Vorkommnisse an den Mai-Feiertagen
15. Mai 1961
Bericht Nr. 235/61 über den Verlauf des 1. und 8. Mai 1961, über feindliche Tätigkeit und besondere Vorkommnisse in diesem Zusammenhang
Den hier vorliegenden Berichten aus den Bezirken der DDR sowie aus Groß-Berlin ist zu entnehmen, dass die Demonstrationen und Veranstaltungen anlässlich des 1. und 8. Mai 1961 ohne wesentliche Störungen und Zwischenfälle verliefen.
Im Allgemeinen wird eingeschätzt, dass die Beteiligung aller Kreise der Bevölkerung sowie die Ausschmückung der Häuser und Straßen zum 1. Mai unfangreicher war als im Vorjahr. Besonders augenscheinlich war während der Mai-Demonstrationen die stärkere Beteiligung der medizinischen und veterinär-medizinischen Intelligenz, aber auch der Mittelschichten sowie Angehöriger von PGH und halbstaatlichen Betrieben. Besonders wird diese Einschätzung in den Berichten der Bezirke Schwerin, Erfurt, Frankfurt/O. und Gera hervorgehoben. Auch die Ausschmückung der Häuser bzw. Schaufenster dieser Kreise der Bevölkerung war besser als im Vorjahre. In Ludwigslust/Schwerin hatten einige Ärzte erstmalig in diesem Jahr an ihren Häusern rote Fähnchen angebracht. Auf Transparenten und Spruchbändern, die von Angehörigen der PGH und halbstaatlichen Betrieben im Demonstrationszug mitgeführt wurden, setzten sie sich für die Erfüllung unserer Volkswirtschaftspläne ein.
In allen Demonstrationszügen der Hauptstädte und Industriezentren am 1. Mai traten besonders zahlreiche Spruchbänder und Transparente von sozialistischen und Jugendbrigaden hervor, die sich mehr als im Vorjahr zu höheren Leistungen u. Ä. verpflichteten. Häufig wurden Verpflichtungen anlässlich des 12. Plenums1 der Partei in Spruchbändern zur Kenntnis gebracht. Sehr ausdrucksvoll war in allen Demonstrationszügen der große Erfolg der Sowjetunion mit dem Start des ersten bemannten Weltraumschiffes sowie die Solidarität mit dem kubanischen Volk und den um ihre Befreiung kämpfenden kolonialen Völkern gestaltet.
Aus mehreren Bezirken wird jedoch gemeldet, dass am 1. Mai in Einzelfällen erst Überzeugungsarbeit geleistet werden musste, um ausreichend Fahnenträger und Transparentträger zu gewinnen. Besonders in Kreisen von Angestellten war eine Ablehnung zum Tragen von Fahnen und Transparenten zu verzeichnen (nach Berichten aus den Bezirken Potsdam, Groß-Berlin, Schwerin). Am Sammelplatz des VEB Energieprojektierung Berlin blieben z. B. zwei rote Fahnen zurück, da kein weiterer Fahnenträger gewonnen werden konnte.
Einige Bezirke berichten, dass die Beteiligung und Ausschmückung weniger Landgemeinden am 1. Mai im Gegensatz zum Vorjahr zurückgegangen ist, vor allem dort, wo ehemalige Mittelbauern stark vertreten sind (z. B. in Gemeinden der Bezirke Erfurt, Schwerin, Leipzig und Gera). In Diskussionen brachten die ehemaligen Mittelbauern zum Ausdruck, dass sie sich mit der sozialistischen Entwicklung der Landwirtschaft und den in diesem Zusammenhang neu gebildeten LPG nicht einverstanden erklären könnten. So blieben z. B. die ehemaligen Mittelbauern aus der LPG »Vorwärts« in Gotha/Erfurt geschlossen der Demonstration fern und schützten Arbeit im Stall vor.
