Ursachen der Viehverendungen in der Landwirtschaft
17. Mai 1963
Bericht Nr. 313/63 über einige Ursachen der Viehverendungen in der Landwirtschaft der DDR und einige Fragen des Veterinärwesens
Trotz eingeleiteter umfangreicher Maßnahmen durch die Leitungen des Partei- und Staatsapparates und der von ihnen unternommenen Anstrengungen zur Senkung der Viehverluste in der Landwirtschaft der DDR ist die Zahl der Viehverendungen weiterhin sehr hoch. Die dadurch eintretenden Verluste fügen unserer Volkswirtschaft weiterhin großen Schaden zu und führen zu ansteigenden ernsthaften Rückständen in der Planerfüllung bei einigen Positionen landwirtschaftlicher Produkte.
Dem MfS vorliegende Hinweise auf die Ursachen der Viehverendungen ergeben, dass in landwirtschaftlichen Betrieben die Durchsetzung der im Zusammenhang mit der Senkung von Viehverlusten gegebenen Richtlinien, Weisungen und Anregungen häufig ungenügend und äußerst schleppend erfolgt.
1962 gingen die Verluste bei Rindern gegenüber 1961 zurück, jedoch bei Schweinen stiegen die Verluste – besonders durch das Auftreten der Maul- und Klauenseuche – in verschiedenen Kreisen und Bezirken der DDR auf das Drei- bis Vierfache gegenüber 1961 an. Im Republikmaßstab liegen die Verluste bei Schweinen 1962 um 70 % höher als 1961.
Im I. Quartal 1963 sind neben den hohen Schweineverlusten außergewöhnlich hohe Kälberverluste zu verzeichnen.
Nach vorliegenden Hinweisen sind die hohen Viehverendungen im Wesentlichen auf folgende Ursachen zurückzuführen:
Die Auswertung richtungsweisender zentraler Beschlüsse auf diesem Gebiet in den landwirtschaftlichen Betrieben erfolgt nur ungenügend. Das trifft aber häufig auch für die Organisierung der Arbeit auf der Grundlage dieser Beschlüsse in den zuständigen zentralen staatlichen Organen zu.
So unternahmen sowohl der Sektor tierische Produktion als auch die Veterinärinspektion des Landwirtschaftsrates erst in jüngster Zeit Anstrengungen, einen konsequenten Kampf gegen die steigenden Viehverluste einzuleiten.
In einzelnen Bezirken und Kreisen gab es bereits gute Anfänge, die jedoch nicht konsequent und zielstrebig weitergeführt wurden.
Hemmend wirkt sich der seit einigen Jahren in bestimmten Kreisen der Agrarwissenschaft bestehende Widerstand gegen die Forderung der Partei aus, die Viehbestände zu erhöhen. Diskussionen unter dem gleichen Aspekt und in diesem Zusammenhang über eine Notwendigkeit der Verringerung der Viehbestände gab es auch bei einigen staatlichen Organen, LPG und VEG. Zum Teil wurden diese Argumente zum Ausgangspunkt genommen, die Viehbestände den gegenwärtig zum Teil ungenügend genutzten Möglichkeiten der Futterproduktion anzupassen.
Diese Auffassungen sind z. T. mit ungenügender Initiative, mit Gleichgültigkeit und falscher Einschätzung über die Tierverluste und deren Auswirkungen verbunden.
Als unbedingt schädlich ist die wiederholt vertretene Meinung einzuschätzen, die gegenwärtigen Verluste in der Viehwirtschaft seien normal; früher seien sie noch höher gewesen. Die Verluste seien früher nur nicht registriert worden. Trotz der unzureichenden Vergleichsmöglichkeiten zu früheren Jahren und zur Lage in den kapitalistischen Ländern sind solche Meinungen u. a. im Staatsapparat, in bestimmten Kreisen der Agrarwissenschaft und besonders in der landwirtschaftlichen Praxis vorhanden.
