Militärmanöver im Südosten der DDR (Aktion »Quartett«), 2. Bericht (2)
14. September 1963
2. Bericht Nr. 545/63 über die Aktion »Quartett«
Unter den an der Armeeübung1 beteiligten Soldaten, Unterführern und Offizieren herrscht weiterhin eine große Begeisterung und hohe Einsatzbereitschaft.
Die gestellten Kampfaufträge und eingegangenen Einzel- und Kollektivverpflichtungen werden mit großem Elan erfüllt.
Nach den vorliegenden Informationen zeigten alle an den unmittelbaren Kampfhandlungen im Manövergebiet beteiligten Soldaten, Unterführer und Offiziere eine gute Gefechts- und Einsatzbereitschaft und waren bestrebt, die im Rahmen der Übung ihren Einheiten gestellten Teilaufträge gewissenhaft und erfolgreich zu erfüllen.
Im bisherigen Übungsverlauf stellten alle beteiligten Truppenteile ihre hohe Gefechtsbereitschaft unter Beweis. In den Diskussionen äußern die NVA-Angehörigen
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ihre Befriedigung über den Beginn der Übung,
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ihr uneingeschränktes Vertrauen zu ihren Offizieren und zu den von ihnen im Rahmen der Übung erteilten Befehlen,
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begeisternde Bereitwilligkeit und Einsatzbereitschaft zur erfolgreichen Durchführung der gestellten Gefechtsaufgaben,
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Freude und Genugtuung über die sich während des Einsatzes bewährte Waffenbrüderschaft und über das gute Zusammenwirken mit den befreundeten Armeen.
Diese Einschätzung wird durch viele vorliegende Beispiele bewiesen, u. a. durch
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die gute militärische Disziplin, sodass es zu keinen größeren, die Kampffähigkeit beeinträchtigenden Vorkommnissen kam,
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die präzise und zuverlässige Arbeit des Nachrichten-Regiments 2, wodurch im bisherigen Verlauf der Übung noch kein wesentlicher Ausfall in den Nachrichtenverbindungen zu verzeichnen war,
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die Anerkennung und den Dank des polnischen Divisionskommandeurs an Oberstleutnant Pieschmann2 (Kommandeur der Artillerie-Brigade 5) für die gute Waffenbrüderschaft und die gute militärische Zusammenarbeit während der Armeeübung.
Nur in Einzelfällen wurden unklare bzw. negative Diskussionen bekannt, wobei
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die politisch-militärische Bedeutung der Manöverübung »Quartett« unterschätzt und die Übung mit anderen Manövern gleichgestellt wurde,
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geäußert wurde, dass die Belastung nicht sehr groß gewesen sei und bei noch keiner Übung so viel »gegammelt« worden wäre wie bei »Quartett«. (5. Armee)
Diese Äußerungen sind Einzelbeispiele und lassen keine Verallgemeinerung zu.
Die Freundschaftstreffen sind im Allgemeinen in einer äußerst herzlichen und freundschaftlichen Atmosphäre verlaufen und haben wesentlich zur Stärkung des proletarischen Internationalismus beigetragen.
Nur in Einzelfällen kam es durch ungenügende Vorbereitung, vor allem aber durch übermäßigen Alkoholgenuss einzelner Teilnehmer, zu Vorkommnissen, die sich negativ auf den Verlauf und den politisch-erzieherischen Wert der Veranstaltungen auswirkten.
Zum Beispiel kam es bei einem Freundschaftstreffen im Lager des 14. Panzerregiment unter Einfluss von übermäßigem Alkoholgenuss zu negativen Diskussionen zwischen NVA-Angehörigen und Soldaten der polnischen Armee.
Auch die am 13.9. in den Kreisen Weißwasser, Spremberg, Hoyerswerda und Niesky durchgeführten Manöverbälle trugen einen herzlichen und freundschaftlichen Charakter. Besondere Vorkommnisse sind dabei nicht aufgetreten.
Es herrschte ein gutes Verhältnis zwischen den Angehörigen aller beteiligten Armeen, den anwesenden Ehrengästen und Bürgern der betreffenden Orte.
Im Verlaufe der Veranstaltungen wurden den Soldaten und Offizieren Blumen und kleine Geschenke überreicht.