Verschiedentlich wurden an Häusern schwarz-rot-goldene Fahnen ohne Emblem zur Ausschmückung verwandt. In Einzelfällen, wie z. B. in Dingelstädt/Erfurt, gehörten diese Fahnen kirchlich gebundenen Personen.
Im geringen Umfang machten Hausfrauen u. a. Kreise ihre Teilnahme an der Demonstration oder Beflaggung der Häuser von einer Erhöhung des Butterverkaufs abhängig. Dabei kritisierten sie die zzt. vorhandene Butterknappheit, den dadurch erforderlichen Verkauf der Butter auf Kundenlisten und die angeblich zu geringe Butterabgabe der Molkereien an die Milchlieferanten (nach Berichten aus den Bezirken Magdeburg, Halle, Suhl, Schwerin). Die Mitglieder der LPG Typ I2 der Gemeinden Giesenslage und Behrendorf/Magdeburg lehnten deshalb eine Beteiligung an der Maidemonstration ab. In Schmalkalden/Suhl kam es zu einzelnen höhnischen Zurufen seitens der Zuschauer des Demonstrationszuges, als ein Festwagen der GHG Lebensmittel, ausgestaltet mit Südfrüchten und anderen Lebensmitteln, im Demonstrationszug durch die Straßen fuhr.
Verschiedene kleinere organisatorische Mängel, z. B. teilweise längere Wartezeiten, fehlende Musik, Ausfall der Beschallungsanlagen, ungenügender Einsatz von Transportmitteln, wurden kritisiert, schränkten aber die allgemeine Aufgeschlossenheit nicht ein.
In einzelnen Berichten der Bezirke wird Augenmerk auf die teilweise Vernachlässigung der Sicherheitsmaßnahmen in den ländlichen Betrieben während der Maifeierlichkeiten gelenkt. Bei durchgeführten Kontrollen seitens der Sicherheitsorgane waren die Objekte der MTS, RTS oder LPG teilweise nicht bewacht, Tore und Türen waren unverschlossen und die Räume für jeden zugänglich (z. B. mehrfach in den Bezirken Halle, Magdeburg, Potsdam, Dresden). Anlässlich der Demonstrationen zu den sowjetischen Ehrenmalen am 8. Mai wurden Abordnungen aus Betrieben, Verwaltungen, Massenorganisationen, Kampfgruppen und der Nationalen Volksarmee delegiert, sodass von vornherein die Teilnahme der Bevölkerung wesentlich geringer war.
Die Beteiligung an den Demonstrationen und Veranstaltungen des 8. Mai sowie die Ausschmückung der Häuser an diesem Tage zeigt im Gegensatz zum Vorjahr eine rückläufige Tendenz. Mehrfach wird diese Erscheinung damit begründet, dass die Vorbereitungen zum 15. Jahrestag der Befreiung im Vorjahr bereits von massenpolitischer Seite her intensiver waren als 1961, wodurch die Bevölkerung mehr auf diesen Tag aufmerksam gemacht und zur persönlichen Beteiligung an den Veranstaltungen und Ausschmückungen angeregt wurde. Ungünstig wirkte sich aus, dass es fast in allen Bezirken während des 8. Mai regnete, was mit eine Verringerung der Demonstrationsteilnehmer zu den Ehrenmalen zur Folge hatte. Die Ausschmückung mit Fahnen und Transparenten erfolgte hauptsächlich an öffentlichen Gebäuden, während die Wohnhäuser, z. B. in Nebenstraßen größerer Städte oder in den Landgemeinden im Vergleich zum diesjährigen 1. Mai nicht mehr die Ausschmückung aufwiesen. Besonders bemängelt wird in einigen Berichten (z. B. Magdeburg) die schlechte Ausschmückung seitens der Geschäftsleute am 8. Mai.
