Moralische Verfallserscheinungen in der Pionierschule der NVA, Dessau
12. Februar 1963
Einzelinformation Nr. 90/63 über moralische Zersetzungserscheinungen in der Leitung der Pionierschule der NVA, Dessau
Dem MfS wurden eine Reihe schwerwiegender moralischer Zersetzungserscheinungen innerhalb der Leitung der Pionierschule der NVA, Dessau,1 bekannt. Im Einzelnen betrifft dies den [Funktion, Dienstgrad, Name 1], den [Funktion, Dienstgrad, Name 2] und den [Funktion, Dienstgrad, Name 3].
Besonders bei [Dienstgrad, Name 2] ziehen sich die moralischen Verfehlungen bereits über einige Jahre hin. Er musste bereits im Jahre 1959, als er noch in [Dienststelle, Funktion] tätig war, wegen moralischer Vergehen zur Verantwortung gezogen werden. Als er im [Monat, Jahr] als [Funktion] in der Pionierschule Dessau eingesetzt wurde, fuhr er noch am gleichen Tage mit dem [Funktion, Institution, Name 4], nach Bitterfeld und verbrachte dort die Nacht mit einer Bardame. Er setzte sein unmoralisches Verhalten bis in die Gegenwart fort, unternahm laufend Zechtouren und knüpfte zahlreiche intime Beziehungen an. Unter anderem nahm er intime Beziehungen auch zu den Zivilangestellten der NVA, [Funktion, Name 5], der [Funktion] in Dessau, der [Funktion] an der Pionierschule, [Name 6], sowie der Zivilangestellten und Frau eines Offiziersschülers [Name 7] auf. Ein großer Teil dieser Frauen ist verheiratet.
[Dienstgrad, Name 2] war ständig bestrebt, andere Offiziere (z. B. [Dienstgrad, Name 3] und [Dienstgrad, Name 1]) in sein unmoralisches Verhalten mit hineinzuziehen. So nahm z. B. [Dienstgrad, Name 3] gemeinsam mit [Dienstgrad, Name 2] n einigen Fällen intime Beziehungen zu Frauen auf. Als [Dienstgrad, Name 3] gegenüber [Dienstgrad, Name 2] Bedenken wegen ihres unmoralischen Lebenswandels äußerte, wurden diese von [Dienstgrad, Name 2] mit solchen Bemerkungen zerstreut, dass der [Funktion, Dienstgrad, Name 1] selbst nichts sagen könnte. Er habe ihn in der Hand. Wenn etwas herauskommen würde, so sollte jeder nur von seinen Vergehen sprechen und den anderen nicht mit hineinreißen.
Im Herbst 1962, während des Ernteeinsatzes, besuchte [Dienstgrad, Name 2] gemeinsam mit [Dienstgrad, Name 8] dessen Vater, der [Funktion, Betrieb, Region] ist. Dort versuchte [Name 2] nach einer Feier die 17-jährige Schwester [Dienstgrad, Name 8] geschlechtlich zu missbrauchen, was bei dem Vater äußerste Empörung hervorrief. [Dienstgrad, Name 8] erstattete darüber keine Meldung.
Dem [Funktion, Institution] ist das Verhalten von [Dienstgrad, Name 2] teilweise bekannt. Er schritt jedoch in keiner Weise dagegen ein. [Dienstgrad, Name 1] führt selbst ein unmoralisches Leben und unterhielt z. B. intime Beziehungen zu seiner Sekretärin, der Zivilangestellten und Ehefrau des [Dienstgrad, Name 9]. Dieses Verhältnis ist dem Ehemann der [Name 9] bekannt. Während einer gemeinsamen Silvesterfeier der Familien [Name 9] und [Name 1] 1961/62 kam es deswegen auch zu einer Schlägerei zwischen [Dienstgrad, Name 1] und [Dienstgrad, Name 9].
