Zustände in der Staatlichen Plankommission
[ohne Datum]
Bericht Nr. 329/61 über einige Mängel und Missstände in der Leitungstätigkeit der Staatlichen Plankommission und ihre Ursachen und Auswirkungen
Dem MfS liegen eine Vielzahl von Informationen und Hinweisen über die ungenügende politisch-ökonomische Leitungstätigkeit der Staatlichen Plankommission (SPK) vor. Daraus ist ersichtlich, dass es gegenwärtig eine Reihe ernster Erscheinungen in der Tätigkeit der Leitung und einzelner Bereiche der SPK gibt, die teilweise auf eine nicht richtige Einstellung der leitenden Funktionäre und eines Teiles der Mitarbeiter zur Politik der Partei, insbesondere die ökonomische Entwicklung in der DDR und das Verhältnis zur SU betreffend, zurückzuführen sind.
Der Bericht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und allumfassende Darlegung, sondern hat nur zum Gegenstand, aus den umfangreich vorliegenden Materialien auf einige wesentlich erscheinende Probleme hinzuweisen. Dabei wird gebeten zu beachten, dass bei den Darlegungen über Äußerungen einzelner leitender Funktionäre der SPK zu politischen und ökonomischen Problemen einzelne etwas subjektiv gefärbte Angaben nicht ausgeschlossen werden können, obwohl diese Hinweise ausschließlich von zuverlässigen Quellen stammen.
Zur Lage in der SPK kann allgemein eingeschätzt werden, dass unter einem großen Teil der Mitarbeiter Unzufriedenheit über die Leitungsmethoden und den Arbeitsstil der SPK herrscht. Die politische Vorbereitung der Mitarbeiter auf die zu erfüllenden Aufgaben wird als zu allgemein und formal bezeichnet und bleibt im Wesentlichen auf die Parteileitungen beschränkt. Die leitenden Funktionäre beschränken sich oft nur auf eine technisch-organisatorische Leitung und Anleitung, statt den Mitarbeitern eine klare politisch-ökonomische Konzeption zur Lösung der Aufgaben zu geben.
Im Wesentlichen wird die gegenwärtige Situation so eingeschätzt, dass die Organisation der Arbeit, die Systematik bei der Planaufstellung, -bilanzierung und -abrechnung sowie die Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit der Planerarbeitung eine rückläufige Tendenz aufweisen. Die Pläne werden zu überhastet und unvollkommen aufgestellt, sodass sich zwangsläufig später Korrekturen notwendig machen. Die mangelhafte Planung und Anleitung wird dabei oft zum Hemmnis einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation.
Diese Erscheinungen zeigten sich besonders deutlich bei der Ausarbeitung des Siebenjahrplanes,1 der Perspektive bis 19802 und auch bei der Vorbereitung und Durchführung der Wirtschaftsverhandlungen in Moskau 1961.3
So wird von einem großen Teil der Mitarbeiter der SPK die Ansicht vertreten, dass die gegenwärtig schwierige Lage unserer Volkswirtschaft ihren Ausgangspunkt in dem teilweise auf unrealer Grundlage erarbeiteten Siebenjahrplan habe, der unter Leitung des Genossen Gregor4 ausgearbeitet wurde. Genosse Gregor habe 1958 die Direktive ausgegeben, den Siebenjahrplan unter den gegebenen – in Wirklichkeit aber auf subjektiven Vorstellungen beruhenden – Voraussetzungen auszuarbeiten, dass ausreichend Material vorhanden sei. Wie Genosse Gregor in einem internen Kreis von Genossen äußerte, sei er dabei mit davon ausgegangen, dass die Kosten für die zeitweilig in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte in Wegfall kommen würden. Außerdem hätte er natürlich auch nicht mit der schnellen sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft gerechnet,5 die wesentlich höhere Ausgaben notwendig gemacht hätte.
Diese vom Genossen Gregor gegebene Konzeption für die Ausarbeitung des Siebenjahrplanes ist nach einer Äußerung des Genossen Emmerich, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hauptabteilung Perspektivplanung, dem Genossen Leuschner bis vor Kurzem nicht bekannt gewesen. Diese Äußerung dürfte auch mit solchen Ansichten von Mitarbeitern der SPK übereinstimmen, dass der Genosse Leuschner und auch die Parteiführung vor der Beratung und Beschlussfassung wichtiger Maßnahmen nicht immer richtig von den leitenden Funktionären der SPK informiert würden.
Nach einer Äußerung des Werkdirektors von Leuna, Genosse Prof. Dr. Schirmer, gegenüber einer zuverlässigen Quelle, soll im Anschluss an eine Sitzung in der SPK mit den Mitgliedern des Forschungsrates eine persönliche Aussprache zwischen Genossen Leuschner und Genossen Schirmer stattgefunden haben. Von einer Teilnahme weiterer Personen ist nichts bekannt. Bei dieser Zusammenkunft habe Genosse Schirmer – nach seinen eigenen Angaben – Genosse Leuschner gefragt, wie es möglich ist, dass wir der Bevölkerung derartig weitreichende Versprechungen (ökonomische Hauptaufgabe) machen konnten, ohne dass dafür die materiellen Voraussetzungen vorhanden waren. Genosse Schirmer vertritt dazu die Auffassung, dass die zur Erklärung der gegenwärtigen Lage angeführten Fakten (Missernte, Hochkonjunktur in Westdeutschland, sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft, Störungsmaßnahmen Bonns) nicht ausreichen würden. Genosse Leuschner hätte sich dabei über die gegenwärtige Lage sehr ausreichend informiert gezeigt, sich aber hinsichtlich der Arbeit der Versorgungsorgane sehr grob ausgelassen. Zu den Einwänden des Genossen Schirmer, wie er, Genosse Leuschner, sich über diese Dinge so entrüsten könne, wo er doch die Hauptverantwortung für die ökonomische Entwicklung selbst zu tragen habe, hätte Genosse Leuschner erwidert, dass dem bei Weitem nicht so sei, sondern die Verantwortung dafür die Politiker zu tragen hätten. Auf einen Einwurf des Genossen Schirmer hätte Genosse Leuschner aber dann bemerkt, dass er natürlich auch Mitglied des Politbüros sei.
Genosse Schirmer selbst hatte bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Quelle gegenüber die Ansicht vertreten, dass im Politbüro zu wenig Ökonomen und zu viele Politiker vorhanden seien, die in vielen Fällen nicht in der Lage wären, ökonomische Probleme qualifiziert zu beurteilen. Bei einer anderen Gelegenheit soll Genosse Schirmer außerdem erklärt haben, dass im Politbüro zu wenig Thälmänner vertreten seien. Eine derartige Ansicht hätte auch der Abteilungsleiter für Chemie im ZK, Genosse Wyschowsky,6 gegenüber Genossen Schirmer vertreten.
