Feindliche Pläne und Absichten anlässlich des VI. SED-Parteitags (2)
23. Januar 1963
2. Bericht Nr. 53/63 über feindliche Pläne und Absichten und feindliche Handlungen auf dem Gebiet der DDR anlässlich des VI. Parteitages der SED
Die im Innern der DDR begangenen und sich gegen den VI. Parteitag1 richtenden Handlungen nahmen – vor allem in den Bezirken – keinen großen Umfang an. Wie bereits im ersten Bericht2 erwähnt wurde, bestanden sie hauptsächlich im Abreißen und Beschädigen von Fahnen, Plakaten und Bildnissen führender Funktionäre, im Anbringen von Hetzlosungen und Schmierereien (zu einem beträchtlichen Teil in Form von Hakenkreuzen) sowie, aber im weitaus geringerem Maße, in der Verbreitung selbstgefertigter Hetzschriften.
Im Vergleich zu dem im ersten Bericht angeführten Zeitraum (14.–17.1.1963) gab es zwar in den letzten Tagen des Parteitages (17.–21.1.1963) ein geringes Ansteigen, aber es muss darauf hingewiesen werden, dass während dieser Zeit sämtliche Vorfälle zuerst als Tätigkeit feindlicher Elemente gesehen werden mussten, sich aber in mehreren Fällen herausstellte, dass keine Feindtätigkeit vorlag (z. B. beim Beschädigen von Plakaten) bzw., dass Kinder die Urheber waren und ein direkter Zusammenhang zum Parteitag nicht nachgewiesen werden konnte.
So wurde auch zu dem im ersten Bericht genannten Beispiel (Abschneiden des Pioniertuches eines 11-jährigen Schülers durch einen unbekannten Täter) ermittelt, dass keinerlei Feindtätigkeit vorliegt, sondern der Pionier dies aus Geltungsbedürfnis selbst tat.
Örtlicher Schwerpunkt der feindlichen Handlungen war nach wie vor das demokratische Berlin.3
So wurden in der Zeit vom 17. bis 21.1.1963 insgesamt
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31 Fahnen und Plakate abgerissen oder beschädigt, davon 29 im demokratischen Berlin und in je einem Fall im Bezirk Dresden und Halle,
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15 Hetzlosungen, davon neun im demokratischen Berlin und sechs in den Bezirken (Halle zwei, Neubrandenburg, Suhl, Dresden, Leipzig je eine)
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und 16 Hakenkreuze, davon elf im demokratischen Berlin, drei im Bezirk Halle und je eins in Dresden und Neubrandenburg angeschmiert.
Selbstangefertigte Hetzschriften wurden in drei Fällen und mit nur einzelnen Exemplaren in Bernburg, [Bezirk] Halle, in Berlin-Mitte in der Linienstraße (Schreibmaschine) und im U-Bahnhof Alexanderplatz (Linolschnitt) verbreitet.
Diese feindlichen Handlungen traten in allen Stadtbezirken Berlins, besonders in Köpenick, Treptow und Lichtenberg auf.
Obwohl die meisten Täter unerkannt blieben, gibt es doch eine Reihe Hinweise, dass es sich aufgrund der Art und Weise des Anbringens, z. B. von Schmierereien, des Abreißens von Fahnen, bei einer ganzen Anzahl um Kinder und jugendliche Täter handeln muss. Insgesamt wurden fünf Täter festgenommen, die Fahnen abrissen oder Plakate beschädigten. Darunter befanden sich ein 16-jähriger Jugendlicher und der 21-jährige [Name 1], der bereits wegen staatsgefährdender Hetze und Propaganda vorbestraft war.
Ferner wurde beim Abreißen von Fahnen4 der VP-Hauptwachtmeister [Name 2] vom SC »Dynamo« gestellt.
In Weißensee wurde ein 8-jähriger Schüler gestellt, der in der Lehderstraße Plakate beschädigte und für weitere dort als Schwerpunkt auftretende Plakatbeschädigungen und Fahnenentwendungen infrage kommt.
In Berlin-Friedrichsfelde wurde der 1939 geborene [Name 3] beim Abreißen einer Fahne in der Kopernikusstraße/Warschauer Straße gestellt. Er trug weitere fünf bereits entwendete Fahnen bei sich.
Als Beispiele müssen besonders angeführt werden, dass im RAW Treptow, wo während des Parteitages schon wiederholt feindliche Handlungen festgestellt wurden, abermals in zwei Fällen (am 18.1. eine Wandzeitung mit Bildnissen von Genossen Chruschtschow5 und Walter Ulbricht6 beschädigt, am 21.1. im Werk Hoffmannstraße ein Hakenkreuz am Eingang zur Zentralen Parteileitung angebracht) feindliche Handlungen erfolgten.
In Templin, [Bezirk] Neubrandenburg, wurde unter die im Thälmannhain aufgestellte Thälmann-Büste die Hetzlosung »KZ-Partei – SED raus« in der Länge von 2,30 m und 34 cm Höhe mit Kreide angeschmiert. (Diese Hetzlosung wurde bereits am 15.1. angebracht.)
