Kritik von Tierärzten an der Entwicklung des DDR-Veterinärwesens (1)
31. Mai 1963
Einzelinformation Nr. 348/63 über ablehnende Auffassungen führender Veterinär-Mediziner gegenüber Vorstellungen unserer Partei über die weitere Entwicklung des Veterinärwesens in der DDR
Dem MfS wurden Hinweise über Auffassungen führender Veterinär-Mediziner der DDR bekannt, die sich gegen die geplante stärkere Einbeziehung des Veterinärwesens in die weitere Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft richten.1 Sehr deutlich zeigte sich das bei der Vorbereitung und Durchführung der Jahreshaupttagung der »Wissenschaftlichen Gesellschaft für Veterinär-Medizin in der DDR«2 am 19./20.4.1963 in Leipzig, worüber im Folgenden berichtet wird.3
Die Vorbereitung genannter Tagung stand im Zeichen heftiger Diskussionen unter Wissenschaftlern der Veterinär-Medizin und Tierärzten. Anlass zu diesen Diskussionen war der Vorschlag von Nationalpreisträger Strube,4 Direktor des VEB Schwaneberg, im ND vom 13.11.1962 unter dem Titel: »Gehört zum Musterbetrieb nicht auch ein Tierarzt?«5
Neben sachlichen Stellungnahmen gab es jedoch überwiegend z. T. stark ablehnende Reaktionen. Vor allem die älteren Tierärzte traten gegen eine progressive Weiterentwicklung des Veterinärwesens auf.
Eine Anzahl ablehnender Auffassungen von Tierärzten zu den prinzipiellen Gedanken Strubes liefen meist auf Bedenken um die persönliche Perspektive hinaus.
So äußerten sich nach der Veröffentlichung des genannten ND-Artikels, um nur einige Beispiele zu nennen, Genosse Dr. Huhle6 (Kreistierarzt Leipzig/Land):
»Es ist ja schon alles fertig, dass wir in die LPG kommen. Das ist die reinste Diktatur, in Potsdam hat man den Bezirkstierarzt7 und die Kreistierärzte einfach abgesetzt …«
Dr. Reinheckel8 (ebenfalls Leipzig) sagte: »Es besteht nur das Ziel, die Gehälter der Tierärzte abzubauen und ihr Einkommen dem der Landwirte anzupassen …«
Auch Genosse Dr. Manfred Ulbrich,9 wissenschaftlicher Assistent am Institut für Tierzucht und Tierernährung der »Karl-Marx-Universität«, lehnte in verschiedenen Gesprächen die Vorschläge von Strube z. T. in abfälliger Form ab. (Dr. U. vertritt auch die Meinung, man solle die zu hohen Viehbestände in der DDR den vorhandenen Futterreserven anpassen.)
Teilweise sachlicher sind einige Stellungnahmen von Tierärzten des Bezirkes Neubrandenburg. In ihrem Kern lassen sie sich auf folgende Probleme reduzieren:
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Bei Eintritt eines Tierarztes in eine LPG oder ein VEG wird in Anbetracht des jetzigen Kaderbestandes an Tierärzten nicht mehr in allen landwirtschaftlichen Betrieben eine ausreichende Betreuung der Tiere möglich sein.
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Es erscheint unzweckmäßig, den Tierarzt dem Leiter eines landwirtschaftlichen Betriebes zu unterstellen.
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Einschränkung der persönlichen Freiheit bei Unterstellung sowie Wohnungswechsel auf das Dorf und die sich daraus ergebenden privaten Nachteile.
Diese Auseinandersetzungen überschatteten praktisch solche über die Veränderungen innerhalb des Präsidiums der Gesellschaft selbst und die Ablösung des bisherigen Redaktionskollegiums des Publikationsorgans der Tierärzte »Monatshefte für Veterinärmedizin«.10
Neben dem speziellen Problem des Betriebstierarztes spielten in den letzten Monaten unter der veterinär-medizinischen Intelligenz besonders Fragen der Änderung der Leitung der Landwirtschaft und der Verantwortlichkeit des Tierarztes für die tierische Produktion eine große Rolle.
Im Verlaufe dieser Auseinandersetzungen kam es in bestimmten Fällen zu provokatorischen Austritten aus der Gesellschaft mit der Begründung, die Vertreter des Präsidiums würden die Tierärzteschaft verraten, wobei meist noch die Kooptierung neuer Präsidiumsmitglieder vorgeschoben wurde. In Wirklichkeit ging es jedoch darum, dass befürchtet wurde, die neuen Mitglieder würden im Präsidium die Vorstellungen unserer Partei über die weitere Entwicklung des Veterinärwesens konsequent durchsetzen.