In diesem Zusammenhang ist auch eine Bemerkung des Genossen Hundisch, Leiter des Sektors Ingenieurtechnik und Rekonstruktion in der Abteilung Chemie der SPK bemerkenswert, die er am 1.6.1961 gegenüber dem Parteisekretär des KIB Leipzig, Genosse Paschke, gemacht haben soll. Nach einem entsprechenden Hinweis des Genossen Paschke hätte Genosse Hundisch erklärt, dass es Meinungen geben soll, was sich gegenwärtig abspielt, sei ein Machtkampf zwischen dem Genossen Ulbricht und dem Genossen Leuschner. Weiter hätte Hundisch damit zusammenhängend erklärt, dass der Genosse Ulbricht für die Angelegenheit betr. des Flugzeugbaues in der DDR die Verantwortung trage, sich aber niemand getraut habe, ihm zu widersprechen. Dem MfS liegen dazu keine näheren Hinweise vor, aus denen zu entnehmen wäre, dass derartige Diskussionen in der SPK geführt werden.
In dem o. g. Gespräch zwischen Genossen Leuschner und Genossen Schirmer wäre auch die Frage zur Sprache gekommen, wer in der SPK für die unplanmäßige Entwicklung der letzten Zeit die Verantwortung trage. Genosse Leuschner hätte dabei den Vorwurf erhoben, dass die Chemie selbst erheblichen Anteil an dieser Entwicklung trage, da sie selbst doch sehr unreale Pläne ausgearbeitet habe. Dies sei vom Genossen Schirmer eindeutig in Abrede gestellt worden, mit Hinweis, dass die von der Chemie erarbeiteten Kennziffern vielmehr in der SPK willkürlich erhöht worden seien, ohne dass dafür die materiellen Voraussetzungen vorhanden gewesen wären. Auf die Frage des Genossen Schirmer, wer dafür die Verantwortung zu tragen hätte, wäre vom Genossen Leuschner geantwortet worden, dass er, Schirmer, sich nicht so naiv stellen solle, da er das doch wissen müsste. Auf einen Einwand von Schirmer, dass wirklich nicht zu wissen, hätte er vom Genossen Leuschner die Antwort erhalten, dass er das nicht glauben könne. Der Quelle erklärte Schirmer dann lediglich noch, mit dem Verantwortlichen könne wohl der Genosse Gregor gemeint sein, ohne aber nähere Angaben über die Herkunft dieser Ansicht zu machen.
Bezeichnend für die Haltung der leitenden Funktionäre der SPK zu diesen Fragen sind auch Äußerungen des Genossen Gregor und Ackermann7 über die Politbürositzung Anfang Juni 1961. Genosse Gregor hat dem 1. Sekretär der Kreisleitung der SPK, Genosse Sieber, in Auswertung dieser Sitzung u. a. berichtet, dass er die Äußerungen des Genossen Ulbricht, »wenn die Intrigen in der Chemie nicht aufhören, muss man sie an der Öffentlichkeit besprechen«, nicht verstanden hätte. Außerdem würden sie sich sehr viele Gedanken über folgende Äußerungen des Genossen Ulbricht machen: »Ihr sollt nicht solche Gesichter machen, ändert eure Gesichter, sonst muss man das ZK zusammenrufen.« Die Genossen Gregor und Ackermann sind dabei der Auffassung, dass die letztgenannte Äußerung auch dem Genossen Leuschner mitgegolten habe. Zu den Erscheinungen im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des Siebenjahrplanes gibt es noch weitere Hinweise über das Verhalten des Genossen Gregor. So wurde von mehreren Mitarbeitern zum Ausdruck gebracht, dass ihre Hinweise, dass im Entwurf des Siebenjahrplanes eine Reihe wichtiger ungeklärter Fragen enthalten sind nicht beachtet oder vom Genossen Gregor mit der Bemerkung abgetan wurden, dass die Parteiführung diese hohen Ziele beschlossen habe. Im Verlaufe der Planausarbeitung seien vom Genossen Gregor und anderen leitenden Funktionären auch bestimmte von der Partei gestellte Produktionsaufgaben als erreichbar dargestellt worden, obwohl keine realen Grundlagen für derartige Einschätzungen vorhanden waren. Bei den Mitarbeitern der Hauptabteilung Perspektivplanung hat besonders die Äußerung des Genossen Meiser8 Empörung hervorgerufen, »dass die Fehler im Siebenjahrplan ausschließlich Schuld der Mitarbeiter seien und sie sich eben nicht wieder irren dürften«. Von den Mitarbeitern wird dagegen bei den Diskussionen um diese Fragen auch noch mit darauf verwiesen, dass bei der Ausarbeitung des Siebenjahrplanes die SPK über keine exakt ausgearbeitete Bilanz über die Kapazität des Bauwesens, des Maschinenbaus, der möglichen Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Rohstoffbasis verfügt hätte. Zur Sicherstellung der Rohstoffbasis seien erst nach Ausarbeitung der Details des Siebenjahrplanes Verhandlungen mit der SU aufgenommen worden, die logischerweise dann auch nicht mehr zur Deckung sämtlicher Rohstoffanforderungen durch die SU führen konnten.
Hemmend auf die Fragen der Bilanzierung wirkt sich auch das gegenwärtig noch bestehende Abrechnungssystem in der Wirtschaft aus, das offensichtlich nicht mehr dem Stand der Entwicklung entspricht. Zurzeit ist eine solche Lage zu verzeichnen, dass es kein einheitliches Planabrechnungssystem mehr gibt, da die Handhabung in den einzelnen Zweigen der Volkswirtschaft verschieden erfolgt. Diese Situation führt z. B. dazu, dass in Betrieben, die mit einem hohen Rohstoffeinsatz und größeren Zulieferungen arbeiten, sämtliche Rohstoffe und Zulieferungen in die Planabrechnung eingehen und zur Ausweisung einer hohen Bruttoproduktion pro Produktionsarbeiter und einer hohen Arbeitsproduktivität führen. Außerdem würden Zulieferungen an andere Betriebe und Industriezweige dadurch zweimal in der Planabrechnung als Bruttoproduktion erscheinen und ein falsches Bild vermitteln.
