Handreichung der katholischen Kirche zur Frage des Friedens
4. November 1963
Einzelinformation Nr. 671/63 über eine Handreichung der Katholischen Kirche zur Frage des Friedens
Dem MfS liegt eine sogenannte Handreichung1 mit dem Thema »Zur Enzyklika ›Pacem in terris‹«2 vor. Diese Handreichung wurde von Weihbischof Theissing3 vom bischöflichen Ordinariat des Bistums Berlin herausgegeben und von Erzbischof Bengsch4 befürwortet. Sie wird damit auch für die anderen Bistümer und Kommissariate in der DDR zur Grundlage der ideologischen Auseinandersetzungen über die in der Handreichung behandelten Probleme.
So soll diese Handreichung in Form von Vorträgen und Predigtreihen durch Ordenspriester bzw. zuständige Gemeindepfarrer allen katholischen Gläubigen nahegebracht werden. Sie soll gleichzeitig in den sogenannten Standesgruppen und Kreisen (Kreise Junge Familie, Elternkreise, Frauen- und Mütterkreise usw.) behandelt werden. Es wird angestrebt, die Handreichung teilweise von qualifizierten Rednern vortragen zu lassen, die den jeweiligen Gemeindemitgliedern und Kreisen nicht bekannt sind, um einen größeren Zuhörerkreis zu gewinnen und damit die Wirksamkeit zu erhöhen.
Die Handreichung selbst ist als Teil der verstärkten ideologischen Auseinandersetzung mit den Problemen der Politik von Partei und Regierung zu werten, wie sie von Erzbischof Bengsch u. a. leitenden katholischen Kirchenführern in letzter Zeit wiederholt angekündigt wurden.
Entsprechend dieser Zielstellung richtet sich der Hauptangriff in dieser Handreichung gegen die Tatsache, dass von der DDR (vom sozialistischen Lager) der Frieden ausgeht und dass Sozialismus und Frieden eine dialektische Einheit bilden. Auf die progressive Seite5 der Enzyklika »Pacem in terris« wird deshalb in der Auslegung nicht oder nur demagogisch eingegangen; sie wird sogar verfälscht. Das zeigt sich besonders deutlich darin, dass die reale politische Bedeutung, beispielsweise in der Unterstützung der friedlichen Koexistenz, ignoriert wird. Stattdessen wird versucht, den Begriff Frieden seines wirklichen Inhalts zu berauben und den »inneren Frieden der Menschen« als das Primäre nachzuweisen.
Mit der Begründung, »gegenüber propagandistischer Verfälschung der Enzyklika ist eine Klärung nötig«, wird in der Handreichung nur zu bestimmten Problemen Stellung genommen, die geeignet sind, die ideologischen Auseinandersetzungen zu verschärfen und feindliche Argumente über die Grundprobleme der Gegenwart zu übermitteln.
Obwohl in der gesamten Handreichung nie direkt ausgesprochen wird, dass sich die Darlegungen auf die DDR oder den Sozialismus beziehen, ist dies aufgrund der ganzen Methodik und des Inhalts – wie sie auch in bisherigen ideologischen Angriffen gegen die DDR meist benutzt wurden – völlig klar.
Die Handreichung gliedert sich in vier Teile:
- 1.
Was dem Frieden dient.
- 2.
Die Grundfeste des Friedens.
- 3.
Sind wir in Ordnung?
- 4.
Auf dem Weg zur Menschheitsfamilie.
Jeder Teil soll die Grundlage für einen Vortrag bilden oder in Predigten entsprechend eingearbeitet werden.
Im ersten Teil wird nachzuweisen versucht, dass der Frieden nur von einer »gottgewollten Ordnung« ausgehen könnte, dass er nicht nur auf die »politische Vokabel Frieden« reduziert werden könne, sondern dass es um den »inneren Frieden des Menschen« ginge. Die Enzyklika verstehe »Frieden in einem ganz weiten Sinne«.
Wörtlich heißt es in der Handreichung: »… Der Friede ist auf die göttliche Ordnung bezogen. Er besteht in Übereinstimmung mit dieser Ordnung, ist daher grundsätzlich nur möglich, wo diese Ordnung erkannt und im menschlichen Vollzug anerkannt wird. (Die Gottlosen haben keinen Frieden.) …« Das heißt, Atheisten und solche Staatsordnungen, die keine göttlichen Ordnungen sind, könnten keinen Frieden schaffen.
Entgegen allen Erklärungen führender Staatsmänner des sozialistischen Lagers über die Möglichkeit der Verhinderung des Krieges durch die Existenz und das ständige Wachstum der Kraft des sozialistischen Lagers, wird in der Handreichung weiter erklärt, dass der Erfolg der Bemühungen um die Sicherung des Friedens (Reden, Vorschläge, Verhandlungen, Aktionen usw.) gering sei.
Zur Unterstützung dieser Argumentation wird weiter ausgeführt: »… Der Friede im vollsten Sinne des Wortes ist erst dann gegeben, wenn der Mensch nicht nur in einem Bereich in Ordnung, in anderen Bereichen aber in Unordnung ist … Die politischen Verhältnisse sind keineswegs überall so, dass die Menschen in Frieden leben …«
Im zweiten Teil der Handreichung werden als »Prinzipien des Friedens« Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit angeführt.