Der Vorstand der Bezirkssektion in Magdeburg legte aus gleichen Gründen seine Arbeit nieder.
In zwei schriftlichen Austrittserklärungen heißt es u. a.: »Mit der Kooptation neuer Mitglieder ins Präsidium der Gesellschaft bin ich nicht einverstanden, da hierbei auch Kollegen tätig werden, von denen aufgrund von Presseveröffentlichungen angenommen werden muss, dass sie nicht mehr die Interessen der Tierärzteschaft vertreten, sondern lediglich die von einigen Funktionären erdachte neue Linie bezüglich der Berufsorganisation des Tierarztes in der Landwirtschaft.« (Dr. Reichardt,11 Badel-Altmark, Staatliche Tierarztpraxis)
Noch provokatorischer äußerte sich der Kreistierarzt Dr. Brandt12 aus Stralsund, der die Kooptierung ins Präsidium der Gesellschaft mit den Gleichschaltungsmaßnahmen der Faschisten im Jahre 1933 vergleicht. Einige Mitglieder des Präsidiums – u. a. Reichelt13 und Bartsch14 – bezeichnet er als Menschen, die durch eine »braune Vergangenheit« belastet seien. Das Präsidium, dem er als alter Antifaschist sieben Jahre angehört hätte, würde in »blindem Kadavergehorsam« handeln. Die einzig mögliche Konsequenz für ihn sei der Austritt aus der Gesellschaft.
Einen nicht unerheblichen Einfluss in der Vorbereitungsperiode der Tagung übte die Beratung der Parteigruppen der Fakultätsräte der Veterinär-Medizinischen Fakultäten Berlin und Leipzig am 4.12.1962 in Leipzig aus.
Sie fand offiziell unter dem Thema »Neuer Lehrplan« statt, hauptsächliches Diskussionsthema war jedoch der Artikel von Strube. Im Verlaufe der Auseinandersetzungen waren die Professoren Genosse Neundorf15 und Genosse Schulz16 bestrebt, die Tierärzte gegen die Vorstellungen der Partei über die weitere Entwicklung des Veterinärwesens in der DDR zu beeinflussen.
Gen. Prof. Schulz (Direktor der Medizinischen Tierklinik der »Karl-Marx-Universität« Leipzig und Mitarbeiter der Sektion Veterinär-Medizin der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften) brachte zum Ausdruck, es sei jetzt »5 Minuten vor 12«, bis zum VI. Parteitag17 wäre gerade noch Zeit, »das Verhängnis abzuwenden«. Das Beispiel Rumäniens, dessen Veterinärwesen bis 1945 vorbildlich organisiert gewesen und nach 1945 ohne jeden Erfolg völlig umgestaltet worden sei, solle zu denken geben. In anderen Volksdemokratien habe man die Mitgliedschaft der Tierärzte in LPG inzwischen rückgängig gemacht.
Da Sch. offenbar selbst spürte, zu weit gegangen zu sein, meldete er sich später noch einmal zu Wort und erklärte, schon als Kreistierarzt (in Nebra) habe er einmal versucht, einen Tierarzt in die Leitung eines VEG zu bekommen. Das sei aber am Fehlen einer entsprechenden Planstelle gescheitert.
Das Versagen der Sektion Veterinär-Medizin der Deutschen Akademie der Landwirtschaftswissenschaften (DAL) versuchte Prof. Neundorf mit einer regelrechten »Misere-Theorie« der Veterinär-Medizin abzuschwächen. Dabei negierte er die sichtbaren progressiven Erscheinungen unter den Tierärzten völlig. Er brachte zum Ausdruck, in der Sektion Veterinär-Medizin der DAL würde man »dauernd einer Front der Parteilosen gegenüberstehen, die alles bestimmt«. Führend wären dabei »die drei Kalkhaufen« Dobberstein,18 Röhrer19 und Goerttler.20 (G. ist Mitglied der SED.)
Seit die SED jedoch die Frage nach der Verantwortung für die Maul- und Klauenseuche-Situation stelle, sei von diesen Personen niemand mehr zu sprechen.
