Provokationen westlicher Militärverbindungsmissionen in der DDR
30. Juli 1963
Einzelinformation Nr. 473/63 über das feindliche und provokatorische Verhalten von Angehörigen der amerikanischen, englischen und französischen Militärverbindungsmission (MVM) auf dem Territorium der DDR
Vom MfS wurde bereits wiederholt darauf hingewiesen,1 dass die Angehörigen der genannten westlichen MVM2 seit Jahren ihre Anwesenheit in der DDR zu feindlichen Handlungen, besonders zur Spionage, missbrauchen, dabei in provokatorischer Form vorgehen, ständig gegen die Gesetze der DDR verstoßen und die Souveränität der DDR missachten.
Ihre feindlichen Handlungen haben sich seit den Sicherungsmaßnahmen vom 13.8.19613 noch verstärkt und haben im 1. Halbjahr 1963 einen sehr großen Umfang angenommen. Es ist offensichtlich, dass damit ein Ausgleich für die durch die Sicherungsmaßnahmen eingeschränkten anderen Spionagemöglichkeiten geschaffen wurde.
Das MfS sieht sich deshalb veranlasst, nochmals auf die feindliche und provokatorische Tätigkeit von Angehörigen der westlichen MVM in der DDR im Einzelnen hinzuweisen.
Wie in der Vergangenheit liegen die Schwerpunkte der Spionagetätigkeit aller drei westlichen MVM in der Erkundung und Aufklärung militärischer Objekte und Einrichtungen der zeitweilig in der DDR stationierten sowjetischen Streitkräfte und der NVA.
Zu diesem Zweck unternahmen sie allein in den Monaten Januar bis Juni 1963 insgesamt fast 1 500 Aufklärungsfahrten. Circa 60 % dieser Fahrten erfolgten in die verschiedenen Bezirke der DDR, besonders in die Bezirke Halle, Magdeburg und Dresden, während es sich bei ca. 40 % um Aufklärungsfahrten in der näheren Umgebung Potsdams und in Potsdam selbst handelt.
Konzentrierte Einsätze sind vor allem gegen die verschiedensten Objekte der Sowjetarmee und gegen die mit moderner Kampftechnik ausgerüsteten Einheiten der NVA festzustellen. Eine Analyse zeigt, dass die MVM sich besonders für Flugplätze, Verladebahnhöfe, Radar- und Funkstationen, Manövergebiete und Truppenübungsplätze sowie für die Staatsgrenze West interessieren.
Für ihre Spionagetätigkeit bedienen sie sich bei den Aufklärungsfahrten folgender charakteristischer Methoden: Die Pkw der MVM fahren – teilweise unter Missachtung oder Umgehung der Sperrschilder und Sicherungsmaßnahmen – möglichst unmittelbar an die aufzuklärenden Objekte und Anlagen heran, um durch visuelle Beobachtung entsprechende Feststellungen treffen zu können oder bereits vorhandene Angaben zu überprüfen und zu ergänzen.
In vielen Fällen werden diese Objekte und Anlagen fotografiert oder gefilmt und werden Eintragungen in Karten vorgenommen. Da durch die Einrichtung von ständigen, örtlichen und zeitweiligen Sperrgebieten die Aufklärungsmöglichkeiten eingeschränkt wurden, versuchen sie verstärkt, Lücken zu finden, um unter Umgehung der entsprechenden Beschilderung oder Absperrung ungehindert in die Sperrgebiete einzufahren. So wurden von ihnen ebenfalls in der Zeit von Januar bis Juni 1963 39 Sperrgebiete verletzt, davon 19 von der amerikanischen, zwölf von der englischen und acht von der französischen MVM.
In diesem Zusammenhang konnte auch festgestellt werden, dass die Angehörigen der MVM eben zum Zwecke des Eindringens in Sperrgebiete die Aufklärung der näheren Umgebung solcher Gebiete verstärkt haben.
