Ansichten von Leistungssportlern (3)
19. Juni 1963
Einzelinformation Nr. 383/63 über Ansichten von Leistungssportlern zu Problemen des Sports in der DDR
In den Aussprachen mit Leistungssportlern wurde von ihnen, neben den bereits informierten1 Unklarheiten in Fragen Olympia-Mannschaft und Schulungspraxis, vor allem auf folgende Probleme hingewiesen:
Immer wieder gibt es kritische Bemerkungen, weil nach Ansicht der Sportler die ständig geforderte »Arbeit mit dem Menschen« in der Praxis oft fehlte, gute Leistungen nicht immer richtig gewürdigt werden und ihre Meinung oft nicht berücksichtigt werde.
Nach ihrer Auffassung werde vieles von den Clubs und von übergeordneten Stellen angeordnet, ohne dass die Leistungssportler davon überzeugt seien. Das bezieht sich z. B. besonders stark auf Fragen des Trainings, auf Unklarheiten über die Bedeutung der Sportclubs2 und der in diesem Zusammenhang ergriffenen Maßnahmen, auf finanzielle Fragen u. Ä.
Aus der Vielzahl der Beispiele sollen nur einige typische angeführt werden:
Die Sportfreundin [Vorname Name 1], Handballspielerin im SC Leipzig, liegt seit zehn Wochen in einer Tbc-Heilstätte, ohne dass ein Vertreter des Clubs sie besucht hätte. Sie sagte wörtlich: »Solange man aktiv für den Club spielt ist man gut genug. Sobald es aber aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr geht, ist man vergessen.«
Den Sportfreunden Ralph Borghard3 und Senf/Göbel4 (Eiskunstläufer) hat niemand vom Verband eine Anerkennung für ihren 6. bzw. 4. Platz bei den Europameisterschaften ausgesprochen.
Nach den internationalen Schaulaufveranstaltungen in Dresden und Karl-Marx-Stadt dankte der Genosse Milde5 als Vertreter des DELV allen ausländischen Teilnehmern für ihre Leistungen, ohne auch nur mit einem Wort die Spitzenläufer unserer Republik zu erwähnen, deren Darbietungen vom Publikum mit großem Beifall aufgenommen wurden.
Bei der Auszeichnung der Fußballer der BSG Motor Zwickau als Pokalsieger erhielt der Sportfreund Peter Henschel6, der einer der besten in den Spielen war, auf Vorschlag des Verbandes 100 DM7 weniger, weil er seine Olympia-Norm nicht erfüllt hatte.
Die Sportfreunde Dieter Pfeifer8und Wolfgang Wagner9(Schwimmen) wurden vom Verband als Leistungssportler gestrichen, weil sie nicht zum SC Motor Karl-Marx-Stadt gehen wollten.
Dem Sportfreund Leonhardt10 (Handball) wurde vom Verband mitgeteilt, dass er nur wieder Mitglied der Nationalmannschaft werden könne, wenn er sich einem Club anschließt.11
Bei den Aktiven stoßen solche Maßnahmen auf Unverständnis und in den meisten Fällen gelingt es weder den Partei- noch FDJ-Gruppen Klarheit darüber zu schaffen, zumal auch ein Teil der Funktionäre die Maßnahmen nicht anerkennt. Sie sind u. a. der Auffassung, dass viele leistungsstarke Sportler dadurch nicht richtig zum Einsatz kommen und unserer Republik für den Leistungssport verloren gehen.
Bei der Bildung des SC Cottbus12 wurde mit den Fußballern des SC Aktivist Brieske-Senftenberg über ihren weiteren Einsatz gesprochen. Die Fußballer waren hierbei der Ansicht, dass die dabei angewandte Methode grundsätzlich verkehrt sei. Der einzelne Spieler müsse vor ein Gremium von fünf Mann treten und sei dort sofort »der Unterlegene«, sodass sich die Meinung der Clubleitung immer durchsetze und die Auffassung des Sportlers in keiner Weise festgehalten werde. Sie sind der Auffassung, dass man in solchen Fällen eine Mannschaftsversammlung durchführen müsse, wo alle Spieler offen ihre Meinung sagen. Aber so würde »jeder durch eine Mühle gedreht und komme nachher geläutert wieder heraus«.
