Verhalten der westlichen Besatzungsmächte in Ostberlin, 1. Quartal ’63
21. März 1963
Einzelinformation Nr. 199/63 über provokatorisches Verhalten von Angehörigen der westlichen Besatzungsmächte bei Fahrten mit Militärfahrzeugen in das demokratische Berlin
Aufgrund vorliegender Materialien sieht sich das MfS veranlasst, auf die in letzter Zeit sowohl vom Umfang als auch vom provokatorischen Charakter her verstärkten Verstöße gegen die Gesetze der DDR durch Angehörige der westlichen Besatzungsmächte aufmerksam zu machen.
Nach wie vor versuchen die in Westberlin stationierten Besatzungsmächte bei Fahrten1 in das demokratische Berlin2 – ähnlich wie die in Potsdam ansässigen Militärverbindungsmissionen3 – zu provozieren und offiziell Spionageinformationen zu erlangen. Ihr besonderes Interesse gilt dabei den militärischen Objekten und Anlagen der Sowjetarmee, der NVA und des MfS. Die Insassen der westlichen Militärfahrzeuge fotografieren dabei die sie interessierenden Objekte einschließlich der Sicherungsanlagen an der Staatsgrenze, notieren Kennzeichen und Typen von Militärfahrzeugen der sowjetischen Armee, der NVA und anderer bewaffneter Einheiten und folgen diesen Fahrzeugen zu ihren Objekten bzw. Einsatzorten.
Sie benutzen auch mehrmaliges Abfahren von Objekten und andere Methoden, um Einblick in die Objekte zu erhalten. Zu diesem Zweck sind die Fahrzeuge auch mit optischen Geräten und – zur Aufrechterhaltung einer ständigen Verbindung mit Westberlin – mit Funk ausgerüstet.
Neben der fortgesetzten Missachtung von Verbotszeichen und der Einfahrt in Sperrgebiete (Malchow, Biesdorf, Kaulsdorf, Johannisthal, Karlshorst und Friedrichshagen), werden auch gedeckte Beobachtungen aus der Nähe der jeweils interessierenden Objekte geführt. Zu diesem Zweck postieren sich die westlichen Militärfahrzeuge für einen längeren Zeitraum in Nebenstraßen, von denen aus sie die entsprechenden Objekte und Anlagen genau beobachten können.
Zum Beispiel hielt sich am 13.3.1963 gegen 1.20 Uhr ein amerikanisches Militärfahrzeug eine halbe Stunde in der Reinhardsbrunner Straße auf, von wo aus die Fahrzeuginsassen die Fahrbereitschaft des MfS in der Siegfriedstraße beobachteten.
Eine weitere Methode ist das mehrmalige Abfahren der Objekte oder das Halten unmittelbar vor den Objekten, um einen näheren Einblick zu erhalten. Zum Beispiel umfuhr am 9.3.1963 gegen 5.10 Uhr das amerikanische Militärfahrzeug BC416, mit vier Personen besetzt, mehrmals das MfS und hielt unmittelbar vor der Toreinfahrt Ruschestraße,5 wobei die Insassen das Objekt des MfS beobachteten.
Am 17.3.1963, gegen 20.50 Uhr, fuhr das amerikanische Militärfahrzeug BC 62, besetzt mit vier Personen, am MfS vorüber, wobei die Fahrzeuginsassen die Außenposten am MfS mit einer Taschenlampe blendeten und provozierten. Am gleichen Tage gegen 20.55 Uhr hielt das amerikanische Militärfahrzeug BC 62 vor der Fahrbereitschaft des MfS in der Hans-Loch-Straße. Dabei fragten die Fahrzeuginsassen den Posten am Objekteingang in provokatorischer Weise, ob er vom Wachregiment sei und ob es sich um ein Objekt der Staatssicherheit handele.
Der Pkw BC 62 trat am 19.1.1963 in provokatorischer Weise am Regierungsobjekt in der Klosterstraße6 in Erscheinung, wo die Insassen durch Täuschung der Posten Einblick in das Objekt erhalten wollten. Die Insassen fuhren mit dem Fahrzeug BC 62 bis unmittelbar vor das Tor, hupten dort, um beim Öffnen des Tores in das Objekt einsehen zu können. Nachdem das Tor geöffnet wurde, stieß das Fahrzeug zurück und entfernte sich.
