Hoheitsrechte der DDR auf den Westberliner Verkehrswasserstraßen
29. Juli 1963
Einzelinformation Nr. 467/63 über das Einmischen des Westberliner Senats in die Hoheitsrechte der DDR auf den in Westberlin gelegenen Verkehrswasserstraßen
Dem MfS liegen Hinweise über Versuche Westberliner Senatsdienststellen vor, wonach diese ständig versuchen, die Hoheitsrechte der DDR auf den Westberliner Verkehrswasserstraßen1 durch eigene Gesetze, Anordnungen und auch Übergriffe seitens der Exekutivgewalt einzuschränken.
Eine Zunahme derartiger Provokationen gegen die von der DDR ausgeübten Hoheitsrechte zeigt sich besonders im Jahre 1963. Hierzu folgende Beispiele:
Obwohl für die Ausstellung neuer Schifffahrtspatente bzw. den Umtausch alter Patente in neue lt. Anordnung2 des Ministers für Verkehrswesen der DDR (Gesetzblatt Teil II, Nr. 31 vom 18.5.1962) nur das Wasserstraßenhauptamt Berlin zuständig ist, tauschen die Senatsdienststellen seit Herbst 1962 die bereits 35 Jahre gültigen Schifffahrtspatente zum Befahren der Märkischen Wasserstraßen in eigene – jedoch nur für die in Westberlin gelegenen Wasserstraßen – um.
Dazu äußerte sich am 3.2.1963 der beim Westberliner Senat angestellte Strommeister [Name 1] gegenüber dem Schleusenmeister [Name 2], WSHA Berlin, dass die vom Westberliner Senat ausgegebenen Patente in Westberlin voll gültig seien und die »Ostgesetze« für Westberliner Wasserstraßen nicht in Anwendung kämen. Sollten die vom Westberliner Senat ausgegebenen Patente von den Schleusenbesatzungen des WSHA Berlin nicht anerkannt werden, müsste er über seine Dienststelle die westlichen Alliierten zum Eingreifen veranlassen.
Eine solche Maßnahme »begründete« er damit, dass die drei Westmächte das Hoheitsrecht auf den Westberliner Wasserstraßen ausübten, mit der Wahrnehmung dieses Rechtes jedoch ihrerseits den Westberliner Senat beauftragt hätten.
Über die Anerkennung der Patente äußerte sich am 21.6.1963 ein Angehöriger des Westberliner Wasserschutzes zu dem Schleusenmeister [Name 2] wie folgt:
»Wenn Ihr unsere Patente nicht anerkennt, muss ich den Senat verständigen und eine Zwangsschleusung (bezieht sich auf die Binnenschiffe) herbeiführen.«
Am 23.5.1963 wandte sich der Westberliner Senator für Sicherheit und Ordnung3 mit einem Schreiben an den Westberliner Polizeipräsidenten, worin er besonders auf das »Gesetz über den Schutz, die Nutzung und die Instandhaltung der Gewässer und den Schutz vor Hochwassergefahren – Wassergesetz –« vom 17.4.1963 (erschienen im Gesetzblatt der DDR vom 25.4.1963, Teil I, Nr. 5) verweist. Im § 6 Absatz 2 des Wassergesetzes sei ausdrücklich dessen Gültigkeit für Westberlin vermerkt.
Unter anderem heißt es dazu in diesem Schreiben wörtlich:
»Das würde bei tatsächlichem Vollzug des Gesetzes bedeuten, dass die Hoheitsrechte des Senats in Westberlin in erheblichem Maße beeinträchtigt werden könnten. Ich messe der Angelegenheit große Bedeutung bei und halte es deshalb für notwendig, dass die Wasserschutzpolizei schon jetzt in verstärktem Maße die Tätigkeit der sowjetzonalen Strommeister auf Westberliner Gebiet beobachtet und überwacht.«
Die Auswirkungen dieser »Empfehlungen« zeigen sich in folgendem Vorfall:
Am 1.7.1963 betrat ein Angehöriger der Westberliner Wasserschutzpolizei die Schleuse Plötzensee. Da er den Grund seiner Anwesenheit nicht angeben wollte, wurde er von dem diensthabenden Schleusenmeister des WSHA Berlin aufgefordert, die Schleuse zu verlassen. Der Polizist erklärte seinerseits anmaßend, er sei dienstlich auf der Schleuse, die zu seinem Kontrollbereich gehöre und öffentliches Gebäude sei. Er versuchte durch Drohungen, den Schleusenmeister von der Schleuse zu verweisen und griff darüber hinaus in die Befugnisse des Schleusenpersonals ein, indem er Binnenschiffern Anweisungen zum Festmachen der Schleppkähne an der Schleuse Plötzensee gab. Bei Nichtdurchführung seiner Weisungen drohte er mit Strafe.