Außer diesen Formen der feindlichen Tätigkeit wurden in mehreren Fällen besonders noch anonyme Hetzbriefe, teilweise mit Poststempel aus Westdeutschland und Westberlin, versandt, die an den VI. Parteitag, an das ZK der SED, an führende Genossen persönlich, an die sowjetische Botschaft und auch an andere Personen und Institutionen gerichtet waren. Zum Beispiel erhielt eine Parteitagsdelegierte aus Arnstadt, [Bezirk] Erfurt, einen anonymen Brief mit Hetze gegen führende Funktionäre.
Die Delegierte des VI. Parteitages Ilse Neumann7 (VEB Plastik-Werk Berlin-Friedrichshagen) erhielt aus Westberlin eine anonyme Hetzkarte, in der sie aufgefordert wurde, nicht am Parteitag teilzunehmen.
Prof. Dr. Ardenne8 erhielt einen anonymen Hetzbrief, wie er bereits vorher an den VEB »Siegfried Rädel«, Pirna9 gesandt worden war.
Der Inhalt der Hetzlosungen, der selbstangefertigten Flugblätter und der anonymen Briefe insgesamt richtete sich überwiegend gegen die SED, gegen ihre führenden Funktionäre und gegen die Sowjetunion, wobei besonders die vom Gegner verbreitete hetzerische Argumentation verwandt wurde.
Terroristische Handlungen oder größere, ernsthafte Provokationen traten nicht auf.
Lediglich während der Übertragung der Reden der Genossen Chruschtschow und Walter Ulbricht im EKO/Eisenhüttenstadt, forderten die Lehrlinge [Name 4] und [Name 5], die Übertragung in der Betriebsberufsschule des EKO, in der sie untergebracht sind, abzuschalten. Als dies von den Erziehern abgelehnt wurde, begab sich [Name 5] zum Übertragungswagen und drückte gewaltsam die Tür ein, um die Übertragung zu unterbrechen.
In allen Fällen wurden die notwendigen operativen Maßnahmen eingeleitet.
Im Auftreten von Bränden und Störungen in der Volkswirtschaft der DDR ist ebenfalls keine wesentliche Veränderung im Vergleich zum vorhergehenden Berichtszeitraum festzustellen, abgesehen von einzelnen Vorkommnissen, die nachfolgend mit angeführt werden:
Brände und Störungen in der Volkswirtschaft (vom 17.1. bis 21.1.)
Am 17.1.1963, gegen 10.20 Uhr, stießen auf dem Versuchsgleisgelände des RAW Dessau zwei E-Loks der Baureihe 11 zusammen. Diese Loks (insgesamt 20 Stück) wurden zu Ehren des VI. Parteitages gefertigt. Am 17.1.1963 wurden die ersten Versuchsfahrten unternommen. Die beiden E-Loks wurden von zwei Diplomingenieuren gefahren, die sich vorher nicht über die Streckenfreiheit informiert hatten. Dabei erlitt eine Person schwere Verletzungen, der entstandene Sachschaden beträgt ca. 150 TDM.10 Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Es besteht die Vermutung, dass es sich um Feindtätigkeit handelt.
Am 19.1.1963, gegen 21.35 Uhr, ist auf dem Bahnhof Schöneweide ein Kesselwagen mit Flugmotorenbenzin beim Abrangieren stark aufgelaufen. Dabei wurde die Kesselwand aufgerissen und 50 000 l Benzin liefen aus. Das Vorkommnis wird von der Abt. XIII Groß-Berlin11 noch bearbeitet. Hinweise auf Feindtätigkeit ergaben sich bisher nicht.
Im Kaliwerk Roßleben, Kreis Artern, [Bezirk] Halle, zerschlug am 19.1.1963 ein Förderkorb eine Spurlatte des Schachtes in Höhe von 340 m bis 410 m und riss außerdem vier Einstriche ab. Zur Durchführung der notwendigen Reparaturarbeiten musste die Förderung bis zum 21.1.1963 eingestellt werden. Es entstand ein Schaden von ca. 20 TDM. Die Ursache liegt im Schlagen des Förderkorbs. Hinweise auf Feindtätigkeit liegen nicht vor.
Am 19.1.1963 entdeckte ein Arbeiter im VEB Bremsenwerk,12 dass die Innenseite der Kappe einer leeren Sauerstoffflasche mit Fett eingeschmiert war. Dadurch bestand die Möglichkeit einer Explosion beim Neufüllen infolge der Verbindung von Sauerstoff und Fett. Es wird Diversion vermutet, nähere Hinweise liegen aber noch nicht vor.
Im EAW Treptow wurde am 17.1.1963 gegen 10.00 Uhr festgestellt, dass an einem Gleichrichter in der Höhengleichrichterfabrik zwei Drähte (3 mm) zerschnitten waren. Der Gleichrichter war erst am 14.1.1963 installiert worden. Die Op.-Gruppe13 der KD Treptow bearbeitet das Vorkommnis.
