Synode der Evangelischen Kirche der Union in Ostberlin (2)
27. Juni 1963
2. Einzelinformation Nr. 403/63 über die Synode der Evangelischen Kirche der Union (EKU) vom 24. bis 27. Juni 1963 im Stöckerstift in Berlin-Weißensee
Am dritten Tag wurde vom Ordnungsausschuss ein erster Entwurf über die Abfassung eines Gesetzes (Anpassung der Beschlussfähigkeit der Synode an die politischen Gegebenheiten) vorgelegt.
Diesem Entwurf nach hätte die Synode getrennt in Ost und West tagen können und wäre jeder Teil der Synode für sein Gebiet beschlussfähig gewesen. Dieser Entwurf wurde nach kurzer Diskussion im Plenum von der reaktionären Mehrheit der anwesenden Synodalen zurückgewiesen. Die meisten Diskussionsredner brachten zum Ausdruck, eine Bildung von Regional-Synoden komme für die EKU nicht infrage. In der Abendsitzung wurde dann vom Plenum ein vom Ordnungsausschuss vorgelegter Gesetzentwurf über die weitere Arbeit der Synode und ihre Ausschüsse angenommen, der Folgendes beinhaltet:
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Die Synode kann getrennt zusammentreten, möglichst zu gleicher Zeit.
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Sie beschließt dann mit einfacher Mehrheit (bisher Zweidrittelmehrheit).
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Ihre Beschlüsse gelten als Beschlüsse der Synode, wenn in getrennten Beratungen Übereinstimmung zu einem Verhandlungsgegenstand herrscht (was zweifellos durch entsprechende Vorarbeit erreicht werden soll).1
Die aggressivsten und provokatorischsten Angriffe gegen die DDR gab es wiederum im Berichtsausschuss und besonders seitens Präses Kreyssig.2
Zuerst befasste sich der Berichtsausschuss mit dem Entwurf einer weiteren Eingabe3 an die Regierung der DDR, in der gegen die Verhinderung der Einreise der westdeutschen und Westberliner Synodalen in das demokratische Berlin4 protestiert wird. In diesem Entwurf wurde gesagt, dass sich die Regierung der DDR durch die Zurückweisung der westlichen Synodalen in innerkirchliche Angelegenheiten eingemischt hätte. Alle Bitten des Präsidiums der Synode an die Regierung der DDR, den westdeutschen und Westberliner Synodalen die Teilnahme an der Tagung der Synode zu gestatten, seien unbeantwortet geblieben. Die Synode der EKU müsse die in der Vorbereitung der Synode gegenüber Kirchenrat Federlein5 vorgetragenen Fakten und Schlussfolgerungen der Regierung6 zurückweisen.
In der Diskussion zu dieser Eingabe sprach sich die Mehrheit der Diskussionsredner mit folgenden Begründungen für eine weitere Verschärfung des Wortlautes dieser Eingabe aus:
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Der Kirche würden in der DDR immer mehr Schwierigkeiten bereitet.
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Reisegenehmigungen erhalten nur noch zuverlässige Kommunisten.
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In verschiedenen Situationen versuche der Staat immer die angeblich guten Beziehungen zwischen Staat und Kirche in der DDR herauszustellen. Solche guten Beziehungen habe es niemals gegeben und es würde sie auch nicht geben. Die angeblich guten Beziehungen würden nur von sogenannten Außenseitern und bestimmten kleineren Staatsfunktionären gesucht.
Nach längeren Diskussionen einigte man sich, diese Eingabe an den Vorsitzenden des Staatsrates7 zu schicken, ohne seinen Namen zu nennen.8 Über die Unterzeichnung der Eingabe wurde keine Einigung erzielt.
Es wurde von einigen Synodalen zu bedenken gegeben, dass diese Eingabe ungelesen zurückgegeben würde, wenn Präses Kreyssig unterzeichnen sollte. Der Vorschlag, dass alle Synodalen diese Eingabe unterzeichnen, wurde gleichfalls nicht gebilligt, da festgestellt wurde, dass nicht alle Synodalen diese Eingabe unterzeichnen würden.
Diese Eingabe soll deshalb im Plenum der Synode weiter behandelt werden, das auch über die Form der Unterzeichnung entscheiden soll.
Zweitens wurde eine Erklärung verlesen, welche im Namen des Präsidiums der Synode der Öffentlichkeit, d. h. auch der kirchlichen und westlichen Presse übergeben werden soll.
Diese Erklärung lautet:
»Die Synode der EKU, die zu ihrer 3. Sitzung für die Zeit vom 24.6. bis 27.6.1963 in die Adolf-Stöcker-Stiftung nach Berlin-Weißensee einberufen war, ist durch staatliche Maßnahmen behindert worden. Die Synodalen aus der Rheinischen und Westfälischen Kirche wurden an den Übergängen von Westberlin in das demokratische Berlin von den Kontrollorganen der DDR zurückgewiesen. Die Bitte des Präsidiums, den Westberliner Synodalen die Teilnahme an der Synode in Berlin-Weißensee zu ermöglichen, ist unbeantwortet geblieben. Die in Berlin-Weißensee und in Berlin-Charlottenburg tagende Synode hat beim Staatsrat der DDR dagegen Einspruch erhoben.«9
Die weiteren Debatten im Berichtsausschuss hatten das bereits in unserem ersten Bericht erwähnte »Wort an die Gemeinden« zum Inhalt.