Aus seiner sogenannten Misere-Theorie leitete Prof. Neundorf auch die Forderung ab, beide Fakultätsräte müssten zum VI. Parteitag ihre Stimme erheben, da die Sektion der DAL versage. Diese Äußerungen wurden von Genossen Prof. Farchmin21 (ebenfalls Mitglied der Sektion Veterinär-Medizin der DAL) bestätigt. Er sagte, die Parteigruppe der Sektion würde faktisch nicht »funktionieren«, da der Parteiorganisator Genosse Dieter Schulze22 (Leiter der Veterinär-Inspektion beim Ministerium für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft23) nie anwesend sei. Prof. Neundorf und er würden sich während der Sitzungen durch Blickzeichen über ihr Auftreten vereinbaren.
Prof. Neundorf behauptete weiter, Genosse Grüneberg24 habe eine völlig falsche Vorstellung über die Lage im Veterinärwesen, weil er über die Tierärzte nicht richtig unterrichtet würde. Weder Genosse Dr. Strümpf25 (Mitarbeiter der Abt. Landwirtschaft beim ZK) noch die Veterinär-Inspektion des Ministeriums26 seien imstande, Genossen Grüneberg richtig zu informieren.
Im persönlichen Gespräch beschwerte sich Prof. Neundorf darüber, dass man ihm die Auswertung der jugoslawischen Erfahrungen unmöglich mache, die als Anregung für den Aufbau des Veterinärwesens in der DDR dienen könnten. Weder seine Reisen nach Jugoslawien noch die beabsichtigten Vorträge jugoslawischer Wissenschaftler seien genehmigt worden. Offenbar traue man ihm nicht.
Er sprach oft von einer Konzeption, die die Fakultätsräte der Veterinär-Medizinischen Fakultäten über das Veterinärwesen ausarbeiten müssten, vermied es aber, eine solche Konzeption selbst darzulegen.
Unklar war auch das Verhalten des Genossen Lange (Parteisekretär der Grundorganisation27 Veterinär-Medizin der Fakultät Berlin) während dieser Beratung. Er bezog zum Vorschlag Strubes eine positive Stellungnahme, schätzte aber den Beitrag von Prof. Neundorf als den wertvollsten der gesamten Beratung ein. Im Sinne von Neundorf solle man Vorschläge zur Umgestaltung des Veterinärwesens formulieren.
Dieses Verhalten führender Veterinär-Mediziner der DDR widerspiegelte sich auch auf den Beratungen der Parteigruppe und der Mitglieder des Präsidiums der »Wissenschaftlichen Gesellschaft« zur Vorbereitung der Jahreshaupttagung. Ein besonderer Mangel war, dass bis zum 17.4.1963 abends noch nicht feststand, wer das Hauptreferat hält und welchen Inhalt es haben wird.
Am 17.4.1963 sollte Dr. Schulze, Leiter des Fachgebietes Veterinärwesen im Landwirtschaftsrat, der inzwischen als Referent bestimmt worden war, dem Präsidium die Schwerpunkte seines Referates darlegen. Dr. Schulze nahm jedoch an dieser Sitzung nicht teil. Als Begründung wurde angeführt, dass aufgrund eines kurzfristigen Beschlusses des Ministerrates Minister Reichelt das Referat übernehmen sollte.
Erst auf der Versammlung der Parteigruppe der Genossen Tierärzte, die an der Tagung teilnahmen, am 18.4.1963, 17.00 Uhr (am Vorabend der Konferenz) konnte Dr. Schulze als endgültiger Referent bekanntgegeben werden. Minister Reichelt würde nur zur Diskussion sprechen.
Die monatelangen Auseinandersetzungen um die Erhöhung der Verantwortung der Tierärzte für die Entwicklung der tierischen Produktion und den Eintritt in sozialistische Landwirtschaftsbetriebe – aber auch die teilweise ungenügenden Vorbereitungen durch das Präsidium der »Wissenschaftlichen Gesellschaft« – spiegelten sich im gesamten Verlauf der Jahreshaupttagung am 19./20.4.1963 in Leipzig mit ca. 1 000 teilnehmenden Veterinär-Medizinern aus der DDR wider.