Am 20.1.1963, gegen 1.45 Uhr, brannte eine Bretterscheune der LPG I Knapendorf,14 [Kreis] Merseburg, [Bezirk] Halle, mit landwirtschaftlichen Geräten und Rapsstroh vollständig nieder. Als Täter wurden zwei Schüler (13 und 12) ermittelt, die in Merseburg zwei Fahrräder gestohlen hatten und in der Scheune übernachten wollten. Zu diesem Zweck hatten sie ein Feuer angezündet, das sie jedoch nicht wieder löschen konnten. Die Väter sind Offiziere der BDVP Halle. Entstandener Schaden ca. 8 000 DM.
Durch einen Brand im Sanitätsraum des VEB Landmaschinenbau Fortschrittwerk15 Neustadt, [Kreis] Sebnitz, [Bezirk] Dresden, am 20.1.1963 entstand ein Schaden von ca. 14 TDM. Die Brandursache ist noch nicht ermittelt.
Am 21.1.1963 bemerkte der Betriebsleiter des VEB Fleischkombinat [Berlin], Werk II, Leninallee 273 (in unmittelbarer Nähe der Werner-Seelenbinder-Halle16) bei Betriebsbeginn, dass von der neu errichteten Förderbandanlage fünf Förderbänder zerschnitten und unbrauchbar gemacht wurden. Bis zum 22.1.1963 morgens lagen noch keine näheren Hinweise über die Täter bzw. den Täter vor. Die Abt. III Groß-Berlin17 bearbeitet den Fall weiter.
Außerdem gab es wieder eine Reihe kleinerer Brände durch unvorsichtiges Auftauen von Wasserleitungen, durch Kurzschlüsse und Überhitzung von Ställen durch Infrarotstrahler.
An der Staatsgrenze konzentrierte sich die gegnerische Tätigkeit im Wesentlichen auf Kontaktaufnahmeversuche und die Beeinflussung unserer Grenzposten durch den Einsatz der Senats-Hetzlautsprecher. Eine Aktivierung der Provokationstätigkeit war jedoch nicht festzustellen.
In drei Fällen versuchten Westpolizisten unsere Grenzsicherungseinrichtungen zu beschädigen, wobei es ihnen in einem Fall gelang, in der Gleimstraße Steine aus der Grenzmauer zu brechen. In weiteren zwei Fällen versuchten Westberliner Polizisten durch Steinwürfe unsere Grenzbeleuchtung zu beschädigen und in einem Fall wurde durch Überwerfen eines Drahtes ein Kurzschluss verursacht.
Zu einem weiteren Zwischenfall kam es am 20.1.1963, gegen 17.55 Uhr, als aus dem letzten Abteil eines in Richtung Frohnau fahrenden S-Bahnzuges, in Höhe der Halle 8 des VEB Bergmann-Borsig (Berlin Wilhelmsruh), durch zwei männliche Personen ein Sprengkörper mit Spätzündung in Richtung der Staatsgrenze der DDR geworfen wurde. Nach ca. zwei Minuten kam es unmittelbar an der Grenze auf Westberliner Gebiet zu einer Explosion, wobei auf der Erdoberfläche eine 2 m ø große Brandstelle entstand. Personen- oder Sachschaden war nicht zu verzeichnen.
Am 21.1.1963, gegen 20.30 Uhr, wurden in der Melchiorstraße durch vier Westberliner Jugendliche zwei kleinere Explosionskörper gegen die Grenzmauer geworfen, die ebenfalls keine Beschädigungen verursachten.
In weiteren zwei Fällen wurden am 21.1.1963 unsere Grenzposten auf den S-Bahnhöfen Bornholmer Straße und Nordbahnhof aus durchfahrenden S-Bahnzügen mit je einer Bierflasche bzw. einem Aschenbecher beworfen. Verletzungen traten nicht ein.
Die Hetzsendungen der Westberliner Senatslautsprecherwagen richteten sich gegen:
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den VI. Parteitag, besonders den 1. Sekretär der SED,
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die Einheit und Geschlossenheit der kommunistischen und Arbeiterparteien, vor allem in Verbindung mit dem Verhalten der chinesischen Delegierten,
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die Sicherungsmaßnahmen vom 13.8.1961.18
Der Einsatz der Hetzsender erfolgte vorwiegend in den Mittagsstunden (12.00–14.30 Uhr) besonders im Stadtgebiet (Bayern-, Brunnen- und Eberswalder Straße sowie in der Bahnhofstraße in Staaken).
In der Streifen- und Aufklärungstätigkeit der Westberliner Polizei sowie der in Westberlin stationierten Besatzer (einschließlich der in das demokratische Berlin einfahrenden Militärfahrzeuge) waren in der letzten Zeit keine Veränderungen festzustellen.