Abwerbung zweier Eishockeyspieler des SC Dynamo Berlin
14. März 1963
Einzelinformation Nr. 181/63 über die Abwerbung der Eishockeyspieler des SC Dynamo Berlin Maus und Mauer während der Winterfestspiele der Finnischen Arbeitersportorganisation TUL in Kajaani/Nordfinnland
Auf Einladung der finnischen Arbeitersportorganisation TUL nahmen Wintersportler der DDR vom 6. bis 13.3.1963 an den Winterfestspielen in Kajaani/Nordfinnland teil. Neben Eisschnellläufern und Skispringern weilte eine Eishockeyvertretung des SC Dynamo Berlin – verstärkt durch einige Spieler des SC Weißwasser – in Finnland und absolvierte im Rahmen der Winterfestspiele von TUL drei Freundschaftsspiele.
Nach Abwerbung durch westdeutsche Bürger, die sich zur gleichen Zeit in Kajaani aufhielten, haben am 10.3.1963 die Spieler Peter Maus, geb. [Tag, Monat] 1940 Berlin, VP-Hauptwachtmeister beim PdVP, Abt. VK-Mitte, wohnhaft Berlin-Mahlsdorf, [Straße, Nr.] (bei Eltern), seit 1956 Mitglied der Sektion Eishockey des SC Dynamo, Mitglied der Nationalmannschaft B, und Michael Mauer, geb. [Tag, Monat] 1942 in Berlin, VP-Oberwachtmeister der Bereitschaftspolizei, Kommando Berlin-Karlshorst, wohnhaft Berlin Kaulsdorf, [Straße, Nr.] (bei Eltern), seit 1958 Mitglied der Sektion Eishockey beim SC Dynamo Berlin, die Sportdelegation illegal verlassen und wurden republikflüchtig. (Wie durch die Westpresse1 am 13.3.1963 inzwischen bestätigt wurde, haben beide Sportler nach dem Überschreiten der finnisch-schwedischen Grenze in Schweden um politisches Asyl gebeten.)
Die Auswahl der Delegationsteilnehmer erfolgte nach dem Gesichtspunkt der politisch-moralischen Festigkeit der Spieler. Vom Standpunkt der politischen Zuverlässigkeit lagen bei keinem der teilnehmenden Sportler Anhaltspunkte vor, die eine Delegierung verhindert hätten. Auch bei den Sportlern Maus und Mauer lagen weder politische noch persönliche Gründe vor, die einen Ausschluss von dieser Reise gerechtfertigt hätten. Mauer war aufgrund seiner guten gesellschaftlichen Mitarbeit vom gesamten Eishockeykollektiv des SC Dynamo zum FDJ-Sekretär gewählt worden, auch Maus war FDJ-Leitungsmitglied (Kassierer). Das gesamte äußere Auftreten der beiden war nach Meinung der Trainer und Funktionäre bisher korrekt und ordentlich; es lagen keinerlei Anzeichen moralischer Schwächen vor.
Unabhängig von der politisch-moralischen Vorbereitung der Sportler auf die Reise wurden gleich nach der Ankunft in Kajaani von der Delegationsleitung gemeinsam mit der Parteigruppe nochmals Vorkehrungen getroffen und Aufträge an einzelne Genossen vergeben, auf bestimmte Sportler besonderes Augenmerk zu legen. Zunächst wurden auch keine Festlegungen auf eine eventuelle Kontaktaufnahme mit delegationsfremden Personen getroffen. Beim ersten Spiel der Mannschaft am 8.3.1963 tauchten dann aber unmittelbar im Stadion mehrere deutschsprechende Personen auf, die sich als Monteure der Firma Mannesmann, Düsseldorf, ausgaben und erklärten, in Kajaani beruflich tätig zu sein. Während des gesamten Spieles versuchten diese, mit den Sportlern ins Gespräch zu kommen. Infolge ihres aufdringlichen Benehmens – sie waren sogar bestrebt, auf der Spielerbank mit Platz zu nehmen – wurden sie von der Delegationsleitung jedoch strikt abgewiesen.
Als die Mannschaft des SC Dynamo am 8.3.1963 nach dem Spiel der Einladung der TUL zur Teilnahme an einer Veranstaltung in der »Stadthalle« von Kajaani geschlossen Folge leistete, traf sie dort wieder mit diesen westdeutschen Personen zusammen. Außer eines kurzen, inhaltlich harmlosen Wortwechsels eines Spielers (Pokorski) hatte an diesem Abend kein Delegationsmitglied unmittelbaren Kontakt zu Westdeutschen. Aufgrund dieser Vorkommnisse hat die Delegationsleitung am 9.3.1963 der gesamten Mannschaft nochmals eindringlich eine Verbindungsaufnahme mit den Westdeutschen untersagt.
