Situation auf der Leipziger Herbstmesse, 3. Bericht
6. September 1963
Einzelinformation Nr. 523/63 über die Situation auf der Leipziger Herbstmesse 1963 (Nr. 3)
Mit dem Stand vom 6.9.1963, 5.00 Uhr, waren folgende Messegäste1 in Leipzig anwesend:
Sozialistische Staaten | 4 916 | (10 899)2 | – 5 783 |
---|---|---|---|
Imperialistische Paktstaaten | 2 466 | (2 487) | – 21 |
Antiimperialistische Staaten | 203 | [–] | [–] |
Übrige kapitalistische Staaten | 1 192 | (1 106) | + 86 |
Westberlin | 2 091 | (981) | + 1 110 |
Westdeutschland | 5 352 | (3 389) | + 1 936 |
Westdeutsche Delegationen | 1 185 | (577) | + 608 |
Die Angaben über die Anzahl der Touristen aus dem sozialistischen Ausland im Bericht Nr. 2 waren infolge einer Doppelzählung durch das VPKA Leipzig weit überhöht.3
Da insgesamt ca. 5 500 Anträge zum Besuch der Leipziger Messe durch Westberliner bei der Berliner Zweigstelle des Leipziger Messeamtes eingegangen sind, ist damit zu rechnen, dass zum Wochenende noch ca. 3 500 Westberliner Bürger nach Leipzig einreisen werden. Es ist anzunehmen, dass die Mehrzahl dieser Messebesucher keine Geschäftsabschlüsse tätigen wird, sondern aus familiären Gründen nach Leipzig anreist.
Die Bearbeitung der Einreiseanträge durch das VP-Präsidium4 erfolgte nicht kontinuierlich. In der Zeit vom 1. bis 3.9. wurde nur ein kleiner Teil der Anträge infolge organisatorischer Unzulänglichkeiten im VP-Präsidium bearbeitet. Zwischen der Zweigstelle des Leipziger Messeamtes und dem VP-Präsidium gibt es keine gründliche Koordinierung. Vereinzelt tritt auf, dass westdeutsche Aussteller und Einkäufer, an denen die Außenhandelsunternehmen Interesse haben, aus unbekannten Gründen keine Einreisegenehmigung erhielten, ohne dass sie formell abgelehnt wurde. (Über diese Angelegenheit wird ein Bericht an Genossen Jamin5 gegeben.)
Es ist zu verzeichnen, dass die in Leipzig anwesenden westdeutschen Einkäufer vorsichtig disponieren. Vonseiten des MAI wird dies damit begründet, dass sich die Wirtschaftslage in Westdeutschland auf dem Konsumgütersektor verschlechtert. Eine Ausnahme bilden lediglich die Versandhäuser, die bei einigen Artikeln an einer langfristigen Bindung interessiert sind.
Im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Mineralölsteuerabgabe6 in Westdeutschland zum 1.1.1964, das die bisher gewährten Steuervorteile für Hydrierbenzin7 beseitigt und damit zu einem wesentlichen Mindererlös für das von der DDR nach Westdeutschland exportierte Benzin führt, wurde der DDR die Möglichkeit gegeben, noch im Jahre 1963 zusätzlich Mineralölerzeugnisse in Höhe von 20 Millionen VE8 nach Westdeutschland zu liefern. Der westdeutsche Mineralölimporteur Schulte-Frohlinde9 versucht nunmehr, die DDR dadurch unter Druck zu setzen, dass er ein Zahlungsziel von 90 Tagen bei der Abnahme dieser Mineralölerzeugnisse verlangt.
Die zuständigen Außenhandelsunternehmen der DDR begegnen dieser Forderung damit, dass sie bei ihren Importabschlüssen von Stahl aus Westdeutschland gleichzeitig die Einräumung eines 90-tägigen Zahlungsziels verlangen. Dabei geht die Deutsche Stahl- und Metall-Handelsgesellschaft10 davon aus, dass die anwesenden Vertreter der westdeutschen Stahlindustrie bei ihrem Wirtschaftsverband und bei der Treuhandstelle für Interzonenhandel11 erreichen, dass Schulte-Frohlinde zu den alten Konditionen abschließt.
Nach den bisher vorliegenden Informationen hat diese Maßnahme der DSM zu den erwarteten Ergebnissen geführt. Die anwesenden westdeutschen Stahlvertreter haben bereits bei Schulte-Frohlinde telegrafisch gegen seine Forderungen protestiert.
