Ansichten von Leistungssportlern (1)
12. März 1963
Einzelinformation Nr. 173/63 über Ansichten von Leistungssportlern zu Problemen des Sports in der DDR und zu einigen persönlichen Problemen
Im Mittelpunkt der mit Leistungssportlern geführten Gespräche über sportliche Probleme standen Fragen des Trainings, Mängel in der Arbeit der Sportverbände, finanzielle und persönliche Fragen sowie eine Reihe verschiedener Hinweise.
Von Leistungssportlern im Eissport wurde wiederholt auf eine unzulängliche Zusammenarbeit des Deutschen Eislaufverbandes mit den Clubs hingewiesen.
Die Anleitung der Clubs durch den Verband hinsichtlich der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele im Eishockey wird als völlig ungenügend eingeschätzt. Im Gegensatz dazu seien die Maßnahmen und Vorbereitungen der westdeutschen Mannschaft, die bereits jetzt für die Ausscheidungskämpfe1 gegen die Mannschaft der DDR aktiv trainiert, vorbildlich.
Zur Verbesserung der Arbeit des Eislaufverbandes haben verschiedene Leistungssportler und Clubmitglieder die Vorstellung, der Verband solle in ähnlicher Richtung arbeiten und anleiten wie der deutsche Radsportverband und der deutsche Schwimmverband. In den Clubs dieser Disziplinen bestehe Klarheit über Vorbereitungsarbeiten zu Leistungsvergleichen und Ausscheidungen.
Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf die Olympiade sind bei einigen Leistungssportlern der Disziplin Eiskunstlauf vorhanden.
Einige Aktive und Funktionäre sind der Meinung, die Auslastung der Trainer für Eiskunstlauf sei zu unterschiedlich und wirke sich hemmend auf ein intensives Training der Aktiven aus.
So trainiert die Trainerin Jutta Müller2 in Vorbereitung der Olympiade nur ihre Tochter Gabriele Seyfert3 (zurückzuführen sei dieser Einsatz auf »gute Verbindungen« der Jutta Müller zum Generalsekretariat des Verbandes); die Trainerin Inge Wischnewski4 bereitet zwei Läufer auf die Olympiade vor; der Trainer Heinz Lindner5 soll jedoch acht Läufer vorbereiten und wäre damit überlastet.
Die disproportionelle [sic!] Aufteilung der O-Kader schädige das Ansehen der Olympiakommission. Außerdem habe der jetzige Trainer von Senf6 – Göbel7 – das beinhalten Diskussionen von Funktionären des ehemaligen SC Einheit8 – unbedingte Tauglichkeit bewiesen und seine Aktiven auf einen hohen Leistungsstand gebracht, sodass ein Wechsel der Trainer als nicht notwendig erscheine.9
Von Leistungssportlern der Disziplinen Segeln und Kanu wurde wiederholt die ungenügende Qualität der Boote und des Sportmaterials kritisiert.
Von Kanuten wird in diesem Zusammenhang auf die von der Fa. Bergemann,10 Berlin, gebauten Kajaks verwiesen, die nicht den Anforderungen der Weltspitze gerecht werden. Unsere Boote wiegen z. B. gegenüber den dänischen 3 bis 4 kg mehr. In Wettkämpfen, in denen es um 1/8 Bootslängen geht, sei dieser Mangel von ausschlaggebender Bedeutung. Ausdrücklich wird von unseren Kanuten erwähnt, die bessere Qualität der dänischen Boote sei nicht die Frage des Materials, sondern die der Verarbeitung. Durch starke Auslastung unserer Bootsbaubetriebe sei niemand daran interessiert, einzelne Kajaks als Spitzenerzeugnisse herzustellen. Kanusportler erwähnten, der Verband unterschätze die Wichtigkeit der Qualitätsverbesserung von Sportgeräten und mache es sich mit der Aufforderung an die Sportler, eben mehr zu kämpfen, sehr leicht.
Ähnliche Meinungen werden von Segelsportlern geäußert, besonders von Sportlern der Drachenbootklasse. Die jetzt verwendeten Segel seien zu schwer, um den erforderlichen Leistungsstand zu erreichen, und es bestehe kaum Aussicht auf Erfolge bei Wettkämpfen. Bei starkem Wind fällt die Qualitätsminderung unserer Segelboote nicht ins Gewicht. Die Schwere der Segel verhindert jedoch bei schwacher Windbewegung das Aufblähen und vermindert die Angriffsfläche des Windes und die Schubkraft. Anträge von Seglern, neue Segel vorrangig zu beschaffen, wurden mangels finanzieller Mittel zurückgestellt.