Auch die schnell um sich greifende Maul- und Klauenseuche 1962/63 in der DDR ließ erkennen, dass ungenügende Sicherungsmaßnahmen eingeleitet waren, um bereits den Beginn der Maul- und Klauenseuche schnell unter Kontrolle zu bekommen und eine zielstrebige Bekämpfung zu organisieren. Die Tätigkeit der staatlichen Organe verbesserte sich erst, als die Maul- und Klauenseuche breit um sich gegriffen hatte und der zentrale Operativstab alle Anstrengungen unternahm, die Seuche unter Kontrolle zu bringen.
Nach unseren Feststellungen wirken sich die Mängel in der zentralen staatlichen Leitung zur Verhinderung weiterer großer Tierverluste hemmend auf die landwirtschaftliche Praxis aus. Sie verbinden sich dort mit den Mängeln in der Leitungstätigkeit, der ungenügenden Durchsetzung der innergenossenschaftlichen Demokratie, den gesamten Problemen der ungenügenden Anwendung der materiellen Interessiertheit und der noch weit verbreiteten Duldung von Schlamperei und Nichteinhaltung der Betriebs- und Stallordnungen. Viele Vorstände der LPG und Leitungen der VEG haben keine Übersicht über die Tierverluste und demzufolge keine konkreten Vorstellungen über ihre Bekämpfung.
In der LPG Albrechts, [Kreis] Suhl, verendeten aufgrund verantwortungsloser Futterplanung innerhalb kurzer Zeit 2 000 Küken. Insgesamt hat diese LPG Verluste von 9 100 Stück Geflügel, die 52 % des Gesamtbestandes ausmachten.
In der LPG Langewiesen, [Kreis] Ilmenau, verendeten 55 % der Läuferschweine1 in Großbuchten, weil diese nicht den erforderlichen Bedingungen entsprachen.
Ähnlich hohe Tierverluste gab es in der LPG Altenhagen, [Kreis] Rostock, und in der LPG Busendorf, [Kreis] Potsdam, da die Stallverhältnisse nicht den Erfordernissen und Möglichkeiten entsprachen.
Es wurde in vielen Fällen festgestellt, dass ungenügende Bauplanung und Bauausführung ernste Ursachen für die hohen Tierverluste darstellen, wobei oftmals durchaus Möglichkeiten bestanden hätten, vorhandene Schwierigkeiten vor, während oder nach der Bauausführung restlos zu beseitigen.
Ungenügend werden vorhandene Reserven an Stallraum genutzt, um ohne große Investitionen die Stallkapazität zu erhöhen und die Lebensbedingungen für die Tiere zu verbessern.
Vorliegende Materialien bestätigen mit Nachdruck die Forderung der Partei, verstärkt Fachkräfte und qualifizierte Viehpfleger und besonders Frauen zur Arbeit in den Viehzuchtbrigaden zu gewinnen.
Tierverluste, zurückzuführen auf ungenügende Fütterung, Haltung und Pflege der Tiere, sind oftmals in solchen Betrieben besonders hoch, in denen unqualifizierte und uninteressierte Personen – u. a. durch Alter leistungsschwache und zum Teil auch geistig zurückgebliebene Personen – in den Viehzuchtbrigaden arbeiten.
In solchen Ställen wird mangelnde Futterplanung, falsche Fütterung, besonders durch plötzliche Futterumstellungen, Unsauberkeit und Schlamperei festgestellt.
In einer LPG im Kreis Cottbus/Land traten dadurch innerhalb kurzer Zeit Schweineverluste von 60 % auf.
In der LPG Golßen, [Bezirk] Cottbus, verendeten aufgrund derartiger Umstände 1 670 Schweine – ein Drittel des gesamten Bestandes.