Das Hauptreferat des Genossen Dr. Schulze über »Aufgaben des Veterinärwesens bei der Leitung der sozialistischen Landwirtschaft nach dem Produktionsprinzip« hat nicht besonders angesprochen und wurde allgemein als »flüchtig vorbereitet und unbefriedigend« empfunden. Unter anderem sicher deshalb, weil Dr. Sch. den konkreten ideologischen Problemen auswich und die Hauptfragen nicht wirklich klärend behandelte. Es erfolgten keine gezielten Auseinandersetzungen mit rückständigen und hemmenden ideologischen Auffassungen, es wurde nicht einmal der Versuch unternommen, den gegen die Vorstellungen der Partei gerichteten Argumenten entgegenzutreten. Allein der Verlauf der Jahreshaupttagung zeigte, wie notwendig das gewesen wäre (insgesamt neun Diskussionsredner).
Einzelne Redner, die sehr scharf – z. T. demagogisch und provokatorisch – gegen die Veränderung der Arbeitsweise der Veterinärmedizin und der Tierärzte Stellung bezogen, erhielten außerordentlich starken Beifall, während die positiven Beiträge (beispielsweise Dr. Richter28/Potsdam, Dr. Kaschert29/Eisenhüttenstadt, Dr. Wunderlich30/Betriebstierarzt Berlin, Dr. Reuter31/Jena-Land) nur ziemlich mäßigen Anklang fanden.
Aus der Reaktion bestimmter Gruppen auf diese Beiträge sowie während der umfassenden Ausführungen von Minister Reichelt war zu entnehmen, dass eine ganze Reihe von Tierärzten gar nicht bestrebt war, vernünftige Argumente anzuerkennen.
Da durch das Präsidium der Gesellschaft keine Orientierung auf durchaus fortschrittliche Erscheinungen im Veterinärwesen und politisch positive Kräfte erfolgte und die Tierärzte allgemein und unpersönlich kritisiert wurden, blieb der Einfluss negativer Gruppierungen bestehen.
Als erster Diskussionsredner sprach Prof. Goerttler aus Jena. Er führte aus, in der DDR sei in der Tierseuchenbekämpfung einiges nicht in Ordnung (bezog sich dabei besonders auf die Bekämpfung der chronischen Tierseuchen Tuberkulose und Brucellose32). Mit neuen organisatorischen Maßnahmen seien hier keine Erfolge zu erwarten.
Anhand der Ergebnisse in westlichen Ländern – besonders aber Westdeutschlands – versuchte er nachzuweisen, was in dieser Richtung erreicht werden könne. Er beglückwünschte im Verlauf seiner Ausführungen die Tierärzteschaft in Westdeutschland zu ihren Erfolgen, »die Deutsche Bundesrepublik sei in dieser Hinsicht das wahre Vorbild«.
Da gerade dieses Problem der Bekämpfung chronischer Tierseuchen im letzten Jahr heftige Diskussionen unter den Veterinär-Medizinern ausgelöst hatte, erhielt Prof. G. für seinen Beitrag stürmischen Beifall.
Durch diesen Beifall offensichtlich ermuntert, sprach als zweiter Diskussionsredner Kreistierarzt Dr. Freyse33 (Bismark/Kreis Stendal). Er knüpfte an die zu Beginn der Veranstaltung durchgeführte Totenehrung für Tierärzte an und empfahl, doch einmal die Todesursachen zu untersuchen. Viele Tierärzte würden an Herzinfarkt sterben, weil zu viel von ihnen verlangt würde. Im Referat sei nur von ökonomischen Gesetzen des Sozialismus gesprochen worden, die Sorge um den Menschen werde aber nicht erwähnt und beachtet. Das Berufsethos des Tierarztes ginge Jahrtausende zurück, würde man aber die Vorstellungen von Strube verwirklichen, »so würde das Veterinärwesen anderen Dingen untergeordnet, sodass es sich nicht mehr entfalten könne«. Die Tierärzte müssten sich ihre »innere Spannkraft« erhalten, ihre Stellung um jeden Preis behaupten und sich untereinander eng zusammenschließen. Die Eigenverantwortlichkeit des Tierarztes dürfe nicht angetastet werden.
Dieser Diskussionsbeitrag wurde mehrmals durch laute Beifallsäußerungen unterbrochen.
Dr. [Name] (Staatspraktiker34 Eisenhüttenstadt) sagte u. a.: »Wir gehen davon aus, dass wir uns grundsätzlich um die Produktion kümmern, deshalb sind wir schon seit Beginn unserer Tätigkeit Betriebstierärzte … Wir schreiben zwar viele Berichte, die aber nie jemand auswertet. Die Landwirtschaft hört nicht auf unseren Rat. Unser Bezirk hat 3 000 Landwirte mit Hochschulbildung und 200 Tierärzte, wer ist verantwortlicher? …«
Dr. [Name] trug das in betont herausfordernder Weise vor und erhielt sehr starken Beifall.