Zusammenfassend ist einzuschätzen, dass die Manöverbälle zur Festigung der Beziehungen zwischen Armee und Bevölkerung beigetragen haben und den Geist des proletarischen Internationalismus deutlich sichtbar machten.
Das enge Verhältnis der Bevölkerung zu den Angehörigen der befreundeten Armeen drückt sich auch in der gesamten Einstellung aller Bevölkerungsschichten zu den Übungen und den vorgesehenen Veranstaltungen aus.
Die Reaktion der verschiedenen Schichten der Bevölkerung zu den Übungen ist weiterhin überwiegend positiv und zustimmend. Sowohl in der Stadt Dresden selbst als auch in der Umgebung herrschen allgemeine Begeisterung und freudige Erwartung auf die bevorstehenden öffentlichen Veranstaltungen mit Angehörigen der befreundeten Armeen.
In allen Orten, die von den an der Feldparade teilnehmenden Verbänden passiert werden, sind Vorbereitungen im Gange, die Armeeangehörigen würdig zu empfangen.
Viele Betriebe und Einheiten der Kampfgruppen3 organisierten bereits eine gemeinsame Teilnahme an den Dresdner Veranstaltungen. Mehrfach äußerten Kampfgruppenmitglieder den Wunsch, an der Parade teilnehmen zu dürfen.
Besonders interessiert an der Parade sind große Teile der Jugend. Viele Jugendliche aus der Umgebung der Stadt Dresden wollen unbedingt zur Feldparade kommen. Sehr oft wird damit die Vermutung verbunden, anlässlich dieser Parade neue, bisher unbekannte Waffen sehen zu können.
Auch unter den Angehörigen des Mittelstandes – besonders Geschäftsleuten – sowie in Privatbetrieben überwiegen bei Weitem die positiven Stellungnahmen zu den bevorstehenden Veranstaltungen.
Mitglieder einzelner Wohngruppen4 der CDU nehmen ebenfalls eine zustimmende Haltung ein, wobei sich die Diskussionen mehr um den Großen Zapfenstreich und die Feldparade drehen als um das Manöver selbst.
Im Kreis Großenhain, [Bezirk] Dresden, wurden aufgrund der Veröffentlichungen in der Presse ebenfalls bereits Vorbereitungen für eine gemeinsame Teilnahme an der Feldparade in Dresden getroffen. (Eine ähnliche Haltung ist unter der Bevölkerung der Kreise Bautzen, Zittau und Meißen zu verzeichnen.)
Zu dieser positiven Einstellung breiter Bevölkerungskreise hat vor allem auch das herzliche Verhältnis, das sich in den letzten Tagen zwischen den am Manöver teilnehmenden Einheiten und der Bevölkerung entwickelte, beigetragen. In einer Reihe von Orten ist es zur spontanen Begrüßung von durchfahrenden bzw. biwakierenden Einheiten gekommen. Große Zustimmung fanden auch die vielfältigen Veranstaltungen unter Teilnahme von Orchestern usw. der teilnehmenden Armeen.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich auch Personen, die ansonsten in der Vergangenheit zu vielen Fragen eine ablehnende bzw. abwartende Haltung einnahmen, durchaus positiv über die Manöver und die bevorstehenden Veranstaltungen äußerten.
Eine positive Reaktion großer Bevölkerungskreise hat der Umstand hervorgerufen, dass die Übungen weniger Schaden verursachten, als vorher allgemein angenommen wurde. Viele Einwohner der betreffenden Kreise stellen Vergleiche zu vorangegangenen Manövern an, bei denen ein größerer Sachschaden aufgetreten sei.
Zum Beispiel brachten Bürger aus den Kreisen Bischofswerda, Großenhain und Dresden-Land übereinstimmend zum Ausdruck, die Truppentransporte seien sehr diszipliniert verlaufen, sodass fast keine Schäden eingetreten seien.
Verschiedene Einwohner hätten sich »alles viel schlimmer vorgestellt« und mit Versorgungsschwierigkeiten sowie Einquartierungen gerechnet. Es sei aber alles ohne Störung verlaufen.
Es wird allgemein eingeschätzt, dass die gute Disziplin der am Manöver teilnehmenden Einheiten wesentlich zu dieser Reaktion der Bevölkerung beigetragen hat.
