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Situation auf der Leipziger Herbstmesse, 4. Bericht

8. September 1963
Einzelinformation Nr. 526/63 über die Situation auf der Leipziger Herbstmesse 1963 (Nr. 4)

Mit dem Stand vom 8.9.1963, 5.00 Uhr, dem letzten Messetag,1 waren folgende Besucher anwesend:

Sozialistische Staaten

8 109

(11 750)2

– 3 651

Imperialistische Paktstaaten

2 956

(2 710)

+ 246

Antiimperialistische Staaten

266

(243)

+23

Übrige kapitalistische Staaten

1 396

(1 243)

+ 153

Westdeutsche Delegationen

1 947

(1 049)

+ 898

Westdeutschland

7 485

(4 344)

+ 3 141

Westberlin

3 745

(1 556)

+ 2 189

Die Einreise von Westberliner Bürgern hat sich in den letzten Messetagen wie erwartet stark erhöht. Damit wurde die seit 1948 höchste Besucherzahl aus Westberlin erreicht. Lediglich einmal, im Jahre 1957, überstieg die Zahl der Westberliner Besucher die Zahl 2 000.

Die in Leipzig anwesenden westdeutschen Stahlhändler, die die Leipziger Herbstmesse benutzten, um Aufträge für die im Handel mit Westdeutschland noch offenstehenden Positionen auf dem Gebiete Eisen und Stahl einzuholen, äußerten sich nach Berichten aus dem MAI unzufrieden über ihre Vertragsabschlüsse. (Die DDR hat nicht die Absicht, die Abkommensmenge voll auszulasten.)

Besondere Unzufriedenheit hat bei den Stahlhändlern naturgemäß die Forderung der DSM nach einem Zahlungsziel von 90 Tagen als Antwortmaßnahme auf die gleichartigen Forderungen der westdeutschen Mineralölimporteure hervorgerufen. Die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie hat in dieser Angelegenheit ein Fernschreiben an das MAI gerichtet, in dem davon ausgegangen wird, dass solche Konditionen im Handel mit der DDR unüblich seien. Es wird versucht, Parallelen mit anderen Geschäften zu ziehen, insbesondere mit dem Zusatzabkommen aus dem Jahre 1959, durch das im Vorgriff auf das Abkommen 1960 Eisen und Stahl durch die DDR bezogen wurde. Gleichzeitig wurde damit gedroht, dass unter diesen Umständen die Bundesstelle für gewerbliche Wirtschaft keine Liefergenehmigung erteilen werde.

Das MAI hat sofort die Forderungen nach Revision unserer Haltung zurückgewiesen. In dem Antwortschreiben des MAI wurde betont, dass die DDR-Seite lediglich Schlussfolgerungen aus veränderten Konditionen gezogen hat. Das MAI wies darauf hin, dass vonseiten der DDR eine Nichterteilung der Warenbegleitscheine durch die westdeutsche Seite als teilweise Anwendung der Widerrufsklausel mit allen sich daraus ergebenden Folgen betrachtet wird.

Während der diesjährigen Messe zeigen sich deutlich die Auswirkungen des Konjunkturrückganges in der westdeutschen Stahlindustrie. Die Haltung der westdeutschen Stahlkonzerne ist von ihrem großen Interesse an Exporten nach der DDR bestimmt. Die anwesenden Vertreter bemühen sich stark um Aufträge, wobei die Bereitschaft für Gegengeschäfte (besonders Bezug von Konsumgütern aus der DDR) durchaus gegeben ist. Von dem wachsenden Interesse der westdeutschen Stahlindustrie zeugt auch der für die Zeit nach der Messe vorgesehene Besuch des Vorstandsvorsitzenden der Phoenix-Rheinrohr, Mommsen,3 bei Generaldirektor Mogk4 von der DSM. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass sich führende westdeutsche Stahlfirmen wieder für die Tätigkeit des Ausschusses zur Förderung des deutschen Handels interessieren, nachdem vor einigen Jahren alle Konzernvertreter aus dem Ausschuss zurückgezogen wurden.

Bemerkenswert ist nach wie vor das Interesse der westdeutschen Versandhäuser an Waren aus der DDR. So hat eine Tochtergesellschaft des Groß-Versandhauses Quelle, die Quelle-Photo- und Filmdienst-GmbH, erhebliche Mengen an Kameras und Uhren bei uns bezogen. Diese Gesellschaft ist das größte Fotohaus der Welt mit einem Umsatz von circa 40 Millionen DM jährlich. Sie ist am Bezug von Fotoapparaten mit einem Wert von rund zwei Millionen DM jährlich und Uhren mit einem Wert von rund 800 TDM jährlich interessiert. Die Verbindung zu dieser Firma bringt neben einer beachtlichen Preisverbesserung eine Reihe weiterer Vorteile mit sich, darunter auch die Aufnahme der Erzeugnisse der DDR in den Katalog dieser Firma, der mit einer Auflage von jährlich zehn Millionen Stück verbreitet wird.

Die auf einigen Gebieten noch ungenügende oder völlig fehlende Abstimmung zwischen den Mitgliedsländern des RGW führen stellenweise zu Schwierigkeiten im Export unserer Waren.

