Tödlicher Verkehrsunfall in Ostberlin durch britischen Militär-Pkw
11. April 1963
Erstinformation Nr. 241/63 über einen schweren Verkehrsunfall mit Beteiligung eines Pkw der englischen Besatzungsmacht in Westberlin
Am 4.4.1963 wandte sich der Genosse [Vorname 1 Name], Parteisekretär in den [Betrieb], wohnhaft in Berlin-Friedrichshagen, [Straße, Nr.], an das MfS mit der Bitte, Untersuchungen über einen Verkehrsunfall mit Beteiligung eines Pkw der englischen Besatzungsmacht in Westberlin, an dessen Folgen sein Sohn [Vorname 2 Name], geb. am [Tag, Monat] 1951, verstorben ist, einzuleiten.
Als Begründung führte Genosse [Name] an, dass die VP den Verkehrsunfall mit seinem Sohn nicht richtig untersucht habe, sondern sogar versuchen würde, die Schuld auf seinen Sohn abzuwälzen.
Nach einer Mitteilung des Genossen Prof. Dr. Kaul1 an das MfS, hat auch ihm gegenüber der Genosse [Name] ähnliche Angaben über das Verhalten der VP gemacht.
Aufgrund dieser Hinweise und Ersuchen wurden vom MfS entsprechende Untersuchungen eingeleitet, die bisher zu folgendem vorläufigen Ergebnis führten:
Am 25.3.1963, gegen 16.45 Uhr, befuhr der [Vorname 2 Name] in Berlin-Friedrichshagen mit einem Fahrrad den Fürstenwalder Damm in Richtung Stadtmitte. Auf der Höhe des Grundstückes 544 bog er zur Fahrbahnmitte ein und wurde dabei von einem in gleicher Richtung fahrenden englischen Militärfahrzeug (Typ Volkswagen, Kennzeichen 10 XJ 03), besetzt mit zwei uniformierten Angehörigen der englischen Streitkräfte, erfasst und auf die Fahrbahn geworfen. An den dabei erlittenen schweren Verletzungen ist der Schüler [Name] am 29.3.1963 gegen 23.40 Uhr im Krankenhaus Köpenick verstorben.
Die Befragung von zwei unbeteiligten Zeugen und der englischen Militärangehörigen durch die Angehörigen der VUB Ost und des FSTW 71 ergab übereinstimmend, dass [Name], ohne dies ordnungsgemäß durch Winken anzuzeigen und ohne sich vom nachfolgenden Verkehr zu überzeugen, von der rechten Straßenseite nach links zur Fahrbahnmitte eingebogen ist. Nach Ansicht der Zeugen wollte er offensichtlich auf der Fahrbahn wenden.
Der Fahrer des in gleicher Richtung fahrenden englischen Militärfahrzeuges hat nach Erkennen dieser Situation den Pkw scharf abgebremst und nach links bis zur Bordsteinkante gezogen, um noch an [Name] vorbeizukommen.
Trotz dieses sofortigen Reagierens des Fahrers des Pkw wurde [Name], den Spuren und Zeugenangaben nach zu urteilen, mit dem rechten vorderen Kotflügel erfasst und auf die Fahrbahn geschleudert. Die Überprüfung des Fahrzeuges durch die VP ergab auch, dass der vordere rechte Kotflügel eingebeult und das Glas des rechten Scheinwerfers zersplittert waren und dass die rechte Tür Lackschrammen aufwies. Dieser Tathergang ist auch aus der festgestellten Bremsspur ersichtlich.
Nach Überprüfung der Verkehrspolizei hat das Fahrzeug eine 22,80 m lange Bremsspur hinterlassen, die ungefähr mit der von den englischen Militärangehörigen angegebenen Geschwindigkeit von ca. 54 bis 58 km/h übereinstimmt. (Der Fürstenwalder Damm ist Schnellstraße und kann daher mit Geschwindigkeiten bis zu 60 km/h befahren werden; verkehrsbehindernde Bedingungen bestanden nicht.)
Von den mit der Aufklärung dieses Unfalls beauftragten VP-Angehörigen wird aufgrund der durch die Unfallaufnahme und -rekonstruktion sowie durch die Zeugenaussagen gewonnenen Angaben eingeschätzt, dass der Unfall durch das verkehrswidrige Verhalten des [Name] hervorgerufen wurde. Zur weiteren Klärung der Schuldfrage wurde gegen die englischen Militärangehörigen ein Ermittlungsverfahren wegen Verdacht der fahrlässigen Tötung eingeleitet und die Obduktion der Leiche beantragt.
Nach den Aussagen der VP-Angehörigen haben sich die englischen Militärangehörigen bei der Unfallaufnahme korrekt verhalten und die geforderten Angaben gemacht. (Allerdings ist vonseiten der VP auf die Hinzuziehung eines Dolmetschers verzichtet worden.)
Über ihre Einheit gaben die Engländer an, dass sie unter Br. King’s Regiment2 HQ, Coy M. T. Wavell BKS,3 Westberlin, zu erreichen seien. Gleichzeitig baten sie um die Adresse des Krankenhauses, in das [Name] inzwischen eingeliefert worden war. Als Begründung führten sie an, sich nach seinem Befinden erkundigen zu wollen.
Die vom MfS eingeleiteten Überprüfungen ergaben weiter, dass das am Unfall beteiligte englische Militärfahrzeug nicht zu den Fahrzeugen der westlichen Besatzungsmächte in Westberlin gehört, die ständig zu Aufklärungsfahrten4 in das demokratische Berlin5 einfahren und die deshalb weitgehend unter unserer operativer Kontrolle stehen. Nach dem Unfall am 25.3.1963 ist das o. g. englische Militärfahrzeug nicht mehr in das demokratische Berlin eingefahren.
Zur weiteren Aufklärung des genauen Unfallherganges und zur einwandfreien Klärung der Schuldfrage wurden vom MfS verantwortliche Mitarbeiter mit Spezialkenntnissen eingesetzt, die umfassende Untersuchungen durchführen und dabei gleichzeitig die bisherigen Ermittlungsergebnisse der VP (einschließlich der durch die HA VK des MdI am 10.4.1963 erneut vorgenommenen Unfallrekonstruktion) mit auswerten und dahingehend mit überprüfen, ob alle notwendigen Maßnahmen zur allseitigen Aufklärung dieses Vorkommnisses und des Verhaltens der englischen Militärangehörigen durchgeführt wurden.
Um bei derartigen Vorkommnissen mit Angehörigen der westlichen Besatzungsmächte rechtzeitig die erforderlichen Aufklärungs- und Auswertungsmaßnahmen einleiten zu können, wird mit dem MdI eine Vereinbarung herbeigeführt, die die sofortige Informierung des MfS bei solchen Vorkommnissen vorsieht.
Nach Vorliegen der abschließenden Untersuchungsergebnisse wird nachberichtet.