Am 10.3.1963 war die Delegationsleitung vom Sekretär für Eishockey und vom Hauptsekretär von TUL offiziell zum Abschiedsessen eingeladen. Die gesamte Leitung begab sich abends dorthin, während bei den Spielern der Mannschaftskapitän Genosse Frenzel2 blieb. Nachdem die Spieler in der Speisegaststätte gegessen hatten, begab sich ungefähr die Hälfte der Mannschaft ins Bett, während die anderen – darunter auch Maus und Mauer – mit Frenzel im Hotelraum Platz nahmen, wo öffentlicher Tanzbetrieb war.
Im gleichen Raum hielten sich wiederum zwei bis drei der bereits genannten Westdeutschen auf, saßen jedoch an einem gesonderten Tisch. Eine dieser Personen hatte im Verlaufe des Abends dem Genossen Nickel3 (Trainer) einen verschlossenen Briefumschlag übergeben, mit der Bitte, ihm eine Anstellung in Schwedt/Oder zu vermitteln. (Die darin befindlichen Unterlagen wurden sofort dem Vizekonsul Ranft4 von unserer finnischen Handelsvertretung übergeben.)
Nach Aussagen des Genossen Frenzel, der mit Maus und Mauer zusammensaß, führte Maus – trotz vorangegangenen Verbots – mit den Westdeutschen an deren Tisch eine kurze Unterhaltung. (Über deren Inhalt gibt es keine Angaben.) Genosse Frenzel hat auf dieses Vorkommnis nicht reagiert. Mauer unterhielt sich im Laufe des Abends auch verschiedentlich mit dem Eisschnellläufer Schüler5 vom TSC Berlin. (Sch., der sich ebenfalls unerlaubt von der Delegation entfernt hatte, ist inzwischen wieder in die DDR zurückgekehrt. Nach Eingang der Untersuchungsergebnisse wird nachberichtet.)6
Mauer tanzte im Verlauf des Abends zweimal, führte aber keinerlei Gespräche mit den Westdeutschen. Dagegen verließ Maus einmal für zehn Minuten den Raum, anschließend begab sich Mauer nach draußen. Auf Befragen Frenzels gab er an, bei einem Mädchen gewesen zu sein, das er in der »Stadthalle« kennengelernt hätte. Er äußerte in diesem Zusammenhang auch die Absicht, dieses Mädchen nach Hause zu bringen.
Bis gegen 1.00 Uhr saßen Maus und Mauer noch zusammen am Tisch. Frenzel verlor beide jedoch nach dem Bezahlen der Zeche aus den Augen, da er sich mit anderen Sportlern unterhielt. Während dieser Gespräche sollen Maus und Mauer noch anwesend gewesen sein.
Da diese Vorgänge äußerlich einen vollkommen harmlosen Eindruck machten, wurden sie von den anderen Sportlern nicht sonderlich beachtet.
Genosse Frenzel begab sich nach dem Gespräch mit anderen Sportlern auf sein Zimmer, traf dort Maus aber noch nicht an. Nach einer Weile kontrollierte er, ob M. seine Sachen schon eingepackt hätte, da er einen persönlichen Gegenstand vermisste. Da sowohl die Tasche von Maus als auch alle anderen persönlichen Sachen fehlten, begab sich F. zu Mauer ins Nachbarzimmer, um sich nach dem Verbleib des Maus zu erkundigen, traf diesen jedoch ebenfalls nicht an. Auch dessen Sachen fehlten.
Die Delegationsleitung beriet hierauf sofort über das Vorkommnis und verständigte auch die Genossen der DDR-Handelsvertretung.7 Auch die Parteigruppe wurde informiert.
Die Genossen der Handelsvertretung (Vizekonsul Ranft) empfahlen der Delegationsleitung, eigene Schritte zu unterlassen, da sie selbst alles Erforderliche in die Wege leiten würden.
Am 11.3.1963 begaben sich die Genossen Nickel und Frenzel mit dem Dolmetscher in die Stadt, um eventuell nähere Anhaltspunkte zu bekommen. Ihre Ermittlungen verliefen jedoch ergebnislos. Die Mannschaft trug am 12.3.1963 noch ein Spiel in Mänttä aus und trat am 13.3.1963 die Rückreise nach der DDR an.
Am 11.3.1963, gegen 22.00 Uhr, erschien erstmals eine Information des finnischen Nachrichtendienstes über die Flucht der Spieler. Seitens der finnischen bürgerlichen Presse – besonders der bürgerlichen Zeitung in Tampere – wandte man sich sehr häufig an die Delegationsleitung, um nähere Einzelheiten über den Republikverrat der Sportler zu erfahren. Die Delegationsleitung ließ sich auf diese Gespräche aber nicht ein.
Bezug nehmend auf finnische Pressemitteilungen wurde der ADN-Korrespondent in Stockholm durch die DDR-Handelsvertretung vom Sachverhalt unterrichtet, um die Leitung der DDR-Eishockey-Nationalmannschaft zu informieren.
Weitere Untersuchungen, auch über das Verhalten der Delegationsleitung und der anderen Sportler, werden geführt. Zur Auswertung dieses Vorkommnisses im SC Dynamo Berlin wurden die entsprechenden Maßnahmen eingeleitet.