Festnahme des ev. Pfarrers von Siegelbach, Kreis Arnstadt, Bez. Erfurt
21. Oktober 1963
Einzelinformation Nr. 635/63 über die Festnahme des Pfarrers Blumenstein, Albert, geb. am 26. August 1910 in Kassel, aus Siegelbach, Kreis Arnstadt, wegen Niederschlagen des Bürgermeisters von Siegelbach
Nachdem Pfarrer Blumenstein1 den Bürgermeister von Siegelbach Nüchter, Alfred,2 geb. 5.8.1923, vor Tagen schon auf den Wassermangel in der Gemeinde Siegelbach aufmerksam gemacht hatte und dieses Problem auch auf der Wahlversammlung am 18.10. in Siegelbach kritisch angesprochen wurde, erschien am 19.10. gegen 8.45 Uhr Pfarrer Blumenstein im Büro des Bürgermeisters und beschwerte sich abermals über den Wassermangel.
Pfarrer Blumenstein schrie dabei den Bürgermeister an und benahm sich sehr grob. Trotz dieses ungebührlichen Verhaltens gab Bürgermeister N. sachlich Auskunft über die Ursachen und Zusammenhänge der Wasserknappheit (sinkender Grundwasserspiegel), wie er es schon auf der Wahlversammlung getan hatte.
Pfarrer B. verließ daraufhin das Bürgermeisteramt. Nach einer Viertelstunde kam Pfarrer B. abermals zurück und forderte den Bürgermeister auf, mit nach draußen zu kommen, um ihn auf einen angeblich neuen Mangel (fehlende Treppe am Gemeindebüro) aufmerksam zu machen.
Als sich Bürgermeister N. weigerte, brüllte ihn Pfarrer B. erneut an, stürzte sich auf ihn und versetzte ihm ca. 20 Schläge ins Gesicht und auf den Kopf. Dadurch wurden bei Bürgermeister N. zwei Zähne locker geschlagen und Nasen- und Lippenbluten hervorgerufen. Bürgermeister N. saß während dieses tätlichen Angriffs hinter seinem Schreibtisch und konnte sich wegen seiner schweren Körperbeschädigung (Beinamputierter) nicht zur Wehr setzen. Vier weitere Personen befanden sich zu diesem Zeitpunkt im Gemeindebüro und sahen dieser Provokation des Pfarrers zu, ohne von sich aus einzugreifen. Auch nach Aufforderung seitens des Bürgermeisters, den Pfarrer hinauszuwerfen, griffen sie nicht ein. Lediglich eine Person versuchte, den Pfarrer vom Bürgermeister wegzuziehen. Angeblich wären sie im Unklaren gewesen, ob sie das Recht hätten, den Pfarrer hinauszuwerfen.
Während der Bürgermeister eine fortschriftliche Einstellung hat und bemüht ist, stets den Belangen der Bevölkerung gerecht zu werden, wird der Pfarrer B. als ein sehr aggressiver, jähzorniger und brutaler Mensch eingeschätzt. [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.] und trat in den meisten Fällen bisher auch politisch negativ in Erscheinung. 1961 zerriss er z. B. im Wahllokal öffentlich den Wahlschein.3 Bei der Wahlvorbereitung 1957 lehnte er in einer Aussprache mit Agitatoren mehrere Kandidaten – in der Hauptsache SED-Mitglieder – ab.4 Ferner störte er in der Vergangenheit Versammlungen der Gemeindevertreter, indem er sich unberechtigt Eintritt verschaffte, um zu telefonieren.
Gegenüber Kindern und auch gegenüber älteren Personen gebrauchte Pfarrer B. in arroganter Art und Weise Bezeichnungen wie Karnickel und ähnliche Beschimpfungen.
Auf den Wahlverlauf5 hat sich diese Provokation nicht ausgewirkt. In der Gemeinde Siegelbach wurde die Volkswahl erstmalig in den Vormittagsstunden mit 100 % abgeschlossen. Bezeichnend ist jedoch, dass die mit B. befreundeten Pfarrer Neumann6 aus Plaue und Anton7 aus Liebenstein bis zu den späten Abendstunden nicht zur Wahl erschienen.
In der Gemeinde Siegelbach und auch in der benachbarten Gemeinde Dosdorf distanzierte sich der größte Teil der Einwohner von dieser provokatorischen Handlung des Pfarrers. Sogar einige stark kirchlich gebundene Personen der Gemeinde Dosdorf brachten zum Ausdruck: »Dieser Pfarrer hätte schon längst verschwinden müssen, da in unserer Gemeinde noch nie so ein brutaler Pfarrer gewesen ist.«
Weitere Untersuchungen werden vom MfS geführt.