In den LPG, in denen Futtermangel als Ursache der Viehverendungen festgestellt wird, besteht bei den LPG-Mitgliedern Unklarheit darüber, dass es sich hier vorwiegend um subjektive Ursachen handelt, die sich in der nachlässigen Bodenbearbeitung und Düngung und somit in der ungenügenden Steigerung der Bodenfruchtbarkeit und geringen Steigerung der pflanzlichen Produktion zeigen.
Bei verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben bestehen ernste Mängel in der proportionalen Entwicklung der verschiedenen Produktionszweige, die im Wesentlichen ihre Ursache in mangelhaften Kenntnissen der sozialistischen Betriebswirtschaft und einseitigen Vorstellungen über die Spezialisierung der landwirtschaftlichen Produktion haben.
Obwohl wiederholt von zentralen Stellen darauf hingewiesen wurde, Rückkehrer und Zuwanderer nicht mehr zur Betreuung unserer wertvollen Tierbestände einzusetzen, werden diese Hinweise ungenügend beachtet. Wenn sich auch mit unserer gesamten Entwicklung diese Bürger weiterentwickelt haben, muss doch aufgrund bestimmter Erfahrungen gründlicher und individuell entschieden werden.
Verschiedene Hinweise beinhalten auch, dass asoziale und vorbestrafte Elemente, die teilweise eine außerordentlich mangelhafte Arbeit leisten, in den Viehzuchtbrigaden tätig sind.
So ist z. B. in der LPG Schönerlinde, [Kreis] Bernau, eine Rückkehrerfamilie in der Viehwirtschaft tätig, die wiederholt durch Arbeitsbummelei, unregelmäßigen Arbeitsablauf und häufigen Alkoholgenuss bekannt wurde.
Ein Rückkehrer in der LPG Biesdorf, [Kreis] Bad Freienwalde, der in der Tierzuchtbrigade tätig ist, leistet eine schlechte Arbeit und fordert die Auflösung der LPG.
Ähnliche Erscheinungen sind aus der LPG Niemegk, [Kreis] Belzig, und anderen landwirtschaftlichen Betrieben bekannt.
Weitere Hinweise lassen erkennen, dass staatliche Organe und landwirtschaftliche Betriebe die ihnen durch die Auflösung der Zentralstelle für Tbc- und Brucellosebekämpfung2 übertragenen Aufgaben mangelhaft erfüllen. Dadurch und durch die Nichteinhaltung zuchthygienischer Maßnahmen gibt es neben einer Reihe von Tierverlusten auch negative Auswirkungen auf den Gesundheitszustand unserer Tierbestände, die sich in einer ungenügenden Steigerung der Produktivität der Bestände ausdrücken.
Die verantwortlichen Organe konzentrieren sich zur Überwindung der aufgezeigten Mängel, die einer Senkung der Viehverluste entgegenstehen, völlig ungenügend auf die vorbeugende Arbeit. Häufig wird die vorbeugende Arbeit nur kampagnemäßig geleistet und ist nicht Bestandteil der Verbesserung der Leitung und Organisation der landwirtschaftlichen Produktion insgesamt und der Durchsetzung des sozialistischen Wettbewerbs in unserer Landwirtschaft bei richtiger Anwendung der Prinzipien der materiellen Interessiertheit.
Eine konzentrierte vorbeugende Arbeit fehlt besonders auf dem Gebiet des Bauwesens, speziell im Bereich der Stallbauten und deren Mechanisierung. Weiterhin ist sie ungenügend bei den Bemühungen um eine Qualitätserhöhung in der Mischfuttermittelproduktion sowie beim Im- und Export hochwertiger Zucht- und Nutztiere.
Aus vorliegenden Hinweisen ist einzuschätzen, dass in der Arbeit des Veterinärwesens der DDR ernsthafte Mängel bestehen, die sich u. a. hemmend auf die Senkung der Viehverluste im Allgemeinen und besonders auf eine schnelle und erfolgreiche Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche auswirken.