Bemerkenswert für die Leipziger Herbstmesse ist die Tatsache, dass eine große Anzahl wertvoller Kontakte mit dem europäischen und überseeischen Ausland geschlossen wurden, die darauf hindeuten, dass diese Länder außerordentlich an der Erweiterung des Handels mit der DDR interessiert sind. Von verschiedenen Vertretern dieser Länder wurde die Absicht geäußert, dass es notwendig ist, die wirtschaftlichen Beziehungen mit der DDR auf eine vertragliche Grundlage zu stellen. Dazu gehören auch solche Länder, die in der Vergangenheit nur einen geringen Handel mit der DDR hatten oder sogar die wirtschaftlichen Beziehungen mit der DDR bewusst drosselten, wie Argentinien, Zypern, Israel und Jordanien.
So finden gegenwärtig Verhandlungen mit Brasilien über den Abschluss eines Handelsabkommens und die Errichtung einer Vertretung der DDR statt, wobei unter anderem über die Ausstattung der Handelsvertretung in Rio de Janeiro mit konsularischen Rechten beraten wird.
Die auf der Messe in Leipzig anwesenden brasilianischen Vertreter sind sehr am Import von Waren aus der DDR interessiert. So möchte eine brasilianische Firma eine komplette Filmfabrik im Werte von zehn Millionen US-Dollar aus der DDR beziehen.
Mexikanische Wirtschaftler, die bisher in Geschäftsverbindung mit der DDR standen, erklärten ihre Bereitschaft, sich für die Entsendung einer Delegation der Kammer für Außenhandel nach Mexiko einzusetzen. So äußerte ein Vertreter der Firma Hallares, dass seine Firma bereit sei, sich für die Erteilung von Einreisevisa zu verwenden und auch ein Programm für den Aufenthalt der Delegation zu fixieren.
Ein Vertreter der argentinischen Wirtschaft, der über Verbindungen zu Personen der Regierung Illia12 verfügt, hat gleichfalls angeboten, sich bei der argentinischen Regierung für eine Erweiterung des Handels mit der DDR und für die Wiedereröffnung unserer Handelsvertretung einzusetzen.
Der in Leipzig anwesende nigerianische Politiker Chief Okunowo13 drückte seine Unzufriedenheit über die Entwicklung des Handels mit der DDR aus und forderte von der DDR größere Initiative, insbesondere bei der Einrichtung von Vertreterfirmen und der Entsendung von DDR-Vertretern nach Nigeria zum Studium des Marktes. Er habe vom nigerianischen Premierminister die Zusage, dass Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung für DDR-Vertreter erteilt werden.
Auch der Generaldirektor der nigerianischen Eisenbahn, Egbuna,14 drückte seine Bereitschaft aus, den Handel mit der DDR zu unterstützen. Egbuna ist am Bezug von Eisenbahnmaterial und anderen Waren interessiert, machte den Import dieser Materialien jedoch von dem Bezug nigerianischer Waren abhängig.
Ähnliche Tendenzen zur Erweiterung des Handels mit der DDR gibt es auch in Ghana. Der in Leipzig anwesende ghanesische Staatssekretär Nelson15 versicherte, dass sein Land sich stärker als bisher auf den Import aus den sozialistischen Ländern orientiere und durch organisatorische Maßnahmen dies bei den Importeuren durchsetze. Nelson zeigte sich überrascht über die großen Möglichkeiten der Konsumgüterindustrie der DDR.
Der Direktor des schwedischen Abkommenspartners der Kammer für Außenhandel, der SUKAB,16 Mott,17 äußerte in einem Gespräch mit leitenden Funktionären des MAI die Hoffnung, dass die Abkommensverhandlungen für 1964 zu einer weiteren Entwicklung des Handels beitragen werden. Er unterstrich wiederholt, dass der Handel zwischen der DDR und Schweden solid und wenig störanfällig sei.
Der Vertreter der griechischen Tabak-Genossenschaft SEKE,18 Assimakis,19 drückte sein Interesse am baldigen Abschluss eines Abkommens mit Griechenland aus.
Die in Leipzig anwesende Delegation der jordanischen Handelskammer hat einen außerordentlich positiven Eindruck von der Messe vermittelt bekommen. Die jordanische Delegation ist bereit, entsprechend zu berichten und eine DDR-Delegation in Jordanien zu empfangen, wobei sie ihren Einfluss bei der Erteilung von Einreisevisa für DDR-Bürger geltend machen wird. (Jordanien importiert 90 % seines Bedarfs an Konsumgütern und zahlt freie Devisen.)