Die Missstimmung von Seglern richtet sich gegen eine Auskunft des Verbandes, wonach auch die durch das Ausfallen der internationalen Regatten 1962 freigewordenen Mittel nicht zur Anschaffung neuer Segel verwendet werden konnten.
Zum vorgeschriebenen Trainingspensum für Jollensegler und für die Kielbootklasse bestehen bei den Aktiven Meinungen, es wäre unvorteilhaft, für beide Disziplinen das gleiche Trainingsprogramm festzulegen. Segler der Kielbootklasse benötigen nicht so viel Konditionstraining wie Jollensegler.
Zurzeit fehlt bei Aktiven, Trainern und Funktionären des Verbandes eine klare einheitliche Auffassung über Trainingsintensität und Trainingspensum, sodass es wiederholt zu Auseinandersetzungen kommt.
Unklarheiten über Trainingsintensität und Trainingspensum sind auch bei Ruderern, Radfahrern und Leichtathleten aufgetreten.
Unzufriedenheit besteht bei Aktiven der Disziplin Rudern über eigene Leistungen in sportlichen Wettkämpfen, vor allem, da das Leistungsniveau der westdeutschen Ruderer noch nicht erreicht wurde.
In diesem Zusammenhang wird wiederholt von Ruderern auf das noch nicht ausreichende Format ihrer Trainer – im Vergleich zu den Trainern der westdeutschen Ruderer und anderer internationaler Verbände – verwiesen. Die DDR-Trainer würden sich zu wenig mit der Theorie und Wissenschaft des Rudersports sowie mit den erfolgreichsten Trainingsmethoden vertraut machen.
Einige Aktive des Rudersports weisen darauf hin, es sei notwendig, dass die einzelnen Clubs sich in der Perspektive mehr darauf konzentrieren würden, jeweils in einer bestimmten Bootsklasse systematisch alles daranzusetzen, Spitzenleistungen zu erzielen. Zurzeit würden sich die Clubs verzetteln in dem Bestreben, in allen Bootsklassen den Meister zu stellen.
Wiederholt wurde in Oberligakollektiven11 der Disziplin Fußball von Aktiven und Trainern auf eine ungünstige Entwicklung in den Spielen verwiesen. In letzter Zeit sei in die Spiele eine ungewöhnliche Härte hineingetragen worden, die häufig die Grenzen der Fairness überschreite, sich auf die Entwicklung des Fußballsports negativ auswirke und die Prinzipien sozialistischer Körperkultur verletze. Die Ursache für die übermäßige Härte in den Oberliga-Punktspielen sei im Wesentlichen in der inkonsequenten Haltung der Schiedsrichter zu suchen. Einige Aktive haben Feststellungen getroffen, nach denen Schiedsrichter den Heimatmannschaften gegenüber zu große Nachsicht üben und damit Konzessionen an die Zuschauer machen. Es wird von Aktiven angeregt, durch energisches Eingreifen von Schiedsrichtern und Trainern die ungewöhnliche Härte in den Fußballspielen zu unterbinden.
Wiederholt wird von Fußballspielern auch das jetzt häufiger auftretende sogenannte Schauspielern während des Spieles verurteilt. Dabei ließen sich einige Spieler bei dem kleinsten Zusammenstoß vom Platz tragen, ohne verletzt worden zu sein, offensichtlich mit dem Ziel, die Zuschauer gegen die Gastmannschaft aufzubringen.
Die Entwicklung unserer Nationalmannschaft im Fußball wird von den Sportfreunden im Fußball allgemein als positiv bezeichnet.
Hervorgehoben wird, den Verbandstrainern des Deutschen Fußballverbandes Studener12 und Soós13 sei es gelungen, in der Mannschaft einen guten Kollektivgeist zu entwickeln.
Bei den älteren Spielern in der Nationalmannschaft besteht noch ein Misstrauen gegenüber der »neuen Linie«, jüngere und ältere Spieler in einer Mannschaft einzusetzen. Noch vor zwei Jahren habe die Tendenz bestanden, alle älteren Spieler aus der Mannschaft zu nehmen und nur mit jungen Nachwuchskadern zu arbeiten. Es sei unaufrichtig, wenn führende Funktionäre des Fußballverbandes jetzt behaupten, sie hätten das Prinzip, junge und ältere Fußballspieler in einer Mannschaft zu vereinen, schon immer verfolgt.