Schon die zu späte Reaktion der staatlichen Leitung des Veterinärwesens auf das Auftreten der Maul- und Klauenseuche in der DDR zeigt die teilweise noch bestehende Schwerfälligkeit und Unzulänglichkeit in der Arbeit dieses Apparates.
Einzelne Tierärzte äußern, es sei allgemein bekannt, dass die Seuche in einem Zyklus von sechs bis acht Jahren die Länder Europas befällt. Veröffentlichungen und Nachrichten der internationalen veterinärmedizinischen Körperschaften sei zu entnehmen gewesen, dass die Maul- und Klauenseuche seit 1961 zunächst in Italien, später in Frankreich und Westdeutschland in starkem Maße aufgetreten sei. Das Übergreifen auf die DDR und die Tatsache, dass es sich um einen neuen Zug der Maul- und Klauenseuche handelte, hätte den Veterinärinspektionen Signal zu vorbeugenden Maßnahmen sein müssen.
In der DDR wurden jedoch keine Vorbereitungen getroffen, man verließ sich allgemein auf das 1950 geschaffene Gesetz über die Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche3 mit den Durchführungsbestimmungen von 19524 und 19585 und baute auf die mit den seit 1958 jährlich vorgenommenen Maul- und Klauenseuche-Schutzimpfungen geschaffene Immunität der Rinderbestände. Völlig unberücksichtigt blieben vorbeugende Maßnahmen hinsichtlich eines Übergreifens der Maul- und Klauenseuche auf Schweine.
Dass die Veterinärinspektion beim ehemaligen Ministerium für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft6 die Situation beim Auftreten der Maul- und Klauenseuche nicht richtig einschätzte, beweisen Nachlässigkeiten und verantwortungsloses Verhalten beim Großversuch mit Gewebekulturlebendvirusvakzine bei Schweinen im Kreis Strasburg, [Bezirk] Neubrandenburg.
Erst beim Auftreten größerer Verluste und anderer Anzeichen des Fehlschlagens des Großversuches, beim Nachweis der ungenügenden Vorbereitung und Planung des Versuchs, erfolgte seitens des Operativstabes zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche der aktive Einsatz, die Seuche unter Kontrolle zu bekommen. Dabei wurde der Beweis erbracht, dass durch einen komplexen Einsatz aller zur Verfügung stehenden Kräfte der Impfversuch unter Kontrolle gebracht und weitere Verluste verhindert werden konnten.
Das passive Verhalten in der Organisierung wirkungsvoller Abwehrmaßnahmen gegen die Maul- und Klauenseuche durch die Veterinärinspektion und das Institut Riems7 zeigt sich besonders im Verlauf der Impfstoffproduktion.
Zum Zeitpunkt, als in Westdeutschland die Maul- und Klauenseuche/Typ C ihren Höchststand erreichte, verringerte sich in der DDR die Produktion und der Bestand an Maul- und Klauenseuche-Impfstoff, da Mitarbeiter der Veterinärinspektion und Prof. Dr. Röhrer,8 Riems, die Ansicht vertraten, in der DDR sei die Hauptgefahr vorüber.
Westdeutsche Fachzeitschriften berichteten seit 1961 über praktische Erfahrungen und Erfolge bei der Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche bei Schweinen, ohne dass in der DDR daraus Schlussfolgerungen gezogen wurden. Es wurden keinerlei Vorkehrungen getroffen, ausreichend Maul- und Klauenseuche-Hochimmunserum zur Verfügung zu halten, um die entsprechende Behandlung erkrankter oder gefährdeter Schweinebestände zu gewährleisten.
Die Veterinärinspektion unter Leitung von Genossen Dr. Schulze9 hatte von Beginn des Seuchenzuges in der DDR an keine klare Konzeption zur wirksamen Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche. Die vorhandene Übersicht gab nur ungenügend Aufschluss über die Tendenz des Verlaufs der Seuche. Eine wirksame Anleitung und Hilfe gegenüber den örtlichen Organen erfolgte nur zögernd.