In mehreren Fällen wurden durch die westlichen Besatzer Fahrzeuge der Sowjetarmee und der NVA bis zum Zielort verfolgt und ganz offensichtlich und provokatorisch Kennzeichen notiert. Zum Beispiel notierten die Insassen des Fahrzeuges BC 60 am 10.2.1963 in der Kopernikusstraße die Nummern eines Fahrzeuges der Sowjetarmee.
Am 23.2.1963, gegen 8.50 Uhr, fuhr das Fahrzeug BC 52 an den Parkplatz Normannenstraße – Ecke Magdalenenstraße,7 wo die Insassen in provokatorischer Weise die Fahrzeugnummern der dort parkenden Pkw von Mitarbeitern des MfS notierten. Das Fahrzeug BC 62 parkte am 2.3.1963 gegen 7.50 Uhr vor der VP-Inspektion Treptow und wartete vor dem Hofeingang auf die Ausfahrt der Kampfgruppenfahrzeuge. Anschließend fuhr der amerikanische Pkw den Kampfgruppenfahrzeugen nach.
Am 15.3.1963, gegen 14.52 Uhr, notierten die Insassen des BC-Fahrzeuges 104 an der Kreuzung Rudower Chaussee in Adlershof das Kennzeichen eines Pkw der NVA.
Weiter wurde festgestellt, dass die Insassen des Militärfahrzeuges BC 62 am 16.2.1963, 11.45 Uhr, das NVA-Objekt in der Bouchéstraße und die Staatsgrenze fotografierten.
Am 16.3.1963, gegen 16.17 Uhr, filmte ein Insasse des gleichen Fahrzeuges in Köpenick die Lange Brücke und die nähere Umgebung der Brücke.
Bemerkenswert ist, dass besonders das Fahrzeug BC 62 bei den Provokationen in Erscheinung trat.
So wurde am 3.3.1963 gegen 0.08 Uhr festgestellt, dass die Insassen dieses Pkw an der Dynamo-Sporthalle eine DTSB-Fahne entwenden wollten. Zu diesem Zweck verließen drei Uniformierte den Wagen und versuchten den Fahnenstock umzubiegen und die Fahne abzureißen. Erst auf den Anruf eines Bürgers ließen die Provokateure von ihrem Vorhaben ab, bestiegen den Wagen und fuhren ohne Licht in Richtung Weißensee weiter.
Weiterhin erfolgen fast täglich provokatorische, das Leben und die Sicherheit der übrigen Verkehrsteilnehmer aufs Ernsthafteste gefährdende Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung. Sie bestehen hauptsächlich
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in einer rücksichtslosen Raserei, wobei auf Straßen (z. B. auch im Winter trotz Eis- und Schneeglätte) Höchstgeschwindigkeiten bis zu 120 km in der Stunde gefahren wurden,
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im Befahren gesperrter Straßen,
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in der Missachtung von Haltesignalen der VP-Posten.
Immer wieder kommt es dadurch zu Unfällen.
Am 14.1.1963, gegen 7.50 Uhr, wurde durch das BC-Fahrzeug 52 der US-Army schuldhaft ein Unfall verursacht. Als es mit überhöhter Geschwindigkeit von der Prenzlauer Allee in die Rothenbachstraße einbiegen wollte, kam es ins Schleudern und prallte auf ein am Stopp-Schild haltendes VP-Fahrzeug auf.
Durch schuldhaftes Verhalten verursachte das französische Militärfahrzeug F Z 0188 am 13.3.1963 gegen 16.47 Uhr auf dem Marx-Engels-Platz einen Verkehrsunfall mit einem Taxi.
Am 16.3.1963, gegen 12.45 Uhr, durchfuhr das Fahrzeug BC 62 den Fürstenwalder Damm in Richtung Köpenick mit einer Geschwindigkeit von ca. 100 km/h.
Oftmals werden auch für den Durchgangsverkehr gesperrte Straßen durchfahren. Zum Beispiel durchfuhr am 8.3.1963, 10.57 Uhr, das englische Militärfahrzeug 75 XH 55 die für Fahrzeuge aller Art gesperrte Wilhelmstraße in Richtung Unter den Linden.