In mehreren Fällen wurde auch versucht, durch Täuschung der Posten näheren Einblick in Objekte zu erhalten bzw. erfolgt ihre Beobachtung und Aufklärung auch aus gedeckten Stellungen (Waldgebiete usw.) in Nähe solcher Objekte heraus.
Am 22.3.1963 verletzte Oberstleutnant Claire4 von der amerikanischen MVM mit dem Pkw 2 ein örtliches Sperrgebiet bei Schönhagen. Dort wurde ein Turm (geometrischer Punkt) bestiegen, nachdem das Schloss der Tür gewaltsam aufgebrochen wurde.
Von diesem Turm gibt es gute Beobachtungsmöglichkeiten des im Sperrgebiet liegenden Sonderobjektes der NVA.
Am 23.4.1963 wurde durch Jones5 von der amerikanischen MVM ein örtliches Sperrgebiet im Raum Düben – Buko, Kreis Roßlau, verletzt und die angebrachten Verbotsschilder umgefahren.
Am 30.5.1963 verletzte Major Fitzurka6 von der US-MVM ein örtliches Sperrgebiet am Flugplatz bei Cottbus.
Major Morgan7 von der gleichen MVM verletzte am 8.6.1963 mit dem Pkw 2 dreimal das Sperrgebiet im Raum Dallgow, Kreis Nauen. Beim Versuch, ihn zu stellen, flüchtete er mit hoher Geschwindigkeit.
Am 19.6.1963 wurde der Pkw 27 mit Oberstleutnant Fair8 beim Verletzen eines örtlichen Sperrgebietes bei Potsdam-Wildpark gestoppt, entzog sich dann aber durch rücksichtslose Fahrweise dem Stellen.
Major Challe9 von der französischen MVM führte am 16.5.1963 mit weiteren Angehörigen der MVM eine Aufklärungsfahrt im Bezirk Magdeburg durch. Unter anderem fuhren sie dabei bei Havelberg in einen Waldweg, arbeiteten sich bis zum Waldrand vor und versteckten sich im Gebüsch. Von dieser gedeckten Stellung aus beobachteten sie die gut einzusehenden Fernverkehrsstraßen F 188 und F 107 und die Eisenbahnlinie in der Erwartung von Militärtransporten. Der gleiche Offizier Challe fotografierte eine Woche später in Bad Wilsnack, Kreis Perleberg, Truppenverladungen der sowjetischen Armee.
Angehörige der britischen MVM – Kapitän Stark10 – beobachteten am 20.6.1963 vom Elbdamm bei Jerichow, Bezirk Magdeburg, aus Flugzeuge beim Übungsfliegen und fertigten davon Fotoaufnahmen und Aufzeichnungen an.
Am 22.6.1963 beobachtete Kapitän Honey11 Grenzbefestigungsarbeiten der NVA im Raum Groß Glienicke.
Am gleichen Tage fuhren Angehörige der englischen MVM in Falkensee elf Mal am Bahnhof Falkensee entlang, um einen dort befindlichen Spezial-Lkw der sowjetischen Armee aufzuklären. Sie verschuldeten dabei durch Nichtbeachtung der Vorfahrt einen Verkehrsunfall mit einem Radfahrer, setzten ihre Fahrt jedoch ohne anzuhalten fort.
Im Juni 1963 wurden von der französischen MVM drei Mal Objekte des MfS im Kreis Königs Wusterhausen angefahren, beobachtet und in einem Falle fotografiert.
In verschiedenen Fällen wurden Angehörige unserer Sicherheitsorgane oder Bürger beschimpft, die MVM-Angehörige bei ungesetzlichen Handlungen überraschten. Als z. B. ein VP-Angehöriger am 29.3.1963 Oberstleutnant Claire und Leutnant Hanson12 von der amerikanischen MVM beim Beobachten eines Flugplatzes der sowjetischen Armee überraschte, wurde er von ihnen mit »verfluchter Vopo« beschimpft. Die gleichen Offiziere wandten sich am 16.4.1963 mit groben Schimpfworten gegen den Parteisekretär des VEG Kalkreuth,13 der sie aus einer Feldscheune verwies, in der sie sich versteckt hatten.
