Militärmanöver im Südosten der DDR (Aktion »Quartett«), 2. Bericht (1)
11. September 1963
2. Bericht Nr. 542/63 über die Aktion »Quartett« (bis 10.9. – 24.00 Uhr)
Unter den Soldaten, Unterführern und Offizieren der an der Aktion1 beteiligten NVA-Einheiten besteht weiterhin eine hohe Einsatzbereitschaft, die sich in einer guten Dienstdurchführung und in einer anhaltenden Verpflichtungsbewegung in Vorbereitung der geplanten Armeeübung widerspiegelt.
Besonders positiv wirken sich die Freundschaftstreffen mit sowjetischen, polnischen und tschechoslowakischen Armeeangehörigen auf die Stimmung und Kampfmoral der NVA-Angehörigen aus.
In Einzelfällen führten jedoch organisatorische Mängel in der Durchführung geplanter Freundschaftstreffen zu negativen Auswirkungen auf den politisch-moralischen und erzieherischen Wert derartiger Veranstaltungen und zu Vorkommnissen (übermäßiger Genuss von Alkohol durch Offiziere und undiszipliniertes Auftreten von Soldaten).
Negative bzw. unklare Diskussionen wurden nur in Einzelfällen bekannt und haben ihre Ursachen zumeist in einer Unterschätzung des Wertes der Manöverübungen. Im Wesentlichen wird dabei der angeblich »hohe Aufwand« dem »geringeren Wert« gegenübergestellt.
Allgemein ist festzustellen, dass bei den verantwortlichen Organen der NVA die Übersicht über den Stand und die Ergebnisse der politisch-ideologischen Erziehungsarbeit in den einzelnen Einheiten noch nicht ausreichend ist. So besteht z. B. seitens der Politorgane häufig keine Übersicht über den bisherigen Stand der Verpflichtungsbewegung, besonders hinsichtlich konkreter Verpflichtungen zur vorbildlichen Erfüllung der Kampfaufträge.
In Einzelfällen bestehen weiterhin noch Mängel in der Führungstätigkeit in den unteren Einheiten; im Wesentlichen auf eine ungenügende Verantwortlichkeit der entsprechenden Offiziere zurückzuführen.
Zum Beispiel besteht beim Stabschef des 11. Pionier-Bataillons der 3. Armee, Major [Name 1], keine Übersicht über die durchzuführenden Aufgaben. Dadurch werden auch die Unterführer der nachgeordneten Einheiten nur mangelhaft in ihre Aufgabengebiete eingewiesen und auf die bevorstehenden Gefechtsaufgaben vorbereitet.
Der TA2 der 3. Kompanie, Pionier-Bataillon 7, 3. Armee, Oberleutnant [Name 2], kümmert sich nur ungenügend um die ihm unterstehenden Soldaten und die Technik. Dies führte unter den NVA-Angehörigen zur Unzufriedenheit und zur Vernachlässigung der geplanten Arbeiten.
Bemerkenswert ist vor allem die Zunahme der Fälle des unerlaubten Entfernens von den Einheiten durch Unterführer und Soldaten.
Zum Beispiel entfernten sich in der Zeit vom 9. bis 10.9.1963 insgesamt 19 NVA-Angehörige der 7. Panzerdivision unerlaubt von ihrer Einheit und begaben sich in Gaststätten, wo sie Alkohol zu sich nahmen. Der Leiter der 7. Panzerwerkstatt der 7. Panzerdivision Hauptmann [Name 3] verließ ebenfalls unerlaubt seine Einheit, hielt sich in Gaststätten auf und vernachlässigte die Wartung der ihm anvertrauten Technik.
Im Pionier-Bataillon 11, 3. Armee, wurden am 9.9.1963 beim Verlegen der Imitationsfelder im Manöverraum Sprengstoff unbewacht abgestellt und damit die Sicherheitsbestimmungen und die Wachsamkeit gröblichst verletzt.
Unmittelbar gegen die Armeeübung gerichtete feindliche Handlungen – mit Ausnahme der Tätigkeit der MVM3 – wurden im Berichtszeitraum nicht bekannt.