Eine rege Anteilnahme der Bevölkerung war am 8. Mai bei der Einweihung der Gedenkstätte zum Massengrab Schwerin-Zippendorf vorhanden (ca. 4 000 Personen).3 Die Stimmung, die sich intensiv gegen die faschistischen Verbrechen und das damalige Hitlerregime richtete, war gut. In vielen Diskussionen wurden Vergleiche mit den jetzigen Verhältnissen in Westdeutschland und der Inhaftierung und Isolierung fortschrittlich gesinnter Menschen in diesem Staat gezogen. Diese Meinungen kamen auch in den zahlreich mitgeführten Transparenten und Spruchbändern zum Ausdruck.
Die Stimmung zum 8. Mai kann im Allgemeinen als gut eingeschätzt werden. Dies zeigte sich auch durch die Übergabe zahlreicher Geschenke an die in der DDR stationierten Einheiten der sowjetischen Armee, durch Freundschaftstreffen usw. Nur in Einzelfällen (Wittenberg/Halle) wurden Parolen wie »Weg mit den Russen« (Täter unbekannt) geschmiert. Negative Auswirkungen auf die Stimmung hatte das unsportliche Verhalten des sowjetischen Teilnehmers an der Friedensfahrt, Melichow.4 So äußerte z. B. der Kraftfahrer [Name 1] aus dem Hydrierwerk Zeitz: »Wenn das die Freundschaft zwischen der SU und der DDR sein soll, was der Russe gemacht hat, dann bedanke ich mich für diese Freundschaft.« Häufig war die Meinung anzutreffen, dass zwei Strafminuten für eine derartige Unfairness nicht ausreichen würden und eine Disqualifizierung des Fahrers Melichow gerechtfertigt wäre. Solche und ähnliche Argumente wurden jedoch am Tag der Befreiung von positiven Stimmen im Zusammenhang mit der Friedensfahrt und von der Aufgeschlossenheit zu den einzelnen Veranstaltungen übertroffen.
Die feindliche Tätigkeit ist nach den bisher vorliegenden Berichten am 1 Mai im Gegensatz zum Vorjahr etwas zurückgegangen. Die Angaben aus den Bezirken hierüber sind jedoch noch nicht vollständig, da einzelne Vorkommnisse oft erst einige Tage nach der Aktion bekannt werden und diese Meldungen noch ausstehen.
Die Einschätzungen der Bezirke lassen erkennen, dass sich die gegnerische Tätigkeit besonders auf das Abreißen von Fahnen, Anschmieren von Hetzlosungen und Hakenkreuzen sowie auf Plakatbeschädigungen konzentrierte. Die Verbreitung selbstgefertigter Hetzschriften und Handverbreitung von Flugblättern der Feindzentralen spielte in diesem Jahre im Gegensatz zu 1960 überhaupt keine Rolle. Lediglich im Bezirk Magdeburg wurden in einem Fall Hetzschriften des SPD-Ostbüros5 durch Hand verteilt, und in Zossen/Potsdam wurden zwei selbstgefertigte Hetzschriften, die sich gegen Mitglieder der SED richteten, aufgefunden. Von wesentlichen Abschussbasen wurden in diesem Jahr keine Hetzblätter, die sich direkt gegen den 1. Mai richteten, an Ballons aufgelassen im Gegensatz zum Vorjahre, wo Flugblätter dieser Art in fast allen Bezirken der DDR niedergingen.
Nach unvollständigen Meldungen wurden im Zusammenhang mit dem 1. Mai ca. 160 Fahnen in den Bezirken der DDR sowie Groß-Berlin beschädigt, entwendet oder abgerissen. Schwerpunkte bilden dabei die Bezirke Magdeburg mit insgesamt 33 Fahnenabrissen, Karl-Marx-Stadt mit 23, Halle mit 18, Rostock mit 15 und Gers mit 12. Danach folgen Berlin und Neubrandenburg mit je 11 Fahnenabrissen. Mehrere Täter wurden in diesem Zusammenhang ermittelt, z. B. in Magdeburg vier, in Halle vier, in Neubrandenburg zwei, in Rostock zwei und in Potsdam, Dresden und Leipzig je ein Täter. Bezeichnend ist, dass es sich bei allen Tätern um Jugendliche handelt, die sich bei der Tatausführung im angetrunkenen Zustand befanden. Der überwiegende Teil der Jugendlichen ist von Beruf Arbeiter, lediglich in Dresden handelt es sich bei einem Täter um einen Studenten der Technischen Hochschule. In Magdeburg wurde ein Täter ermittelt, der als Rückkehrer und negativ eingestelltes Element bekannt ist.