Nach Ansicht von Präses Kreyssig sollten folgende Gedanken in dieses »Wort« aufgenommen werden:
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Die Charta der Menschenrechte in der DDR existiere nicht und werde mit Füßen getreten.
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Die Bevölkerung der DDR sei durch die Mauer und andere Maßnahmen Drangsalen ausgesetzt und befinde sich in Unfreiheit.
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Die Bevölkerung der DDR treffe heute dasselbe Schicksal, was die Nazis dem polnischen Volk 1939 angetan haben.
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Die Bevölkerung müsse aufgefordert werden, sich an die UNO zu wenden, um in der DDR ein Volksbegehren durchzuführen. Dieses Volksbegehren sollte beinhalten, dass Deutschland entmilitarisiert wird und beide Teile Deutschlands innerhalb von vier Jahren unter der Kontrolle der UNO und mit Zustimmung der vier Großmächte zusammengeführt werden; da in Westdeutschland ein Volksbegehren in der Verfassung nicht vorgesehen ist, soll die »Aktion Sühnezeichen« die Leitung dieser Maßnahme übernehmen.
Kreyssig forderte in diesem Zusammenhang von den Synodalen: »Verratet nicht euren Herrn, eure Brüder und Schwestern aus Angst oder für glitzernde Silberlinge, auch wenn es von der Regierung sanktioniert wird.«
In den Diskussionsreden zu diesen Ausführungen von Kreyssig kam zum Ausdruck, dass die Mehrheit der Synodalen eine solch große Schärfe in den Formulierungen aus Angst vor Gegenmaßnahmen der Regierung der DDR ablehnte.
Man war sich darüber im Klaren, dass die Regierung der DDR solche Formulierungen als »offene Kriegserklärung« auffassen würde. Dies liege nicht im Interesse der Kirche und deshalb sollte man von einem »Wort an die Gemeinden« Abstand nehmen. Andere Diskussionsredner waren dafür, den Gemeinden nichts Schriftliches zu geben, sondern nur mündlich zu informieren.
Diese Reaktion der Synodalen benutzte Präses Kreyssig zu wütenden Ausfällen und hetzerischen Äußerungen folgenden Inhalts:
»Wann tritt einmal eine Synode zusammen, die gewillt ist, offen und ehrlich zu sprechen und alle Verantwortung auf sich zu nehmen? Wann ist es soweit, dass man konkret von einer Mauer, von einem Schießbefehl und von Mord spricht und schreibt, wenn es ein Mord gewesen ist? Wir können und dürfen nicht immer etwas schreiben und unseren Gemeinden sagen, was zwar sehr schön klingt, aber in Wirklichkeit ganz anders aussieht, und wir selbst auch eine andere Meinung dazu haben. Wir sollten endlich dazu kommen, unsere Gedanken auch schriftlich zu formulieren und unseren Brüdern mitzuteilen.«
Nach diesen Ausführungen von Kreyssig gab noch ein Synodaler des Berichtsausschusses zu bedenken, dass die Gemeinden der Evangelischen Kirche in der DDR durch die Maßnahmen vom 13.6.1961 müde sind und resignieren. Wenn die EKU-Synode das »Wort an die Gemeinden« im Stil von Präses Kreyssig abfassen würde, fielen die Gemeinden völlig auseinander.
Auch in der Nachmittagssitzung stand das »Wort an die Gemeinden« im Mittelpunkt der Diskussion des Berichtsausschusses. Da die Meinungen der Synodalen immer mehr auseinandergingen und sich immer mehr Uneinigkeit zeigte, wurde festgelegt, »aus Zeitmangel« die Kirchenkanzlei der EKU zu beauftragen, nach der Synode ein solches »Wort an die Gemeinden« zu verfassen. Es wurde lediglich noch festgelegt, dass von der Kirchenkanzlei der EKU in dieses »Wort an die Gemeinden« eine Auseinandersetzung mit den in der Zeitung »Neue Zeit« erfolgten Angriffen10 gegen die »Zehn Artikel über den Dienst und die Freiheit der Kirche«11 eingearbeitet werden soll.
Unabhängig davon wurde festgelegt, die als Begleitschreiben für das »Wort an die Gemeinden« vorgesehene Vorlage an den amtierenden Ministerpräsidenten12 zu übermitteln.
Bezeichnend für die gesamte Situation auf der Synode ist auch die Tatsache, dass ein Teil der Synodalen die Sendungen des Westfernsehens über den Kennedy-Besuch13 verfolgte, z. B. während der Mittagspause im Stöcker-Stift. Danach wurde in Diskussionen der Besuch Kennedys als historische Angelegenheit eingeschätzt. Kennedy habe »auch der Bevölkerung der DDR große Hoffnungen« auf die Wünsche gegeben, die viele Menschen in sich tragen würden. Es komme darauf an, den Gemeinden in diesem Sinne Trost zuzusprechen.
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