Synode der Evangelischen Kirche der Union in Ostberlin (1)
26. Juni 1963
Einzelinformation Nr. 401/63 über die Synode der Evangelischen Kirche der Union (EKU) vom 24. bis 27. Juni 1963 im Stöckerstift in Berlin-Weißensee
Die Synode wurde vom Präses der Synode Kreyssig1 (Magdeburg) eröffnet. Kreyssig begrüßte als Gäste den Dekan Otto Mehringer2 (Vertreter der Landeskirche Pfalz), Pfarrer von Bülow3 (Berlin-Reinickendorf), einen namentlich nicht bekannten Pfarrer aus Japan4 und ein Pfarrerehepaar aus den USA.5
Da alle übrigen westdeutschen und Westberliner Synodalen am KPP zurückgewiesen wurden – u. a. Präses Beckmann,6 Düsseldorf, Präses Wilm,7 Bielefeld, Prof. Stupperich,8 Münster, und Pfarrer Wolfgang Schweitzer,9 Bethel, waren nur 53 beschließende Synodale anwesend und erhielt die Synode nicht die zur Beschlussfähigkeit notwendige Zweidrittelmehrheit.
(In diesem Zusammenhang forderte später der führende Kirchenjurist der EKU Präsident Grünbaum10/Brandenburg, einen Beschluss herbeizuführen, ob sie sich als Synode oder als Arbeitstagung konstituieren sollten.)
Von Kreyssig wurde in seinen Eröffnungsworten die »Erwartung« ausgesprochen, dass die Regierung der DDR ihre Maßnahmen zur Zurückweisung der West-Synodalen in den nächsten Tagen lockern werde und somit noch einige Synodale aus Westdeutschland eintreffen könnten.
Ferner erwähnte Kreyssig, dass der Rat der EKU am 6.6.1963 ein Schreiben an die Regierung der DDR gesandt hatte, das bis heute unbeantwortet geblieben sei. Außerdem sei ihm vom Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR zugesichert worden, die westdeutschen Synodalen könnten an der Synode als Gäste teilnehmen, hätten aber nicht das Recht, Beschlüsse mit zu fassen.
Kreyssig wollte damit offensichtlich zum Ausdruck bringen, dass sich die Regierung der DDR nicht an Abmachungen halte.
Im Anschluss an die Eröffnung der Synode stellte Kreyssig der Synode den Antrag, die Öffentlichkeit von den Tagungen auszuschließen und die Synode um einen Tag zu kürzen. Dieser Beschluss wurde von den anwesenden Synodalen einstimmig angenommen und die anwesenden Vertreter der Presse und andere Teilnehmer aus der Öffentlichkeit wurden des Saales verwiesen.
Danach ergriff Kreyssig noch einmal das Wort und legte dar, dass die Synode der EKU der Ausarbeitung von Notverordnungen in Anbetracht der gegenwärtigen politischen Situation nicht mehr aus dem Wege gehen könne.
Den Rechenschaftsbericht erstattete Bischof Jänicke,11 Magdeburg, als Vertreter des Rates der EKU. Den Hauptteil seiner Ausführungen widmete er der Tätigkeit der Kirche auf den einzelnen Arbeitsgebieten. Unter anderem machte er die Synodalen mit dem Inhalt von Gesprächen zwischen dem Rat der EKU und Prof. Hromádka,12 Prag – als Vertreter der Prager christlichen Friedenskonferenz13 – bekannt.
(Diese Gespräche wurden 1962 über den Abschluss eines deutschen Friedensvertrages geführt. Dabei hätte Prof. Hromádka interessante Pläne für die Einschaltung der Kirchen in das Ringen um einen Friedensvertrag entwickelt. Die Gespräche seien in letzter Zeit nicht mehr weitergeführt worden, und Jänicke schlug vor, sie wieder aufzunehmen.)
Weiterhin brachte Bischof Jänicke in allgemeiner und unverbindlicher Form zum Ausdruck, dass die Evangelische Kirche der Union mehr Verständnis »für die Belange der Obrigkeit« aufbringen müsse. Es dürfe vonseiten der Kirche keine Voreingenommenheit gegen Maßnahmen des Staates geben.
In den Diskussionen wurde darauf hingewiesen,
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dass die EKU zu den Evangelischen Weltorganisationen – Lutherischer Weltbund und Weltkirchenrat – weiterhin Kontakt aufrechterhalten werde, ein Beitritt in eine dieser Organisationen aber nicht beabsichtigt sei (Präsident Hildebrandt14/demokratisches Berlin15),
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dass in Zukunft eine qualifizierte Ausbildung der auf missionarischem Gebiet tätigen Kirchenangestellten und eine Verlagerung der Missionstätigkeit vom Ausland auf die Verhältnisse in der DDR notwendig seien und die Missionars-Ordnung in diesem Sinne verändert werden sollte (Missionsinspektor Brennecke16).
