Vorfälle auf dem Touristenschiff »Binz«
21. August 1961
Einzel-Information Nr. 459/61 über Vorkommnisse auf dem Motorschiff »Binz«
In den Morgenstunden des 18.8.1961 lief das Motorschiff »Binz« von Wolgast mit 300 Personen zu einer Vergnügungsfahrt auf der Ostsee aus. Aufgrund schlechter Wetterverhältnisse musste das Schiff von der vorgesehenen Rundfahrt um die dänische Insel Bornholm Abstand nehmen. Der Kapitän des Schiffes einigte sich mit dem Reiseleiter auf eine Rügen-Rundfahrt und änderte entsprechend den Kurs.
An Bord des Schiffes befand sich u. a. eine Gruppe von zehn Angehörigen der »Jungen Gemeinde« aus Schmöckwitz, die sich seit [dem] 4.8. auf dem Zeltplatz Bansin aufhielt und deren Fahrt sowie Aufenthalt finanziell von der Kirche unterstützt wurde. Der Leiter der Gruppe ist Student an der Westberliner »Freien Universität«. Außerdem gehören der Gruppe zwei Jugendliche an, die in Westberlin die Ober- bzw. Haushaltsschule besuchen.
Als die Schiffsleitung gegen 11.00 Uhr die Passagiere von der Kursveränderung unterrichtete, forderten mehrere Angehörige der Gruppe, die Kursänderung rückgängig zu machen. Auf Initiative eines Angehörigen dieser Gruppe wurde daraufhin eine Resolution verfasst und dem Kapitän überreicht. Die Resolution beinhaltete die Forderung nach Fortsetzung der Fahrt in Richtung Bornholm und wurde von fast allen Gruppenangehörigen unterschrieben.
Dieser Forderung hatten sich sechs weitere Passagiere angeschlossen, die der »Evangelischen freikirchlichen Gemeinde« in Brandenburg/Havel angehören und sich auf einer Vortragstournee in Wolgast befanden. Sie hatten sich mit den Angehörigen der Gruppe der »Jungen Gemeinde« während der Fahrt angefreundet und die Resolution mit unterzeichnet.
Der Kapitän leistete dieser provokatorischen Forderung nicht Folge und meldete das Vorkommnis über Rügen-Radio den Sicherheitsorganen. Daraufhin wurde das MS »Binz« von einem Küstenschutzboot in den Fischereihafen Saßnitz begleitet. Dort wurden die 16 Provokateure festgenommen.
Durch die Untersuchung wurde festgestellt, dass einzelne Beschuldigte vor dieser Fahrt im Zusammenhang mit den Maßnahmen der Regierung der DDR vom 13.8.1961 Absichten über ein illegales Verlassen der DDR äußerten. So gibt beispielsweise der beschuldigte Sohn eines Pastors an, dass er nach den Maßnahmen des 13.8.1961 beabsichtigte, die DDR zu verlassen, um in Westberlin nach Ablegung der Reifeprüfung zu studieren. Einer der Beschuldigten sagte aus, dass mehrere Angehörige der Gruppe sich über die Maßnahmen der DDR unterhalten haben und dass der Gruppenleiter äußerte, man müsste in ein Land gehen, wo eine westdeutsche Botschaft bestehe. Dann käme man immer nach Westdeutschland.
Auch hat einer der Jugendlichen an Bord drei Postkarten nach Westberlin geschrieben, in welchen die Absicht angedeutet wird, in Bornholm zu verbleiben.
Sechs Beschuldigte haben seit dem 13.8. Gedichte mit hetzerischem Inhalt gegen die Parteiführung verfasst und im Zeltlager Bansin verbreitet.
Es wurden Durchsuchungen angeordnet; bei drei Personen wurde belastendes Material gefunden. Die Ergebnisse der anderen Durchsuchungen stehen noch aus.
Die Untersuchung wurde auch in der Richtung geführt, inwieweit reaktionäre Personen der Kirche den Leiter der Gruppe oder die Gruppe selbst beeinflussten.
Alle Beschuldigten werden wegen Nötigung zu einer Amtshandlung gemäß § 114 StGB1 – das Gesetz sieht eine Strafe bis zu fünf Jahren Gefängnis, jedoch nicht weniger als drei Monate vor – und sechs Beschuldigte darüber hinaus wegen staatsgefährdender Propaganda und Hetze gemäß § 19 StEG2 – das Gesetz sieht eine Strafe bis zu 15 Jahren Zuchthaus vor – strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.
Die Hauptverhandlung beginnt am 22.8.1961.3