Von den Gehern des SC Aufbau Magdeburg wurde seit November 1962 gegen den vom Verband herausgegebenen Rahmentrainingsplan protestiert, bis man im Mai 1963 die Meinung der Sportler berücksichtigte. Da dieser Rahmentrainingsplan ein Extrakt der Trainervorschläge und kein vom Verband diktiertes Programm ist, wird deutlich, dass die Trainer die Meinungen der Aktiven nicht genügend berücksichtigten. Auf der anderen Seite weichen sie den Vorschlägen und Protesten der Aktiven aus, indem sie erklären, der Plan sei vom Verband festgelegt. Durch diese Praxis haben die Aktiven stets das Gefühl, an der Entwicklung des Leistungssports nur als Ausführende mitwirken zu dürfen, ihre Vorschläge zur Verbesserung der Trainingsarbeit aber – entgegen aller offiziellen Forderungen – nicht erwünscht seien. Typisch dafür, wie sie die übergeordneten Leitungen einschätzen, ist die Äußerung des Gehers Lobach13 (SED): »Wenn ich auf Lehrgängen mal sagen würde: Lasst uns zusammensetzen und den Plan gemeinsam beraten und das kritisieren, was schlecht daran ist, so würde man auf mich sehr böse sein und mit 100 %iger Sicherheit könnte ich damit rechnen, dass ich bei dem nächsten Auslandsstart nicht dabei wäre. Da aber meine ganze Arbeit darauf ausgerichtet ist, international zu starten, werde ich mich hüten, ins Fettnäpfchen zu treten.«
Es wird in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, von den Clubs keine Trainingsplanvorschläge mehr anzunehmen, an denen die Aktiven nicht mitgearbeitet haben.
Aus den einzelnen Sektionen gibt es noch folgende spezielle Hinweise:
Die Volleyball-Spieler der TU Dresden sind der Auffassung, dass es für die Dauer unmöglich ist, die Heranbildung der Auswahlkader nur auf zwei Clubs (wie es jetzt mit Dynamo Berlin und SC Leipzig der Fall ist) zu beschränken. Während diese Clubs je vier Trainer hätten, besäßen sie keinen und müssten z. B. auch die Betreuung von Oberschulen in Dresden ablehnen.
Von den Turnern der DHfK wird auf die schlechten Trainingsbedingungen hingewiesen (zu kleine Halle, schlechte Frischluft- und Beleuchtungsanlagen). Da Leipzig zu einem der wichtigsten Stützpunkte im Turnen zählt, wäre es notwendig, solche Bedingungen zu schaffen, wie sie in Berlin bestehen.
Im Basketball wird vorgeschlagen, dass andere größere Clubs (u. a. SC Karl-Marx-Stadt, SC Leipzig) unbedingt Basketballmannschaften systematisch bilden müssten, um eine leistungsstarke Breite zu schaffen und Anschluss an die Weltspitze zu erreichen.
In der Disziplin Leichtathletik wird von den Aktiven allgemein gewünscht, zu erfahren, wer ohne Ausscheidungskämpfe14 für Tokio nominiert wird.
Außerdem wird von den Hammerwerfern auf die zurzeit bestehende große Lücke zwischen Spitze und Nachwuchs aufmerksam gemacht und gefordert, dem Nachwuchs mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Die Geher weisen darauf hin, dass man die kommenden Ausscheidungskämpfe mit westdeutschen Gegnern keinesfalls unterschätzen dürfe, weil nach ihrer Ansicht der republikflüchtige Koch15 (soll zzt. in Japan die dortigen Geher auf die Olympiade vorbereiten) für Westdeutschland und einige gute Nachwuchskräfte starten werden.
Von den Zehnkämpfern wird die neue Form der Lehrgänge (acht bis zehn Tage) begrüßt. Sie beklagen sich jedoch über die noch immer mangelnden Vergleichsmöglichkeiten mit Sportlern anderer, besonders sozialistischer Länder.
