Tödlicher Vorfall im Bereich der Grenzkompanie Steudach
18. April 1963
Einzelinformation Nr. 251/63 über ein besonderes Vorkommnis im Bereich der Grenzkompanie Steudach, Grenzregiment Sonneberg
Am 17.4.1963, in der Zeit von 10.00 bis 18.00 Uhr, waren Unteroffizier Alte, Manfred, geb. 3.5. 1940, wohnhaft Bockstadt, [Kreis] Hildburghausen, Gefreiter Fittkau, Helmut, geb. 6.10.1941, wohnhaft Kahla, [Bezirk] Jena (Mitglied der SED, fünf Belobigungen) und Gefreiter Tilscher, Siegfried, geb. 9.8.1943 wohnhaft Klitzschmar, [Kreis] Delitzsch, (acht Belobigungen) zu Instandsetzungsarbeiten an den Grenzsicherungsanlagen im Abschnitt Straße Heid – Rottenbach eingesetzt.1 Da in diesem Raum mehrere Bäume auf die Sicherungsanlagen gefallen waren, hatten sie den Auftrag, die Bäume zu bergen und die Drahtsperre wieder instand zu setzen. Zu diesem Zweck war auch ein Pferdegespann mit zwei Pferden eingesetzt. Zur eigenen Sicherung waren sie mit MPi K2 »K« ausgerüstet.
Da die Genannten bis 18.00 Uhr nicht zur Kompanie zurückkehrten, wurde eine Suchgruppe eingesetzt, die sie gegen 19.00 Uhr an der beschädigten Drahtsperre tot vorfanden. Der Fundort befindet sich ca. 200 m links der Straße Heid – Rottenbach, etwa 400 m von der Staatsgrenze entfernt auf dem Territorium der DDR (unmittelbar an der Stelle, wo auftragsgemäß die Ausbesserungsarbeiten durchgeführt werden sollten).
Die Gefreiten Fittkau und Tilscher lagen ca. 2 m von der Sicherungssperre entfernt unmittelbar nebeneinander. Beide hatten tödliche Schussverletzungen in der Brust und in den Schultern. Circa 8 m von beiden entfernt lag Unteroffizier Alte mit zwei Einschüssen am Kinn und Ausschüssen am Hinterkopf. Die Einschüsse lassen erkennen, dass es sich um Nahschüsse handelt. (Pulverschleim – verbrannte Barthaare)
Unmittelbar neben der Leiche des Unteroffiziers Alte lag seine MPi K, aus der nach bisherigen Feststellungen geschossen wurde. Am Tatort wurden vier Patronenhülsen MPi K gefunden. Aus den anderen Waffen sind nach der bisherigen Überprüfung keine Schüsse abgegeben worden.
Am Tatort wurde ein Kasten mit 25 Flaschen Bier vorgefunden, von denen 20 bereits ausgetrunken waren. Nach bisherigen Feststellungen haben der Unteroffizier Alte und der Gefreite Tilscher gegen 11.00 Uhr in der Konsumverkaufsstelle Steudach das Bier gekauft und offensichtlich während des Einsatzes getrunken.
Während des Einsatzes wurden die o. g. Genossen nicht kontrolliert. Ein Grenzposten im Nachbarabschnitt hat gegen 12.00 bis 12.30 Uhr lediglich drei Feuerstöße aus der Richtung des Tatortes gehört. Da er aber der Annahme war, diese Schüsse kämen aus dem Nachbarabschnitt der Kompanie, wurden von ihm keine Maßnahmen eingeleitet.
Nach den bisherigen Überprüfungsergebnissen und der vorläufigen Rekonstruktion des Vorkommnisses am Tatort ist einzuschätzen, dass Unteroffizier Alte mit seiner MPi K auf die Gefreiten Fittkau und Tilscher, die auf der anderen Seite der Sperre arbeiteten, geschossen hat.
Bisher liegen keine Hinweise dafür vor, dass Unteroffizier Alte seine Waffe bewusst angewandt hat. Es besteht der Verdacht des fahrlässigen Schusswaffengebrauchs, begünstigt durch den starken Alkoholgenuss in einer verhältnismäßig kurzen Zeit.
In diesem Zusammenhang ist auch beachtenswert, dass Unteroffizier Alte bereits im Herbst 1962 einen fahrlässigen Schusswaffengebrauch verursachte und über die Grenzposten hinweg Schüsse abgab.
Die Schussverletzungen bei Unteroffizier Alte weisen nach bisherigen Untersuchungen auf Selbstmord hin.
Über Unteroffizier A. ist noch bekannt, dass er am 16.4.1963 mit dem [Funktion, Name] aus [Ort] Auseinandersetzungen hatte, [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]. [Name] hat diese Beschuldigung zurückgewiesen und Unteroffizier Alte mit Anzeige wegen Verleumdung gedroht. Inwieweit dieses Vorkommnis im Zusammenhang mit den Handlungen des Unteroffiziers Alte steht, konnte bisher nicht festgestellt werden.
Bei den o. g. NVA-Angehörigen gibt es bisher keine Hinweise auf eine beabsichtigte Fahnenflucht oder Differenzen zwischen ihnen. Die Kontrolle des 10-m-Schutzstreifens im Abschnitt des Tatortes ergab keinerlei Anzeichen dafür, dass Personen den Schutzstreifen überschritten haben. (Der Schutzstreifen wird als spurensicher eingeschätzt.)
Der Tatort selbst kann aufgrund des vorhandenen Hochwaldes von westlicher Seite aus nicht eingesehen werden. Bewegungen im westlichen Vorfeld, die eventuell im Zusammenhang mit dem Vorkommnis stehen könnten, wurden bisher nicht bekannt.
Vom MfS wurden die notwendigen Maßnahmen zur weiteren Untersuchung und genauen Rekonstruktion des Tatherganges eingeleitet. Nach Vorliegen des endgültigen Untersuchungsergebnisses wird nachberichtet.