Kritisiert wird von einigen Aktiven im Fußball, dass nur Mannschaften der Gruppe I ins Ausland fahren dürfen. Diese vom Deutschen Fußballverband getroffene Festlegung entspreche seit Langem nicht mehr der Realität. Die BSG Motor Zwickau habe z. B. dadurch lange Zeit Auslandsfahrten durchführen können, obwohl sie ständig am Tabellenende stehe. Dagegen könne die Mannschaft des SC Aufbau Magdeburg mit guten Verbindungen nach Rumänien nicht einmal den Einladungen dieser Volksrepublik nachkommen.
Wiederholt wurden von Leistungssportlern im Fußball Ansichten geäußert, die Beziehungen der Sportler zur Produktion zu prüfen und eventuell andere Regelungen zu vereinbaren. Die Festlegung, an drei Tagen in der Woche je zwei Stunden im Betrieb zu arbeiten, sei schematisch und unrichtig, da so die gesellschaftlichen Beziehungen der Sportler zur Arbeiterklasse nicht vertieft werden könnten. Mehrfach wird vorgeschlagen, durch Veränderung der Trainingszeiten die Möglichkeit zu schaffen, einen ganzen Tag in der Woche im Produktionsbetrieb verbleiben zu können. Da z. B. Fußball-Oberligamannschaften in der Woche vom Dienstag bis Freitag täglich zweimal trainieren, sei es jetzt nicht immer möglich, zwei Stunden am Tag im Betrieb zu erscheinen. Als Beispiel wurde angeführt, dass der Sportfreund Kleiminger14 vom SC Rostock im vergangenen Jahr überhaupt nicht mit der Produktion in Berührung kam, da Trainingszeit und Produktionsarbeit im Betrieb zeitlich nicht in Einklang zu bringen waren.
In der Handballmannschaft des ehemaligen SC Rotation Berlin15 sind Schwierigkeiten durch den Abgang der Sportfreundin Zwinzscher16 (Torhüterin) entstanden. Die neue Besetzung sei kein gleichwertiger Ersatz. Nach Meinung der Spielerinnen hätte der Abgang der Sportfreundin Z. verhindert werden können, wenn sich die Clubleitung mehr um die persönlichen Sorgen der Z. gekümmert hätte. Im Gegensatz dazu wurde der Sportfreundin Z. von der Clubleitung zu wenig Trainingsfleiß vorgeworfen, obwohl diese Meinung von der Mannschaft nicht akzeptiert wurde. Die Sportfreundin Z. konnte wegen ihres Studiums an einigen Trainingsstunden nicht teilnehmen.
Handballerinnen der BSG Fortschritt Weißenfels sind der Meinung, ihre Mannschaft sei mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren überaltert. Der deutsche Handballverband solle sich ernsthaft um die Nachwuchsarbeit kümmern und sich deshalb mit den Clubs und BSGen auseinandersetzen, die die Nachwuchsarbeit vernachlässigen würden.
Außerdem gibt es in Weißenfels Schwierigkeiten bei der Durchführung des Trainings. Da die Mannschaft im gleichen Ort über keine geeignete Trainingsstätte verfügt, fährt sie zweimal wöchentlich mit dem Bus über eine Stunde in eine andere Ortschaft. Handballerinnen regten an, die örtlichen Organe sollten überprüfen, inwieweit Möglichkeiten zum besseren Training geschaffen werden können.
Basketballspieler üben Kritik an der Organisation durch den Verband bei den Endkämpfen um den FDJ-Pokal.17 Die Kämpfe in Karl-Marx-Stadt mussten infolge mangelnder Räumlichkeiten abgesagt und nach Potsdam verlegt werden. Nach Meinung der Sportler waren die in Potsdam zur Verfügung stehenden Turnhallen äußerst ungeeignet, da die Flächen gerade ausreichten für die Markierung der Spielfelder. Es wäre nicht für alle Mannschaften möglich gewesen, die Spiele zu verfolgen. Es besteht die Auffassung unter Basketballspielern, dass sich der Verband vorher nicht von den örtlichen Bedingungen in Potsdam überzeugt hat und die Bedeutung der Endkämpfe unterschätzte.