Im Wesentlichen wurde auf die Einschätzung von Prof. Dr. Röhrer orientiert, die Gefahr des Übergreifens auf die DDR sei vorüber. Der Einfluss der Veterinärinspektion zur raschen Steigerung der Impfstoffproduktion erfolgte zu spät.
Die Verantwortung für diese Situation liegt nicht allein bei der Leitung der Abteilung Veterinärwesen beim Landwirtschaftsrat der DDR, sondern zu einem großen Teil bei dem Präsidenten des Friedrich-Löffler-Institutes auf Riems, Prof. Dr. Röhrer, auch wenn dieser von vornherein erklärte, eine Mitverantwortung seiner Person an den Verlusten durch die Maul- und Klauenseuche bestehe nicht.
Hemmend bei der Schaffung einer klaren wissenschaftlichen Konzeption bei der Maul- und Klauenseuche-Bekämpfung in der DDR wirken sich einige Differenzen zwischen den Spezialisten für Tierseuchen aus.
Allgemein ist bekannt, dass Prof. Dr. Röhrer der kompetente Spezialist für Tierseuchen und insbesondere für die Maul- und Klauenseuche in der DDR ist.
Obwohl einige Veterinäre eigene von der Konzeption Dr. Röhrers abweichende Meinungen vertreten, werden die Ansichten Dr. Röhrers als verbindlich hingenommen.
Mit einer eigenen Auffassung zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche trat bisher Prof. Dr. Hussel10 in Erscheinung, u. a. mit der Ansicht, das Gesetz zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche müsse entsprechend den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und unter Berücksichtigung der seit 1950 auf dem Lande vor sich gegangenen gesellschaftlichen Veränderungen überarbeitet werden.
Betreffs der wissenschaftlichen Konzeption für die Maul- und Klauenseuche-Bekämpfung bestehen zwischen beiden Professoren Differenzen. Eine Annäherung oder eine Zusammenarbeit konnte bisher nicht erreicht werden, und eine Einschätzung der wirksamsten, unter Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Belange richtigen Maul- und Klauenseuche-Bekämpfung in der DDR steht noch aus.
Prof. Hussel war bisher nicht in der Lage, seine mehrfach geäußerten Bedenken gegen die Konzeption von Prof. Dr. Röhrer wissenschaftlich überzeugend darzulegen, stellte nur Thesen zur Diskussion, die er nicht überzeugend begründete und wurde damit in Kreisen der Veterinärmedizin isoliert.
Zur Einschätzung des Gesamtkomplexes ist noch folgendes Problem von Bedeutung.
Nachdem in der Vergangenheit auf dem Gebiet der Tierseuchen-Forschung und der Impfstoffproduktion das Friedrich-Löffler-Institut Riems als führend in der DDR und Westdeutschland anerkannt war, wurde in Westdeutschland seit etwa 1955 verstärkt versucht, auf diesem Gebiet ein Gegengewicht zu schaffen. In Tübingen wurde eine staatliche Forschungsstätte11 eingerichtet. Der IG-Farben-Konzern nahm in den Behring-Werken12 und bei Bayer-Leverkusen die Produktion von Tierarzneimitteln und von Maul- und Klauenseuche-Impfstoffen auf.
Die in letzter Zeit bekannt gewordenen Veröffentlichungen über die Ergebnisse bei der Maul- und Klauenseuche-Bekämpfung 1961 lassen erkennen, dass Westdeutschland den Vorsprung des Instituts auf Riems weitgehend wettgemacht hat.
Dabei wenden die verantwortlichen westdeutschen Entwicklungs- und Forschungsstätten die verschiedensten Mittel und Methoden an, um Westdeutschland und dem kapitalistischen Ausland die Forschungsergebnisse der DDR-Wissenschaft zugänglich zu machen. Darauf ist der auf verschiedenen Gebieten der Veterinärmedizin entstandene Rückstand des Instituts Riems gegenüber dem westlichen Ausland zurückzuführen, besonders gegenüber England, welches das Monopol auf dem Gebiet der exotischen Tierseuchenforschung (MKS-SAT) einnimmt.