Besonders in Gebieten und zu Zeitpunkten von Manövern der NVA, sowjetischer Einheiten und Einheiten der Warschauer Vertragsstaaten14 unternehmen die MVM größte Anstrengungen, Spionageangaben durch massierte und konzentrierte Fahrten in diese Gebiete und durch die Anwendung neuer Methoden zu erhalten.
Während der Manöver vom 23.5. bis 31.5.1963 befanden sich insgesamt 52 Fahrzeuge der MVM, davon 24 der amerikanischen, 18 der englischen und zehn der französischen MVM im Einsatz, die sich besonders auf die festgelegten zeitweiligen Sperrgebiete und auf die Zufahrtsstraßen konzentrierten.
In stärkerem Maße als bisher wurden dazu – vor allem von der britischen und amerikanischen MVM – Nachtfahrten unternommen. Sie blieben mit ihren Fahrzeugen im Durchschnitt einen Tag und eine Nacht in diesen Gebieten und wurden dann von anderen Fahrzeugbesatzungen abgelöst.
Die Fahrzeuge der US-MVM befuhren zu dieser Zeit hauptsächlich die Autobahn zwischen den Abfahrten Brandenburg und Magdeburg und die Straßen zwischen Ziesar, Genthin, Fischbeck und Rathenow, um sowjetische Militärkolonnen festzustellen, denen sie dann folgten und die sie beobachteten. Sie fuhren dabei Geschwindigkeiten bis zu 170 km/h, überfuhren zum Wenden auf der Autobahn verkehrswidrig den Grünstreifen und drangen in Sperrgebiete ein. Dieses Verhalten wurde z. B. am 24. und 25.5.1963 vom Wagen 2 (Oberstleutnant Fair und Sergeant Albiez15), Wagen 23 (Major Clayborne16 und Major Brownlee17) und Wagen 1 (Oberst v. Pawel,18 Major Morgan) der US-MVM festgestellt. In ähnlicher Form gingen die Angehörigen der englischen MVM vor, die sich noch besonders auf Eisenbahntransporte und Verladen von sowjetischen Militäreinheiten konzentrierten.
Die Insassen des Wagens 35 der englischen MVM (Major Bird,19 Sergeant Raily,20 Corporal Fuckay21) beobachteten am 28.5.1963 von der Autobahnabfahrt Magdeburg/Industriegelände aus erst eine in Marsch befindliche sowjetische Pionier-Einheit, dann das Verladen von Panzern Typ T 5422 auf dem Verladebahnhof Rothensee. Anschließend fuhren sie von Rothensee nach Barleben und verletzten dort in einer Tiefe von 2 km das Sperrgebiet.
Zu ihrer Tarnung und um sich einer Beobachtung zu entziehen, begeben sie sich besonders nachts in unwegsames Gelände oder schalten die Rückbeleuchtung an ihren Kfz aus. Teilweise fahren sie zu diesem Zweck auch – wenn sie sich nicht allzu weit von den Grenzübergängen nach Westdeutschland entfernt aufhalten – für einige Stunden nach Westdeutschland, bis sie glauben, ihre Fahrt unbeobachtet fortführen zu können.
Weitere bei Manövern angewandte typische Methoden sind das sternförmige mehrmalige Anfahren des Übungsraumes, das Befahren des Übungsraumes nach Beendigung der Übungen, das Postieren in der Nähe von Straßenkreuzungen und Verladebahnhöfen. Damit sollen Umfang, Beteiligung und taktische Aufgaben der Übungen so umfassend wie möglich aufgeklärt werden.
Ferner wurde in der Vergangenheit festgestellt, dass sich nicht nur die Fahrzeuge der jeweiligen MVM bei längeren Spionagefahrten, z. B. bei Manövern, ablösen, sondern dass sich auch die MVM untereinander ablösen.
