Vorkommnisse bei den Volkswahlen (1)
17. September 1961
1. Bericht Nr. 562/61 über feindliche Erscheinungen und besondere Vorkommnisse im Zusammenhang mit den Volkswahlen 1961
Besondere Vorkommnisse seit dem 16.9.1961
In Erfurt, Apolda und im Bezirk Gotha wurde in der Nacht zum 17.9.1961 eine größere Anzahl selbst gefertigter Hetzschriften verbreitet.
In Erfurt wurden bisher 200 Exemplare gefunden, die im Stadtgebiet ausgelegt bzw. in Haus- und Postbriefkästen eingeworfen worden waren.
Im Apolda wurden bisher 55 Exemplare sichergestellt. Es handelt sich dabei um mit Druckkasten gefertigte Hetzschriften gleichen Inhalts, die sich gegen führende Funktionäre der Partei und Regierung und gegen die Wahl richten.
Am 16.9.1961, 20.00 Uhr wurden im Raum Meiningen–Suhl vier Hetzschriften gefunden. Durch Maßnahmen des MfS konnten als Täter die Jugendlichen [Name 1] und [Name 2] aus Meiningen festgenommen werden, die bei der Festnahme noch 50 Hetzschriften bei sich trugen. Bei der bisherigen Vernehmung gaben sie an, bereits 50 Hetzschriften ausgelegt zu haben.
In Dessau wurden am 16.9. in einer Straße ca. 140 handgeschriebene Flugblätter sichergestellt. An der Aufklärung wird noch gearbeitet.
In Zwickau wurden in der Nacht zum 16.9.1961, im gesamten Stadtgebiet verteilt, ca. 1 000 selbst gefertigte Hetz-Flugblätter verbreitet. Die Hetz-Flugblätter waren mit Druckkasten beiderseitig bedruckt und hatten sinngemäß folgenden Inhalt:
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»Forderung nach freien und geheimen Wahlen –
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Aufrufe an das Gewissen aller Deutschen,
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mit den bestehenden Zuständen Schluss zu machen –
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wir verlangen unser Menschenrecht –
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Aufforderung zum Widerstand –
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freie, demokratische Union.«
Vom MfS wurden in Verbindung mit der VP die notwendigen Aufklärungs- und Fahndungsmaßnahmen eingeleitet.
Im Stadtgebiet von Weimar wurden in der Nacht zum 16.9. von einer Studentin und der Inhaberin einer kunstgewerblichen Werkstatt acht Wahlplakate abgerissen und z. T. auf der Straße verbrannt. Festnahme erfolgte.
Von der Goethe-Oberschule in Nauen/Potsdam wurden zehn Fahnen und zwei Transparente heruntergerissen und teilweise verbrannt. Als Täter konnte ein Jugendlicher festgenommen werden.
Weitere Beispiele des Abreißens von Wahlplakaten liegen aus Halle, Reichenbach/Karl-Marx-Stadt, Flarchheim/Mühlhausen u. a. Orten vor.
Am Morgen des 15.9.1961 wurde in Themar/Hildburghausen auf der Straße nach Meiningen eine 9 m lange Hetzlosung »Es lebe das freie Deutschland« festgestellt. Eine weitere Hetzlosung gleichen Inhalts befand sich in unmittelbarer Nähe an einem Bretterzaun.
Am 16.9.1961, gegen 15.30 Uhr wurden in Wildberg/Altentreptow die Jugendlichen [Name 3] und sein Bruder [Name 4] festgenommen. Diese beiden Jugendlichen hatten in der dortigen Gaststätte randaliert und den hinzugerufenen ABV Hermann von hinten angefallen und gewürgt und ihm den Schlagstock entrissen. Anschließend drangen sie gewaltsam in die Wohnung des ABV ein, wo sie die Telefonleitung zerstörten und den ABV erneut niederschlugen und dabei verletzten.
In der bisherigen Untersuchung, die vom MfS geführt wird, geben die Jugendlichen an, sich infolge hohen Alkoholgenusses an nichts erinnern zu können. Lediglich von einem der Jugendlichen wird bisher zugegeben, den ABV angegriffen zu haben. In Wildberg wurde durch die Staatsanwaltschaft sofort eine Einwohnerversammlung durchgeführt, in der eine strenge Bestrafung der Jugendlichen gefordert wurde.
Am 17.9.1961, gegen 1.00 Uhr kam es in Paußnitz/Riesa zu folgendem Vorkommnis: Der ABV Förster und ein Angehöriger der Kampfgruppe, die dort eine Verkehrskontrolle durchführten, versuchten eine Person zu stellen, die sich nicht ausweisen konnte und deshalb flüchtig zu werden versuchte. Weitere hinzukommende Personen versuchten, den Angehörigen der Kampfgruppe an der Verfolgung zu hindern und schlugen ihn nieder. Erst nach Abgabe von zwei Warnschüssen konnten drei der an der Provokation beteiligten acht Personen gestellt werden. Weitere Untersuchungen werden noch geführt.
Nach vorliegenden Berichten wurden von den Kirchenleitungen keine Anweisungen zur Wahl herausgegeben. Es wurde den einzelnen Geistlichen selbst überlassen, an der Wahl teilzunehmen oder fernzubleiben. Es wurden jedoch Hinweise bekannt, dass einzelne Geistliche, die auch bisher schon reaktionär aufgetreten sind, gegen die Wahl Stellung nehmen bzw. weitere Pfarrer aufforderten, der Wahl fernzubleiben.
Auf einer Zusammenkunft von Superintendenten in Magdeburg (in der Wohnung des Propstes Fleischhack) am 13.9.1961) wurde die Richtlinie gegeben, dass sich die kirchl. Würdenträger nicht an der Wahl beteiligen sollen. Von den Superintendenten wurde diese Weisung allen Pfarrern bis zum 15.9.1961 bekanntgegeben.1 Diejenigen Pfarrer, bei denen nach Auffassung der Kirchenleitung Wahlbereitschaft besteht, mussten einzeln dazu Stellung nehmen.
Aus den Bezirken Cottbus, Dresden, Leipzig und Halle wurden einzelne Hinweise bekannt, dass Anhänger der Sekte »Zeugen Jehova« erklären, nicht an der Wahl teilnehmen zu wollen.2
Im Kreis Altentreptow/Neubrandenburg stellte sich bei der Übergabe der Wahlscheine heraus, dass für die Gemeinde Köllen keine Wahlscheine gedruckt waren. (erforderliche Maßnahmen wurden sofort eingeleitet)
Größere Brände, die in den Nachmittagsstunden des 16.9.1961 ausbrachen, wurden bis jetzt in drei Fällen festgestellt.
Bei einem Großbrand in Forstwolfersdorf/Gera (16.25 Uhr) brannten drei Gehöfte nieder. Es brannten größere Mengen von Getreide und Heu nieder. Als Ursache wurde Brandstiftung durch Kinderhand festgestellt.
In Waldeck/Neubrandenburg wurde durch einen Scheunenbrand ein Sachschaden von etwa 20 000 DM verursacht. Es liegt ebenfalls Brandstiftung durch spielende Kinder vor.
In Metzdorf/Strausberg (Frankfurt/O.) brannten sechs Getreidemieten nieder. Der Brand wurde dadurch begünstigt, dass die Getreidemieten nicht im vorgeschriebenen Abstand aufgestellt wurden. Es liegt Brandstiftung durch den 6-jährigen Sohn des Parteisekretärs der LPG vor. Der Vater des Jungen wird als sehr positiv eingeschätzt.