Es gibt ferner Anzeichen dafür, dass Dienstgrad, Name 1] und [Dienstgrad, Name 2] die Genossen der Kommission der PKK Strausberg, die Anfang Januar 1963 das unmoralische Verhalten von [Dienstgrad, Name 1] untersuchten, belogen. Vor Ankunft der Kommission erklärte z. B. [Dienstgrad, Name 2]: »Morgen wird ein schwerer Tag. Ich habe von einem guten Freund aus Strausberg erfahren, dass die PKK aus Strausberg kommt, um vorwiegend die Moral einiger Offiziere in der Leitung zu untersuchen. Ich habe auch erfahren, wer kommt. Der [Dienstgrad], welcher mitkommt, hat vor Jahren mit mir in einem Hause gewohnt, und der [Dienstgrad] ist auch ein guter Bekannter. Alles kann daher nicht so schlimm werden.« [Dienstgrad, Name 1] fügte hinzu: »Wenn die wieder weg sind, werde ich froh sein, da werden wir jeder eine Pulle Sekt saufen.« [Dienstgrad, Name 2] beruhigte ihn und sagte: »Das kriegen wir schon hin.«
[Dienstgrad, Name 2], der befürchtete, dass [Dienstgrad, Name 3] gegenüber der PKK Aussagen machen könnte, äußerte in diesem Zusammenhang über [Dienstgrad, Name 3]: »Den hasse ich über alles. So wie ihn habe ich noch keinen Menschen gehasst.«
[Dienstgrad, Name 2] verschaffte sich jedoch nicht nur Rückendeckung beim [Funktion], sondern versuchte auch unterstellte Offiziere zu beeinflussen, um sie zum Schweigen zu veranlassen. [Dienstgrad, Name 10] ([Funktion]) wusste z. B., dass [Name 2] bei der Kontrolle des Ernteeinsatzes dienstfremde Fahrten durchführte und über Nacht wegblieb. [Dienstgrad, Name 2] stellte deshalb [Dienstgrad, Name 10] einen Dienst-Pkw zur Verfügung, damit er mit einer Frau, zu der er ein intimes Verhältnis angeknüpft hatte, nach Rostock fahren konnte.
[Dienstgrad, Name 11], seit 2.1.1963 als [Funktion] eingesetzt, wurde von [Name 2] am 10.1.1963 in die verrufenste Gaststätte von Dessau eingeführt. Kurze Zeit später reichte [Name 2] ihn zur Auszeichnung für die Teilnahme am Katastropheneinsatz in Vockerode ein, obwohl sich z. B. [Dienstgrad, Name 12] dabei größere Verdienste erworben hatte. [Dienstgrad, Name 12] wird jedoch von [Name 2] aufgrund der Tatsache, dass er an seinem unmoralischen Treiben nicht teilnimmt, als »gefährlich« angesehen.
Offiziere, die – wie [Dienstgrad, Name 3] – versuchten, Kritik am unmoralischen Lebenswandel von Dienstgrad, Name 2] zu führen, wurden von [Dienstgrad, Name 1] und [Dienstgrad, Name 2] in beleidigender Form behandelt. Einmal brüllte [Dienstgrad, Name 1] m Beisein des [Funktion] der Schule, den [Dienstgrad, Name 3] an: »Du Dreckschwein, dich müsste man beseitigen.« Er brüllte so laut, dass es sogar der [Dienstgrad, Name 13], der sein Arbeitszimmer über dem des [Funktion] hat, verstehen konnte.
Andere Offiziere versuchten erst gar nicht, Kritik zu üben. So sagte z. B. am 12.1.1963 [Dienstgrad, Name 14], der erst ein halbes Jahr Dienst an der Schule versah, zu [Dienstgrad, Name 3], als dieser eine Auseinandersetzung mit [Dienstgrad, Name 1] gehabt hatte: »Machen Sie sich den [Funktion] nicht zum Feind. Er ist zwar nicht gefährlich, aber dann haben Sie den Genossen [Name 2] zum Feind, und der ist äußerst gefährlich, soviel habe ich schon mitbekommen.«
Diese Erscheinungen sind verschiedenen Offizieren an der Pionierschule Dessau mehr oder weniger bekannt. Sie werden aber nicht zum Anlass einer offenen Kritik genommen, weil Repressalien seitens des [Funktion] und des [Funktion] befürchtet werden. Der [Funktion], [Dienstgrad, Name 3], ist durch seinen eigenen unmoralischen Lebenswandel gehemmt und tritt nicht konsequent auf.