In Auswertung uns vorliegender Materialien ist einzuschätzen, dass westdeutsche Konzerne durch Abwerbungen und Ausnutzung legaler Quellen die Ergebnisse der Arbeiten aus der DDR auf dem Gebiet der Tierseuchenbekämpfung und -forschung für ihre Interessen nutzbar gemacht haben.
Besonders auf dem Gebiet der Herstellung von Maul- und Klauenseuche-Konzentratvaccinen (trivalent) und der Viruszüchtung auf Gewebebasis sind in westdeutschen Forschungsstätten gewisse Erfahrungen von Riems übernommen worden.
Für ihre Arbeiten nutzten die betreffenden Konzerne (vor allem die Behring-Werke) republikflüchtige fähige Mitarbeiter von Riems aus.
Außer der Ausnutzung republikflüchtiger Mitarbeiter der Insel Riems erkunden die Konzerne weitere Möglichkeiten der Übermittlung von Forschungsergebnissen an Westdeutschland und das kapitalistische Ausland, wobei durch Sorglosigkeit und mangelnde Wachsamkeit in den Fachinstituten der DDR auf dem Gebiet der Tierseuchenforschung und der Impfstoffproduktion die Bestrebungen der westdeutschen Konzerne noch erleichtert werden.
So wurden z. B. durch das Staatliche Veterinärmedizinische Prüfungsinstitut, dem die Prüfung der produzierten Impfstoffe von Riems obliegt, ohne Wissen der staatlichen Dienststellen Material von Proben der eingeschickten Impfstoffe nach dem kapitalistischen Ausland verschickt. (Die Angehörigen dieses Instituts haben beruflich und persönlich vielfältige Verbindungen zur Insel Riems und zu den Serumwerken Dessau und Bernburg.)
Viele Tierärzte in den Bezirken der DDR erkennen die Richtigkeit der Forderung unserer Partei nach einem den neuen Bedingungen in der Landwirtschaft Rechnung tragenden Veterinärwesens an. Einige Tierärzte erkennen auch, dass diese Forderung der Partei durch das Versagen des Veterinärwesens während der Maul- und Klauenseuche-Bekämpfung und Betreuung von Läufer-Importen (z. B. mit Maul- und Klauenseuche verseuchten Läuferimporten – 131 000 Läuferschweine und Ferkel – aus England im Juni 1962) noch unterstrichen wird.
Im Rahmen der Vorbereitungen dieser Veränderungen kommt es aber unter einem erheblichen Teil von Tierärzten zu Diskussionen, ob es überhaupt der richtige Weg sei, Betriebstierärzte in landwirtschaftlichen Großbetrieben einzusetzen. Eine Reihe von Veterinären, die der sozialistischen Entwicklung in der DDR aus verschiedenen Motiven ablehnend oder skeptisch gegenüberstehen, benutzen die Zweifel dieser Tierärzte, um durch ihren Einfluss unter den Berufskollegen die Entwicklung eines sozialistischen Veterinärwesens zu hemmen und zu verzögern.
Ein großer Teil der Tierärzte befürchtet eine »unstandesgemäße Degradierung« und »Abbau ihrer sozialen Stellung«. Teilweise benutzen sie zur Darlegung ihres Standpunktes in der Öffentlichkeit die FDGB-Kreis- und -Bezirksfachgruppen sowie die Parteigruppen in den Bezirken.
In verschiedenen Fällen fanden sich Tierärzte in privaten Kreisen zusammen, um ihr Auftreten einheitlich zu gestalten.
Mit dem Eintritt verschiedener Tierärzte in LPG und VEG als Betriebstierärzte ist dieser Teil verstärkten Angriffen von solchen Veterinären ausgesetzt, die sich gegen diese landwirtschaftliche Praxis stellen.