Weitere Schwächen zeigen sich auch noch dahingehend, dass trotz der Forderung des 12. Plenums des ZK,9 die Planung gründlicher und wissenschaftlicher durchzuführen, viele Entscheidungen immer noch aufgrund subjektiver Auffassungen getroffen werden. Von den Mitarbeitern der SPK wird dazu der Ausdruck gebraucht: »Es wird auf Optik gemacht«. Z. B. wurde von der Genossin Wittkowski10 die für den Zeitraum von 1960 bis 1965 eingeschätzte Steigerung des Bedarfs bei Fleisch und Butter nicht akzeptiert, sondern ein annähernd gleichbleibender Bedarf geplant, mit der Begründung, »dass das besser aussieht und man damit beim ZK nicht rausfliegt«.
Schwächen in der Leitungstätigkeit der SPK zeigten sich auch bei den Wirtschaftsverhandlungen in Moskau im I. Quartal 1961. Nach übereinstimmenden Hinweisen hat in Vorbereitung dieser Verhandlungen in der Leitung der SPK keine oder nur eine ungenügende Koordinierung über die zu klärenden Fragenkomplexe stattgefunden, sodass selbst leitende Funktionäre, z. B. Genosse Markowitsch,11 völlig falsche Vorstellungen über den Inhalt und den Umfang der Verhandlungen hatten. Bei Genossen Markowitsch bestand z. B. keine Klarheit darüber, über welche Ausrüstungen in Moskau verhandelt werden sollte. In der Abteilung Werkzeugmaschinenbau musste auf Anweisung des Genossen Wunderlich12 an einem Tag in der Zeit von 13.00 bis 17.00 Uhr eine Aufstellung über den Bedarf innerhalb des Werkzeugmaschinenbaus angefertigt werden, die – obwohl sie jeglicher wissenschaftlicher Basis entbehrte – zur Grundlage der Verhandlungen genommen wurde.
Die mangelhafte Vorbereitung auf die Verhandlungen kam auch darin zum Ausdruck, dass weder die VVB, noch die wichtigsten Betriebe mit an der Ausarbeitung der technischen Unterlagen für die Abstimmung (technische Details für die benötigten Maschinen und Ausrüstungen) beteiligt wurden. Die Unterlagen waren dementsprechend unvollständig und fehlerhaft, sodass deswegen die Verhandlungen teilweise nicht zu Ende geführt werden konnten.
Außerdem entsprach die Zusammensetzung der Delegation nicht den Erfordernissen. Teilweise wurde von Personen über Fragen verhandelt, für die sie nicht zuständig waren und über die sie auch keinen Überblick hatten. Im Ergebnis dieser mangelnden Vorbereitungen war es daher bei einer Reihe von Problemen nicht möglich, der realen Lage entsprechende konkrete Beschlüsse zu fassen.
Dieses Verhalten der leitenden Funktionäre der SPK, ohne festes Ziel und ohne wissenschaftlich ausgearbeitete Unterlagen die Wirtschaftsverhandlungen in Moskau zu führen, ist offensichtlich mit auf eine nicht richtige politische Einstellung zu diesem Problem zurückzuführen. Davon zeugen auch eine Reihe Hinweise. Vom Genossen Meiser wurde den an den Verhandlungen in Moskau teilnehmenden Mitarbeitern der SPK folgende Verhandlungsdirektive gegeben: Unseren Standpunkt hart verteidigen. Wenn die Importwünsche der DDR von der SU nicht erfüllt werden, dann auf Exportschwierigkeiten hinweisen. Genosse Wenzel, Leiter der Hauptabteilung Perspektivplanung, orientierte die Mitarbeiter sinngemäß, taktisch so zu verfahren, dass die sowjetischen Genossen den Eindruck erhalten, an unseren Schwierigkeiten in der DDR selbst Schuld zu sein. Auf eine derartige Einstellung ist offensichtlich auch die Äußerung von Wenzel in der Parteileitungssitzung der Hauptabteilung Perspektivplanung zurückzuführen, dass die hohen Kredite der SU vielleicht überhaupt nicht zurückgezahlt werden, da an den Außenhandelspreisen ja doch einiges nicht in Ordnung sei. Diese Erklärung, die sinngemäß nur so zu verstehen war, dass wir von der SU übervorteilt würden, gab Wenzel auf die Frage, wie die hohen Kredite der SU von uns zurückgezahlt werden sollen.
Von verantwortlichen Mitarbeitern der SPK wurde weiter bekannt, dass die Konzeption für die Verhandlungen in Moskau nur von den Genossen Meiser und Wenzel festgelegt worden sei. Bei der Informierung des Politbüros über diese Konzeption und die notwendigen Veränderungen des Siebenjahrplanes hätten bei den Genossen Meiser und Wenzel solche Überlegungen eine Rolle gespielt, die größten Schwierigkeiten erst durch die Verhandlungen in Moskau zu beseitigen und dann erst umfassend über die Lage zu informieren, weil dann noch vorhandene Schwierigkeiten und Veränderungen des Siebenjahrplanes mit den nicht ganz geklärten Fragen bei den Verhandlungen begründet werden könnten. In diesem Zusammenhang brachte Wenzel zum Ausdruck, dass der Genosse Leuschner zwar den Auftrag gehabt hätte, das Politbüro zu informieren, dass er aber bezweifle, ob der Genosse Leuschner dazu in der Lage gewesen sei, weil er die Zusammenhänge noch nicht begriffen habe. Ähnlich hatte sich Wenzel bereits bei den Verhandlungen im Januar und Februar 1961 gegenüber mehreren Genossen ausgelassen. Diese Äußerung beinhaltete, dass der Genosse Leuschner wieder mit dem Genossen Mikojan13 »gequatscht« habe, sodass erst Genosse Meiser hätte eingreifen müssen, damit er konkret wird.
Bei der Vorbereitung des Abschlussberichtes über die Besprechungen in Moskau gaben die Genossen Meiser und Wenzel die Anweisung, die durch fehlende Importe aus der SU zu erwartenden Auswirkungen recht krass darzustellen, um zu erreichen, dass von der SU evtl. doch noch mehr geliefert wird.
Die Hinweise des Genossen Ulbricht, die Moskauer Verhandlungen vor allem unter dem Gesichtspunkt der Spezialisierung durchzuführen, wurden ungenügend berücksichtigt. Um aber trotzdem den Eindruck entstehen zu lassen, dass diese Hinweise richtig beachtet worden sind, wurde vom Genossen Meiser darauf orientiert, den Abschlussbericht über die Moskauer Verhandlungen für die Parteiführung inhaltlich so abzufassen, dass recht viel von Veränderungen, Umstellungen und Spezialisierung in unserem Produktionsprogramm die Rede ist, da er dann sicher akzeptiert wird.