Gleiche Meinungen bestehen zum in Güstrow ausgetragenen Länderkampf.18 Die notwendigen Geräte waren drei Tage vor Beginn der Kämpfe noch nicht in Güstrow eingetroffen, und später wurde festgestellt, dass sie nicht den Bedingungen entsprachen und nicht zu gebrauchen waren. Der vom Verband eingesetzte Mitarbeiter – verantwortlich für Organisation – wurde seinen Aufgaben nicht gerecht. Mit Organisationsfragen musste sich ein Trainer beschäftigen, der in dieser Zeit seine Mannschaft nicht betreuen konnte.
Neben diesen Problemen wurden in den Aussprachen auch eine Reihe einzelner Hinweise gegeben sowie rein persönliche Dinge behandelt.
Der Sportfreund Lorenz, Wilfried19 vom SC Empor Rostock ist unzufrieden über den mangelnden persönlichen Kontakt mit der Clubleitung. Zwei Mitarbeiter des Komitees zur Förderung des olympischen Gedankens20 hatten ihm vor längerer Zeit bei entsprechender guter sportlicher Entwicklung Unterstützung in beruflicher und finanzieller Hinsicht zugesichert. L., der zzt. als Konstrukteur an der Warnowwerft arbeitet, musste das Angebot der Werkleitung zur Übernahme einer Stellung als Gruppenleiter im Interesse der Aufrechterhaltung des umfassenden Trainingsprogramms ablehnen. Eine finanzielle Verbesserung beruflicherseits ging ihm dadurch verloren. (Auf seine Frage, ob es möglich sei, ihm die finanzielle Einbuße in anderer Form auszugleichen, wurde ihm empfohlen, sich nochmals an seine Clubleitung zu wenden.)
Die Clubleitung des SC Einheit Dresden ist mit der Streichung der K-Stellen21 für die Sportfreunde Malenke22 und Schwabe23 durch den Leichtathletikverband nicht einverstanden. (Die Streichung erfolgte mit der Begründung, sie hätten die Leistungsziele nicht erreicht.) Die Sportfreunde wären längere Zeit verletzt und gezwungen gewesen, mit dem Training auszusetzen. Mit der Streichung der K-Stellen hätten beide als Olympiakader keine Perspektive, da sie durch Aufnahme einer vollen Arbeitsstelle ihr Trainingspensum nicht erfüllen und einen systematischen Leistungsanstieg nicht erreichen könnten.
Der Sportfreund Schröder, Dietmar24 vom SC Einheit Dresden ist nicht einverstanden mit seinem Ausschluss von der Vorbereitung für die Ausscheidungskämpfe gegen Westdeutschland zu den Europameisterschaften, weil er zu Unrecht erfolgt sei. (Sch. hatte beim Wettkampf im Hochsprung während der Leichtathletikkämpfe 1962 in Erfurt Differenzen mit einer Sportkampfrichterin, die ihm in falscher Auslegung der Wettkampfordnung die Wiederholung eines Hochsprunges verweigerte. Sch. wurde in Auswertung dieser Auseinandersetzung mit der Kampfrichterin wegen überheblichen Auftretens ausgeschlossen.) Sch. gibt zu, sich in der Auseinandersetzung nicht richtig verhalten zu haben, hält seine Strafe jedoch für zu hoch, vor allem deshalb, weil er reale Chancen hatte, einen Platz in der gemeinsamen deutschen Mannschaft zu erkämpfen. (Nach den Ergebnissen der Ausscheidungskämpfe kann auch eingeschätzt werden, dass Sch. den Platz in der gemeinsamen Mannschaft erreicht und einen westdeutschen Sportler verdrängt hätte.) Sehr ungehalten ist Sch. über die zusätzlich erfolgte Streichung von Stipendien, auf die er angewiesen gewesen sei.
Aus dem MfS vorliegenden Berichten ist zu entnehmen, dass der Olympia-Sieger und Weltmeister im Spezialsprunglauf Helmut Recknagel25 mit seinen Leistungen beim Spezialsprunglauf in Falun26 unzufrieden und dadurch sehr niedergeschlagen ist.27
[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
(Bei den Informationen im Zusammenhang mit Helmut R. wurde vom MfS nicht überprüft, ob es sich um Tatsachen oder Gerüchte handelt. Unabhängig davon wäre aber beides für den Weltmeister eine denkbare Belastung im Training und Wettkampf, weshalb wir Ihnen diese Hinweise mitteilen.)