In diesem Zusammenhang verweisen wir auf Angriffe gegen den Betriebstierarzt Dr. [Name 1] vom VEG Schwaneberg, gegen den Betriebstierarzt im VEG Blankenfelde, Genossen Dr. Wunderlich13 und gegen die Leiterin der Veterinärinspektion beim Magistrat von Groß-Berlin, Genn. Rhode.14
Im Beispiel des Genossen Dr. Wunderlich gingen einige Tierärzte bis zur Verleumdung und unterstellten ihm, ohne Hinweis auf entsprechende Tatsachen, für das Verenden von 70 Schafen im VEG verantwortlich zu sein.
An den Verleumdungen und Angriffen beteiligten sich auch Kreistierärzte.
Hemmend wirkt sich auf die Festigung der Praxen der fortschrittlichen Veterinäre und die gesamte Entwicklung auf diesem Gebiet aus, dass von der Veterinärinspektion beim Landwirtschaftsrat keine klare und konsequente Haltung eingenommen wird. Sowohl die Veterinärinspektion beim Landwirtschaftsrat als auch die örtlichen staatlichen Organe schaffen kaum Voraussetzungen, den Betriebstierärzten günstige Arbeitsmöglichkeiten und die entsprechenden vertraglichen Bedingungen zu schaffen, obwohl Beispiele beweisen, dass u. a. im Kreis Meiningen die Viehverluste in einer LPG von 25 auf 2 % durch persönlichen Einsatz des Betriebstierarztes gesenkt werden konnten.
Fortschrittliche Veterinäre äußern, die in der Presse veröffentlichte Stellungnahme der Veterinärinspektion15 zum Problem der Perspektive des Veterinärwesens sei für die Praxis keine richtungsweisende Orientierung. Einige Tierärzte behaupten, der Inhalt und die dort ausgedrückten Gedanken entsprächen nicht der Überzeugung des Leiters der Veterinär-Inspektion. Wie die öffentliche Stellungnahme zu werten sei, beweise die Tatsache, dass durch die Abt. Veterinärwesen keine Änderung der Arbeitsweise vorgenommen worden sei und keine Erfahrungsaustausche mit anderen sozialistischen Staaten, Beratungen mit Praktikern u. a. organisiert würden.
Die Rolle der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Veterinärmedizin16 ist im Hinblick auf die Entwicklung eines sozialistischen Veterinärwesens vollkommen ungenügend. Die Möglichkeiten der Gesellschaft zur Ausübung eines mobilisierenden und progressiven Einflusses auf die Entwicklung des sozialistischen Veterinärwesens werden nicht genutzt. Ursache dafür ist die politisch inkonsequente und abwartende Haltung des Vorstandes der Gesellschaft sowie der negative Einfluss der gleichartigen Gesellschaft in Westdeutschland.17 (Zwischen beiden Gesellschaften bestehen enge Verbindungen. Vorsitzender der westdeutschen Gesellschaft ist Prof. Dr. Lerche,18 früher wohnhaft in der DDR.)
Der zzt. amtierende Vorsitzende der wissenschaftlichen Gesellschaft für Veterinärmedizin der DDR, Prof. Dr. Neundorf19, tritt innerhalb der Parteiorganisation und der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig mit einer ablehnenden Haltung gegenüber der sozialistischen Umgestaltung des Veterinärwesens auf. Zum Teil versucht er, fortschrittliche Veterinärmediziner zu diffamieren. (Er verleumdete z. B. den Tierarzt Dr. [Name 2] aus dem Landkreis Leipzig, der seit Jahren alle Anstrengungen unternimmt, im Bereich seiner Praxis aktiv auf die Steigerung der tierischen Produktion Einfluss zu nehmen.) Als Fürsprecher Prof. Dr. N. tritt der Geschäftsführer der Sektion Veterinärmedizin, Dr. Schindler,20 auf.