Es wurden lediglich im Bereich der Einheiten der 3. Armee einige mit Ballon eingeschleuste Hetzschriften aufgefunden, die bereits seit längerer Zeit im Gelände liegen.
In der Zeit vom 27.8. bis 10.9.1963 wurden insgesamt 19 Fahrten von Fahrzeugen der westlichen Militärverbindungsmissionen in die Bezirke Dresden und Cottbus festgestellt, wobei in zehn Fällen die zeitweiligen Sperrgebiete verletzt wurden. Dabei handelt es sich um die Gebiete Mönau, Rauden, Drebkau, Tschernitz, Schleife und Tzschelln4 im Bezirk Cottbus sowie um die Räume Hoyerswerda, Bautzen und Meißen im Bezirk Dresden.
Von der amerikanischen MVM wurden insgesamt acht Fahrten durchgeführt, wobei die Fahrzeuge 11, 23, 27, 37 und 55, zumeist mit zwei MVM-Angehörigen besetzt, zum Einsatz kamen.
Die britische MVM führte sechs Fahrten in die genannten Bezirke durch. Im Einsatz befanden sich die Fahrzeuge Nr. 15, 21, 45 und 47 mit drei Mann besetzt.
Das Fahrzeug der britischen MVM Nr. 47 wurde bei einer Fahrt am 30.8. (Tschernitz, [Kreis] Spremberg) und 31.8. (Meißen, [Bezirk] Dresden) je einmal im Sperrgebiet gestoppt und der zuständigen sowjetischen Kommandantur übergeben.
Am 1.9.1963 wurde das britische MVM-Fahrzeug Nr. 45 von Angehörigen der Sowjetarmee in der Nähe des zeitweiligen Sperrgebietes bei Tzschelln, [Bezirk] Cottbus, gestellt und der Kommandantur Cottbus zugeführt.
Durch die französische MVM wurden fünf Aufklärungsfahrten in die gleichen Bezirke durchgeführt, wobei die Fahrzeuge Nr. 31, 57 und 59, jeweils mit drei Mann besetzt, zum Einsatz kamen.
Außer den bereits angeführten Verletzungen der Sperrgebiete und der Zuführung zu sowjetischen Kommandanturen (drei Fälle) wurden keine weiteren Zwischenfälle oder Handlungen der MVM-Angehörigen bekannt.
Durch die öffentlichen Bekanntmachungen sowie durch das Einrücken weiterer Armeeverbände erlangten größere Teile der Bevölkerung Kenntnis von der bevorstehenden Übung. Im Wesentlichen ergaben sich jedoch gegenüber dem Vortage keine Veränderungen im Inhalt der Diskussionen. Die hierüber bekannt gewordenen Meinungen aus allen Bevölkerungskreisen sind überwiegend positiv.
Die im Zusammenhang mit der Übung auftretenden negativen Diskussionen bewegen sich nach wie vor in folgendem Rahmen:
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Die Manöver würden Unsummen verschlingen, hinzu kämen noch die vielen Schäden, die im Verlaufe der Übung besonders an Straßen, in Wäldern und auf Äckern und Wiesen auftreten würden. Die Regierung solle sich lieber um die Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung kümmern – von den Arbeitern würden nur ständig höhere Produktionsleistungen gefordert.
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In unseren Zeitungen sei nur über Manöver der NATO und die dadurch entstehenden Verwüstungen zu lesen, es würde aber darüber geschwiegen, dass es bei uns ähnlich sei.5 In der DDR höre man ebenfalls schon seit Jahren nichts mehr über die Kosten eines Flugzeuges oder Panzers, wie das der Fall gewesen sei, als Westdeutschland aufrüstete. Heute könne man darüber auch nicht mehr sprechen, weil bei uns selbst »Kriegsmaterial« hergestellt werde.
Vereinzelt tauchten auch wieder solche Diskussionen auf, dass niemand, der wirklich für den Frieden sei, solche großen Manöver zu machen brauche.
Im VEB KAMA6 Dresden wurde geäußert, dass der Zeitpunkt der Manöver sicher so festgelegt worden sei, um den Dresdnern zu zeigen, »wo der Hammer hänge, damit sie am 20.10.19637 richtig wählten«.