Am zweiten Tage der Synode wurde zuerst ein Brief der in Westberlin versammelten Synodalen verlesen. In ihm wird mitgeteilt, dass sich die West-Synodalen im Westberliner Konsistorium in Berlin-Charlottenburg, Jebenstraße 3, als Regional-Synode der EKU zusammengefunden hätten und Präses Scharf17 den Eröffnungsgottesdienst gehalten habe.
Anschließend nahmen die einzelnen Ausschüsse ihre Tätigkeit auf. Gebildet wurden
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ein Liturgischer Ausschuss (beschäftigt sich mit der Gottesdienstordnung der zur EKU gehörenden Landeskirchen),18
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ein Theologieausschuss (beschäftigt sich vor allem mit den neuen Gesetzen über die Disziplinargerichtsbarkeit gegen Pfarrer, die in ihren theologischen Darlegungen von den Grundsatzerklärungen des Rates der EKU abweichen),
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Finanzausschuss,
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Ordnungsausschuss (befasst sich unter Leitung von Dr. Koch19/Magdeburg mit dem Vorschlag einer sogenannten Notverordnung zur Neuorganisierung der leitenden Gremien der EKU, die den politischen Gegebenheiten Rechnung tragen, die Einheit der EKU jedoch garantieren soll),
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Berichtsausschuss (berät vor allem über den Bericht des Rates der EKU und behandelt Eingaben und Anträge der Synodalen).
Erwähnenswert ist besonders die Tätigkeit des Berichtsausschusses.
Nachdem einem von Kreyssig vorgeschlagenen Antwortbrief an die in Westberlin versammelten Synodalen zugestimmt wurde (in dem die Trennung beklagt und die Einheit der EKU versichert wird), kam es im Berichtsausschuss zu scharfen Angriffen gegen die Regierung der DDR.
Kreyssig erklärte u. a., dass es dem Präsidium der Synode nicht möglich war, mit der Regierung der DDR vernünftig zu verhandeln. Die Regierung der DDR habe sich stur verhalten und alle Verhandlungen abgewiesen.
Ferner wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Regierung der DDR die Taktik verfolge, die EKU als nicht mehr existent zu betrachten. Es wurde gefordert, dass sich der Rat der EKU und das Präsidium der Synode dagegen zur Wehr setzen.
Man sei über die Grenzziehung zwischen Ost und West nicht gefragt worden und müsse deshalb jetzt »Forderungen« stellen und sich »durch Taten bemerkbar« machen. Die »Mauer« werde von allen Menschen, sogar in Ungarn, Polen, Rumänien und Bulgarien abgelehnt.
Deshalb wurde danach zur Diskussion gestellt, ob die Synode der EKU ein neues »Wort an die Gemeinden« zur gegenwärtigen politischen Situation beschließen soll. Das letzte »Wort an die Gemeinden«20 vom November 1960 hatte u. a. Gehorsam der Gemeinden gegenüber der Obrigkeit gefordert, habe aber keine Orientierung enthalten, was die Gemeinden unternehmen sollten, um das »schwere Los der Menschen in der DDR« zu mildern. Dieses letzte »Wort an die Gemeinden« sei in der gegenwärtigen Zeit, was die Diskussion in den einzelnen Gemeinden der EKU über die Situation zwischen Staat und Kirche in der DDR betrifft, hinderlich.
Ein neues »Wort an die Gemeinden« der Synode der EKU, das auf dieser Synode noch verabschiedet werden soll, werde von den Maßnahmen des 13.8.196121 ausgehen. Es soll darin den Gemeinden klar gemacht werden, dass die Leitung der EKU für die Christen in der DDR eintrete. Ferner soll darin die Regierung der DDR nicht mehr verschont werden. Es soll den Gemeinden gegenüber vor allem dargelegt werden, welche Maßnahmen der Rat der EKU und die Synode der EKU zur Verbesserung der »schweren Lage der Christen in der DDR« unternehmen werden.
Zusammengefasst soll das »Wort an die Gemeinden« folgende Probleme enthalten:
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Die Trennung Deutschlands sei durch die »Mauer« vollzogen worden.
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Die »Mauer« bedeute die Trennung der Familien.
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Die Verantwortung der Christen in der DDR und in Westdeutschland sei es, für die Menschlichkeit und gegen die Unmenschlichkeit zu kämpfen.