Der Beweis für diese Koordinierung wurde ganz deutlich während der Herbstmanöver 1962 erbracht. Zu diesen Truppenübungen befanden sich bei Beginn der Übungen zuerst die Fahrzeuge der britischen MVM im Übungsgebiet, die dann nach zwei bis drei Tagen von Fahrzeugen der amerikanischen MVM abgelöst wurden.
Die bisher angeführten Beispiele aus jüngster Zeit – die noch fortgesetzt werden könnten – stimmen auch vollkommen mit den bereits in der Vergangenheit festgestellten feindlichen Handlungen der westlichen MVM überein.
Durch die Überprüfung von Eintragungen auf einer Reihe dem MfS zugänglich gewordener topografischer Karten der westlichen MVM wurde bereits 1961 der konkrete und eindeutige Beweis für ihre umfangreiche und vielseitige Spionagetätigkeit erbracht.
Die Mehrzahl ihrer auf den topografischen Karten enthaltenen taktischen Zeichen kennzeichneten militärische Objekte der Sowjetarmee, der NVA und anderer militärischer Einheiten. Außerdem waren eine Vielzahl Eintragungen über wichtige ökonomische Objekte und über solche Objekte und Gebiete enthalten, die für subversive Aktionen ausgenutzt werden können.
Auf militärischem Gebiet legen sie besonderen Wert auf die Erkundung vermeintlicher Abschussbasen neuartiger Waffen, auf die Erkundung von Kasernen, Munitionsdepots und Treibstofflager, Übungsplätzen, Flugplätzen, Radarstationen, Funkanlagen usw., besonders auch auf alle im Bau befindlichen Objekte der sowjetischen Armee, der NVA und anderer Sicherheitsorgane. Dazu kommen auch Feststellungen über den Zustand der Straßen, Autobahnen, Brücken (Größe und Tragfähigkeit), günstige Landungs- und Übersetzungsmöglichkeiten an der Ostsee und an Flüssen sowie Feststellungen über strategisch wichtige Knotenpunkte der Deutschen Reichsbahn usw.
Eintragungen auf amerikanischen Karten geben z. B. genau den Verlauf eines großen Stabsmanövers der sowjetischen Freunde wieder.
Auf englischen Karten wurden sämtliche Straßen im Gebiet der DDR gekennzeichnet, die zu Truppenübungsplätzen der NVA und der Sowjetarmee führen bzw. bei Übungen benutzt werden. Außerdem waren Verstecke in der Nähe solcher Übungsplätze markiert, von denen bei Tag und Nacht Beobachtungen möglich sind.
Auf ökonomischem Gebiet konzentrieren sie sich auf die Erkundung von Elektrizitäts-, Gas- und Wasserwerken, Post- und Kurierverbindungen der Regierungsstellen sowie des Nachrichtenwesens sämtlicher Regierungsstellen und Behörden der DDR (Telefon, Funk, Fernschreiber usw.), Talsperren, Betriebe, die Ausrüstungen für die NVA herstellen, Betriebe und Speicher, die für die Versorgung der Bevölkerung von großer Bedeutung sind, sowie Ausrüstungs- und Reparaturbetriebe der Deutschen Reichsbahn und viele andere wichtige Einrichtungen.
Im Transportwesen orientieren sie sich im Wesentlichen auf Bahnhöfe (mit Truppenverladungen), Autobahnbrücken, Autobahnabfahrten, Straßenbrücken, Reichsbahnbrücken, Verkehrsknotenpunkte, Straßenabschnitte, Schleusen für Binnenschiffe, Fähren, Anlegepunkte für Westbinnenschiffer, Reichsbahnknotenpunkte.
Die Tatsache, dass die westlichen MVM ihre feindlichen Handlungen im Auftrage westlicher Geheimdienststellen und eng koordiniert mit ihnen durchführen, wird einmal durch den Einsatz geheimdienstlich ausgebildeter Personen in den MVM bewiesen und geht zum anderen auch daraus hervor, dass Geheimdienststellen Angaben ihrer Spione durch die MVM prüfen und vervollständigen ließen oder umgekehrt.