Im Fußball wird vom SC Motor Jena die mangelnde Unterstützung der Sportgemeinschaften in Jena (besonders Motor Zeiss Jena und Chemie Jena) kritisiert. Anstatt gute Spieler dieser Gemeinschaften zum SC Motor Jena zu delegieren, wechseln sogar Spieler der Reserve des Clubs zu diesen Gemeinschaften über. Ähnliche Hinweise wurden auch schon von anderen Clubs gegeben und dabei auf die Rolle der finanzstarken Trägerbetriebe vieler BSG aufmerksam gemacht, die materielle Dinge großzügiger handhaben.
Im Eishockey wird von Aktiven besonders noch zur letzten Weltmeisterschaft16 Stellung genommen. Dabei wird vor allem festgestellt, dass z. B. an der Niederlage gegen die westdeutsche Mannschaft17 das viele Agitieren der Funktionäre schuld gewesen sei, und deshalb jeder Spieler nur noch ein Nervenbündel gewesen wäre. Auch der Zwischenfall bei der Siegerehrung18 sei auf die Funktionäre zurückzuführen. Von Jochen Grünwald19 sei der Hinweis gekommen, bei der Siegerehrung nicht zu exakt zu sein, was von Sportfreund Plotka20 der Mannschaft übertragen und von ihr befolgt worden sei. Jetzt würde behauptet, Plotka hätte die Funktionäre falsch verstanden. Dies sei aber nach Auffassung der Spieler nur der Versuch, Plotka den »Schwarzen Peter« zuzuschieben. Es sei vollkommen richtig, in der Vorbereitung solcher wichtiger Wettkämpfe auf die Spieler intensiv politisch einzuwirken. Sie aber während der Wettkämpfe ständig an ihre politischen und moralischen Pflichten zu erinnern, halten sie für nicht sehr zweckmäßig.
Abschließend geben wir Ihnen von einigen uns inoffiziell bekannt gewordenen Hinweisen zur Situation in der Nationalmannschaft Schwimmen Kenntnis, die in dieser Form aber keinesfalls offiziell ausgewertet werden dürfen:
In Vorbereitung der olympischen Ausscheidungswettkämpfe mit Westdeutschland gibt es bei einzelnen Mitgliedern der Nationalmannschaft Schwimmen Diskussionen, dass der Leistungsstand besonders bei den Brust- und Rückenschwimmern gegenwärtig äußerst niedrig sei und kaum zu berechtigten Hoffnungen gegenüber den westdeutschen Schwimmern Anlass gebe. Als Ursache des augenblicklich schlechten Leistungsstandes sehen die Schwimmer der Nationalmannschaft im Allgemeinen das »vollkommen ungenügende Training«, die zu wenigen Länderwettkämpfe und Auslandsstarts. Als Beispiel dazu wurde angeführt, dass beabsichtigte Länderschwimmwettkämpfe in der Sowjetunion und Ungarn aus den Schwimmern der Nationalmannschaft unbekannten Gründen nicht stattfanden. Kennzeichnend für die Situation ist z. B., dass der Rückenschwimmer Dietze21 erklärte, er habe keine Lust, weiterhin aktiv Schwimmsport zu treiben und werde sich zurückziehen.
Ähnliche Meinungen vertritt das Mitglied der Nationalmannschaft Gregor22 [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]. Einen erst vor Kurzem von Trainer Kutz23 erteilten Leistungsauftrag an Wiegand24 beantwortete dieser mit der Erklärung, er habe kein Interesse, einen neuen Rekord über 1 500 Meter Kraulen zu schwimmen. Nach Auseinandersetzungen mit Wiegand war seine Leistung um über 20 Sekunden schlechter als vorher.
In diesem Zusammenhang wird ferner darauf hingewiesen, dass im SC Karl-Marx-Stadt infolge ungenügender Qualifikation und ungenügender Interessiertheit des Trainerkollektivs (mit einigen Ausnahmen) das Leistungstraining vernachlässigt wird. Dadurch haben die aktiven Schwimmsportler keine Leistungssteigerung, z. B. die Leistungsschwimmerin [Vorname Name 2] und weitere Kader der Nationalmannschaft. In gleicher Form werde der Nachwuchs vernachlässigt.