Diese »Prinzipien« werden so kommentiert, dass die unbedingte Schlussfolgerung entsteht, die sozialistische Gesellschaftsordnung bilde die Ursache für ständigen Unfrieden, weil in ihr diese »Prinzipien« verletzt würden.
Es heißt z. B. wörtlich: »Wer lügt, stiftet Unfrieden. Die Lüge bringt die kleine wie die große Welt durcheinander.«
Das zeige sich z. B. in einer Staatsordnung wie folgt: »Eine Regierung erlaubt nur durch eine scharfe Pressezensur eine tendenziöse Nachrichtengebung, durch die das Volk einseitig und damit falsch informiert wird. Dadurch wird die Lüge zur öffentlichen Meinung und ein ganzes Volk durch den Widerspruch von persönlicher und öffentlicher Meinung zur Unwahrhaftigkeit verdammt. Daraus entstehen Misstrauen, Angst, Bespitzelung etc.«
Zum Prinzip der Gerechtigkeit wird »… das Rassen- bzw. Klassenprinzip, das besonderen Gruppen der Gesellschaft besondere Privilegien verschafft, andere von beruflichem Aufstieg und politischer Mitverantwortung ausschließt …« erwähnt.
Beim Prinzip Liebe wird angeführt: »… Eine vorbildlich organisierte und funktionierende Gesellschaftsordnung (Versicherungs- und Gesundheitswesen etc.), in der aber der Mensch aus Mangel an Liebe verkümmert und vereinsamt, …« sei nicht in der Lage, friedliche Beziehungen der Menschen zueinander zu gewährleisten.
Die Erläuterung des Prinzips »Freiheit« wird mit der üblichen idealistischen Demagogie verknüpft und als Ausdruck der Unfreiheit »… die Auswirkung einer die eigentlichen Initiative ausschließenden Planung auf den Arbeitsprozess und das menschliche Milieu am Arbeitsplatz …« angeführt. »Hier sollte die Familie besonders auf ihre Verantwortung hin angesprochen werden, in einer Welt der Kollektivierung und Kontrolle auf Freiheit und Verantwortung hin zu erziehen.«
Im dritten Teil der Handreichung werden die Voraussetzungen behandelt, die für die in der Enzyklika geforderten Mitarbeit an den öffentlichen Aufgaben notwendig seien. Der Kern dieser Ausführung läuft auf die Feststellung hinaus, dass eine Zusammenarbeit des einzelnen Katholiken mit Sozialisten und Kommunisten und eine Mitarbeit für die sozialistische Gesellschaftsordnung nicht möglich sei.
Es heißt u. a. wörtlich:
»Selbstverständlich ist an keine Mitarbeit gedacht von Bewegungen, die von einer falschen Konzeption geleitet den Aufbau der menschlichen Gesellschaftsordnung nicht in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit anstreben. Eine Zusammenarbeit mit revolutionären Bewegungen wird abgelehnt. Für die Frage einer möglichen Zusammenarbeit darf der innere Wandlungsprozess politischer und sozialer Bewegungen berücksichtigt werden. Die Katholiken sollten darauf achten, sich selbst treu zu bleiben, die missionarische Chance einer solchen Zusammenarbeit soll wahrgenommen werden.«
Bezeichnend für diesen Teil ist einmal, dass nicht auf eine Mitarbeit orientiert wird, sondern auf die »Bedingungen« dafür und zum anderen, dass mit der Formulierung »Zusammenarbeit mit Nichtkatholiken und Nichtchristen« erstmalig ein Unterschied zwischen Atheisten und den nicht der katholischen Kirche angehörigen Christen vorgenommen wird. Diese neue Terminologie, »Nichtkatholiken und Nichtchristen« voneinander zu unterscheiden, ist in der katholischen Kirche neu und eine Folge der Beratungen des Zweiten Vatikanischen Konzils.6 In früheren Jahren wurden z. B. die evangelischen Christen von der katholischen Kirche als »Gottlose« bezeichnet. Damit wird in dieser Handreichung den katholischen Gläubigen und Pfarrern auch von dieser Seite her das Problem der Einheitsfront zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche im Kampf gegen den Kommunismus begreiflich zu machen versucht.
Im vierten Teil werden die Existenz zweier Weltlager und die Einschätzung der politischen Weltlage durch Partei und Regierung praktisch als ausweglos hingestellt und die kirchliche Soziallehre sowie die »notwendige Einheit der Welt« entgegengehalten. So wird betont, dass die kirchliche Soziallehre der Menschheit eine hoffnungsvolle Perspektive biete und dass es auf der Konzilsversammlung keine Aufspaltung in zwei Weltlager gegeben hat.
Dazu wird wörtlich erklärt:
»Was nottut, ist eine universale öffentliche Gewalt, die über die nötige Macht, Organisation und Mittel verfügt, das allgemeine Wohl der Menschheitsfamilie zu fördern und zu sichern. Die Enzyklika sieht in dieser universalen öffentlichen Gewalt das Gebot der Stunde. Sie geht mit dieser Forderung über alle ideologischen Konzeptionen hinaus; sie ist in Wahrheit wegweisend für die Zukunft der Menschheit.«