Besonders deutlich wurde das zu jenem Zeitpunkt, als die westlichen MVM vorübergehend ihre Spionagefahrten im Gebiet der DDR einstellten. Zu diesem Zeitpunkt erhielt z. B. ein Spion des englischen Geheimdienstes den Auftrag, zusätzlich einige Überprüfungen im Gebiet der DDR durchzuführen, mit der Begründung, dass die MVM nicht fahren könnten.
Neben diesen Formen der Feindtätigkeit sind die Angehörigen der westlichen MVM bei ihren Aufklärungsfahrten und den damit verbundenen Übernachtungen in Hotels der DDR ständig bestrebt, Kontakte mit Bürgern der DDR herzustellen. Dabei konnte durch Überprüfungen festgestellt werden, dass es sich in der Regel um solche Personen und Personenkreise handelte, von denen die Angehörigen der MVM aufgrund deren Tätigkeit, Vergangenheit und anderer Faktoren annahmen, dass sie für eine Ausnutzung oder Einbeziehung in eine feindliche Tätigkeit geeignet sein könnten.
Typisch für das provokatorische Verhalten von Angehörigen der MVM und für die Ignorierung der Gesetze der DDR ist ihr verkehrswidriges Verhalten, das andere Verkehrsteilnehmer aufs Ernsthafteste gefährdet.
Besonders um sich einer Beobachtung während ihrer Spionagefahrten im Gebiet der DDR zu entziehen, fahren sie unverantwortlich hohe Geschwindigkeiten, auf der Autobahn teilweise bis zu 170 km/h. Auch durch Ortschaften, auf Straßen mit Geschwindigkeitsbegrenzung sowie auf Feld- und Waldwegen fahren sie mit unzulässig hohen Geschwindigkeiten. Wiederholt wurden Einbahnstraßen in verbotener Richtung oder für den Durchgangsverkehr gesperrte Straßen durchfahren und die Verkehrsregelung durch VK-Posten nicht beachtet.
In mehreren Fällen wurde bei Nachtfahrten die Fahrzeugbeleuchtung ausgeschaltet.
Neben den bereits an anderer Stelle der Information angeführten Beispielen sollen aus der Vielzahl weiterer und ähnlicher Beispiele nur einige typische der letzten Monate angeführt werden:
Am 29.3.1963 fuhr Sergeant Ratz,23 Fahrer der US-MVM Pkw 12 (Oberstleutnant Claire, Leutnant Hanson) in stark angetrunkenem Zustand mit überhöhter Geschwindigkeit durch das Stadtgebiet Rostock.
Der US-Pkw 25 (Major Morgan, Major Brownlee) fuhr am 10.4.1963 – nachdem er bereits am 9.4.1963 auf dem Berliner Ring über 150 km/h fuhr – in ein örtliches Sperrgebiet in Dresden ein und entzog sich anschließend durch brutale verkehrswidrige Fahrweise dem Stellen. Das Beobachtungsfahrzeug wurde dadurch zu Seite abgedrückt, andernfalls es zu einem Unfall geführt hätte.
Bei einer Aufklärungsfahrt des Chefs der US-MVM Oberst v. Pawel und Major Morgan kam es am 26.5.1963 zu einem Verkehrsunfall. Durch zu hohe Geschwindigkeit wurde die Kurve übersehen und der Pkw fuhr in den Straßengraben. Dabei entstand Sach- und Personenschaden. Major Morgan musste genäht werden und es wurde festgestellt, dass der Chef der MVM unter Alkoholeinwirkung stand.
