Festnahme dreier Fluchthelfer am Grenzübergang Drewitz (2)
14. Oktober 1963
Einzelinformation Nr. 620/63 über die Festnahme von drei westdeutschen Bürgern wegen staatsfeindlicher Handlungen gegen die Sicherung unserer Staatsgrenze
Am 26.9.1963 wurden am KPP Drewitz folgende auf der Fahrt von Westberlin nach Westdeutschland befindliche westdeutsche Bürger vom MfS festgenommen:
Wollziefer, Rolf, geb. am [Tag, Monat] 1934 in Wuppertal, wohnhaft in Horrem, Kreis Bergheim, [Regierungsbezirk] Köln, [Straße, Nr.], Beruf: Religionslehrer, seit Mai 1961 hauptamtlicher Geschäftsführer der Kreisgeschäftsstelle der CDU in Bergheim/Köln (Mitglied der CDU und der »Jungen Union« seit Dezember 1958, Kreisvorsitzender in Bergheim von Juni 1959 bis April 1962); Wollziefer, geb. Hilgers, Helga, geb. am 15.3.1941 in Köln, wohnhaft in Horrem, Kreis Bergheim, [Regierungsbezirk] Köln, [Straße, Nr.], zuletzt Hausfrau (Mitglied der CDU seit Mai 1961 und der »Jungen Union« seit September 1960); Hoensbroech, von und zu, Benedikt,1 geb. [Tag, Monat] 1939 in Köln, wohnhaft [Adresse] Türnich, Kreis Bergheim, Beruf: Landwirt, zuletzt Student der Volkswirtschaft an der Universität Köln (Mitglied der CDU und der »Jungen Union« seit August 1956, Mitglied des Kreisvorstandes der »Jungen Union« in Bergheim seit 1956).
Die Festnahme erfolgte aufgrund des dringenden Verdachtes der Zugehörigkeit dieser Personen zur Girrmann-Organisation2 und der Organisierung von Schleusungen verschiedener DDR-Bürger nach Westberlin bzw. Westdeutschland im Auftrage der genannten Organisation.
Bisher liegen folgende Untersuchungsergebnisse vor:
Der Beschuldigte W. sowie dessen Ehefrau (vom 1.7.1961 bis 31.5.1962 als Sekretärin in der Kreisgeschäftsstelle der CDU Bergheim beschäftigt) hatten seit Herbst 1959 sogenannte Studienfahrten von Mitgliedern der »Jungen Union« nach Westberlin organisiert, die vom »Ministerium für gesamtdeutsche Fragen« gefördert und finanziell unterstützt wurden. Während eines solchen Aufenthaltes bekam das Ehepaar Wollziefer Anfang 1962 im »Robert-Tillmanns-Haus«,3 Berlin-Nikolassee, Kirchweg 25 (wird vom Landesverband der CDU-Westberlin unterhalten) und auf der »Grünen Woche«4 1962 Kontakt zum Mitglied des Landesvorstandes der Westberliner CDU Hartung.5 (H. war früher im demokratischen Berlin wohnhaft und bekleidete damals die Funktion eines Kreisvorsitzenden der illegalen CDU Berlin-Mitte.) H. machte das Ehepaar Wollziefer sowie Hoensbroech im Frühjahr 1963 zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit Girrmann bekannt.
Bereits Anfang 1962 erfuhren die Beschuldigten W., dass durch die Westberliner CDU Ausschleusungen von im demokratischen Berlin wohnhaften Bürgern organisiert und durchgeführt werden. Sie erklärten sich sofort bereit, diese Tätigkeit zu unterstützen. Der Beschuldigte H. ist seit dem 15.6.1962 über die Schleusungstätigkeit des Ehepaars W. informiert und willigte zum gleichen Zeitpunkt ein, mit diesem zusammenzuarbeiten.
Im Verlaufe ihrer feindlichen Tätigkeit haben die drei Beschuldigten – teils gemeinsam, teils getrennt – von Anfang 1962 bis August 1963 24 Familien bzw. Einzelpersonen im demokratischen Berlin6 aufgesucht, um eine Schleusung dieser vorzubereiten und zu unterstützen.
Diese Besuche dienten dazu, Personalangaben zur Verfälschung ausländischer Reisepässe zu beschaffen und festzustellen, welche Kleidungsstücke und Gegenstände des täglichen Bedarfs westlicher Herkunft zur Täuschung der DDR-Kontrollorgane benötigt werden. Die Besuche im demokratischen Berlin wurden gleichzeitig dazu benutzt, das Kontrollsystem der Grenzsicherungskräfte zu testen, um sich bei der Schleusung darauf entsprechend einstellen zu können.
Neben dieser Tätigkeit haben die Beschuldigten von Januar 1962 bis Juni 1963 drei Familien im demokratischen Berlin je achtmal aufgesucht, um diesen Geschenkpakete im Rahmen der »Liebesgabenaktion« im Auftrage der Westberliner CDU zu überbringen. (Bei fünf solcher Fahrten waren alle drei Beschuldigten beteiligt.)
Im Mai 1963 wurden die drei Beschuldigten durch Girrmann von dem Vorhaben in Kenntnis gesetzt, DDR-Bürger in einem von der Girrmann-Organisation aufgekauften und mit einem Versteck versehenen Möbelwagen zu schleusen. Das Ehepaar Wollziefer gewann auftragsgemäß einen ihnen bekannten Handwerksmeister (CDU-Mitglied) als Scheineigentümer für das Schleusungsfahrzeug. Unter Ausnutzung seiner Verbindungen zur Kreisverwaltung Bergheim organisierte W. gemeinsam mit den anderen Beschuldigten und Girrmann die polizeiliche Zulassung des Schleusungsfahrzeuges.
