Situation auf der Leipziger Frühjahrsmesse
4. März 1963
Einzelinformation Nr. 131/63 über die Lage zur Leipziger Frühjahrsmesse
Nach dem Stand vom 4.3.1963, 7.00 Uhr, waren auf der Leipziger Frühjahrsmesse1 1963 folgende Besucher anwesend (Vergleichszahlen zum Vorjahr werden in Klammern gegeben):
Westdeutschland | 2 378 | (3 307) |
---|---|---|
Westberlin | 936 | (386) |
sozialistische Staaten | 2 925 | (4 295) |
imperialistische Paktstaaten | 1 536 | (1 774) |
antiimperialistische Staaten | 97 | (89) |
übrige kapitalistische Staaten | 687 | (947) |
Diese Zahlen sind noch wenig aussagekräftig, da anzunehmen ist, dass sich das Verhältnis gegenüber dem Vorjahr noch verbessern wird. Insbesondere am 4. März 1963 zeigte sich ein erhebliches Ansteigen der Zahl der ausländischen Besucher. (Konkrete Zahlen dazu liegen noch nicht vor.)
Bemerkenswert ist, dass ein verhältnismäßig größerer Prozentsatz im Vergleich zum Vorjahr mit der Eisenbahn anreist. Das dürfte auf die anhaltende Kälteperiode und auf das frühzeitige Eintreffen von Delegierten zur Arbeiterkonferenz2 zurückzuführen sein.
Im Vergleich zum Vorjahr haben sich die westdeutschen Kontrollen an den Grenzkontrollpunkten verstärkt. Dabei werden unterschiedliche Praktiken angewandt. Intensiven Befragungen werden Reisende zur Messe insbesondere an den Kontrollpunkten Herrnburg und Helmstedt ausgesetzt. Ziel dieser Befragungen ist festzustellen, welche Personen zur Leipziger Arbeiterkonferenz reisen.
An diesen Kontrollpunkten werden die Personalien registriert. An anderen Kontrollpunkten (Töpen3) beschränkt sich die Befragung auf die Anfrage, ob die Reisenden nach Westberlin oder zur Leipziger Messe fahren. Jedoch auch hier werden die Autonummern registriert. (Dies hängt möglicherweise mit der Festlegung der westdeutschen Behörden zusammen, sämtliche polizeiliche Kennzeichen von Fahrzeugen zu registrieren, die durch die DDR fahren, um eventuelle Festnahmen auf dem Gebiet der DDR feststellen zu können.)
Verschiedentlich greifen die westdeutschen Grenzkontrollorgane auch zur Verbreitung von Gerüchten, um westdeutsche Besucher an der Teilnahme an der Messe zu behindern.
Im Gegensatz zu den im Vorjahr praktizierten Methoden gibt es in diesem Jahr bisher keine Beispiele, dass die westdeutschen Behörden Messegut westdeutscher oder ausländischer Aussteller zurückgehalten haben. Lediglich eine belgische Firma beklagte sich über erhebliche Beschädigungen, die ihrem Messegut bei Rangierarbeiten auf dem Bahnhof Wiesbaden zugefügt wurden. Die Firma vermutet Sabotage, kann dies jedoch nicht belegen.
Von westdeutschen Messegästen und von Besuchern aus dem kapitalistischen Ausland werden allgemein die guten organisatorischen Vorbereitungen zur Leipziger Frühjahrsmesse hervorgehoben.
Begrüßt wurden die Zentralisierung der Anmeldeformalitäten und die Erweiterung des Genex-Dienstes.
Ausländische Messebesucher schätzen besonders die Perspektiven des Handels mit der DDR und dem sozialistischen Lager gut ein. Nach vorliegenden, noch lückenhaften Angaben sprachen sich insbesondere Messebesucher aus Frankreich, Italien, Belgien und Großbritannien für eine Erweiterung des Handels mit der DDR aus. Eine auf der Messe anwesende französische Parlamentarierdelegation zeigte sich nach Aussprachen mit den französischen Ausstellern von den Möglichkeiten des Handels zwischen Frankreich und der DDR beeindruckt.
Der italienische Konzern Fiat hat seinen Vertreter in Leipzig damit beauftragt, Verhandlungen mit dem Leipziger Messeamt über die Errichtung eines ständigen Pavillons des Konzerns auf dem Gelände der Technischen Messe zu führen.
Es wird damit gerechnet, dass führende Vertreter der ausländischen Stahlindustrie in den nächsten Tagen in Leipzig eintreffen, die vorher nicht offiziell gemeldet wurden. Während offiziell nur untergeordnete Vertreter anwesend sind, beabsichtigen leitende Vertreter inoffiziell nach Leipzig zu kommen, so ein Direktor von Schwedenstahl,4 Thoernquist,5 und weitere drei leitende Mitarbeiter der Firma.
Auch führende westdeutsche Konzernvertreter, so Dr. Kroth6 von Ferrostaal, Vertreter von Krupp und andere werden in Leipzig erwartet. Eine Übersicht darüber, welche weiteren Konzernvertreter nach Leipzig kommen, besteht noch nicht.
Bereits vor der Messe gab es jedoch Hinweise darüber, dass die Vertreter der führenden westdeutschen Konzerne sich an den Ständen der Westberliner Vertreterfirmen aufhalten wollen. Die Standard Elektrik Lorenz-AG lässt sich auf der Messe durch die Firma Kampf & Co., Import–Export, vertreten.
Bemerkenswert ist die verhältnismäßig objektive Berichterstattung der westdeutschen Journalisten. Die Rede des Genossen Leuschner7 anlässlich der Eröffnung8 der Leipziger Frühjahrsmesse hat bei ihnen eine gute Resonanz gefunden. In den Berichten der Journalisten wird der sachliche Charakter der Messe, das äußere Bild Leipzigs, das Warenangebot und der äußere Eindruck, den die Bevölkerung macht, hervorgehoben. Nur vereinzelt gibt es grundsätzlich verleumderische Berichte (so durch den Korrespondenten durch UPI). Bemängelt wurde von den Journalisten, dass sie vom MAI nur unkonkrete Angaben über die Ausstellerzahl aus Westdeutschland und dem westlichen Ausland erhalten.
Nach bisher vorliegenden Informationen hat sich der organisatorische Ablauf der Messe gegenüber dem Vorjahr erheblich verbessert. Die Vorbereitungen der Messe durch den Volkswirtschaftsrat9 und das MAI hat in diesem Jahr erstmalig gewährleistet, dass in den Außenhandelsorganen konkrete Angaben über Pläne und Preise für die zu realisierenden Erzeugnisse zu Beginn der Messe vorlagen.
Nach Feststellung des Volkswirtschaftsrates ist im Allgemeinen gesichert, dass eine fachgerechte Beratung der Kunden erfolgen kann. Kritisiert wurde, dass eine Reihe von Industriezweigen ihre Ausstellungen nicht wirksam genug gestaltet haben. Das bezieht sich insbesondere auf die Industriezweige elektronische Bauelemente, Chemie, Werkzeugmaschinenbau, Wälzlager und Normteile. Es wurde festgestellt, dass Neuentwicklungen im Allgemeinen nur ungenügend popularisiert werden. Ungenügend wird nach Ansicht des Volkswirtschaftsrates auf die Möglichkeiten zum Export kompletter Anlagen hingewiesen.
Quellen: | Material der HV A/Abt. III, HA III | BV Leipzig, APF, BdVP