Der Pkw 12 (Oberstleutnant Claire, Leutnant Hanson) befand sich am 16./17.4.1963 im Stadtgebiet von Dresden. Die Insassen des Fahrzeuges beachteten nicht die Vorfahrt und gerieten zwischen zwei Straßenbahnen und einen Kradfahrer. Aufgrund des verkehrswidrigen Verhaltens wurde der Pkw von einem Verkehrspolizisten abgepfiffen. Daraufhin hielt das Fahrzeug Nr. 12 an. Als der Posten der VK in Höhe des MVM-Fahrzeuges war, fuhr es mit hoher Geschwindigkeit weiter. Nach ca. 100 m wendete der Pkw, fuhr in provokatorischer Weise wieder an dem VK-Posten vorbei und wurde zum zweiten Mal abgepfiffen. Der MVM-Wagen hielt daraufhin wieder an. Als der VK-Posten am Fahrzeug war, fuhren sie wieder mit ca. 70 bis 80 km/h davon und lachten dabei.
Am 13.6.1963 befuhren Kapitän Milliet,24 Stabssergeant Collard25und Stabssergeant Lepetitt26 von der französischen MVM mit 120 km/h die Brücke des Friedens in Genthin und wurden deshalb dort gestellt. Sie wurden darauf hingewiesen, dass sie gegen die StVO der DDR verstoßen und bis zum Eintreffen der Kommandantur zu warten haben. Daraufhin brachte einer der Angehörigen der französischen MVM zum Ausdruck, dass sie »keine DDR kennen« würden, sondern nur eine »sowjetisch besetzte Zone«. Sie versuchten dann anschließend die Brücke und die sie stellenden Genossen zu fotografieren.
Besonders die beiden letzten Beispiele zeigen mit aller Deutlichkeit das provokatorische Verhalten der Angehörigen der westlichen MVM, das sich in Übereinstimmung mit den Instruktionen ihrer vorgesetzten Dienststellen befindet. So haben die Angehörigen der britischen MVM z. B. eine schriftliche Instruktion bekommen, wie sie sich gegenüber den Organen der DDR zu verhalten haben. Diese Instruktion lautet:
Ich bin ein Offizier, Mitglied der Britischen Militärmission bei dem Oberbefehlshaber der Sowjetischen Besatzungstruppen und ich habe dabei das Recht, das Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone ungehindert zu befahren. Wir sind dazu berechtigt laut Vertrag mit den sowjetischen Militärbehörden, und Volkspolizisten sind nicht ermächtigt, unsere Ausweise zu kontrollieren. Wie Sie bereits gesehen haben, ist dieser Wagen als Auto der englischen Militärmission richtig gekennzeichnet. Da Sie sich davon überzeugt haben, dass der Wagen ordnungsgemäß gekennzeichnet ist, habe ich das Recht, weiterzufahren, was ich hiermit tun werde. Wenn Sie versuchen, mich mit Gewalt an der Weiterfahrt zu hindern, sind Sie für die Folgen verantwortlich.
Mit dieser Erklärung sollen die MVM-Angehörigen Vertretern der Organe der DDR sinngemäß gegenübertreten.
Eine andere Form der Missachtung von Gesetzen der DDR durch die Angehörigen aller drei westlichen MVM bestand und besteht im umfangreichen Einkauf wertvoller Gegenstände (kostbare Porzellane und optische Geräte) mit dem Ziel des Verbringens dieser devisengünstigen Waren nach Westberlin.
Dies war besonders vor dem 13.8.1961 stark ausgeprägt, ist aber auch jetzt noch der Fall.
So wurde z. B. am 24.6.1963 von der Frau des Wirtschaftsleiters der britischen MVM in einem privaten Porzellangeschäft ein Meißner-Porzellan-Speise-Service im Werte von 1 000 DM27 gekauft.