Dr. Plaschke35 (Berlin) sprach sehr abfällig über die sowjetische Kastrationsmethode und erzielte bei den Tagungsteilnehmern allgemeines Gelächter.36 (Bereits während des Referates von Dr. Schulze hatte es bei diesem Punkt lautes Lachen und Scharren gegeben.)
An der Jahreshauptversammlung – praktisch einer Mitgliederversammlung gleichkommend – am 20.4.1963 nahmen ca. 220 Mitglieder teil, darunter auch solche, die ursprünglich ihr Erscheinen abgesagt hatten (z. B. eine Reihe Magdeburger Tierärzte). Infolgedessen rechnete das Präsidium von vornherein mit starker Gegendiskussion, die aber – zumindest zum Rechenschaftsbericht – nicht erfolgte.
Der Rechenschaftsbericht sowie ein ausführliches Schreiben des Staatssekretariats für Hoch- und Fachschulwesen wurden von Prof. Neundorf, bisheriger Vizepräsident der Gesellschaft vorgetragen.
Im Wesentlichen beinhalteten sie alle negativen Erscheinungen des früheren Präsidiums der Gesellschaft, die sehr formal kritisiert wurden.
Der Rechenschaftsbericht wurde von der Versammlung ohne eine Wortmeldung bestätigt.
Der 2. Tagesordnungspunkt befasste sich mit geplanten Statutenänderungen.
Gen. Prof. Schulz hatte als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Information und Dokumentation des Präsidiums den Auftrag, allen Mitgliedern den Wortlaut der Veränderungen schriftlich vorzulegen und mündlich zu erläutern. Dieser Aufgabe wurde er nicht gerecht, weil er außer dem Wortlaut der geplanten Veränderungen nicht die vom Präsidium erarbeitete Begründung hierzu vortrug. Die Folgen davon zeigten sich deutlich bei der Diskussion über diese Veränderungsvorschläge.
Unter anderem war im Paragrafen 1 der Statuten vorgesehen, der Gesellschaft den Namen »Wissenschaftliche Gesellschaft für Veterinär-Medizin der DDR« zu geben.
Frau Prof. Claassen37 (Dekan der Veterinär-Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität) trat dagegen auf und erklärte, »aus sprachlichen Gründen« sei eine solche Änderung nicht möglich.
Nachdem der Großteil der Anwesenden lauten Beifall äußerte, ließ Prof. Schulz über die Namensänderung abstimmen, die fast 100%ig abgelehnt wurde. (Für den Antrag stimmten nur Dr. Strümpf, Prof. Neundorf und einige andere.)
Der Wahlakt zur Neuwahl des Präsidiums diente praktisch der Festigung der Positionen von Prof. Neundorf im Präsidium und im Redaktionskollegium der »Monatshefte«.
Den Mitgliedern wurden die Wahlkandidaten erst zu Beginn der Mitgliederversammlung vorgelegt.
Zur Wahl selbst gab es eine Reihe von Zusatzvorschlägen. Sie erfolgten teilweise sachlich (z. B. Aufnahme des Haupttierarztes38 eines Kreises oder des Leiters einer Bezirkstierklinik), z. T. jedoch auch provokatorisch.
In Anbetracht des Diskussionsbeitrages von Dr. [Name], Eisenhüttenstadt, am 19.4.1963 wurde von einzelnen Mitgliedern zum Ausdruck gebracht: »Dr. [Name] wird uns am Besten vertreten« oder »noch mehr Privatpraktiken ins Präsidium, die werden in den nächsten Jahren eine Vertretung bitter nötig haben«.
Da durch Zusatz- bzw. Absetzungsanträge die Vorschlagsliste für das Präsidium 16 Vorschläge – bei 15 zu wählenden Präsidiumsmitgliedern – enthielt, wurde auf Beschluss der Versammlung nicht wie bisher üblich im Block, sondern über jeden einzelnen Kandidaten einzeln abgestimmt. (Von einigen Teilnehmern war eine geheime Abstimmung gefordert worden.)
Beim Wahlakt wurde Prof. Dr. Theile39 mit 61 Gegenstimmen und 22 Stimmenenthaltungen nicht gewählt. Fast bei allen anderen Kandidaten überwogen die Stimmenthaltungen.