Auch eine Reihe von israelischen Firmen versuchen, mit Billigung von Außenminister Golda Meir20 sowie des Handels- und des Finanzministers, mit der DDR ins Geschäft zu kommen, wobei sie bereit sind, für eine Reihe von Erzeugnissen eine unbegrenzte Einfuhr aus der DDR zu gestatten, wenn die DDR entsprechend Waren aus Israel, besonders Südfrüchte, bezieht.
Vertreter der Republik Zypern äußerten, dass die zyprische Regierung am Abschluss eines Bankenabkommens mit der DDR interessiert sei.
Verschiedene ausländische Vertreter bemühen sich bereits jetzt um den Abschluss von Verträgen über die Beteiligung an der Leipziger Frühjahrsmesse 1964. Darunter sind auch solche Länder, die in den letzten Jahren nicht an der Messe beteiligt waren. Konkrete Verhandlungen werden unter anderem mit der Türkei, Pakistan, Brasilien, Irland und anderen Ländern geführt.
Mit einigen Ländern, insbesondere mit Österreich, Island, Indien und der VAR gibt es gegenwärtig Schwierigkeiten, die bei Island und Österreich durch die Nicht-Auslastung von Abkommenspositionen durch die DDR hervorgerufen wurden. Bei Indien sind die Schwierigkeiten im Handel offensichtlich politisch begründet.
Allgemein wird eingeschätzt, dass sich die Tätigkeit der Außenhandelsunternehmen der DDR gegenüber den vergangenen Jahren erheblich verbessert hat. Die Zusammenarbeit mit den VVB trägt offensichtlich Früchte und hat zu einer höheren Qualität der Arbeit geführt. Nach wie vor gibt es jedoch vereinzelt Schwächen in der Arbeit der Außenhandelsunternehmen, die sich vor allem in mangelnder Beweglichkeit und ungenügender Anpassung an die Marktverhältnisse ausdrückt. So gab es von verschiedenen Seiten Klagen über die Tätigkeit des Außenhandelsunternehmen Heimelectric, der DIA Chemie und der Büromaschinen-Export-GmbH. So wurden die ungenügende Belieferung mit Ersatzteilen für Büromaschinen, die mangelnde Verpackung von Filmen und die Unmöglichkeit des Einkaufs von Filmsortimenten einschließlich der dazugehörenden Chemikalien unter einer Firmenbezeichnung kritisiert. Vereinzelt gab es auch Kritik an der Preisgestaltung. So wurden wir von westdeutschen Vertretern darauf hingewiesen, dass die DDR-Zellwolle weit unter dem Weltmarktpreis, der gegenwärtig 2 400 DM/t beträgt, verkauft. Die DDR verkauft für 1 700 DM/t.
Verschiedentlich gibt es Schwierigkeiten für den Export der DDR infolge ungelöster Patentfragen. So kann gegenwärtig kein Fernsehgerät für den Export nach Westdeutschland bereitgestellt werden, da notwendige Patente dazu für die Anwendung von Transistoren sich im Besitz der Firma Philips befinden. Die Fertigung von Geräten ohne Benutzung dieser Patente ist nicht möglich.
Erhebliche Schwierigkeiten gibt es beim Export von Kameras in das kapitalistische Ausland, da sich der Abstand zur Weltspitze ständig vergrößert. Das hat einen rapiden Preisverfall für Erzeugnisse aus der DDR zur Folge. (Der Preis der Exakta-Varex,21 der 1957 noch bei 100 bis 150 Dollar lag, beträgt jetzt nur noch 60 bis 65 Dollar.) Die Funktionssicherheit der Geräte ist unbefriedigend. In einer Reihe von Ländern treten zum Beispiel bei sämtlichen gelieferten Kameras mit eingebautem Belichtungsmesser Reklamationen auf.
Verschiedentlich treten Einkäufer aus der Volksrepublik China und aus der Koreanischen Volksdemokratischen Republik mit Bestellungen unzähliger Artikel in kleinsten Mengen auf, so beim Außenhandelsunternehmen Demusa.22 Sie treten dabei mit der Behauptung auf, dass später der Binnenhandel nach diesen Mustern seine Bestellungen aufgeben wird. Diesen Wünschen wurde nicht nachgegeben, da z. B. die Volksrepublik China ein Fagott, das wir zu 60 Pfund Sterling verkaufen, im Original nachgebaut hat und mit 25 Pfund Sterling auf den Weltmarkt bringt.