Im April 1963 versuchte die Ehefrau des britischen Sergeanten Sharp28 im Konsumwarenhaus29 mit einem falschen 20-DM-Schein zu bezahlen. Sie erklärte, diesen Schein in Westberlin erhalten zu haben.30
Anlage zur Information Nr. 473/63
[Vorschläge des MfS zum Vorgehen gegen die westlichen Militärverbindungsmissionen]31
Zur Unterbindung der feindlichen Tätigkeit seitens Angehöriger der drei westlichen MVM schlägt das MfS nachfolgende Maßnahmen vor und bittet um ihre Prüfung:
Da die Angehörigen der westlichen MVM ihre Akkreditierung beim Oberkommandierenden der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland ganz offensichtlich in der Richtung auslegen, damit die Gesetze und die Souveränität der DDR ignorieren und gegen sie verstoßen zu können (der vorliegende Bericht beweist das), wäre es zweckmäßig,
- –
in einer Note des MfAA an die betreffenden Westmächte über die feindliche Tätigkeit und das gesetzwidrige Verhalten ihrer MVM zu protestieren. In dieser Note sollte außer der Nachweisführung über feindliche Handlungen und Verstöße auch der Hinweis enthalten sein, dass sie eine Akkreditierung beim Oberkommandierenden der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland nicht davon entbindet, auch die Gesetze und die Souveränität der DDR zu achten und den Weisungen der DDR-Organe Folge zu leisten.
- –
Ferner wäre es angebracht, nach der Übergabe der Protestnote des MfAA auch vom Kommandierenden der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland – nach entsprechenden Vereinbarungen mit ihm – eine Erklärung direkt an die Chefs der MVM zu richten, in der die Übereinstimmung mit der Note des MfAA zum Ausdruck gebracht und offiziell mitgeteilt wird, dass die Organe der DDR alleinverantwortlich für die Ahndung aller Verstöße gegen die Gesetze der DDR sind und deshalb ihren Weisungen auch Folge zu leisten ist.
- –
Für das Vorgehen der DDR-Organe bei Gesetzesverletzungen durch Angehörige der westlichen MVM (Einfahren in Sperrgebiete, Auskundschaften von militärischen Objekten und Übungen, von anderen wichtigen Objekten und Anfertigung von Spionagematerialien, Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung, Nichtbefolgen von Weisungen der zuständigen Organe der DDR usw.) müsste eine feste Ordnung ausgearbeitet und in Kraft gesetzt werden.
Dazu wird vorgeschlagen:
- –
Hauptverantwortlich für die Führung der jeweiligen Untersuchungen müsste eine besonders zu schaffende Gruppe sein, die dann als zuständiges Organ der DDR den MVM-Angehörigen offiziell gegenübertritt. Zweckmäßigerweise sollte diese Gruppe als besondere Abteilung beim MfNV gebildet werden und aus Mitarbeitern des MfS bestehen, ohne dass Letzteres nach außen hin bekannt werden darf. In den Bezirken müssten dazu Mitarbeiter des MfS in den Wehrbereichskommandos eingesetzt werden. Diese Gruppe müsste ferner für die genaue Erfassung und Auswertung aller Vorkommnisse mit MVM-Angehörigen verantwortlich gemacht werden.
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Alle anderen Sicherheitsorgane der DDR müssten weiterhin das Recht haben, Angehörige der westlichen MVM bei Gesetzesverletzungen gleich welcher Art zu stellen und erforderlichenfalls bei schweren Verstößen oder bei Fluchtgefahr auch vorläufig festzunehmen und sie dieser Gruppe des MfNV bzw. der Gruppe bei den Wehrbezirkskommandos zu übergeben.
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Die von sowjetischen Organen bei Gesetzesverletzungen (insbesondere Einfahren in Sperrgebiete, in denen Einheiten oder Objekte der sowjetischen Armee untergebracht sind und Aufklärung solcher Objekte) gestellten oder vorläufig festgenommenen Angehörigen westlicher MVM müssten ebenfalls dieser Gruppe des MfNV bzw. der Gruppe bei den Wehrbezirkskommandos übergeben werden. In jedem Falle müssen jedoch die sowjetischen Organe von den jeweiligen Untersuchungsergebnissen unterrichtet werden. Darüber hinaus ist das zuständige sowjetische Organ auch von allen anderen Vorkommnissen mit MVM-Angehörigen in Kenntnis zu setzen.
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Im Falle einer Flucht – besonders bei groben Verstößen – müssten die jeweiligen Angehörigen der MVM bzw. das Fahrzeug offiziell zur Fahndung gestellt werden.