Die nach den Moskauer Verhandlungen eingeleiteten Maßnahmen zur Veränderung und Präzisierung des Siebenjahrplanes haben teilweise bereits wieder dazu geführt, dass überhastet und ohne genügende wissenschaftliche Untersuchungen Festlegungen getroffen werden, die nicht den realen Bedingungen und der ökonomischen Zweckmäßigkeit entsprechen. Die Abteilung Investitionen z. B. musste in einem Zeitraum von 2½ Tagen den Investitionsplan bis 1965 um 15 Mrd. DM kürzen. Da in einem derartigen Zeitraum die Probleme nicht gründlich durchdacht und untersucht werden konnten, sind als Folge dieser Arbeitsweise eine Reihe ernster Auswirkungen in den einzelnen Volkswirtschaftszweigen aufgetreten, auf die in nachfolgenden Abschnitten dieses Berichtes teilweise eingegangen wird.
Besonders beachtenswert sind aber die Auswirkungen dieser Lage in der SPK auf die Stimmung und die unmittelbare Tätigkeit der Mitarbeiter. Es muss eingeschätzt werden, dass ein großer Teil der Mitarbeiter, der an der Veränderung und Präzisierung des Siebenjahrplanes arbeitet, diese Arbeiten durchführt, ohne sich selbst mit verantwortlich zu fühlen. Dieses Verhalten wird darauf zurückgeführt, dass die Mitarbeiter durch die häufigen Planänderungen und zum Teil widersprüchlichen Anweisungen abgestumpft sind und daher ohne Eigeninitiative arbeiten.
Bei einem Teil der Mitarbeiter breiten sich aber auch pessimistische Stimmungen aus, vor allem über die notwendigen Veränderungen des Siebenjahrplanes und über die Nichterfüllung der ökonomischen Hauptaufgabe im Jahre 1961. Dabei gibt es solche Äußerungen, dass es uns wie einem Vater ginge, der seinem Sohn klar machen müsse, dass er ihm das Versprochene nicht geben könne. Als Begründung wird angeführt, dass durch die Propaganda über den Siebenjahrplan bei vielen Teilen der Bevölkerung Bedürfnisse erzeugt worden wären, die nun nicht befriedigt werden können.
Nachfolgend wird auf einige, die einzelnen Bereiche der SPK betreffenden speziellen Probleme eingegangen:
Grundstoffindustrie
Die von der Abteilung Investitionen kurzfristig durchgeführte Reduzierung des Investitionsplanes bis 1965 beinhaltet, dass die Kohleindustrie entgegen den Planziffern des Siebenjahrplanes 300 Mio. DM Investitionen weniger erhalten soll. Bei der Überarbeitung der Bilanz für die Kohleindustrie durch die SPK wurde jedoch festgestellt, dass zusätzlich 613 Mio. DM Investitionen benötigt würden und außerdem im Siebenjahrplan eine Fehlmenge von 77 Mio. Tonnen Rohkohle vorhanden sei. Allein für die Winterversorgung 1961/62 fehlen nach der bisherigen Übersicht 1,8 Mio. Tonnen Einheitsbrennstoffe. Dies entspricht ca. 5,5 Mio. Tonnen Rohkohle.
Vom Leiter der Kohleindustrie, Genossen Sieboldt,14 wird erklärt, dass er auf die jetzt erkennbar gewordenen Schwierigkeiten »überall hingewiesen hätte« und die Lage auch den leitenden Funktionären der SPK allgemein bekannt gewesen wäre.
Genosse Leuschner äußerte jedoch auf der Leitungssitzung der SPK dazu, dass ihm diese Situation in der Kohleindustrie nicht bekannt gewesen sei. Bei einer derartig ernsten Lage hätte er nicht nach Moskau fahren brauchen; denn es sei selbstverständlich, dass die Ziele in der Kohleindustrie gehalten werden müssten, weil es sonst für die anderen Wirtschaftszweige katastrophale Auswirkungen gebe. Die von der Kohleindustrie gestellten Forderungen würden das Chemieprogramm und die ökonomischen Ziele in der Landwirtschaft hinfällig machen.
Auch vom Genossen Meiser wird dazu die Ansicht vertreten, dass der Genosse Siebold die Leitung der SPK nicht auf diese Situation hingewiesen hat, sondern im Gegenteil eine unter Leitung von Prof. Bilkenroth15 erarbeitete Einschätzung vorlegte, in der die Produktionsziffern mit dem tatsächlichen Bedarf übereinstimmen.
Nach unseren Feststellungen ist die Leitung der SPK tatsächlich nicht rechtzeitig und umfassend von der bedrohlichen Lage in der Kohleindustrie informiert worden, obwohl sich diese Entwicklung schon seit längerer Zeit abzeichnete.
Andererseits gibt es aber auch dafür Informationen, dass der Genosse Meiser trotz entsprechender Hinweise die Lage in den Industriezweigen Kohle und auch Energie nicht richtig einschätzte und darstellte. Auf eine Verbesserung der Situation in der Kohleindustrie hinzielende Forderungen wurden vom Genossen Meiser wiederholt abgelehnt, mit der Begründung, sie sei unreal dargestellt worden. Ein im Auftrage des MfS erarbeitetes Gutachten, in dem die ungenügenden Kohleerkundungen aufgezeigt und die Klassifizierungen der Vorräte richtiggestellt wurden, wurde vom Genossen Meiser und den verantwortlichen Funktionären der Kohleindustrie nach unseren Einschätzungen ebenfalls nicht beachtet. Dieses Gutachten wurde mit Anlauf des Siebenjahrplans erarbeitet und übergeben und hätte demnach noch entsprechende Berücksichtigung finden können.
Ergänzend muss noch darauf hingewiesen werden, dass der Genosse Siebold als Leiter der Kohleindustrie nach unseren Feststellungen und auch nach Ansicht von Mitarbeitern der SPK keinen genauen Überblick über die Lage in diesem Industriezweig hat. Er versteht es nur ungenügend, das Kollektiv der Abteilung zur Mitarbeit heranzuziehen und zweckmäßig einzusetzen. Für seinen Arbeitsstil ist bezeichnend, dass er eine Ministerratssitzung über die Probleme der Kohleindustrie als niveaulos bezeichnete und sie in seinem Arbeitsbereich nicht auswertete. Den Hauptdirektoren der VVB wurde vom Genossen Siebold der Plan »Neue Technik«16 ohne jedwede Erläuterung und Orientierung übergeben. Die ungenügende Erfüllung dieser Pläne dürfte zu einem gewissen Teil mit auf diese Arbeitsweise zurückzuführen sein.