Erschwernisse im Export gibt es infolge mangelhafter Qualität importierter Zulieferteile. So sind aus der Volksrepublik Polen gelieferte Empfängerröhren qualitätsmäßig schlechter als die Erzeugnisse der DDR. Jugoslawien hat bereits bei Importen von Fernsehgeräten aus der DDR die Bedingungen gestellt, dass keine Röhren aus der Volksrepublik Polen verwendet werden. Bulgarien hat infolge der schlechten Qualität der verwendeten polnischen Röhren die Abnahme von Fernsehgeräten aus der DDR gestoppt.

Verschiedentlich wird der Export der DDR durch Preisunterbietungen aus anderen sozialistischen Ländern erschwert. Besonders hervorgetreten sind dabei Polen, Ungarn, die ČSSR und die Sowjetunion. So versucht die Sowjetunion, in Dänemark mit Sportartikeln über DDR-Vertreter Fuß zu fassen.

In den Gesprächen mit den ausländischen Messebesuchern wird das Leistungsniveau der DDR-Industrie allgemein anerkannt. Es tauchen jedoch immer wieder Bemerkungen über die Notwendigkeit eines guten Kundendienstes, einer schnellen Ersatzteilversorgung und einer echten Marktpflege auf.

Erschwerend für den Handel der DDR wirkt noch immer die Tatsache, dass eine Reihe von Erzeugnissen der Industrie der DDR noch nicht den Anforderungen der Kunden entsprechen (vgl. auch Bericht Nr. 25).

So gibt es besondere Rückstände in der technischen Entwicklung des Industriezweiges Luft- und Kältetechnik. Diese Ausrüstungen besitzen keine Tropenfestigkeit und können demnach nicht auf dem kapitalistischen Weltmarkt abgesetzt werden. Infolge des technischen Rückstandes in diesem Industriezweig sind für 1964 circa 18 Millionen DM Absatz gefährdet.

Im Bereich des Industriezweiges Nagema gibt es nur wenig Spitzenerzeugnisse. Der technische Rückstand wird nicht schnell genug aufgeholt, da die Entwicklungszeit zu lang ist.

Besondere Rückstände zur Weltspitze gibt es auf dem Gebiet der Tonband- und Phonogeräte. Außerdem wurde festgestellt, dass die Spezialisierung innerhalb dieses Industriezweiges zu einer Einschränkung der Außenhandelsmöglichkeiten führt. So sind wir z. B. infolge der Konzentrierung der Produktion von Radiosupern6 auf den VEB Stern-Radio Sonneberg nicht mehr in der Lage, innerhalb eines Landes mehrere Vertreter mit unterschiedlichem Sortiment einzusetzen und erreichen somit nur einen bestimmten Marktanteil.

Auf dem Gebiete der Elektrogeräte wurden zwar bemerkenswerte Fortschritte erzielt, jedoch reicht das gezeigte Sortiment in der Qualität nicht aus, um eine wesentliche Steigerung des Exports in das kapitalistische Ausland zu ermöglichen. Im Außenhandel besteht der Eindruck, dass in der VVB eine gewisse Selbstzufriedenheit, infolge der Anerkennung der bisherigen Bemühungen durch leitende Funktionäre des Partei- und Staatsapparates, aufgetreten ist.

Auch in den letzten Messetagen wurden weitere wertvolle Kontakte mit ausländischen Vertretern geschlossen. So wurde mit der Leitung des norwegischen Kollektivstandes vereinbart, die Verhandlungen über das Handelsabkommen für 1964 in der zweiten Hälfte des Monats November durchzuführen.

Sehr nützlich war auch der Besuch des Generalvertreters der Handelsorgane der DDR aus Britisch-Guayana, der nach seinem Leipzig-Besuch erklärte, dass er dem Direktorium seiner Firma vorschlagen werde, sich voll auf den Handel mit der DDR zu konzentrieren. Er habe sich durch seinen Besuch davon überzeugen können, dass die DDR alle Voraussetzungen besitzt, um Britisch-Guayana mit den notwendigen Konsumgütern zu beliefern.

Ähnliche Kontakte wurden auch mit einflussreichen finnischen, italienischen, indischen, libanesischen und anderen Ausstellern und Persönlichkeiten aus dem Wirtschaftsleben dieser Länder aufgenommen.

Insgesamt jedoch wird vom MAI eingeschätzt, dass der Besuch von Ehrengästen aus den überseeischen Ländern außergewöhnlich schlecht ist. Trotz Gewährung von Vergünstigungen konnte kein besseres Ergebnis erzielt werden.

Dazu kommt, dass die Messebesucher aus den überseeischen Ländern sich im Wesentlichen um Exporte nach der DDR bemühen. Importeure von DDR-Erzeugnissen waren nur wenig vertreten. Das zeigte sich besonders bei den Ländern des Fernen Ostens und Westafrikas.

  1. Zum nächsten Dokument Spontaner Massenprotest gegen die Volkspolizei in Wittenberge

    9. September 1963
    Einzelinformation Nr. 540/63 über ein Vorkommnis in Wittenberge, [Kreis] Perleberg, [Bezirk] Schwerin, am 6. September 1963

  2. Zum vorherigen Dokument Verhinderter Fluchtversuch von vier Jugendlichen mit Lkw in Wartha

    7. September 1963
    Einzelinformation Nr. 539/63 über einen verhinderten schweren Grenzdurchbruch am 7. September 1963 am KPP Wartha