Auf eine telefonische Anfrage beim Leiter der Dienststelle – Westhafen – der Westberliner Wasserschutzpolizei teilte dieser mit, die Handlungen des Polizisten seien auf Anweisung der Dienststelle durchgeführt worden.
(Bis zu diesem Zeitpunkt wurden derartige »Kontrollen« seitens der Westberliner Wasserschutzpolizei nicht durchgeführt.)
Am 1.7.1963 wurde dem Leiter des WSHA Genossen Hummel4 ein Schreiben des Westberliner Senators für Verkehr und Betriebe zugestellt, in welchem die Zuständigkeit der DDR-Wasserstraßenverwaltung für die Westberliner Wasserstraßen als unwirksam erklärt wird. Das Schreiben bezieht sich im Einzelnen auf die öffentliche Bekanntmachung des WSHA Berlin über die Einrichtung eines Schiffsliegeplatzes im Britzer Zweigkanal, Westberlin. Der Absender des Schreibens führt dazu aus, dass nur er für die öffentliche Bekanntgabe zuständig und die Bekanntmachung der DDR-Wasserstraßenverwaltung deshalb unrechtmäßig sei. Wörtlich heißt es u. a.:
»Ich mache darauf aufmerksam, dass ich für den Bereich der Wasserstraßen in Berlin (West) eine entsprechende Bekanntmachung im Amtsblatt von Berlin – Nr. 14 v. 11.3.1963, S. 398, erlassen habe.
Lediglich diese Bekanntmachung ist rechtswirksam, da Ihnen – wie ich nochmals und im Einvernehmen mit der Alliierten-Kommandantur betonen muss – Hoheitsbefugnisse an den Wasserstraßen in Berlin (West) nicht zustehen.«
Das verstärkte Suchen des Westberliner Senats nach einem Weg, die durch Westberlin führenden Schifffahrtswege unter seine Aufsichts- und Kontrollpflicht zu bekommen, wird auch dadurch bewiesen, dass am 27.6.1963 eine Kommission des Brandt-Senats5 die durch Westberlin führenden Wasserstraßen, die unter Kontrolle der DDR stehen, »überprüfte«.
Die Kommission setzte sich wie folgt zusammen:
- –
zwei Vertreter des Senators für Bau- und Wohnungswesen,
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ein Polizei-Rat vom Westberliner Polizeipräsidium,
- –
ein Hauptkommissar der Wasserschutzpolizei,
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ein Vertreter des Senators für Sicherheit und Ordnung.
Die Kommission besichtigte u. a. den Hohenzollernkanal, den Spandauer Schifffahrtskanal und den Westhafen-Kanal.
Die Mitglieder der Kommission machten keinen Hehl aus ihrer Verärgerung darüber, dass für die Schleusenwirtschaft die DDR verantwortlich ist und auch die Aufsichts- und Kontrollrechte bei den Behörden der DDR liegen. Besonderen »Anstoß« erweckten dabei die von den Dienststellen der DDR eingesetzten Schleusenwärter.
Es sei nicht länger zumutbar, dass westdeutsche bzw. Westberliner Schiffsführer fast ausnahmslos ihre Papiere den DDR-Dienststellen zur Anerkennung und Bestätigung vorlegten.
Aus den von den Kommissionsmitgliedern geführten Gesprächen war zu entnehmen, dass der Brandt-Senat wohl beabsichtige, bestimmte Maßnahmen gegen den jetzigen Zustand einzuleiten, es sei aber bisher noch kein Weg gefunden worden, da die DDR-Behörden »rechtlich im Vorteil seien und auch erhebliche Mittel für den Ausbau und die Unterhaltung der Wasserstraßen aufgewendet hätten«.
(Der die Kommission betreffende Teil der Information ist nicht öffentlich auswertbar.)