Um die Durchführung einer für den 2.8.1963 mit dem bewussten Fahrzeug geplanten Schleusungsaktion zu sichern, unternahmen Hoensbroech und die Helga Wollziefer am Abend des 1.8.1963 im Auftrage Girrmanns eine Fahrt auf der Autobahn Juchhöh7 – Berlin, um die Kontrolltätigkeit der Sicherheitsorgane der DDR zu testen und den als Aufnahmeplatz vorgesehenen Ort nochmals auf seine Eignung zu überprüfen.
Infolge einer Verzögerung bei der Beladung des Schleusungsfahrzeuges mit der Tarnfracht befürchtete Girrmann ein verspätetes Eintreffen des Wagens am Aufnahmeplatz. Beide Beschuldigten fuhren deshalb am 2.8.1963 erneut in die DDR ein und setzten vier durch Kuriere zum Einstiegsort bestellte DDR-Bürger vom verspäteten Eintreffen des Fahrzeuges in Kenntnis.
Nachdem eine für Mitte August 1963 auf die gleiche Weise geplante Schleusungsaktion fehlschlug und Girrmann vermutete, dass es den Sicherheitsorganen der DDR gelungen war, das Schleusungsfahrzeug zu ermitteln, beauftragte er Hoensbroech, einen neuen Scheineigentümer ausfindig zu machen. Das führte dieser mithilfe eines Bekannten auch durch. Gleichzeitig ließ H. Anstrich, Motor und Fahrgestellnummer in einer ihm bekannten Werkstatt in Westdeutschland ändern.
Der Beschuldigte W. sicherte H. die Beschaffung von Blanko-Fahrzeugpapieren bei der Kreisverwaltung Bergheim zu.
Den Beschuldigten wurde im Verlaufe ihrer staatsfeindlichen Handlungen gegen die DDR – dem Beschuldigten W. bereits im Februar 1962 – bekannt, dass ihre Auftraggeber bei Schleusungen mit gefälschten ausländischen Reisepässen bzw. westdeutschen Ausweispapieren arbeiten. Dem Beschuldigten W. wurde beispielsweise im Februar 1962 mitgeteilt, dass Verbindungen zu einem belgischen Staatsbürger beständen, der aus dem deutschsprachigen Raum Belgiens belgische Reisepässe beschaffe. Im Mai 1963 erfuhr W., dass ein CDU-Bundestagsabgeordneter westdeutsche Blanko-Personaldokumente und gefälschte Aufenthaltsgenehmigungen für die DDR durch seine Beziehungen zu SPD-Funktionären zu Schleusungszwecken vermittelte. (Diese Dokumente sollen in einer Druckerei der SPD herstellt werden.)
Nachdem der Beschuldigte W. im Februar 1963 erfolglos versucht hatte, [sich] bei der Amtsverwaltung Horrem, Kreis Bergheim, selbst Blanko-Personalausweise zu verschaffen, begaben sich Hoensbroech und Girrmann Ende Mai bzw. Anfang Juni 1963 zum gleichen Zweck zur Kreisgeschäftsstelle der CDU in Hagen.
(Dem Beschuldigten H. ist angeblich nicht bekannt, ob Girrmann in Hagen tatsächlich derartige Dokumente erhalten habe.)
Den Aussagen der drei Beschuldigten ist zu entnehmen, dass sie während ihrer Tätigkeit für die Girrmann-Organisation von einer Verschuldung dieser Organisation in Höhe von 60 000 Westmark Kenntnis erhielten. Um eine bessere Finanzierung der Schleusungstätigkeit zu erreichen, seien mit dem Sonderminister Krone8 und dem ehemaligen Minister Lemmer9 entsprechende Aussprachen erfolgt.
Anlässlich einer Zusammenkunft zwischen Lemmer und Girrmann Mitte August 1963 in Westberlin habe Lemmer zugesichert, sich bei Krone für eine bessere finanzielle Unterstützung der Schleusungstätigkeit einzusetzen.
Der Beschuldigte H. wurde im August 1963 von Girrmann beauftragt, mit einem ihm bekannten Teilhaber der Kölner Oppermann-Bank über die Bereitstellung finanzieller Mittel zu verhandeln. Im Verlaufe der Unterredung sicherte dieser auch zu, sich ebenfalls bei Sonderminister Krone zum gleichen Zweck zu verwenden.
Entsprechend der Aussagen der Beschuldigten unterhält Girrmann Verbindung zum Westberliner Landesamt für Verfassungsschutz und zum Bundesnachrichtendienst. In Gesprächen habe er zum Ausdruck gebracht, dass er die mit ihm zusammenarbeitenden Personen durch Mitarbeiter des Verfassungsschutzes überprüfen lasse.
Die Untersuchungen zur Aufklärung des gesamten Umfanges der Feindtätigkeit der genannten Personen, insbesondere des sich abzeichnenden Zusammenhanges mit führenden Bonner und Westberliner politischen Kreisen, werden noch weitergeführt.
Die Information ist deshalb zunächst nur zur persönlichen Information bestimmt und publizistisch noch nicht auswertbar.