Dabei wurde besonders herausgestellt, dass die EKU in der DDR verstärkt dazu übergehen müsse, die »Prinzipien der internationalen Menschenrechte« unter der Bevölkerung zu propagieren. Die Regierung der DDR könne dagegen nicht einschreiten, weil dadurch kein Gesetz der DDR verletzt werde.
Da sich im Berichtsausschuss kein Synodaler zur Formulierung dieses »Wortes an die Gemeinden« freiwillig zur Verfügung stellte, bestimmte die Leitung des Berichtsausschusses einige Synodale, die diese Verlautbarung der Synode formulieren.
Der Text dieses »Wortes an die Gemeinden« ist bisher noch nicht bekannt. Ausgearbeitet wurde jedoch ein Begleitschreiben dazu mit äußerst provokatorischem Inhalt, das dem Ministerpräsidenten22 der DDR zugeleitet werden soll und das wir im vorgeschlagenen Text als Anlage 123 beifügen.
Dieses »Begleitschreiben« soll ohne Beschluss des Plenums der Synode an die Regierung der DDR weitergeleitet werden, um längere Auseinandersetzungen dazu zu vermeiden und um die Regierung der DDR »vor vollendete Tatsachen« stellen zu können.
Von Pfarrer Hamel24 (Naumburg), der bereits das »Begleitschreiben« im Ausschuss vortrug, wurde am Nachmittag des 25.6.1963 ein zweites Schreiben, ein Brief an den amtierenden Ministerpräsidenten25 der DDR, vorgetragen, das in ebenfalls provokatorischer Form zu den Sicherungsmaßnahmen vom 13.8.1961 Stellung nimmt und das gleichzeitig auch als Protest gegen die Nichteinreise der West-Synodalen zu werten ist.
Auch diesen Brief fügen wir im vorgeschlagenen Text als Anlage 2 bei.
Abschließend wird noch darauf hingewiesen, dass am 26.6.1963 Präses Wilm (Dortmund) im Namen der in Westberlin versammelten Synodalen der EKU in einem Telegramm an das Staatssekretariat für Kirchenfragen der DDR gegen die Verhinderung der Einreise der West-Synodalen protestiert hat.
Über weitere noch bekannt werdende Ergebnisse der Synode wird ergänzend informiert.
Anlage 1
4 Blatt
Anlage 2
3 Blatt
Anlage 1 zur Information Nr. 401/63
Brief der Synode an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik26
(Dieser Brief soll gleichzeitig das Begleitschreiben zu einem »Wort an die Gemeinden« sein.)
Wir haben 1960 ein Wort an die Gemeinden der Deutschen Demokratischen Republik beschlossen. Wir erlauben uns, Ihnen dieses Wort in der Anlage zu überreichen. Zugleich wenden wir uns an Sie, Herr Ministerpräsident, und durch Sie an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und bitten Sie, den Inhalt unseres Schreibens auch dem Herrn Vorsitzenden des Staatsrates27 vorzutragen.
Unser Ruf zum Bleiben in der Deutschen Demokratischen Republik verpflichtet uns, in dieser Lebensfrage unseres Volkes für viele Menschen einzutreten, die mit Angst und Sorgen geflohen sind oder die sich mit bitteren Fluchtgedanken tragen. Wir bitten Sie zu beachten, dass viele der Flüchtlinge die Deutsche Demokratische Republik deswegen verlassen haben, weil sie in der deutschen Bundesrepublik einen besseren Lebensstandard zu erlangen hoffen. Von ihnen brauchen wir nicht zu reden, zumal der Lebensstandard der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik jetzt spürbar steigt und andererseits auch Bürger aus der Bundesrepublik in die Deutsche Demokratische Republik übersiedeln.
Wir wissen auch, dass ein Teil der Flüchtlinge asozial oder kriminell ist. Auch von ihnen reden wir nicht. Wir denken vielmehr an die vielen Menschen, die bis zuletzt in ihren Berufen in der Deutschen Demokratischen Republik durch fleißige und volle Mitarbeit … von Männern und Frauen sowie an die Jugendlichen, die nicht gern – oftmals traurig und verzweifelt – ihre Heimat und Arbeitsplatz, ihre Verwandten und Bekannten, ihre Wohnung und ihr Eigentum verlassen. Die gegenseitige Propaganda missbraucht oder entstellt die eigentlichen Gründe der verhängnisvollen Flucht. Es ist einfach wahr, dass Bürger der Deutschen Demokratischen Republik flüchteten, weil sie es nicht aushalten, weiter heimliche Zuträger des Staatssicherheitsdienstes zu sein, zu dessen Gehilfen sie leichtsinnig oder angstvoll gemacht wurden oder sich machen sollen.