Neben der übergroßen Mehrheit zustimmender Meinungen gab es weiterhin vereinzelte ablehnende Auffassungen, ohne dass sich dabei bestimmte Schwerpunkte entwickelten. Sie wurden vor allem aus den Kreisen bekannt, die von den Übungen bzw. den Vorbereitungen dazu unmittelbar berührt wurden und beinhalten nach wie vor in der Regel Verärgerung über den durch Militärfahrzeuge verursachten Lärm sowie über die unserem Staat durch die Manöver entstehenden Kosten. Einige solcher Stimmen besagen, das Geld für die Manöver wäre im Wohnungsbau und zur Verbesserung unserer Lebenslage besser zu verwenden.
Einzelne Bürger äußerten, »Manöver seien immer Vorbereitungen zum Krieg«, die Manöver der Warschauer Vertragsstaaten müssten »auf den Westen provozierend wirken« oder die Verlegung der Manöver in die unmittelbare Nähe Dresdens wirke auf die Bevölkerung dieser Stadt besonders »beängstigend«, weil diese Stadt »noch aus allen Kriegswunden blute«.
Im Bezirk Cottbus gab es einzelne Gerüchte über angebliche Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der befreundeten Armeen. In Spremberg hätten angeblich zwei sowjetische Soldaten einen Offizier der NVA erschossen und beraubt; ein anderes Gerücht besagte, die Tat wäre von zwei Soldaten der ČSSR-Armee begangen worden.
In der Berichtszeit sind keine, gegen die an der Armeeübung teilnehmenden Kräfte gerichteten feindlichen Handlungen aufgetreten.
Durch MVM5-Fahrzeuge wurde das Sperrgebiet nicht verletzt.
Am 12.9.1963 wurde die Fernsprechleitung zwischen den Tribünen 3 und 4 des Übungsplatzes Nochten gestört. In der Untersuchung wurde festgestellt, dass es sich bei den Tätern um drei Angehörige des Entstörtrupps (Nachrichten-Regiment 2) handelt, die die Kupplung der Verbindung gelöst und voll Sand gestreut hatten, um bei der »Suche« nach der Störstelle Zeit und Gelegenheit zu haben, für sich Bier zu beschaffen.
Die Täter wurden arretiert und dem Militärstaatsanwalt übergeben.
In größerem Umfang wurden in der Berichtszeit Verletzungen der Wachsamkeit durch Angehörige der an der Aktion teilnehmenden Verbände der ČSSR und der VR Polen bekannt. So wurden bisher 2 500 Postsendungen festgestellt, die unter Missachtung der Weisung, Postbeförderungen nur über die Feldpost vorzunehmen, in Postkästen der Deutschen Post eingeworfen wurden.
Von Bedeutung sind weiterhin noch einige Vorkommnisse, die durch die teilweise ungenügende Kontrolle und Absicherung des Übungsgeländes und der zum Einsatz vorgesehenen Sprengmittel begünstigt wurden.
Am 11.9.1963 wurde bei der Rückführung der Imitationsmittel des Pionier-Bataillons 11 festgestellt, dass neun Imitationskörper und eine Imitationshandgranate fehlten.
Durch die sofort eingeleitete Untersuchung wurde festgestellt, dass diese Sprengmittel von fünf Angehörigen dieser Pionier-Einheit entwendet worden waren mit der Absicht, die Imitationsmittel zur Ausbildung am 12.9.1963 zu verwenden.
Diese Einheit hatte bereits beim Verlegen der Imitationsfelder am 9.9.1963 den Sprengstoff unbewacht abgestellt und damit gröblichst gegen die Sicherheitsvorschriften verstoßen.
Durch einen Panzer-Soldaten der ČSSR wurden am 11.9.1963 in einem Bunker auf dem Übungsplatz Königsbrück (Angriffsraum eines Regimentes der 50. Panzerdivision der ČSSR) zwei sowjetische Minen (eine scharfe und eine entschärfte) aufgefunden. Beim Absuchen des Geländes wurde weitere Fundmunition sichergestellt.
Am 12.9.1963 wurde festgestellt, dass aus dem auf dem Übungsplatz Königsbrück verlegten Imitationsfeld insgesamt 30 Packungen Sprengstoff zu je 400 Gramm und 16 Sprengkapseln offensichtlich von sachkundigen Personen entwendet wurden. Maßnahmen zur Ermittlung der Täter wurden eingeleitet.