Einige Beispiele:
Von einem HO-Geschäft in Calbe/Saale wurden von dem Gärtnerlehrling [Name 2], geboren 1942, eine Staatsflagge der DDR und von einem anderen Geschäft eine Girlande abgerissen. [Name 2] befand sich während der Tatausführung im angetrunkenen Zustand und gab als Motiv Übermut an. Der Arbeiter [Name 3], geboren 1940, beschädigte mehrere Fahnen in Altentreptow, nachdem er in der dortigen Gaststätte Alkohol getrunken hatte.
Das Anschmieren von Hetzparolen und Hakenkreuzen wurde am 1. Mai in ca. 25 Fällen bekannt, u. a. aus Pößneck und Lobenstein/Gera, Vockerode, Sandersleben, Hohenmölsen/Halle, Geithain/Leipzig und Stralsund/Rostock. In der Gemeinde Wählich/Hohenmölsen wurden 17 Hakenkreuze (mit Bleistift) von unbekannten Tätern geschmiert. In Sandersleben/Halle wurden als Täter der Hakenkreuzschmierereien Kinder ermittelt, die Angaben, diese Zeichen in Zeitungen, im Fernsehen usw. gesehen zu haben.
Die an Zäunen, Mauern und zum größten Teil in Toilettenanlagen geschmierten Hetzparolen richten sich gegen Parteifunktionäre, gegen Versorgungsmaßnahmen (z. B. Einschränkung des Butterverkaufs), gegen die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft und gegen die Durchführung der Maifeierlichkeiten. Sämtliche Hetzparolen wurden in kleinem Format, meistens mit Bleistift, angebracht.
Ein besonderes Vorkommnis dieser Art ereignete sich in Fürstenwalde/Frankfurt/O. Hier reihte sich die Person [Name 4], 24 Jahre alt, Bäcker in der KG Fürstenwalde mit einem Transparent in die Demonstration ein. Das Transparent mit der Aufschrift »Weg mit der katastrophalen Wohnungsnot« wurde von ihm an der Tribüne vorbeigetragen. [Name 4] wurde festgenommen.
Plakatbeschädigungen im Zusammenhang mit dem 1. Mai waren nach vorläufigen Berichten ca. 20 zu verzeichnen. Schwerpunkt bei diesen Vorkommnissen ist der Bezirk Magdeburg mit sechs Fällen, wobei ein Täter ermittelt werde konnte (Jugendlicher, angetrunken). Weiter traten die Bezirke Gera mit vier, Halle mit drei und Leipzig mit zwei derartigen Vorkommnissen in Erscheinung. In Rechenberg-Bienenmühle/Karl-Marx-Stadt wurde der 23-jährige [Name 5], Kraftfahrer, ermittelt, da er ein Transparent mutwillig zerstört hatte. [Name 5] war angetrunken und befand sich in Begleitung weiterer drei angetrunkener Personen, denen er angeblich zeigen wollte, zu welchen »Leistungen« er fähig sei. [Name 5] ist als Rowdy bekannt.
In ca. zehn Fällen erfolgten im Zusammenhang mit dem 1. Mai anonyme Anrufe, oder es wurden anonyme und pseudonyme Briefe verschickt mit dem Ziel, die Mai-Feierlichkeiten zu desorganisieren oder Funktionäre zu verleumden. So wurde durch unbekannte Täter in Löderburg/Magdeburg die Schalmeienkapelle abbestellt. Dem Vorsitzenden der Nationalen Front von Rerik/Kreis Doberan wurde telefonisch mitgeteilt, dass er nicht zur Maidemonstration gehen solle, da er sich sonst in Lebensgefahr begibt. Die VP-Feuerwehr Klötze wurde angerufen, dass Jugendliche am 30.4.1961 nach dem Fackelzug die LPG Typ III in Halberstadt in Brand stecken werden. Die SED-Kreisleitung Reichenbach erhielt eine Karte von unbekannten Tätern mit antidemokratischen Äußerungen.