Gott, der nicht will, dass der Mensch zum Verräter an seinem Nächsten wird, fordert Sie auf, mit Ihrem Teil dieser Zerstörung aller menschlichen Gemeinschaft ein Ende zu machen.
Darum halten wir unsere Gemeindeglieder und Pfarrer an, solche Zuträgerdienste zu verweigern. Es ist einfach wahr,
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dass viele Bauern flüchten, weil die Methoden bei der Durchführung der Kollektivierung auf dem Lande oftmals alle menschliche Würde verletzend den Menschen die Hoffnung auf ein zumutbares Mitarbeiten in den Produktionsgenossenschaften genommen haben.
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dass viele Lehrer flüchten, weil sie den weltanschaulichen Druck, der besonders krass in der Schule ausgeübt wird, nicht mit ihrer Verantwortung gegenüber den Kindern vereinbaren können.
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dass viele Handwerker, Kaufleute, Unternehmer und sonstige Angehörige der sogenannten freien Berufe flüchten, weil ihre Eingliederung in die sozialistische Umgestaltung der Wirtschaft sich so vollzieht, dass sie Vertrauen zu einer sinnvollen Berufstätigkeit nicht gewinnen können.
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dass Rechtsanwälte flüchten, weil sie durch eigene Gefährdung ihren Klienten nicht mehr in der Weise beistehen können, wie es ihrer Mitverantwortung für das Recht entspricht.
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dass viele Professoren, Dozenten, Assistenten und Studenten flüchten, weil sie die geistige Reglementierung und Bevormundung vonseiten Partei und Staat mit wissenschaftlicher Verantwortung unvereinbar halten.
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dass viele Eltern flüchten, weil sie ihre Kinder nicht weiter in die Schule schicken wollen, die von Jahr zu Jahr mehr den Charakter einer Gesinnungsschule des dialektischen Materialismus und Atheismus annimmt.
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dass viele Menschen aus allen Berufen – selbst wenn sie bevorzugt behandelt werden, wie z. B. Ärzte – deshalb flüchten, weil sie das Mindestmaß an Freiheit, Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit vermissen, das für sie zu einem sinnvollen menschlichen Leben gehört.
Oder sie flüchten, weil die Anstrengungen der Interzonenreisen sie von ihren im Bundesgebiet lebenden nächsten Angehörigen abschneiden.
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dass Menschen flüchten, weil sie in ihrem Berufsleben Nachteile und Zurückversetzungen befürchten, wenn sie sich offen als Christen bekennen.
Alle diese Gründe zur Flucht vieler Menschen und die Flucht selbst schaffen eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit. So greift die Fluchtfrage in Gedanken und Gesprächen viel weiter als in den jeweiligen Zuständen zutage tritt.
Wir wissen, dass die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik nicht für alle einzelnen Tatbestände, die die Flucht vieler Bürger der Deutschen Demokratischen Republik verursachten, verantwortlich gemacht werden kann.
Wir bekennen, dass wir durch die Tatbestände auch die Schuld unseres deutschen Volkes sehen, indem wir unsere eigene Schuld als Christen auch sehen. Wir wissen auch, dass viele dieser Tatbestände ihren Grund in größeren politischen Zusammenhängen haben. Wir glauben, dass sich eine Reihe dieser Menschen selbst bedauert. Wir leben nicht in Illusionen, dass alle diese objektiven Gründe zur Flucht von heute auf morgen abgestellt werden können.
Wir trauen es Ihnen aber, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, zu, dass Sie das Ohr vor all dem Jammer und den Tränen nicht verschließen können.
Macht und Würde Ihres Amtes, in dem sie in der Regierung stehen, ist von Gott. In diesem Amt sind Sie von Gott beauftragt, allen Staatsbürgern ein geordnetes Zusammenleben zu sichern und damit Würde und Recht des Einzelnen zu achten. Wenn Sie und Ihre Regierung unter Einsatz der Macht und Autorität des Staates bei allen Bürgern den Marxismus-Leninismus als die Grundlage aller Lebensformen durchsetzen wollen, so überschreiten Sie die Grenzen Ihres von Gott gegebenen Amtes. Sie können aber Besorgnis und Lebensfreiheit für alle die nicht aufrechterhalten, die sich nicht zum Marxismus-Leninismus zu bekennen vermögen.
So aber schaffen Sie selbst die allgemeine und hauptsächliche Ursache für die vorher erwähnten einzelnen Gründe zum Weggehen vieler.
