Brand in einem HO-Lebensmittelkaufhaus in Berlin-Mitte
7. Januar 1963
Bericht Nr. 12/63 über den Brand im HO-Lebensmittelkaufhaus Berlin C 2, Rathausstraße
Über den am 4.1.1963, gegen 15.30 Uhr, ausgebrochenen Brand im Papierkeller des HO-Lebensmittelkaufhauses liegen folgende vorläufige Untersuchungsergebnisse vor:
Die Brandausbruchstelle befindet sich nach Ermittlungen der Brandkommission der VP und der Branduntersuchungskommission des MfS im Papierkeller. (Unmittelbare Brandursache war ein papierbeladener Transportwagen.) Aufgrund starker Hitzeentwicklung dehnte sich der Brand über den gesamten Papierkeller (ca. 150 m²) aus.
Diese Feststellungen beruhen auf der restlosen Vernichtung des Transportwagens sowie der in dessen Nähe besonders stark sichtbaren Rußabsonderungen. Im anderen Teil des Kellers werden die Branderscheinungsmerkmale immer geringer. Auch durch Zeugenaussagen wird bestätigt, dass am Standort des Wagens die ersten Flammen zu sehen waren.
Im Papierkeller des Kaufhauses, der sich unterhalb des Mittelgebäudes befindet, lagerten Altpapier und Kartonagen sowie Obst- und Gemüsekonserven im Werte von ca. 120 TDM.1
Der durch den Brand entstandene Gesamtschaden beläuft sich nach vorläufigen Schätzungen auf etwa 110 TDM (30 TDM Gebäudeschaden, 80 TDM Inventar- und Warenschaden).
Die um 15.41 Uhr alarmierte Feuerwehr Littenstraße nahm – abgesehen von Löschversuchen der Hausmeister – die erste Brandbekämpfung vor, die durch fehlende Lagepläne und starke Rauchentwicklung sehr erschwert wurden. Der Brand konnte deshalb erst gegen 22.00 Uhr lokalisiert werden.
Da die einzige Zündquelle des Brandraumes, eine elektrische Licht- und Kraftstromanlage, als Brandursache ausscheidet (Strom fiel im betreffenden Gebäudeteil erst gegen 15.45 Uhr aus) und Schornsteine o. ä. sachliche Zündquellen nicht vorhanden sind, kann der Brand nur durch vorsätzliche oder fahrlässige Brandstiftung entstanden sein.
Rückstände von Brandlegemitteln konnten an der Brandstelle nicht gefunden werden.
Die in Richtung Brandstiftung bisher geführten Ermittlungen erbrachten folgendes Ergebnis:
Sämtliche 350 Beschäftigten des HO-Kaufhauses können die Kellerräume betreten. Darüber hinaus bestand auch für alle anderen im Gebäude einkaufenden Personen die Möglichkeit, sich ungehindert Zugang zu den Kellerräumen zu verschaffen. Selbst vom Hofgebäude aus gibt es fünf Zugänge zum Keller, die Tag und Nacht unbewacht und unverschlossen sind.
Am Brandtage waren fünf Personen mit dem Pressen und Transportieren von Altpapier im Papierkeller beschäftigt:
[Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1895, Berlin O 112, [Straße, Nr.]; [Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1910, Berlin NO 55, [Straße, Nr.]; [Name 3, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1916, Neuenhagen, [Straße, Nr.]; [Name 4, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1893, Berlin NO 55, [Straße, Nr.]; [Name 5, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1901, Berlin N 4, [Straße, Nr.].
[Name 1] und [Name 2] arbeiten ständig im Papierkeller.
Durch die zeugenschaftliche Vernehmung aller Personen wurde festgestellt, dass [Name 1] um 15.00 Uhr und [Name 2] um 15.10 Uhr als Letzte den Brandraum verließen. Zu diesem Zeitpunkt wollen beide keine Wahrnehmungen über einen Brand gemacht haben. [Name 2] hat nach seinen Angaben das Licht weder im Papierkeller noch auf dem Gang zum Papierkeller ausgeschaltet, die Tür zum Kellereingang lehnte er nur an.
Die ersten Brandzeugen Hausmeister [Name 6, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1928, Berlin NO 55, [Straße, Nr.], und sein Stellvertreter [Name 7, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1894, Berlin O 112, [Straße, Nr.], sagen übereinstimmend aus, dass sie bei einem Kontrollgang gegen 15.30 Uhr im Kellergang Brandgeruch wahrnahmen und weißliche Rauchschwaden in dem erleuchteten Kellervorraum des Papierkellers sahen.
(Derartige Kontrollgänge erfolgen auf Weisung der Betriebsleitung in Auswertung der Sprengstoffanschläge in Berlin.)
