Fahnenflucht dreier Grenzsoldaten mit Schützenpanzerwagen nach Hessen
29. Juni 1963
Einzelinformation Nr. 410/63 über eine Gruppenfahnenflucht von drei Angehörigen des Grenzregiments Eisenach am 28. Juni 1963 mittels eines Schützenpanzerwagens (SPW)
Am 28.6.1963, gegen 14.00 Uhr, wurden die Angehörigen des Grenzregiments Eisenach Gefreiter [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1940 in Stralsund, wohnhaft Stralsund, [Straße], soziale Herkunft: Angestellter, Beruf: Pinsel- und Bürstenmacher, ledig, SPW-Fahrer in der 12. Reservegrenzkompanie Dippach; Gefreiter [Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1941 in Hennigsdorf, wohnhaft Hennigsdorf, [Straße, Nr.], soziale Herkunft: Arbeiter, Beruf: Maurer, ledig, Kraftfahrer im Transportzug Stab des 2. GR; Gefreiter [Name 3, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1942 in Durenow, wohnhaft [Ort], [Kreis] Stralsund, soziale Herkunft: Arbeiter, Beruf: Traktorist, ledig, Mitglied der FDJ, Kraftfahrer im Transportzug des 2. GR, eingesetzt als Fahrer des P2M1 des Regimentskommandeurs, fahnenflüchtig.
Sie benutzten dazu einen SPW vom Typ 152/W 1, mit dem sie gewaltsam die Grenzsicherungsanlagen im Raum Dankmarshausen (Grenzabschnitt des 3. Bataillons der 10. Kompanie) durchbrachen.
Die bisherigen Überprüfungen des MfS ergaben:
Alle drei Fahnenflüchtigen – deren Dienstzeit im Herbst 1963 abgelaufen wäre – waren bisher nie negativ in Erscheinung getreten. Ihre Aufgaben lösten sie bis zu ihrer Fahnenflucht gut und erhielten je zwei Belobigungen. Auch andere operativ zu beachtende Hinweise lagen über sie nicht vor. Lediglich [Name 3] wurde als charakterlich noch nicht gefestigt und leicht beeinflussbar eingeschätzt.
Sie waren gemeinsam am 6.4.1962 einberufen worden und kamen zusammen in ein Ausbildungs-Bataillon. Ihre Verbindung zueinander bestand auch dann noch, als [Name 1] zur 12. Kompanie nach Dippach versetzt wurde.
Diese Tatsache und die ganze Art und Weise, wie sie ihre Flucht durchführten, lässt mit Sicherheit darauf schließen, dass die Fahnenflucht vorbereitet und organisiert war.
[Name 2] hatte den Auftrag, am 28.6.1963, um 12.30 Uhr, vom Objekt des 2. GR aus mit dem Bus zur 12. Kompanie zu fahren, um von dort Soldaten zu einer Theatervorstellung nach Eisenach zu befördern. Zu dieser Fahrt nahm [Name 2] den [Name 3] mit, der sich bei der Ausfahrtkontrolle im Objekt vermutlich im Bus versteckt hielt.
Gegen 13.15 Uhr ließ [Name 2] ca. 200 m vom Objekt der 12. Kompanie in Dippach entfernt den Bus auf der Straße stehen.
Unter der Variante, er müsse eine Reparatur am Bus durchführen, begab sich [Name 2] ins Objekt der 12. Kompanie und verlangte einen Schraubenschlüssel. Bei dieser Gelegenheit sprach er mit dem in der 12. Kompanie dienstversehenden [Name 1] und beide gingen dann zurück zum Bus.
Der auf diese Weise verständigte [Name 1] bat um 13.30 Uhr seinen Kompaniechef Leutnant [Name 4] um die Erlaubnis, mit einem SPW zur Schachtanlage Alexandershall zu fahren, um dort eine Reparatur am Lenksystem dieses SPW vornehmen zu lassen. [Name 1] erhielt von Leutnant [Name 4] diese Erlaubnis, weil bei einer Instruktion im Juli 1963 tatsächlich ein Defekt an der Lenkung festgestellt wurde. [Name 1] fuhr daraufhin sofort aus dem Objekt. Nachdem [Name 2] und [Name 3] zustiegen, fuhren sie mit dem SPW durch Dippach in Richtung Dankmarshausen. Bei der Einfahrt ins 500 m Sperrgebiet an der Werra-Brücke gab der SPW ordnungsgemäß Flaggenzeichen und der Posten ließ deshalb den SPW wie üblich passieren.
Die drei Fahnenflüchtigen durchbrachen dann an einer ihnen aufgrund ihrer Ortskenntnis genau vertrauten, nicht verminten Stelle die Drahtsperre in Richtung Heringen/WD.
Aufgrund eines starken Gewitters und der damit verbundenen Sichtbeschränkung wurde der Durchbruch von den ca. 500 m von der Durchbruchstelle entfernt befindlichen Posten nicht bemerkt. Erst gegen 16.00 Uhr bei der Absicherung von Feldarbeiten in der Nähe der Durchbruchstelle wurde von den eingesetzten Posten der Durchbruch festgestellt.
Etwa zur gleichen Zeit wurde auch von einem westdeutschen Lokführer, der mit einem Güterzug aus Westdeutschland kam, einem Angehörigen des Zolls in Gerstungen mitgeteilt, dass bei der Zollstelle in Heringen drei NVA-Angehörige mit einem SPW angekommen sind.
Vom MfS wurden weitere Maßnahmen zur Aufklärung besonders der Ursachen und der näheren Umstände der Fahnenfluchten und der Möglichkeiten zur Rückführung des SPW eingeleitet.