Im Anschluss an den Wahlgang konstituierte sich das neue Präsidium. Als Präsident wurden Prof. Neundorf, zu Vizepräsidenten Prof. Schaetz40 und Dr. Thiede41 gewählt. Sekretär und vollwertiges Mitglied des Präsidiums bleibt weiterhin Dozent Dr. Heider,42 Direktor des Instituts und der Klinik für Geflügelkrankheiten in Berlin.
Für die ideologische Position einiger leitender Veterinär-Mediziner vor und während der Konferenz sind folgende Äußerungen typisch:
Gen. Prof. Neundorf, der während der Tagung faktisch nur durch das Verlesen des Rechenschaftsberichtes in Erscheinung getreten war und sich ansonsten im Hintergrund hielt, sagte zur Einschätzung der Landwirtschaft auf dem 2. Plenum: »Die Auffassung, die wir hinsichtlich der Landwirtschaft schon immer vertreten haben, kommt nun endlich zum Ausdruck. Diesmal wird die Landwirtschaft kritisiert – das deckt sich mit der Meinung der Tierärzte.« Ähnlich äußerte sich Genosse Dr. Heider: »Das ist erstmalig, dass die Partei so offen und ehrlich zu Fragen der Landwirtschaft Stellung nimmt.«
Als während der Beratung am 18.4.1963 Dr. Schulze ankündigte, Minister Reichelt würde am 19.4. zur Konferenz sprechen, entgegnete Prof. Neundorf:
»Reichelt kann erst am Freitagnachmittag sprechen. Er hat sich zu fügen, denn hier sind wir die Herren. Die möchten ja gerne, dass die ›Wissenschaftliche Gesellschaft‹ dem Landwirtschaftsrat unterstellt wird. Aber das geschieht nicht …«
Und Genosse Dr. Heider ergänzt: »Eine Unterstellung kommt nicht infrage. Da wäre ja der letzte Rest Opposition zum Teufel.« (Die hier angeführten Äußerungen von Neundorf und Heider sind nicht wörtlich auswertbar.)
Zusammenfassend über Vorbereitung und Verlauf der Konferenz der »Wissenschaftlichen Gesellschaft für Veterinär-Medizin in der DDR« ist einzuschätzen, dass die Aufgabe dieser Konferenz – die Grundkonzeption der weiteren Entwicklung des Veterinärwesens der DDR darzulegen, die neue Aufgabenstellung des Präsidiums und der Gesellschaft zu erläutern sowie durch die Wahl geeigneter Kader das künftige Präsidium allen Anforderungen an ein sozialistisches Veterinärwesen gerecht werden zu lassen – nicht erfüllt wurde.
Das wird durch den gesamten Verlauf der Konferenz und durch eine ganze Anzahl Äußerungen von Tagungsteilnehmern bewiesen:
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Die Vorträge am 19.4.1963 hätten keine Antwort auf die brennenden Fragen der Tierärzte gegeben.
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Die ganze Diskussion sei zwecklos gewesen, weil in Berlin schon alles fertig sei.
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Das Referat über die Stellung des Tierarztes in der sozialistischen Landwirtschaft hätte ein berufenerer Vertreter des Partei- oder Staatsapparates halten sollen.
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Man hätte überhaupt nicht kommen brauchen.
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Die Mitgliederversammlung vom 20.4.1963 stellte nicht die Meinung der Mitglieder zur Diskussion. Daher hätten die meisten Ausflucht in »passive Resistenz« gesucht, indem sie sich der Stimme enthielten. Das sei keine Ablehnung der Kandidaten, sondern Protest gegen die Verfahrensweise gewesen.
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Auch die Fachvorträge seien – ausgenommen der von Dr. Rommel43 – ohne wissenschaftliches Niveau gewesen.
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Es sei zum großen Teil nur das gesagt worden, was versäumt wurde, ohne zu erklären, warum und wo der Ausweg liegen würde.
Die Tätigkeit der Parteigruppe dieser Konferenz konnte den Tagungsablauf nicht entscheidend beeinflussen, obwohl mit Dr. Hummel44 (Bezirk Neubrandenburg) einer der politisch und fachlich qualifiziertesten Bezirkstierärzte zum Gruppenorganisator gewählt wurde. Die Unterschiede der Auffassungen – im Bericht bereits einzeln dargelegt – beeinträchtigten bzw. verhinderten auch ein einheitliches Auftreten gegen negative Tendenzen.