Beratung des Politbüros mit Künstlern und Schriftstellern
26. März 1963
Einzelinformation Nr. 204/63 über die erste Reaktion auf die Beratung des Politbüros mit Künstlern und Schriftstellern
Die Stellungnahmen zu den aufgeworfenen Problemen sind noch gering, da die meisten der Teilnehmer nach dem ersten Konferenztag noch an dem Konzert teilnahmen und deshalb innerhalb dieser Kreise noch keine größeren Gespräche darüber geführt wurden. Nach der bisherigen Übersicht wird allgemein von allen anwesenden Künstlern und Schriftstellern begrüßt, dass sich die Partei gründlich und offen im Rahmen dieser Konferenz1 mit den künstlerischen Problemen beschäftigt. Es konnten bisher keinerlei negative Stimmungen und Meinungen zur Einberufung der Konferenz festgestellt werden.
Grundsätzliche Zustimmung gibt es zum Referat2 des Genossen Hager.3 Es wird als sehr gründlich, sachlich und konstruktiv eingeschätzt. Vereinzelt wird zum Referat des Genossen Hager bemerkt, seine Feststellung, im sozialistischen Realismus4 könnten keine modernistischen Mittel angewandt werden, sei nicht richtig. Das würden die Arbeiten Brechts5 und Bechers6 widerlegen, die diese Mittel angewandt hätten, nachdem sie sie gründlich verarbeitet und ihnen den eigenen Stil aufgedrückt haben. In diesem Zusammenhang wird die Diskussionsrede von Manfred Wekwerth7 (Berliner Ensemble) als Widerlegung aufgefasst.
Von den nachstehend genannten Personen wird daran gezweifelt, dass die Feststellung des Genossen Hager, man müsse den Kritisierten die Möglichkeit zur weiteren künstlerischen Arbeit geben, in der Praxis auch eingehalten wird. Dabei wird wiederholt auf eine ängstliche, der Verantwortung ausweichende Haltung von Mitarbeitern und Leitern in Verlagen und anderen kulturellen Einrichtungen sowie Kulturfunktionären verwiesen. Als Beispiel wird das Verbot der Lyrikveranstaltung im Haus der DSF angeführt.
Im größeren Umfang gibt es jedoch unter Konferenzteilnehmern Unzufriedenheit und Verärgerung zu den Ausführungen8 des Genossen Abusch.9 Dabei treten solche Stimmungen und Meinungen in den Vordergrund, die Diskussionsrede des Genossen Abusch beinhalte eine Reihe Oberflächlichkeiten, Unwahrheiten und Verdrehungen, die auf die Schriftsteller schockierend wirken, die Gesprächsbereitschaft hemmen und die positive Wirkung des Referats von Genossen Hager verflachen lassen. Diese Auffassung vertreten u. a. Konrad Wolf,10 Walter Kaufmann,11 Manfred Krug,12 Henryk Keisch,13 Inge Borde-Klein14 und Herbert Nachbar.15 Besonders unzufrieden sind Harald Hauser,16 Stephan Hermlin17 und Kurt Stern.18 Sie verwahren sich dagegen, dass sie in einem Atemzug mit Peter Hacks19 und Günter Kunert20 genannt bzw. als Hintermänner bezeichnet werden. Sie hätten keinerlei Berührungspunkte mit diesen Künstlern.
Während Stephan Hermlin das Referat des Genossen Hager »für sehr ordentlich« hält, reagierte er jedoch auf den Diskussionsbeitrag des Genossen Abusch so, dass er bleich und sichtlich verärgert nach der Aussprache am ersten Konferenztag nach Hause ging. Er ist nicht damit einverstanden, dass man ihn zu den Hintermännern von Hacks und Kunert zählt.
Die Haltung des jungen Lyrikers Rainer Kirsch21 lässt erkennen, dass er sich gegenüber der Kritik äußerst überheblich verhält.
Wolfgang Langhoff22 beabsichtigt, am zweiten Konferenztag nochmals »zu sich und seiner Sache«23 zu sprechen. Mathilde Danegger24 hat ihm dringend dazu geraten,25 weil seine Stellungnahme26 erbärmlich gewesen sei. Langhoff will dabei zum Ausdruck bringen, dass er sich für die Erfüllung seiner Aufgaben nicht stark genug fühle und seine Funktion zur Verfügung stellen möchte. Zur Einschätzung seiner Fehler will er darlegen, dass er bei dem Stück von Hacks eine Kette von Fehlern begangen habe, die das Ergebnis falscher von ihm angelegter Qualitätsmaßstäbe sind. Langhoff will sagen, er habe auch heute noch einige Unklarheiten in diesen Fragen und leide unter dieser Erkenntnis.
Verbreitet ist unter den Konferenzteilnehmern die Auffassung vorhanden, in der bisherigen Diskussion seien noch nicht die ehrlichen Meinungen und Auffassungen dargelegt worden. Es wird nicht nur eine tiefgründige selbstkritische Stellungnahme erwartet, sondern auch, dass schärfer zu den Künstlern nicht »angenehmen« Methoden und Formen der Kulturpolitik Stellung genommen wird. Diese Auffassung vertreten u. a. Konrad Wolf, Harald Hauser, Walter Kaufmann, Henryk Keisch, Manfred Krug, Inge Borde-Klein, Herbert Nachbar.
Im breiten Umfang ist unter Konferenzteilnehmern auch die Meinung vorhanden, die Forderung der Konferenzleitung – die Kritisierten sollten am zweiten Konferenztag alle Stellung nehmen – sei nicht richtig. In dieser kurzen Zeit wäre es nicht möglich, eine grundsätzliche Überprüfung des eigenen Standpunktes vorzunehmen und eine ehrliche Selbstkritik abzugeben. Es würde dann bei oberflächlichen Erklärungen bleiben, und es wäre eine direkte Aufforderung, sich nur »Asche aufs Haupt zu streuen«. Richtig können sie ihre Schlussfolgerungen nur durch gültige Werke des sozialistischen Realismus beweisen. Diese Auffassung wird u. a. vertreten von Harald Hauser, Kurt Stern, Günter Kochan,27 Wolfgang28 Lesser, Bergmann29 (DEFA), Jens Gerlach.30
In diesem Zusammenhang ist die Auffassung verbreitet, auch der zweite Konferenztag würde im weiteren Verlauf keine Klärung der Probleme bringen.
Der Schriftsteller Manfred Bieler,31 der nicht an der Konferenz teilnimmt, äußerte, er und einige andere Schriftsteller, die nicht namentlich bekannt wurden, wären von der Partei als Erpresser bezeichnet worden, weil sie geäußert haben, ihre Bücher in Westdeutschland verlegen zu lassen, falls sie dies in der DDR nicht tun könnten.
Nach Vorliegen weiterer Reaktionen der Schriftsteller und Künstler auf die Beratung wird noch ergänzend informiert.32