wurden sie auch genau eingewiesen und mit einer Karte ausgerüstet. Kurz vor Erreichen ihrer Einheit war ein Straßenabschnitt durch eine andere Fahrzeugkolonne des 2. Btl. versperrt und das Fahrzeug benutzte verschiedene Waldwege, um diesen Straßenabschnitt zu umfahren. Dabei gelangten sie in die Nähe des Sonderobjektes, das mit einem Verbotsschild »Verbotener Weg – Halt – Schießen« gekennzeichnet war. Das Fahrzeug wendete deshalb nach ca. 10 m und fuhr zurück. Zu diesem Zeitpunkt hörte Gefr. [Name 5], der hinten auf dem Fahrzeug saß, einen Karabinerschuss. Von den vorn sitzenden Gruppenführer Uffz. [Name 3] und Gefr. [Name 4] wurde dieser Schuss jedoch nicht gehört und sie fuhren weiter. Als Gefr. [Name 5] versuchte, sie auf den Schuss aufmerksam zu machen, wurde bereits ein 2. Schuss abgegeben, der den Gefr. [Name 5] am Oberschenkel verletzte.
Da zum Zeitpunkt dieses Zwischenfalls starker Nebel herrschte (nur 5–8 m Sicht), hatte der sowjetische Posten, der wegen der Leipziger Messe zu besonderer Wachsamkeit ermahnt worden war, nicht erkannt, dass es sich um ein Fahrzeug der NVA handelte. Auch die Angehörigen der NVA wussten nicht, dass sie sich bereits bis auf 10 m dem Drahtzaun des Objektes genähert hatten. Nachdem der verletzte Gefreite durch einen sowjetischer Offizier 1. Hilfe erhielt, wurde er sofort im Lazarett des Objektes ärztlich behandelt und anschließend durch Angehörige des medizinischen Dienstes der Sowjetarmee in das Krankenhaus der NVA in Leipzig eingeliefert. Ein sowjetischer Offizier informierte persönlich die Eltern des Verletzten und sprach sein Bedauern über diesen Vorfall aus.5
Die sowjetischen Freunde wurden von dem Untersuchungsergebnis verständigt.
Mielke [Unterschrift]