Zwölf Fälle wurden bekannt, wo Personen im Zusammenhang mit den Maifeierlichkeiten wegen antidemokratischer und hetzerischer Äußerungen anfielen. So riss ein Arbeiter des VEG Boldewitz/Rügen während einer Maiveranstaltung einem Genossen der SED das Parteiabzeichen vom Rockaufschlag. Der Täter stand unter Alkoholeinwirkung und verherrlichte den Faschismus. Der Mittelschüler [Name 6] aus Karl-Marx-Stadt (Vater langjähriges SED-Mitglied) betrieb vor den Porträts der Staatsmänner antidemokratische Hetze, dass die Straßenpassanten auf ihn aufmerksam wurden. Der Arbeiter [Name 7], 22 Jahre alt, beleidigte in Karl-Marx-Stadt die VP-Angehörigen, welche die Ehrentribüne absperrten.
Neben diesen Formen der Feindtätigkeit kam es während der Aktion am 1. Mai noch zu folgenden besonderen Vorkommnissen feindlichen Charakters:
Im VEB Autoreparaturenwerk und Güterkraftverkehr Görlitz wurden 23 auf einem Parkplatz abgestellte Kraftfahrzeuge gegeneinander gefahren, sodass nach vorläufigen Schätzungen ein Gesamtschaden von ca. 2 800 DM entstand.
In Einzelfällen wurden Straßensperren errichtet. So wurden von unbekannten Tätern in Berlin-Grünau in drei Fällen Hindernisse (kurze Schienen, Steine und Röhren) auf die Straßenbahngleise gelegt. Bei einem Triebwagen der BVG entstand ein Schaden am Fangkorb. Die aufgetretene Betriebsstörung betrug eine Stunde am 1.5.1961.
Durch Aufstellen landwirtschaftlicher Geräte wurde am 1.5.1961 auf der Straße von Podelwiz nach Löhmingen/Leipzig eine Straßensperre errichtet.
Zwischen Zinnowitz und Heringsdorf/Rostock fuhr der fahrplanmäßige Personenzug gegen 22.00 Uhr am 30.4.1961 auf eine Sperre, die aus zwei Kilometersteinen und zwei Signaltafeln bestand, sodass die Lok leicht beschädigt wurde und eine Verspätung von acht Minuten eintrat.
In Pößneck/Gera wurden Feuermelder eingeschlagen. In Merseburg/Halle wurden am 30.4.1961 sämtliche Musikinstrumente der Schalmeienkapelle des VEB Buna-Werkes zertrümmert, sodass die Musiker am 1.5. nicht einsatzfähig waren. In Potsdam wurde die Sekretariatssitzung der Nationalen Front (Wirkungsbereich 14) durch zwei Personen (30 Jahre alt) gestört, die in den Versammlungsraum eindrangen und staatsverleumderische Reden führten. Die zwei Personen wurden festgenommen.
Die Lage an der Grenze war während des diesjährigen 1. Mai ruhiger als im vorigen Jahr. Das Gleiche trifft für die Lage an den Sektorengrenzen Berlins zu.
Während im vorigen Jahr in über 20 Fällen vom Gegner verschiedene Grenzprovokationen, sowohl an den Sektorengrenzen in Berlin als auch an der Staatsgrenze West, inszeniert wurden, kann man in diesem Jahr nur von Einzelfällen sprechen. Auch die im vorigen Jahr zahlreich an der Staatsgrenze West durchgeführten Hetzkundgebungen am 30.4. und am 1.5. verringerten sich in diesem Jahr auf wenige.