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Bei geringfügigen Straftaten (Übertretungen) könnte gegen Angehörige der MVM die gebührenpflichtige Verwarnung (bis zu 10,00 DM) angewandt werden.
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Bei schwerwiegenden schuldhaften Verstößen (z. B. bei Unfällen, die Verletzte fordern oder tödlichen Ausgang haben) sollten in jedem Fall schriftliche Strafanträge und entsprechende Schadensersatzforderungen gestellt und in diesem Zusammenhang bei der jeweilig zuständigen westlichen Besatzungsmacht offiziell Protest erhoben werden.
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In allen Fällen sollte den Angehörigen der westlichen MVM nach festgestellten Gesetzesverletzungen bzw. nach Abschluss der Untersuchungen durch die zuständige Gruppe des MfNV eine entsprechend vorzubereitende Erklärung zur Kenntnis gegeben werden, die sie auf ihre Gesetzesverletzungen aufmerksam macht und auffordert, in Zukunft die Gesetze und die Souveränität der DDR zu achten, andernfalls sie die entsprechenden Konsequenzen zu tragen haben.
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Bei wiederholten Verstößen seitens Angehöriger westlicher MVM wäre es zweckmäßig, mit dem zuständigen sowjetischen Organ eine Vereinbarung zu treffen, die vorsieht, den jeweiligen Angehörigen der MVM den Pass zeitweilig oder für ständig zu entziehen, je nach Schwere des Verstoßes.
Zur Unterbindung der illegalen Einfuhr von DM der DNB32 und zur Verhinderung von Währungsspekulationen und Verbringen hochwertiger devisengünstiger DDR-Erzeugnisse sollte festgelegt werden:
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MVM-Angehörige sind verpflichtet, die von ihnen in einem bestimmten Zeitraum (z. B. monatlich) benötigten DM-Beträge der DNB jeweils von der DNB zu beziehen. Sie erhalten diese Beträge gegen Umtausch in Währung ihres Landes. Ferner erhalten sie entsprechende Umtauschbescheinigungen, die bei allen Einkäufen vorzuweisen sind. Für die Umtauschbescheinigung müsste eine Form gefunden werden, die Manipulationen und anderen Missbrauch ausschließt.
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Der Verkauf hochwertiger und devisengünstiger DDR-Erzeugnisse (eine genaue Aufstellung, welche Erzeugnisse darunter fallen, müsste erarbeitet werden) an MVM-Angehörige sollte untersagt werden.
Zur exakten Festlegung und Durchsetzung dieser vorgeschlagenen Maßnahmen wäre es nach der grundsätzlichen Sanktionierung notwendig,
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auf einer Zusammenkunft zwischen Vertretern des zuständigen sowjetischen Organs und Vertretern der Sicherheitsorgane der DDR diese Probleme zu beraten und zu präzisieren.
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eine gemeinsame Beratung von verantwortlichen Vertretern der Sicherheitsorgane der DDR (MfNV, MdI, MfS) einzuberufen, um nach entsprechender Abstimmung konkrete Anweisungen über das Vorgehen der jeweiligen Organe zusätzlich zu den bereits vorhandenen erlassen zu können. (Fragen des Beobachtungs- und Meldesystems, Fragen des Stellens, der vorläufigen Festnahme, der Übergabe, der Fahndung usw.)
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Zur Durchführung der Sperrgebietsordnung vom 21.6.196333 sollte festgelegt werden, dass die Kennzeichnung aller Sperrgebiete – wo sie durch Beschilderung erfolgt – einheitlich und in deutscher, englischer und französischer Sprache geschieht.
Um zu erreichen, dass auch breiten Teilen der Bevölkerung das ungesetzliche Vorgehen der MVM bekannt wird, wäre es zweckmäßig, in entsprechenden Publikationen (Presse, Funk, Fernsehen, Film) die Bevölkerung anhand konkreter Beispiele zu informieren und sie aufzurufen, die Sicherheitsorgane in ihren Maßnahmen gegen feindliche und ungesetzliche Handlungen der MVM zu unterstützen.