Am 14.9.1963, gegen 5.00 Uhr, kam es zwischen Laußnitz und Ottendorf, Kreis Dresden-Land, noch zu einem schweren Verkehrsunfall.
Ein Armeeangehöriger, Fahrer des Krades VA 8–9303, der während der Fahrt vermutlich eingeschlafen war, fuhr gegen einen Baum und zog sich einen Schädelbruch zu. (Es besteht Lebensgefahr.)
Andere Verkehrsteilnehmer waren an dem Unfall nicht beteiligt.
Operativer Anhang für den Genossen Minister
Am 12.9.1963 wurden die Jugendlichen [Name 1, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1947, wohnhaft Dresden A 1, [Straße, Nr.] und [Name 2, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1946, wohnhaft Dresden N 6, [Straße, Nr.] (neben NVA-Objekt), inhaftiert.
Die Täter hatten im September 1962 an verschiedenen Stellen der Leipziger Straße fünf Hetzlosungen geschmiert.
Darüber hinaus hatten sie gemeinsam ca. 30 Hetzflugblätter (Größe DIN A5) hergestellt, die im Theater »Junge Garde« ausgelegt werden sollten.
Diese Hetzflugblätter wurden jedoch vorher vernichtet, da die Mutter des [Name 1] diese entdeckte und ihren Sohn vor einer Verbreitung warnte.
Bei dem [Name 1] handelt es sich um einen schwererziehbaren Jugendlichen, dessen Vater in Westdeutschland lebt. Er fiel bereits vor ca. drei Monaten an, da er ein Bild unseres Staatsratsvorsitzenden6 beschmutzte.
[Name 2] ist ein ähnliches Element, er beging in der Vergangenheit mehrere Sittendelikte.
Beide Täter sind geständig.
Am 13.9.1963 wurde der Jugendliche [Name 3, Vorname], geb. [Tag, Monat] 1942, Hilfsarbeiter im VEB Bramsch,7 festgenommen.
Der Beschuldigte hatte am 10.9.1963 im VEB Bramsch, Produktionshalle Dresden A 29, eine Hetzschrift ausgelegt sowie am 12.9.1963 im gleichen Betrieb zwei Hetzlosungen geschmiert. Gegenüber einer Genossin unserer Partei äußerte er Morddrohungen.
[Name 3] trat in der Vergangenheit laufend durch negative Äußerungen gegenüber fortschrittlichen Personen in Erscheinung. Der Täter ist geständig.
Am 12.9.1963 wurde im VEB »Silika« Krauschwitz/Weißwasser ein handgeschriebener Zettel aufgefunden, dessen Inhalt gegen die Manöverbälle gerichtet war. Die Aufschrift lautete:
»Gesucht werden Matratzen für Offiziere – Alter 13 bis 35 Jahre. Meldungen bis Freitag an die BGL oder Abt. Arbeit abgeben.«
Der mögliche Täterkreis ist bereits bis auf zwei Personen eingeschränkt worden. Es fehlt lediglich nur noch das Gutachten der Abt. 32.8
Während der Aktion »Quartett« wurden durch Beobachtungen von Armeeangehörigen und durch eingesetzte IM 17 Personen in unmittelbarer Nähe von militärischen Objekten festgestellt. Diese Personen führten Beobachtungen durch und brachten Fototechnik in Anwendung, sodass der Verdacht einer Spionagetätigkeit besteht.
Von den einzelnen Geheimdienstzentralen wurden keine weiteren Aufträge – außer den bereits berichteten – an GM gegeben, die sich mit der Aktion »Quartett« befassen.
Funkspione traten seit dem 6.9.1963 nicht mehr in Erscheinung (zweiseitiger Funk).
In der Untersuchung des Diebstahls der Sprengmittel aus dem Imitationsfeld Königsbrück wurde bisher festgestellt, dass in der Nähe eine sowjetische Pionier-Einheit stationiert ist und sowjetische Soldaten im Imitationsfeld beim Pilzesuchen beobachtet wurden. Weiter konnten in einem in der Nähe der sowjetischen Einheit liegenden Stausee mehrere tote Fische festgestellt werden, die vermutlich durch Sprengwirkung im Wasser getötet und an die Oberfläche getrieben wurden.