Festnahme einer jugendlichen Untergrundgruppe in Jena
20. Februar 1963
Einzelinformation Nr. 105/63 über die Festnahme einer jugendlichen Untergrundgruppe in Jena
Am 11.2.1963 wurden vom MfS die als Täter für das Anbringen von Hetzlosungen im Stadtgebiet Jena ermittelten Jugendlichen [Name 38, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944 in Liegnitz, Maschinenschlosser bei der Fa. Franz Pelzer Jena, wohnhaft Jena, [Straße, Nr.], ([Name 38] ist wegen Einbruchdiebstahl mit acht Monaten Gefängnis – zweijährige Bewährung vorbestraft), [Name 39, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944 in Jena, Metalldrücker im väterlichen Betrieb, wohnhaft Jena, [Straße, Nr.], [Name 40, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1944 in Kunitz, Maurerlehrling im VEB Bau-Union Gera, wohnhaft Jena, [Straße, Nr.], [Name 41, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1945 in Jena, Maschinenschlosserlehrling bei der Fa. Franz Pelzer Jena, wohnhaft Jena, [Straße, Nr.], [Name 42, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1943 in Jena, Zementfacharbeiter im VEB Zementwerk Göschwitz, wohnhaft Jena, [Straße, Nr.], ([Name 42] wurde 1961 wegen staatsgefährdender Propaganda und Hetze zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt und vorzeitig mit zweijähriger Bewährungsfrist entlassen.) festgenommen.
Die bisherigen Untersuchungen ergaben:
Die Jugendlichen hatten sich 1961 aufgrund ihrer gemeinsamen ausgeprägten feindlichen Einstellung zu den Verhältnissen in der DDR zu einer Gruppe zusammengeschlossen.1 Ihre feindliche Einstellung wurde besonders durch den ständigen Empfang westlicher Rundfunk- und Fernsehstationen, durch das Lesen westlicher Schundliteratur und durch frühere Besuche Westberlins hervorgerufen und verstärkt. Das ursprüngliche Ziel ihres Zusammenschlusses war, gemeinsam die Staatsgrenze im Bezirk Gera nach Westdeutschland zu durchbrechen, wozu sie bereits umfangreiche Vorbereitungen getroffen hatten. Sie sahen dann jedoch von einem Grenzdurchbruch ab, weil sie Bedenken über die Realisierbarkeit ihres Planes zum damaligen Zeitpunkt hatten. Stattdessen beschlossen sie als Aktionen gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR Hetzlosungen anzuschmieren und Hetzflugblätter herzustellen und zu verbreiten.
Der festgenommene [Name 39] entwarf die Texte für die Hetzlosungen und [Name 40] besorgte zum Anbringen der Hetzlosungen rot-braune Nitrofarbe. Am 8.12.1962 um 3.00 Uhr brachten sie – in zwei Gruppen geteilt – ([Name 38], [Name 40] und [Name 39], [Name 41]) an zwei Stellen im Stadtgebiet von Jena, an der Paradiesbrücke und am Steinborn, je eine Hetzlosung an, die sich gegen die Verhältnisse in der DDR und gegen führende Funktionäre richtete. Die Hetzlosungen waren an gut sichtbarer Stelle in der Größe von 6 m × 15 cm und 12 m × 65 cm angeschmiert. Die von den Tätern benutzten Tatwerkzeuge (Pinsel und Farbe), die sie in einen Abflussgully der Kanalisation warfen, wurden sichergestellt.
Als nächste feindliche Aktion plante die Gruppe, ca. 5 000 bis 6 000 Hetzflugblätter herzustellen und zu verbreiten. Der festgenommene [Name 42], der auch vom Anbringen der Hetzlosungen wusste, ohne sich daran direkt beteiligt zu haben, besorgte das Papier für die Hetzflugblätter. In der Wohnung des [Name 38] stellten die festgenommenen [Name 38], [Name 39], [Name 40] und [Name 41] mittels Druckkasten eine große Anzahl Hetzflugblätter her, die sie anschließend in der Wohnung des [Name 40] versteckten. Die Verbreitung der Hetzschriften konnte durch die Festnahme der Täter verhindert werden.
Bei der Hausdurchsuchung wurden 3 578 teilweise fertiggestellte Hetzflugblätter und die dazu verwandten Werkzeuge und Materialien beschlagnahmt. Sichergestellt wurden außerdem eine für KK-Munition durchbohrte Schreckschusspistole mit einer ganzen Anzahl dazugehöriger Munition, Stichwaffen, drei Paar Gummihandschuhe und Chemikalien, mit denen Knallkörper hergestellt werden können. Ferner gaben die Festgenommenen in der Vernehmung zu, dass sie den bereits einmal geplanten Grenzdurchbruch im Sommer 1963 im Raum Probstzella verwirklichen wollten.
Die Untersuchungen werden besonders in der Richtung weitergeführt, restlos zu klären, inwieweit diese Gruppe auch noch andere im Raum Jena erfolgte feindliche Handlungen begangen hat, oder ob noch andere Täter dafür infrage kommen. Weitere Ergebnisse der Untersuchungen folgen.
Anlage zur Information Nr. 105/63
[Wortlaut der Losungen und Flugblätter der Jenaer Jugendlichen]
Text der von der Untergrundgruppe in Jena angeschmierten Hetzlosungen:
»Gib uns mehr zu essen Ulbricht2 oder lass uns raus! ›Freiheit‹« | »Weg mit Ulbricht, gebt uns Freiheit. Gebt uns was zum Fressen.«
Text der selbst angefertigten Hetzflugblätter:
»Einwohner Jenas!
Wie lange wollt Ihr Euch noch die katastrophale Ausbeutung der Ostzonenpolitik gefallen lassen? Erhöhte Normen, niedrige Löhne, militärische Ausbildungen, unzureichende Lebensmittel und hoher politischer Druck, das sind die Errungenschaften und Ziele der Ost …«
(Hier wurde der Text des Flugblattes unterbrochen.)