Zum Energieprogramm vertrat Genosse Meiser die Auffassung, dass die Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes 1961 in Höhe von 800 MW-Leistung garantiert sei, obwohl zu diesem Zeitpunkt in Wirklichkeit erst 300 MW-Leistung gesichert waren. Erst auf Drängen der Genossen Gregor und Selbmann hat er sich dazu bereit erklärt, die notwendigen Maßnahmen zur Sicherung von 800 MW einzuleiten.
Zu den Ursachen für die jetzt aufgetretenen Disproportionen in den Industriezweigen Kohle und auch Energie gegenüber den Zielen des Siebenjahrplanes ist noch die Auffassung von den Mitarbeitern dieser Bereiche der SPK zu erwähnen, dass das Kohle- und Energieprogramm aus dem Jahre 1957 von der Leitung der SPK faktisch gestrichen wurde, was mit zur Nichterfüllung der im Ministerratsbeschluss festgelegten Maßnahmen führte.
Eine weitere Ursache besteht nach Meinung des Genossen Wenzel, Leiter der Hauptabteilung Perspektivplanung, darin, dass vonseiten des ZK der SED ein bestimmter Druck zur Aufstellung dieser hohen Planziele vorhanden gewesen sei. Zu der bereits erwähnten Tatsache, dass die Ausarbeitung des Siebenjahrplanes auf Schätzungen und nicht auf geologischen Erkundungen der Kohlevorkommen beruhte, hüllen sich die verantwortlichen Funktionäre in Schweigen.
Auf Weisung des Genossen Leuschner arbeitet gegenwärtig eine Expertengruppe unter Leitung von Prof. Bilkenroth an der Überprüfung der ökonomischen Zielstellung der Kohleindustrie. Entsprechend der Aufgabenstellung sollen dabei die Möglichkeiten zur zweckmäßigsten Anwendung der Investitionen überprüft werden, um die Kohleproduktion zu erhöhen und die Fehlmengen zu reduzieren. Ungeachtet der möglichen Ergebnisse dieser Expertengruppe muss aber darauf verwiesen werden, dass trotzdem noch eine Reihe ungeklärter Probleme bestehen bleibt, z. B. die Auslastung der Großgeräte wegen Fehlen von Arbeitskräften (allein im Braunkohlenwerk »Einheit« in Bitterfeld fehlen zur vollen Auslastung der vorhandenen Förder- und Abraumkapazitäten 500 Arbeitskräfte), die Terminverschiebungen in der Bereitstellung der Großgeräte (durch Terminverschiebungen im Großgeräteprogramm fallen 1962 ca. 1,2 Mio. Tonnen Rohbraunkohle aus), die Sicherung der Kleinmechanisierung durch den Maschinenbau und das gesamte Transportproblem in der Braunkohleindustrie.
Zu der Lage im Berg- und Hüttenwesen wird von den auf diesem Sektor tätigen Mitarbeitern erklärt, dass der Genosse Ulbricht nicht richtig über die metallurgische Rohstofflage informiert sein könne, da er sonst auf dem 12. Plenum des ZK der SED nicht die Chemie, sondern die Metallurgie in den Vordergrund gestellt hätte. Diese Äußerungen stehen im Zusammenhang mit Auffassungen dieser Kreise, dass die Parteiführung und auch der Genosse Leuschner vor der Beratung und Beschlussfassung wichtiger Maßnahmen nicht immer richtig durch leitende Funktionäre der SPK informiert werden.
Die Verteilung der Investitionsmittel im Siebenjahrplan sei nicht entsprechend den vorhandenen Möglichkeiten zur Erzielung höchster ökonomischer Ergebnisse erfolgt. Demnach hätten z. B. die Investitionen für den Aufbau der Nickelhütte St. Egidien und der Bleierzgruben Freiberg, die bei hohen Produktionskosten nur eine geringe Ausbeute sichern würden, zugunsten der Kaliindustrie verwendet werden sollen, die zu wenig Investitionen erhalten hat. Als Begründung wird angeführt, dass durch den erhöhten Export von Kali unsere Devisenlage wesentlich verbessert werden könnte.
Kennzeichnend für die Lage im Sektor Berg- und Hüttenwesen ist auch, dass gegenwärtig keine Klarheit über die Leitung besteht. Der Genosse Markowitsch, der bisher als Leiter des Berg- und Hüttenwesens tätig war, wurde als Stellvertreter des Genossen Leuschner für Fragen der Unabhängigmachung eingesetzt. Kommissarischer Leiter ist der Genosse Müller, Wolfgang. Als Leiter vorgesehen und teilweise ebenfalls schon tätig ist Genosse Buchholz.17 Genosse Buchholz ist in letzter Zeit häufig mit Diskussionen über die schlechte Versorgungslage der Bevölkerung aufgetreten, anstatt seine Kraft auf die Lösung seiner Aufgaben zu konzentrieren.
In der zum Bereich der Grundstoffindustrie gehörenden Abteilung Bauwesen wird die fachliche und politische Arbeit ebenfalls als unzureichend eingeschätzt. Der Leiter der Abteilung Bauwesen, Genosse Wolf, verfügt über ungenügende politische und fachliche Voraussetzungen für die Leitung eines solchen Arbeitsbereiches. Auf derartige Schwächen wurde vom MfS bereits vor dem Einsatz des Genossen Wolf in dieser Funktion aufmerksam gemacht. In seiner Tätigkeit stützt sich der Genosse Wolf sehr wenig auf das Kollektiv der Abteilung, leitet seine Mitarbeiter ungenügend an und zeigt auch wenig Entscheidungsfreudigkeit, besonders in der Durchsetzung von Maßnahmen gegenüber dem Ministerium für Bauwesen. Nachteilig für die Arbeit auf dem Gebiet des Bauwesens wirkt sich auch aus, dass zwischen dem Genossen Wolf und dem Minister für Bauwesen, Genossen Scholz, Kompetenzstreitigkeiten und persönliche Differenzen vorhanden sind.
Als ein Beispiel von vielen für die mangelnde Koordinierung der Abteilung Bauwesen der SPK mit dem Ministerium für Bauwesen wird die Planung des Projektes »Aufbau des Stadtzentrums von Groß-Berlin« bezeichnet. Die Problematik dieses Projektes ist der Abteilung Bauwesen der SPK kaum bekannt. Genosse Wolf selbst behauptet, er hätte den Entwurf, so wie er in der Presse veröffentlicht wurde, nicht gekannt. Daraus resultierend wurden Ansichten aus der Abteilung Bauwesen bekannt, dass die Realisierung des veröffentlichten Entwurfs auf große Schwierigkeiten stoßen werde, weil die Baustoff- und Baumaschinenindustrie für diese Aufgaben noch nicht vorbereitet und genügend entwickelt sei.