Am 13.3.1963, 13.40 Uhr, durchfuhr das Fahrzeug BC 16 in Alt-Friedrichsfelde die für den Durchgangsverkehr gesperrte Beilstraße.
Das US-Militärfahrzeug BC 65 befuhr am 9.2. gegen 14.00 Uhr die an der Staatsgrenze gelegene und für sämtlichen Verkehr gesperrte Kurstraße. Das von einem Posten der Verkehrspolizei gegebene Stoppzeichen wurde missachtet und der Verkehrspolizist vom Pkw gestreift.
Am 16.1.1963 überfuhr das Fahrzeug BC 52 in der Zeit von 20.00 bis 23.00 Uhr in sechs Fällen Stopp-Schilder vor Kreuzungen und gefährdete dadurch den Verkehr auf den Hauptstraßen.
Das Fahrzeug BC 112 der US-Army durchfuhr am 19.1.1963 um 18.30 Uhr neunmal den Kreisverkehr am Alexanderplatz, ohne die Aufforderung des Verkehrspostens zum Verlassen des Kreisverkehrs zu beachten.
In wiederholten Fällen fuhren die BC-Fahrzeuge bewusst so kurz vor Straßenbahnen, die die Vorfahrt haben, über die Schienen, dass nur durch das schnelle Reagieren und Bremsen der Straßenbahnfahrer Unfälle verhindert werden konnten.
Auch in diesen Fällen trat neben den Fahrzeugen BC 16 und BC 112 besonders das Fahrzeug BC 52 in Erscheinung.
Dieses Fahrzeug überfuhr am 23.1.1963 die Kreuzung Karl-Marx-Allee/Fruchtstraße bei rotem Licht und durchfuhr anschließend am Alexanderplatz und am Strausberger Platz die vom VP-Posten gesperrte Richtung.
Am 22.1.1963 fuhr dieses Fahrzeug in der Klement-Gottwald-Allee und auf dem Weißenseer Weg in Richtung Lichtenberg eine Geschwindigkeit von 120 km/h, ohne die Stopp-Schilder zu beachten. Anschließend wurden die Ortschaften Biesdorf und sämtliche Kreuzungen mit 70 km/h durchfahren, ohne auf den anderen Verkehr zu achten.
Geschwindigkeiten von 100 km/h fuhr dieses Fahrzeug trotz Schneeglätte auch am 12. und 13.1.1963 auf Straßen, die nur mit 50 bzw. 60 km/h befahren werden dürfen. Dabei fuhr es am 12.1. auf der Falkenberger Chaussee in Richtung Stadtmitte gegen 21.15 Uhr ohne Beleuchtung, sodass der gesamte Gegenverkehr aufs Äußerste gefährdet wurde.
Ähnliche Beispiele liegen in einer großen Anzahl vor.
Von den englischen und französischen Militärfahrzeugen werden ähnliche Verstöße gegen die Gesetze der DDR begangen, wenn auch nicht in dieser massierten Form wie bei den Angehörigen der amerikanischen Besatzungsmacht.
So fuhren z. B. das englische Militärfahrzeug 15 XB 74 am 20.1.1963 und das französische Militärfahrzeug FFA 143 681 am 21.1.1963 trotz Eisglätte in den Straßen der Innenstadt Geschwindigkeiten bis zu 90 km/h.
Weiter wurde festgestellt, dass die Insassen der westlichen Militärfahrzeuge (besonders der französischen) im demokratischen Berlin größere Einkäufe an Schallplatten u. a. tätigen.
Es wäre unseres Erachtens zu prüfen, ob nicht bei der weiteren Einfahrt von westlichen Militärfahrzeugen in die Sperrgebiete entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden sollten, die ihnen den Zugang zu militärischen Objekten verwehren und die Sicherheit der Objekte und Anlagen erhöhen.
Bei erneuten schwerwiegenden Verstößen müsste die Möglichkeit geprüft werden, eine offizielle Aufforderung an die westlichen Besatzungsmächte in Westberlin zu richten, die Gesetze der DDR und die Weisungen der Organe der DDR einzuhalten und auf provokatorische Akte zu verzichten. Die in vorliegender Information genannten Beispiele können dazu mit ausgewertet werden.