Insgesamt war eine normale Tätigkeit des Zolls und des BGS an der Staatsgrenze West festzustellen. Wie sonst ständig wurden zahlreiche Versuche der Kontaktaufnahme mit unseren Grenzposten unternommen (Anbieten von Zigaretten, Ansprechen, Überwerfen von Zetteln mit Grüßen usw.). An den Zufahrtsstraßen zur Grenze war ein verstärkter Personenverkehr festzustellen, vereinzelt verbunden mit dem Betreten des 10-m-Kontrollstreifens, vor allem dort, wo Hetzkundgebungen organisiert waren (z. B. Kompanie Palingen, wo der Innensenator von Lübeck, Petersen, sprach; im Grenzbereich Nordhausen, wo bei Duderstadt eine Hetzkundgebung unter Beteiligung von ca. 35 Zivilpersonen stattfand).
Weitere Zusammenrottungen ohne Hetzkundgebungen wurden u. a. beobachtet im Grenzbereich Halberstadt, wo sich Jugendliche in gleicher Kleidung (schwarze Hose und Jacke, am rechten Ärmel ein weißes Dreieck) – vermutlich Angehörige einer revanchistischen Jugendorganisation – in Gödeckenrode, Wilperode, Oppenrode, Stapelburg und Ilsenburg, trafen und Beobachtungen unseres Gebietes durchführten. Gegenüber der Kompanie Untersuhl/Eisenach bildeten eine Reihe Personen in Zivil eine Marschkolonne in einer Länge von 200 m und marschierten ca. 1 km entlang des K-Streifens. Dabei wurde eine gelbe Fahne mit einem schwarzen Kreis und einem Kreuz in der Mitte mitgeführt.
Außerdem wurden verschiedentlich Zivilpersonen mit Omnibussen an den K 10 gebracht, die in unser Gebiet eingewiesen wurden und dabei Fotoaufnahmen machten (z. B. an der Kompanie Rodeshütte/Hohegeiß 30 Personen, im Grenzbereich Wittenburg 60 Personen, im Grenzbereich Halberstadt 35 Personen usw.).
Beschimpfungen unserer Posten, Aufstellen von Lautsprecheranlagen in Richtung DDR bei Hetzkundgebungen u. ä. Provokationen wie im Vorjahr, waren in der Zeit vom 30.4. bis 2.5.1961 an der Staatsgrenze West nicht zu verzeichnen.
Eine Verstärkung war lediglich in der Luftaufklärung durch Hubschrauber zu bemerken, besonders im Abschnitt der 4. Grenzbrigade (Zschachenmühle, Weitisberga).
Zu erwähnen ist ein Vorkommnis, das am 1.5.1961 aus Dippach/Erfurt gemeldet wurde. Von unbekannten Tätern wurde hier eine Alarmanlage der Deutschen Grenzpolizei beschädigt und verschleppt. Als Täter können nur Personen aus der DDR infrage kommen.
Eine etwas stärkere Bewegung wurde an den Sektorengrenzen Berlins beobachtet. So wurden am 1.5.1961, gegen 7.15 Uhr am Brandenburger Tor 200 Stummpolizisten6 zusammengezogen.
In Einzelfällen wurden Provokationen verübt. So betrat ein Angehöriger der Stummpolizei am 1.5.1961, gegen 12.55 Uhr in Berlin-Treptow/Lohmühlenbrücke das demokratische Berlin ca. 8 m. Am 2.5. wurde am Kontrollpunkt Legiendamm Berlin-Mitte ein gleiches Vorkommnis festgestellt. In beiden Fällen zogen sich die Stupos nach Aufforderung der Volkspolizei nach Westberlin zurück.