Die Brandzeugen stellten daraufhin fest, dass der in unmittelbarer Nähe der Eingangstür stehende, mit Papier beladene Transportwagen brannte und die Flammen bereits auf die an der linken Wand gestapelten Pappkartons übergegriffen hatten. [Name 6] nahm sofort die Brandbekämpfung mittels eines Feuerlöschers auf und beauftragte [Name 7], die Feuerwehr zu alarmieren und den Heizer [Name 8, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1908, Berlin N 4, [Straße, Nr.], mit einem weiteren Feuerlöscher zum Brandraum zu schicken.
(Aufgrund von Rauchvergiftungen musste [Name 6] später im bewusstlosen Zustand ins Krankenhaus transportiert werden.)
Zwischen den Zeugenaussagen des [Name 7] und [Name 6] sowie der weiteren Zeugen [Name 9, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1899, Berlin N 54, [Straße, Nr.], und [Name 10, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1904, Berlin-Lichtenberg, [Straße, Nr.], ergaben sich Zeitdifferenzen, die den Verdacht aufkommen ließen, dass [Name 6] sich vor Ausbruch des Brandes kurze Zeit allein im Papierkeller aufhielt. Diese vier Zeugen führten von 15.00 bis 15.15 Uhr gemeinsam Reparaturarbeiten am Eingangstor Littenstraße aus. Anschließend begab sich [Name 10] zu seiner im Vorderteil des Gebäudes Rathausstraße im Keller gelegenen Garderobe. Während [Name 6] aussagte, sein im Erdgeschoss des Mittelgebäudes befindliches Büro aufgesucht zu haben, erklären [Name 7] und [Name 9], gemeinsam mit [Name 6] in ihre Garderobe gegangen zu sein. Da sich diese Garderobe nach Vorstellungen der VP im Gebäudeteil Rathausstraße befand, der Weg dahin unmittelbar am Brandherd vorbeiführt und [Name 6] angeblich diesen Weg allein gegangen war, wurde geschlussfolgert, dass [Name 6] während dieser Zeit den Brand gelegt haben kann. Dieser Verdacht verstärkte sich durch die Feststellung, dass [Name 6] bereits 1959 als erster Brandzeuge bei einem Fahrstuhlbrand im HO-Warenhaus Alexanderplatz in Erscheinung trat und für aktive Löscharbeit mit 50,00 DM prämiiert wurde. Der Heizer [Name 8] sagte außerdem aus, dass [Name 6] beim Aufsuchen des Kellerraumes unmittelbar vor Entdeckung des Brandes fragte, ob in seinem Arbeitsbereich alles in Ordnung sei oder ob er bereits eine Plastikbombe gefunden hätte.
Aufgrund dieser Ermittlungsergebnisse wurde vom MfS entschieden, [Name 6] nochmals eingehend zu vernehmen. Diese Untersuchungen ergaben im Gegensatz zu den Ermittlungen der VP, dass der bereits angeführte Garderobenraum im Gebäudeteil Klosterstraße liegt und der Weg dahin nicht am Brandraum vorbeiführt. Auch hinsichtlich der Abwesenheit des [Name 6] ergaben die vom MfS geführten Vernehmungen geringere Zeitdifferenzen (z. B. Zeuge [Name 7] ca. zwei Minuten, Zeuge [Name 9] ca. vier Minuten). Beide Zeugen sind nicht in der Lage, konkrete Zeiten für die Abwesenheit des [Name 6] anzugeben, woraus offensichtlich die noch bestehenden Zeitdifferenzen resultieren.
Obwohl [Name 6] aufgrund dieser Feststellung nicht als Täter ausgeschlossen werden kann, konnten weder dessen Vernehmungen noch die übrigen Zeugenaussagen ausreichende Belastungsmomente erbringen, die die Einleitung eines E-Verfahrens2 rechtfertigen. Auch die vom MfS zur Person des [Name 6] geführten Ermittlungen erbrachten keine belastenden Hinweise.
Während die Zeugen [Name 9] und [Name 7] nach der Zeugenvernehmung entlassen wurden, ist [Name 6] auf Weisung des behandelnden Arztes zur weiteren ärztlichen Betreuung in das VP-Krankenhaus eingeliefert worden.
Im Laufe der bisherigen Ermittlungen wurde weiter bekannt, dass am 30.12.1962, gegen 4.30 Uhr die Sekretärin der BPO des HO-Warenhauses in ihrer Wohnung anonym angerufen wurde. Eine bisher seitens des MfS nicht ermittelte Person teilte der Genossin [Name 11] wörtlich Folgendes mit: »Genossin BPO-Sekretär, im Warenhaus brennt es!«
Genossin [Name 11] hatte den Eindruck, dass sich in dem Raum, von dem der Anruf erfolgte, noch weitere Personen befanden und der Sprecher angetrunken war. Nähere Hinweise konnte die Genossin [Name 11] nicht geben.
Zur weiteren Aufklärung des Brandes wurden gemeinsam vom MfS und der VP Maßnahmen festgelegt.