Schon um Gottes und der Ihnen anvertrauten Menschen Willen müssen Sie dem Missbrauch der staatlichen Gewalt Einhalt gebieten. Dann würden sich nach unserer Zuversicht viele Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik der Versuchung zum Weggehen verschließen, sich zum Bleiben entschließen und mit neuer Freude ihre Arbeit versehen.
Anlage 2 zur Information Nr. 401/63
Vorgesehener Brief28 der Synode der Evangelischen Kirche der Union in Berlin-Weißensee vom 24. bis 27. Juni 1963 an den amtierenden Ministerpräsidenten
Die in Berlin-Weißensee versammelten Glieder der Synode der EKU aus der DDR sind vom Rat der EKU darüber informiert worden, dass der Brief der Synode im November 1960 an den Herrn Ministerpräsidenten unbeantwortet zurückgereicht wurde und eine zweimalige Bitte des Rates der EKU um eine Aussprache über die in diesem Brief vorgetragenen Hinweise unbeantwortet geblieben ist. Auch in den übrigen Berichtsformen des Präsidenten der Synode Präses Kreyssig, der diesen Brief im Auftrage der Synode unterschrieben hat, kommt zum Ausdruck, dass ihm dieses Schreiben immer wieder persönlich zur Last gelegt zu werden scheint. Wir gestatten uns daher, Ihnen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Folgendes vorzutragen:
Wir beklagen uns, dass die Regierung unseres Staates unsere Hinweise und Bitten, die nach wie vor aktuell sind, schweigend zurückreicht.
Die Synode der EKU hat diesen Brief seinerzeit mit großer Einmütigkeit beschlossen und zeichnet voll verantwortlich für diesen Brief und den Wortlaut. Wir können Sie daher nur sehr herzlich bitten, mit gleichen Anstrengungen uns Gelegenheit zu geben, die seit 1961 eingetretene Entwicklung mündlich vorzutragen. Wir wenden uns daher an Sie und an alle Ihre Mitarbeiter in der Verwaltung unseres Staates, in der alleinigen Sachlichkeit mitzuhelfen, dass einige der größten Härten gemildert werden, die durch die seit dem 13.8.1961 getroffenen Maßnahmen für sehr viele Menschen in allen Teilen Deutschlands entstanden sind.
Dürften wir Ihnen nun folgende Bitten vortragen:
- 1.
Wir bitten die Regierung der DDR, die seit dem 13.8.1961 getrennten Eheleute wieder zusammenziehen zu lassen und zwar an die Orte, wo sie wollen, einschließlich der Kinder dieser Eltern. Entsprechendes bitten wir auch für die geteilten Brautpaare.
- 2.
Wir bitten ferner dafür Möglichkeiten zu schaffen, dass nichtreisefähige und gebrechliche oder schwer erkrankte Bewohner der Bundesrepublik und Westberlin von den nächsten Angehörigen aus der DDR besucht werden dürfen, auch dass dieselben an Beerdigungen ihrer nächsten Angehörigen in Westdeutschland und Westberlin teilnehmen dürfen.
- 3.
Wir bitten weiterhin darum, dass die Einwohner Westberlins die Möglichkeit erhalten, ihre nächsten Angehörigen in der DDR zu besuchen, wie das den Bürgern der Bundesrepublik möglich ist.
- 4.
Wir bitten weiter darum, nicht nur alten und gebrechlichen Bewohnern der DDR die Übersiedlung nach Westberlin und der Bundesrepublik zu gestatten, sondern auch diese Gelegenheit den nächsten Angehörigen zu geben, die zu ihren Eltern, Kindern und sonstigen Verwandten ziehen wollen, auch wenn sie im arbeitsfähigen Alter sind.
- 5.
Wir bitten die Regierung der DDR zu prüfen, auf welche Weise alle ehemaligen Bewohner der DDR, die heute in der Bundesrepublik oder Westberlin wohnen, die alle unter die Strafbestimmungen des Gesetzes über die Passbestimmungen29 fallen, auf ihren Antrag hin die Einreise in die DDR zum Besuch der nächsten Verwandten nach sachlicher Prüfung die schriftlich verbindliche Zusicherung der zuständigen staatlichen Stellen erhalten können, dass sie von den Strafbestimmungen des Gesetzes nicht betroffen werden.
Wir denken, dass ein Staat seine Souveränität nicht vergibt, wenn er sich zur Beseitigung der größten Härten verwendet. Wir bitten Sie aber nicht länger zu warten, denn es sterben Menschen darüber hin, die in Not und Verzweiflung leben. Es geht uns um die vielen einzelnen Menschen, die leiden. Es geht uns aber auch um das innere Gefühl unseres politischen Lebens, für welches die friedliche Koexistenz nicht in Vakanz verlangt werden kann.