Entsendung von zwei deutschen Olympia-Mannschaften
16. Januar 1963
Einzelinformation Nr. 35/63 über das Bonner Vorgehen gegen die Lausanner Vorschläge zur Entsendung von zwei deutschen Olympia-Mannschaften
Über die Reaktion der Bonner Regierung und führender westdeutscher Sportfunktionäre auf die am 8.12.1962 in Lausanne zwischen einer Vertretung des IOC und den NOK beider deutscher Staaten vereinbarte Empfehlung, zwei deutsche Mannschaften zu den künftigen Olympischen Spielen zu entsenden,1 sowie über die Bonner Maßnahme gegen diese Vereinbarung berichtete eine zuverlässige Quelle nähere Einzelheiten.
Meldungen der Westpresse, wonach IOC-Präsident Avery Brundage2 die Lausanner Empfehlung abgelehnt habe, nachdem am 7.1.1963 in Chicago Besprechungen zwischen Brundage und Daume3 stattgefunden hatten, sowie über die Ablehnung der Empfehlungen durch die Vollversammlung des Westdeutschen Olympischen Komitees werden intern bestätigt. Aus der Information geht auch hervor, dass die Bonner Regierung entsprechenden Druck auf die westdeutsche Sportführung ausgeübt hat.
Wie die Quelle berichtete, habe die Zustimmung des DSB-Präsidenten Daume zu der Lausanner Empfehlung in Bonn Überraschung und Bestürzung ausgelöst. Unter Hinweis auf die Ergebnisse der bisherigen Bonner Bemühungen gegenüber dem IOC und auf das sogenannte 9-Punkte-Programm4 sei die Besprechung in Lausanne als ein Rückschritt angesehen worden.
Lemmer,5 damals noch Minister für »gesamtdeutsche Fragen«, habe unter Berufung auf den Standpunkt der Bonner Regierung erklärt, dass die Haltung Daumes der Anerkennung der Zwei-Staaten-Theorie und des Schutzwalles6 in Berlin und damit der Aufwertung der DDR Vorschub leiste. Lemmer habe schon damals angekündigt, dass über die Haltung der westdeutschen Sportführung noch Gespräche stattfinden würden und das Bonner Kabinett sich mit diesen Fragen befassen würde. Gleichzeitig habe er darauf hingewiesen, dass den Lausanner Empfehlungen erst noch das IOC und das westdeutsche Olympische Komitee zustimmen müssten, demzufolge noch genügend Zeit und Spielraum vorhanden sei, um die Lausanner Empfehlung nicht wirksam werden zu lassen.
Die Zustimmung Daumes sei auch auf den Widerstand westdeutscher Sportfachverbände gestoßen. Der Präsident des Leichtathletik-Verbandes Danz7 habe u. a. erklärt, dass die DDR durch die Zustimmung Daumes eines ihrer wesentlichsten Ziele erreicht habe. Andere Fachverbandspräsidenten hätten die gleiche Meinung vertreten. Verschiedene führende Sportfunktionäre hätten die Zustimmung Daumes jedoch aus verbandsegoistischen Gründen (Teilnahme einer größeren Anzahl westdeutscher Sportler) begrüßt, ohne dies offen zu bekennen.
Wie weiter berichtet wurde, habe sich die Bonner Regierung in der Zwischenzeit intensiv bemüht und auch Daume ermuntert, alle diplomatischen und taktischen Möglichkeiten auszunutzen, um auch in Zukunft den optischen Eindruck des Auftretens einer gesamtdeutschen Olympia-Mannschaft aufrechtzuerhalten.
Das Bonner Kabinett habe sich auf seiner ersten in diesem Jahr stattgefundenen Sitzung mit diesen Fragen befasst. Außenminister Schröder,8 der vorher mit Daume verhandelt hatte, sei der Berichterstatter gewesen. Schröder habe sich darauf berufen können, dass er in seinem Gespräch mit Daume volle Übereinstimmung erzielt habe. Als Hauptargument sei in diesem Gespräch festgelegt worden, die internationale Öffentlichkeit könne nicht am Auftreten von zwei deutschen Mannschaften interessiert sein, die deutsche Konkurrenz sei dann zu groß und außerdem sei in den olympischen Regeln ausdrücklich festgelegt, dass jedes Land nur eine Mannschaft entsenden könne und das IOC Deutschland noch als einheitliches Territorium betrachte.
Die Anregung zur Reise Daumes nach Chicago und zu seiner Besprechung mit Brundage sei ebenfalls von Schröder ausgegangen. Schröder und Daume seien sich einig gewesen, Brundage davon zu überzeugen, dass eine gesamtdeutsche Mannschaft nicht als eine Fiktion betrachtet werden dürfe. Sowohl im Gespräch mit Schröder als auch mit Brundage habe sich Daume »verpflichtet«, dass der DSB, wenn er das Auftreten gesamtdeutscher Mannschaften befürwortet, auch zur Überprüfung des Düsseldorfer Beschlusses9 über den Abbruch des Sportverkehrs zwischen beiden deutschen Staaten bereit sei. Als eine entscheidende Frage werde dabei angesehen, auch den Sportverkehr zwischen dem demokratischen Berlin und Westberlin wieder zu eröffnen.
Die Bonner Regierung habe sich in ihrem Bestreben davon leiten lassen, die »harten politischen Maßnahmen der DDR zu durchlöchern« und zu »beweisen«, dass der DDR am gesamtdeutschen Charakter des Sports nichts gelegen sei. Schröder und Daume hätten sich das Ziel gestellt, die DDR zu einem Einlenken und zu innerdeutschen Olympia-Ausscheidungen10 zu zwingen, die im demokratischen Berlin und in Westberlin erfolgen sollen. Brandt11 habe den Ausscheidungen in Westberlin grundsätzlich zugestimmt.
Das westdeutsche Olympische Komitee sei sich zwar der damit verbundenen Schwierigkeiten bewusst, habe aber den entsprechenden Auftrag der Bonner Regierung angenommen. Bonn wolle einen »entscheidenden Schlag führen« und im Falle eines Scheiterns seiner Vorschläge das »Primat« Westdeutschlands herausstellen. In diesem Falle lasse sich Bonn von der Absicht leiten, der DDR den »Schwarzen Peter« zuzuschieben.
Im Unterschied zum bisherigen Auftreten gesamtdeutscher Olympia-Mannschaften sei jetzt vorgesehen, die gesamtdeutsche Mannschaft geschlossen unterzubringen. Das IOC wolle außerdem darauf dringen, dass Mannschaften und Staffeln aus den besten Spielern beider deutscher Staaten gemischt zusammengesetzt werden sollen.
Nach Meinung der Quelle habe die »schnelle und übereilte Reaktion« des NOK der DDR auf die Lausanner Empfehlung und die faktische Auslegung der Empfehlung als einen Beschluss zu der jetzt entstandenen Situation beigetragen und das Vorgehen der Bonner Regierung erleichtert. Die Bonner Regierung und westdeutsche Sportfunktionäre seien dadurch zu Überlegungen bewogen worden, den Sieg der DDR auf sportlichem Gebiet rückgängig zu machen.
Beim Vorgehen Schröders habe die Befürchtung eine Rolle gespielt, durch die Verwirklichung der Lausanner Empfehlung eine außenpolitische Schlappe einstecken zu müssen.
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