Aufklärung staatsfeindlicher Handlungen in Berlin-Treptow
18. März 1963
Einzelinformation Nr. 192/63 über die Aufklärung staatsfeindlicher Handlungen im VEB EAW Berlin-Treptow
Dem MfS liegen seit Januar 1963 Hinweise über laufende Beschädigungen des Bildnisses des Staatsratsvorsitzenden1 an einer Wandzeitung im Aufgang F des VEB EAW Berlin-Treptow vor. Die eingeleiteten Maßnahmen führten am 2.3.1963 zur Entlarvung und Festnahme zweier Täter. Es handelt sich um die ungelernten Arbeiter [Name 1, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1937 in Berlin, wohnhaft Berlin NO 55, [Straße, Nr.], und [Name 2, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1932 in Berlin, wohnhaft Berlin-Lichtenberg, [Straße, Nr.]. Beide sind in einer Reinigungsbrigade seit Herbst 1961 im EAW2 Berlin-Treptow tätig.
Die Untersuchung ergab die Verantwortlichkeit des [Name 1] für einen Großteil der seit Januar 1963 bekannt gewordenen Beschädigungen der Wandzeitung im Aufgang F. Gegen [Name 1], der sich in Haft befindet, wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet; [Name 2] wurde nach zeugenschaftlicher Vernehmung wegen Geringfügigkeit seiner Handlungen wieder entlassen.
Da die bisherigen Untersuchungsergebnisse jedoch auf mehrere Täter hindeuteten, wurden weitere Maßnahmen eingeleitet. Infolge dieser Maßnahmen wurde am 15.3.1963 als weiterer Täter der Oberschüler [Name 3, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1946 in Berlin, wohnhaft Berlin-Mitte, [Straße, Nr.], [Vorname-Name-]Oberschule in Berlin-Mitte, bekannt. Er nahm mit weiteren Mitschülern mittwochs am polytechnischen Unterricht im VEB EAW teil und hatte infolge dessen zu der betreffenden Wandzeitung Zugang. (Die Eltern des [Name 3] sind [Vorname 1 Name 4], hauptamtlicher Parteisekretär im VEB Tiefbau Berlin und [Vorname 2 Name 4], wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Parteihochschule »Karl Marx«.)
Bei einer Befragung gab [Name 3] an, mehrere Male – erstmalig am 16.1.1963 gemeinsam mit einem anderen Schüler namens [Name 5] – das Bildnis des Staatsratsvorsitzenden mutwillig beschädigt zu haben. Seine letzten Handlungen am 6. und 13.3.1963 nahm er in Gegenwart von drei Mitschülern vor, die sich zwar nicht beteiligten, aber auch keine Stellungnahme dagegen bezogen. Über das Motiv seiner Handlungen befragt, gab [Name 3] an, durch Hetzsendungen des RIAS, die er in Abwesenheit seiner Eltern ständig hört, inspiriert worden zu sein.
Über seine Handlungen berichtete er auch seinem Freund [Name 6, Vorname 3], geb. am [Tag, Monat] 1948 in Altenburg, wohnhaft Berlin-Karlshorst, [Straße, Nr.], der seinen Ansichten und Handlungen beipflichtete. [Name 6] würde sich aufgrund seiner Einstellung mit dem Gedanken tragen, die DDR illegal zu verlassen. (Der Vater des [Name 6] ist Mitarbeiter im ZK, die Mutter arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Parteihochschule »Karl Marx«.)
[Name 3] gab weiter an, er hätte zu Hause infolge seiner negativen Auffassungen Auseinandersetzungen gehabt, da seine Eltern aber die Politik der Partei vertraten, habe er keine Lehren annehmen wollen. Da im Elternhaus des [Name 3] ausreichende Bedingungen für ein erzieherisches Einwirken gegeben sind, wurde unter Berücksichtigung des Alters kein Ermittlungsverfahren gegen [Name 3] eingeleitet. Nach der Befragung am 15.3.1963 wurde er seinen Eltern übergeben, mit denen über das Verhalten ihres Sohnes eine Aussprache geführt wurde.
Beide Elternteile äußerten, bis auf einige ideologische Unklarheiten, bei ihrem Sohn in der letzten Zeit keine negativen Erscheinungen festgestellt zu haben. Nach Meinung der Eltern sei ihr Sohn wahrscheinlich während des Besuches der [Ordnungszahlwort] Oberschule in Berlin, Prenzlauer Berg, ungünstig beeinflusst worden. Die Eltern vieler Schüler seien Grenzgänger3 gewesen, überdies wurde an der gesamten Schule eine schlechte gesellschaftspolitische Arbeit geleistet. Auf die Verbindung ihres Sohnes zu [Vorname 3 Name 6] befragt, bestätigten die Eltern [Name 3], vom Ehepaar [Name 6] über die falschen politischen Auffassungen [Vorname 3] informiert worden zu sein. ([Name 6] soll mit einem namentlich nicht bekannten westdeutschen Bürger Umgang gehabt haben, der einen negativen Einfluss ausübte.) Die Eltern von [Name 6] hofften, ihr Sohn würde durch die engere Verbindung zu [Vorname Name 3] seine Auffassungen ändern. Genossin [Name 4]4 erklärte noch, sofort mit der Klassenlehrerin ihres Sohnes Maßnahmen zu ergreifen, um derartige Vorfälle zukünftig zu verhindern.
Bisher wurde seitens des MfS davon Abstand genommen, mit den Jugendlichen [Name 6] und [Name 5] selbst zu sprechen oder deren Eltern in die Untersuchung einzubeziehen. Falls es für notwendig erachtet wird, eine breitere Auswertung vorzunehmen (Elternhaus, Schule oder Betrieb), erscheint es zweckmäßig, eventuelle Maßnahmen in gemeinsamer Absprache mit den betreffenden Parteiorganisationen festzulegen.
Zur Aufklärung der Verbindungen des [Name 3] und zur Verhinderung der Republikflucht des [Name 6] wurden die notwendigen operativen Maßnahmen eingeleitet.5