Chemische Industrie
In der Abteilung Chemie der SPK ist die Meinung verbreitet, dass die Ausarbeitung des Chemieprogramms18 ohne wissenschaftliche Unterlagen erfolgt sei. In Vorbereitung des Siebenjahrplanes sei für die Chemische Industrie zunächst ein Plan mit normaler Wachstumsrate und unter Beachtung aller Faktoren erarbeitet worden. Vom Genossen Gregor sei aber dann die Anweisung gegeben worden, eine Maximalvariante für die Entwicklung der chemischen Industrie zu erarbeiten. Dabei sei vom Genossen Gregor wörtlich erklärt worden: »Um die notwendigen Voraussetzungen braucht man sich dabei in der Chemie nicht zu kümmern.« Die nach dieser Orientierung entstandene Variante sei dann als Plan bestätigt worden.
Dies hätte auch zu den Festlegungen im Chemieprogramm geführt, dass 70 % der Investitionen in die Grundstoffchemie und einige andere Staatsplanpositionen eingehen sollen, während dagegen solche wichtigen Zweige, wie die Pharmazie, Lacke und Farben und die Gummiindustrie nach Meinung einiger Experten vernachlässigt worden seien. Die mangelnde Entwicklung dieser Zweige zeige sich besonders jetzt bei der Lösung der Aufgaben zur Unabhängigmachung von Westdeutschland.
Diese Unklarheiten über Grundsatzfragen der Entwicklung der Chemischen Industrie werden in den Diskussionen mit der Tätigkeit des Büros für technisch-ökonomische Grundsatzfragen der Chemischen Industrie in Verbindung gebracht. Von Mitarbeitern der Abteilung Chemie wird die Auffassung vertreten, dass bei der Leitung der Chemischen Industrie und bei den zuständigen Mitarbeitern des Apparats des ZK keine Klarheit über die Aufgaben dieses Büros bestehe. Das Büro würde daher nicht zur Lösung der Grundsatzaufgaben eingesetzt werden, sondern zur Erledigung von sogenannten Feuerwehraufgaben.
Bei Bekanntwerden der nach den Moskauer Verhandlungen erarbeiteten neuen Kontrollziffern und der damit im Zusammenhang stehenden Absetzung bzw. Verzögerung der Vorhaben Guben, Leuna-Werk II und Erdölverarbeitungswerk Schwedt hat sich die Stimmung unter den Mitarbeitern der Abteilung Chemie weiter verschlechtert. Unter einem großen Teil der Mitarbeiter ist eine solche Auffassung festzustellen, dass sie aus dem großen Durcheinander keinen Ausweg mehr sehen. Sie wären bereit, Tag und Nacht zu arbeiten, wenn sie wüssten, dass die heutigen Kennziffern morgen noch Gültigkeit hätten. Diese Lage hat auch zu Unzufriedenheit bei den Wissenschaftlern der Chemischen Industrie geführt, die an der Entwicklung der jeweiligen Objekte, besonders hinsichtlich der Anwendung ihrer Forschungsergebnisse, mitgearbeitet haben. Von diesen Kreisen wird durch Vergleichsrechnungen zu beweisen versucht, dass die Investitionen bei den genannten Vorhaben ökonomisch zweckmäßiger angelegt werden könnten als bei Neuaufschlüssen von Tagebauen in der Braunkohle.
Als Auswirkung dieser vielfältigen Stimmungen sind offensichtlich auch die Erklärungen des Genossen Hundisch, Leiter des Sektors Ingenieurtechnik und Rekonstruktion in der Abteilung Chemie der SPK, zu werten, die er am 1.6.1961 gegenüber dem Parteisekretär des KIB Chemie Leipzig, Genossen Paschke, machte. Nach Hinweisen des Genossen Paschke soll Hundisch dabei u. a. erklärt haben, dass er nicht mit der in der SPK für das Politbüro erarbeiteten Vorlage über die weitere Entwicklung der chemischen Industrie einverstanden sei, weil sie nicht von den realen Tatsachen ausgehe und deshalb zur Irreführung der Parteiführung dienen oder führen könne. Die in der Vorlage enthaltene These, dass die jetzige Perspektive auf der Grundlage des Chemieprogramms erarbeitet worden sei, wäre eine Verniedlichung und entspreche nicht den Tatsachen, da grundsätzliche Einschnitte in das Chemieprogramm vorgenommen worden seien. Weiter soll Hundisch erklärt haben, dass man seiner Ansicht nach nicht real an die weiteren Fragen der Entwicklung herangehe, sondern sich wieder von bestimmten Wünschen leiten lasse, bzw. den Forderungen der Parteiführung zu entsprechen versuche, dabei aber wieder einige Probleme umgehe.
Der Genosse Schmieter, Mitarbeiter des Sektors Ingenieurtechnik und Rekonstruktion der Abteilung Chemie, soll gegenüber dem Genossen Paschke erklärt haben, dass sich in der SPK niemand mehr getraue etwas zu sagen.
In dieser Richtung liegen auch Äußerungen des Werkdirektors vom KIB Chemie Leipzig, Dr. Bayerl, der u. a. erklärte, dass es doch keinen Zweck habe, irgendetwas zu sagen, weil es nicht ernst genommen wird. Als Beispiel führte er an, dass schon 1959 die Fachexperten darauf hingewiesen hätten, dass für das CFK Guben nur 1 300 t Rohstoff (Caprolaktam) zur Verfügung stehen werden. Diese Hinweise seien aber nicht beachtet worden, sondern es wäre zur Festlegung von utopischen Produktionszahlen für Guben gekommen, die jetzt revidiert werden müssten.
