Meinungen westlicher Ostberlin-Besucher zum Prozess gegen Globke
18. Juni 1963
Einzelinformation Nr. 379/63 über Stimmen ausländischer und westdeutscher Bürger zum bevorstehenden Prozess gegen Globke
Beim Passieren der KPP zum demokratischen Berlin nahmen ausländische und westdeutsche Bürger zum bevorstehenden Globke1-Prozess2 Stellung. Ausgangspunkt ihrer Äußerungen waren meist die steckbrieflichen Aushänge über Globke an den einzelnen Kontrollpunkten.
Der überwiegende Teil der Stellungnahmen – vor allem von ausländischen Staatsbürgern – ist durchaus positiv.
Sehr viele Ausländer interessieren sich für die vom Nationalrat3 herausgegebenen Materialien über die Verbrechen Globkes während des Faschismus und über seine jetzige Tätigkeit im Bonner Kanzleramt. Sie bezeichnen die von der DDR eingeleiteten Maßnahmen und den bevorstehenden Prozess gegen Globke als vollkommen richtig. Dieser Prozess würde allen Menschen der Welt die Augen öffnen über die von den Faschisten begangenen Verbrechen und über die Durchsetzung des Bonner Staates mit dafür verantwortlichen Personen.
Vereinzelt kommt dabei zum Ausdruck, G. würde mit dem Rücktritt Adenauers4 sowieso in den Hintergrund treten. Das Beispiel von Strauß5 beweise aber, dass Globke seine bisherige Tätigkeit sicher in anderer Form und »hinter verschlossenen Türen« fortsetzen werde.
Ein Teil ausländischer Besucher bat unsere Sicherungskräfte um Aushändigung von Steckbriefen gegen Globke, um diese auch anderen Landsleuten zeigen zu können.
Neben den durchweg zustimmenden Erklärungen ausländischer Bürger weisen die Stellungnahmen westdeutscher Bürger eine unterschiedliche Tendenz auf.
Der Inhalt der Erklärungen reicht von unbedingt positiver bis zu ablehnender Haltung, wobei zustimmende und sachliche Äußerungen überwiegen.
Bei der Mehrzahl der zustimmenden Erklärungen kommt zum Ausdruck, es sei beschämend, dass dieser Prozess in der DDR stattfinden müsse. Die Ursachen hierfür lägen in der Durchsetzung des Bonner Staatsapparates mit ähnlichen Personen, die sich gegenseitig decken würden. Andererseits gebe es noch zu wenig große Gemeinschaftsaktionen wie den letzten Metallarbeiterstreik6 – viel zu wenig Menschen beschäftigen sich überhaupt mit Politik. Das sei auch der Grund dafür, dass vorhandene fortschrittliche Bewegungen kaum Anklang bei großen Teilen der Bevölkerung fänden. Die meisten seien zufrieden, wenn sie die Vorteile des Lebens in Anspruch nehmen könnten, dadurch hätten der Kanzler und die Regierung volle Bewegungsfreiheit.
Ein westdeutscher Bürger äußerte, alle Menschen, die unter der Naziherrschaft leiden mussten, seien auf alle Fälle für den bevorstehenden Prozess. Fest stünde aber auch, dass Globke, Strauß usw. von Adenauer und der gesamten CDU bis zum Letzten gedeckt würden. Als einzelne Person könne man gegen diese Männer mit solchen Machtpositionen nicht angehen.
Eine westdeutsche Bürgerin, die den Prozess ebenfalls bejahte, erklärte, die meisten Menschen in Westdeutschland lehnten die Durchsetzung des Staatsapparates mit faschistischen Elementen ab. Die »Bundesregierung sei daher – wenn auch sehr schleppend – dabei, ehemalige Nazis aus Amt und Würden zu entfernen«.
Der Stellungnahme eines anderen Bürgers ist zu entnehmen, es fänden sich in Westdeutschland kaum Möglichkeiten, gegen solche einflussreichen Personen wie Globke vorzugehen. Die Versäumnisse von 1945 machten sich jetzt deutlich bemerkbar: »Wenn das ganze Volk 1945 mit diesen Faschisten Schluss gemacht hätte, dann sähe die Entwicklung Deutschlands anders aus.«
In einer anderen Erklärung kommt zum Ausdruck, der Zeitpunkt des Prozesses sei richtig, denn »bloßgestellt würde Globke von den Behörden der DDR schon seit Langem«.
Verschiedentlich vertritt man auch die Auffassung, die Frage Globke werde mit der Ablösung Adenauers durch Erhard7 automatisch geklärt; denn Erhard dulde keine solchen Regierungsmitglieder, die durch ihre Vergangenheit politisch belastet seien.
Ein Teil der den Prozess bejahenden Bürger zweifelt die juristische Basis dieses Prozesses an bzw. verspricht sich davon keine besondere Wirkung.
Bei anderen äußert sich diese Interesselosigkeit am gesamten politischen Geschehen. Man habe wohl von der Vergangenheit Globkes gehört, aber das seien politische Fragen, um die man sich am besten nicht kümmere. Die »oben« machten letzten Endes doch was sie wollen.
Im Gespräch mit einem Münchener Studenten erklärte dieser, solche Personen wie Globke hätten in der Regierung nichts zu suchen. Aber die Gefahr, die von solchen Personen ausginge, dürfe man in der DDR nicht überbewerten. »Außerdem sei man jetzt auch verstärkt in der Bundesrepublik bemüht, alte Nazis aus den Ämtern zu entfernen. Diese ehemaligen Nazis seien im Absterben begriffen, viele von ihnen haben auch anders denken gelernt. Auch Globke könne in seiner jetzigen Funktion nicht mehr seine ehemaligen Ansichten proklamieren. Die Überreste des 3. Reiches wären in der Bundesrepublik unter Kontrolle. Der Prozess in der DDR werde die Pensionierungsgedanken von Globke jedoch aktivieren.«
Einem anderen westdeutschen Bürger erschien es durchaus verständlich, dass die westdeutsche Regierung schützend hinter Globke stände, denn »diese Personen seien nun einmal in der Regierung, und der Staat gäbe sich ja eine Blöße, wenn er sich von ihnen distanziere«.
Nach ihrer Meinung zum Globke-Prozess befragt, entgegnete eine westdeutsche Studentin, »letzten Endes sei es egal, welche Vergangenheit einige Staatsleute hätten, wenn sie nur in der Gegenwart eine gute Politik machten«. Die gesamte Entwicklung in Westdeutschland beweise, dass diese Politiker »viel für die Bundesbürger erreicht hätten«.
Im Übrigen wäre es jedem Staat selbst überlassen, wie er seine Politik ausrichte, deshalb empfände sie den Prozess »als Einmischung in westdeutsche Angelegenheiten«.