Am 1.5.1961, gegen 9.15 Uhr beachtete ein 62-jähriger Westberliner Radfahrer nicht die Haltezeichen unserer Posten am Brandenburger Tor und versuchte in Richtung demokratisches Berlin weiterzufahren. Beim Festhalten seines Rades am Gepäckständer verlor er das Gleichgewicht und kam zu Fall. Bemerkenswert ist, dass dieser Vorfall von westlicher Seite her von Anfang an von dort bereitstehenden Stupoposten fotografiert wurde. Als der Westberliner Bürger versuchte, mit seinem Rad in Richtung Westberlin zu entkommen, jedoch von unserem Posten festgehalten wurde, betraten zwei Stupoposten demokratisches Gebiet, vermutlich um Hilfestellung zu leisten. Zu einer Berührung mit den zwei Stupos kam es nicht, jedoch formierte sich sofort eine Hundertschaft der Stupo in der Friedensallee. Nach kurzer Zeit wurde sie wieder abgezogen. Der Westberliner, der nach Feststellung der Personalien in das demokratische Berlin ging, holte sein Fahrrad bisher nicht von der Volkspolizei ab.
Am 30.4.1961 war eine Verletzung des Luftraumes des demokratischen Sektors von Berlin durch eine amerikanische Militärmaschine zu verzeichnen, die über dem Alexanderplatz und Polizeipräsidium kreiste. (15.45 Uhr)
Am 8. Mai war die bekanntgewordene Feindtätigkeit gering und erreichte bei Weitem nicht das Ausmaß vom Vorjahre. Insgesamt wurden 23 Fahnen abgerissen, entwendet oder beschädigt (z. B. in Magdeburg und Potsdam), einzelne Transparente und Plakate zerstört (z. B. in Haldensleben) und drei Hetzparolen geschmiert (Eisleben und Wittenberg/Halle). Die Hetzparolen lauteten: »Weg mit den Russen, Freiheit für Deutschland!«, und »Walter Ulbricht weg, Freiheit vor!« Vor dem Haus eines Mitarbeiters des MfS in Eisleben war auf ein Maiplakat geschmiert worden: »Dir geht es noch dreckig!« Der Täter ist unbekannt.
Beim Abreißen von Fahnen bildete am 8. Mai der Bezirk Magdeburg einen Schwerpunkt (19 Vorkommnisse). Zehn Täter aus den Kreisen Oschersleben, Salzwedel, Halberstadt, Haldensleben, Genthin und Magdeburg wurden bisher ermittelt, überwiegend Jugendliche, die bei der Tatausführung unter Alkoholeinfluss standen.
Neu im Vergleich zum vorigen 1. Mai ist, dass in diesem Jahr von Westberlin aus eine unbekannte Zahl von Ballons mit Hetzschriften aufgelassen wurde. Durch die Wetterverhältnisse wurden die Ballons jedoch auf Westberliner Gebiet abgetrieben.
An der Staatsgrenze West wurde am 8.5. eine normale Beobachtungs- und Streifentätigkeit des Gegners festgestellt. Die Inspektionsfahrten der Engländer und des BGS, die Bewegung von Fahrzeugkolonnen sowie Transporten, die Einweisung von Personen in unser Gebiet, das Fotografieren unseres Geländes, der Versuch der Kontaktaufnahme mit unseren Posten usw. bewegte sich in normalen Rahmen. Am 8.5., gegen 11.35 Uhr war im Grenzbereich Mühlhausen eine Luftraumverletzung durch ein einmotoriges Flugzeug aus Richtung Reiffenhausen zu verzeichnen. Der Einflug währte drei Minuten in einer Höhe von ca. 800 m. Die Nationalität wurde nicht erkannt.
Die Lage an den Sektorengrenzen Berlins war am 8. Mai normal. Lediglich in einem Falle versuchten zwei Angehörige der Stupo am 7.5., gegen 0.15 Uhr an den Übergängen Reinhardstr. und Kielerstr. die Posten der Volkspolizei zu provozieren. Außerdem benutzte ein Löschfahrzeug der Westfeuerwehr am 8.5. zweimal die Ebertstraße in Berlin-Mitte.