Nach Auffassung verantwortlicher Mitarbeiter der Abteilung Chemie wird diese Situation begünstigt und teilweise hervorgerufen durch die Tätigkeit des Leiters der Abteilung Chemie, Prof. Dr. Winkler,19 die der Aufgabenstellung der SPK direkt widerspreche. So würden von Prof. Winkler in Gesprächen mit VVB-Direktoren und Werkleitern Maßnahmen festgelegt oder Entscheidungen getroffen, die im Widerspruch zu den Aufgaben stünden oder nicht allein von der Abteilung Chemie entschieden werden könnten. Häufig handelt es sich dabei um Zugeständnisse oder Versprechungen, die nicht zu vertreten sind. Dieser falsche Arbeitsstil führe dazu, dass die verantwortlichen Mitarbeiter stark mit der Korrektur oder Überwindung derartiger Maßnahmen und Entscheidungen belastet würden und sich kaum mit den Grundsatzproblemen und Schwerpunktfragen beschäftigen könnten. Wird von verantwortlichen Mitarbeitern versucht, mit Prof. Winkler über wichtige Probleme zu sprechen, die nicht mit seiner persönlichen Ansicht übereinstimmen, versteckt er sich hinter seinem angegriffenen Gesundheitszustand oder wird den Mitarbeitern gegenüber unsachlich und beleidigend. Daraus resultierend wird von einem großen Teil der Mitarbeiter der Abteilung Chemie die Ansicht vertreten, dass Prof. Winkler seine Krankheit in den Vordergrund stellt, um schwierigen Problemen und unangenehmen Dingen aus dem Wege zu gehen.
Den Hinweisen, dass Prof. Winkler zur Perspektivplankommission versetzt werden soll, stimmen die Mitarbeiter zu. Sie führen dabei an, dass Prof. Winkler wohl ein guter Chemiker sein könnte, aber nicht einen so komplizierten Industriezweig von der organisatorischen Seite her leiten könne.
Dieses Verhalten Prof. Winklers hat mit dazu geführt, dass die leitenden und mittleren Kader der Abteilung Chemie nicht den Mut dazu aufbringen, ihm gegenüber offen aufzutreten und eine reale Einschätzung der Lage zu verteidigen. Es herrscht die Meinung vor, Prof. Winkler nicht zu belästigen, ihm nicht die Wahrheit, besonders über seinen als untragbar anzusehenden Arbeitsstil, zu sagen, damit er nicht wütend wird und dabei evtl. einen Herzschlag erleidet. Auch bei Aufträgen Prof. Winklers an Mitarbeiter sagen sie ihm keineswegs offen ihre Meinung, obwohl sie die Unrealität vieler Aufträge erkennen.
Auf diesen Zustand ist gleichfalls zurückzuführen, dass das Vertrauen der Mitarbeiter zum Parteisekretär und zur Parteileitung der Abteilung Chemie erhebliche Einbuße erlitten hat. Dies wird damit begründet, dass es der Parteisekretär und auch die Parteileitung nicht verstanden hätten, bei den wesentlichsten Problemen, die sich hemmend auf die Erfüllung der Aufgaben auswirken, eine Veränderung herbeizuführen. Als solche Probleme, die der Parteileitung bekannt wären, werden u. a. die Leitungstätigkeit von Prof. Winkler, das Nichtbestehen eines Geschäftsverteilungsplanes, die »Dreigleisigkeit« bei der Bearbeitung des Investitionsgeschehens (die Planung der Investitionen durch das Fachgebiet Koordinierung, die Vorplanung, Projektierung und Realisierung im Sektor Ingenieurtechnik und Rekonstruktion, die Ausrüstung im Fachgebiet Materialplanung) genannt. Von einem großen Teil der Genossen und Mitarbeiter wird eingeschätzt, dass sich der Parteisekretär, Genosse Linke, nicht durchzusetzen vermag und selbst kein Interesse zeigt, bestimmte komplizierte Probleme aufzugreifen und einer Veränderung zuzuführen. Versuche des Parteisekretärs, mit Prof. Winkler über wichtige Probleme zu sprechen, endeten häufig damit, dass Prof. Winkler wütend wurde und die Aussprache darüber mit dem Hinweis beendete, dass der Mitarbeiter, der der Partei bestimmte Hinweise gegeben habe, »die Schnauze halten solle, und im Übrigen soll man ihm nicht mit solchem Kleinkram belästigen«.
Auf Unverständnis stößt bei den Mitarbeitern, die für die baumäßige Sicherung der Investvorhaben der Chemie verantwortlich sind, auch die Arbeitsweise des Ministeriums für Bauwesen. In Diskussionen dieser Mitarbeiter kommt zum Ausdruck, dass sie es nicht verstehen, warum sich die Leitung der SPK gegenüber dem Bauwesen nicht durchsetzen könne. So werden vom Bauwesen laufend Planänderungen durchgeführt, die erhebliche schädliche Auswirkungen auf die gesamte Investitionstätigkeit in der Chemischen Industrie hätten. Da durch das Bauwesen keine reale Bilanz gegeben werde, basiere auch die Investarbeit in der chemischen Industrie teilweise auf unrealer Grundlage.
Die bei einzelnen Mitarbeitern der Perspektivplanung vorhandene Vorstellung, aufgrund der Kürzung der Investitionen die fertig werdende Halle des Chemiefaserkombinats Guben anderen Industriezweigen zur Verfügung zu stellen, wird von den Mitarbeitern der Abteilung Chemie mit Hinweis auf den ökonomischen Nutzen, selbst bei der Herstellung geringerer Mengen von Dederonseide, abgelehnt. Aus den verschiedenartigsten Diskussionen um dieses Problem ist jedoch ersichtlich, dass in der SPK insgesamt und besonders in der Abteilung Chemie noch keine Klarheit darüber besteht, wie die in der Chemie notwendigen Veränderungen mit den Forderungen des Maschinenbaus nach Erhöhung der Plasteproduktion, der Landwirtschaft nach Erhöhung der Düngemittel- und Schädlingsbekämpfungsmittel-Produktion und mit den Forderungen anderer Gebiete in Übereinstimmung gebracht werden sollen.
Maschinenbau
Im Bereich Maschinenbau bestehen nach uns vorliegenden Hinweisen ebenfalls größere Disproportionen im Verhältnis zu den Planaufgaben und auch erhebliche Mängel in der Leitungstätigkeit.
Die in der Industrie vorhandenen und bestätigten Programme über die Bereitstellung von Maschinen und Ausrüstungen durch den Maschinenbau der DDR stimmen mit den Maschinenbaukapazitäten nicht überein. Bei den leitenden Funktionären ist aber eine Tendenz vorhanden, die reale Lage hinsichtlich der Kapazität, Materialversorgung und Zulieferung nicht genügend zu beachten bzw. völlig zu ignorieren. Daraus ergibt sich, dass damit zusammenhängende Probleme täglich »operativ« geklärt werden müssen und die Mitarbeiter des Bereichs Maschinenbau nicht nach konkreten Funktionsplänen arbeiten können, sondern ständig sog. Sonderaufgaben durchführen müssen.
Von einzelnen Mitarbeitern vorgebrachte begründete Einwände, dass die Produktion bestimmter Maschinen und Ausrüstungen nicht gebracht werden kann, werden vom Genossen Wunderlich und teilweise auch von anderen Funktionären, wie vom Genossen Gregor und vom Genossen Meiser – Stellvertreter des Vorsitzenden der SPK –, nicht beachtet. Pläne, in denen von der realen Lage ausgehend auf derartige Erscheinungen hingewiesen wird, werden vom Genossen Wunderlich nicht abgenommen, mit der Begründung, »dass die Produktion entsprechend den Eckzahlen gebracht werden müsse«. Berechtigten und realen Einschätzungen wird versucht mit Diskussionen über »zu weiche Pläne« entgegenzutreten. (Ein konkretes Beispiel hierfür ist die Aufstellung des Planes für den Industriezweig Werkzeugmaschinen.) Dieser Arbeitsstil, der die Aufstellung unrealer Pläne direkt begünstigt, hat zu einer großen Unzufriedenheit unter den Mitarbeitern dieses Bereichs geführt.
Die in diesem Bereich vorhandenen Disproportionen zeigen sich weiterhin auf dem Gebiet der Kooperation zwischen Zulieferbetrieben und den Betrieben, die die Endproduktion herstellen. Über diese Fragen der Kooperation besteht im Bereich Maschinenbau der SPK und auch in den VVB keine Übersicht, was mit dazu führt, dass die Kooperation zwischen den Zuliefer- und Endfertigungsbetrieben völlig ungenügend organisiert ist. Ein in Auswertung des 9. Plenums20 erarbeitetes »Kooperationsdokument« zur Lösung dieses Problems, ist trotz mehrmaliger Überarbeitung bis heute noch nicht beschlossen worden.
Die Ursache für diese Situation besteht darin, dass die auf den einzelnen Fachgebieten vorhandenen Bilanzierungsgruppen 1958 aufgelöst wurden. Auch hier ist seit dem 9. Plenum die Bildung einer Zentralen Bilanzierung vorgesehen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt bestehen aber lediglich bestimmte Vorstellungen über den Aufbau dieser zentralen Bilanzierung, über die aber noch keine Einigung mit Genossen Selbmann erzielt werden konnte.
Von verantwortlichen Funktionären des Bereichs Maschinenbau der SPK wird zu den Ursachen für diese Situation mit darauf verwiesen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Industrieabteilungen und den Koordinierungsabteilungen der SPK ungenügend sei. So wäre eine solche Lage zu verzeichnen, dass sich die Koordinierungsabteilungen über die Industrieabteilungen stellen, was sich auch mit darin zeigen würde, »dass Vorlagen der Industrieabteilungen von der Leitung der SPK zerredet würden, während die Vorlagen der Koordinierungsabteilungen ohne große Diskussion angenommen würden«.
Diese ungenügende Zusammenarbeit setzt sich nach vorliegenden Informationen im Bereich Maschinenbau fort. Während der Leiter des Maschinenbaus, Genosse Wunderlich, für die Perspektivplanung und Fragen der Unabhängigkeit verantwortlich ist, wurde für die Produktionserfüllung 1961 sein Stellvertreter, Genosse Schomburg, verantwortlich gemacht. Andere Grundsatzfragen werden dadurch nur ungenügend geklärt. Außerdem ist zwischen Genossen Wunderlich und Genossen Schomburg nach Einschätzung verantwortlicher Mitarbeiter die Koordinierung der Aufgaben mangelhaft.
Eine Folge davon ist, dass die Perspektivarbeit nicht den Anforderungen entspricht, viel doppelgleisige Arbeit erfolgt, dabei die Übersicht verloren geht und die persönliche Verantwortung für die Durchführung der Aufgaben verwischt wird. Notwendige Entscheidungen werden nicht oder nur schleppend getroffen, obwohl nach Auffassung vieler Mitarbeiter die Lösung der Probleme mit entsprechenden Vorlagen möglich sei.
Dieses Verhalten widerspiegelt sich auch in der Arbeitsweise einer Reihe leitender Funktionäre des Maschinenbaus, die sich bei komplizierten Fragen vor Entscheidungen drücken und deshalb vereinzelt als »Abwehrpolitiker« bezeichnet werden.
Es handelt sich dabei um Genossen, die nach vorliegenden Einschätzungen über geringe Fachkenntnisse verfügen, z. B. die Abteilungsleiter Schulz, allgemeiner Maschinenbau, Zeidel, Werkzeugmaschinenbau.
Leicht- und Lebensmittelindustrie
Im Bereich der Leicht- und Lebensmittelindustrie der SPK ist festzustellen, dass gegenwärtig Unklarheiten darüber bestehen, wie die Differenzen zwischen den jetzigen Eckzahlen und den Erhebungen der Abteilungen dieses Bereichs überwunden werden sollen. Z. B. existiert in der Abteilung Lebensmittelindustrie eine erhebliche Differenz zwischen den jetzt gegebenen Eckzahlen und den Erhebungen der Abteilung Lebensmittelindustrie über die realen Produktionsmöglichkeiten auf diesem Gebiet. Bisher besteht noch keine Übersicht, wie diese Lücken geschlossen werden sollen. Die Ursache für diesen Zustand wird darin gesehen, dass sich der Genosse Meiser vor den Moskauer Verhandlungen nicht beim Ministerium für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft und bei der Abteilung Lebensmittelindustrie informiert hat.
In der Abteilung Textil, Bekleidung und Leder ist eine ähnliche Situation zu verzeichnen. Die gegenwärtigen Eckzahlen weisen gegenüber der Perspektivplanung in einigen bedeutenden Positionen eine sinkende Tendenz auf, während in anderen wichtigen Positionen die Zahlen zu einer Stagnation in der Versorgung der Bevölkerung führen. Obwohl Genosse Meiser erklärt haben soll, dass keine Verschlechterung in der Versorgungslage eintreten dürfe, sind bisher keine Maßnahmen gegen die sinkende Tendenz in der Bereitstellung wichtiger Positionen eingeleitet worden. Von den Mitarbeitern des Bereichs wird dazu die Auffassung vertreten, dass der Bereichsleiter, Minister Feldmann,21 diese Problematik gegenüber der Leitung der SPK nicht genügend vertritt.
Einzelne Hinweise lassen aber auch die Schlussfolgerung zu, dass auf Anregung leitender Funktionäre der SPK bestimmte, für das ZK der SED bestimmte Dokumente über die Versorgung der Bevölkerung so erarbeitet und redigiert werden, dass sie nicht mehr die reale Lage widerspiegeln, sondern Disproportionen, objektive und subjektive Mängel verschleiern.