Verhalten eines Eisschnellläufers
15. März 1963
Einzelinformation Nr. 186/63 über das Verhalten des Eisschnellläufers Manfred Schüler im Zusammenhang mit seinem Besuch der Winterfestspiele der Finnischen Arbeitersportorganisation TUL in Nordfinnland
Auf Einladung der Finnischen Arbeitersportorganisation TUL nahm eine Sportdelegation des TSC Berlin, Sektion Eisschnelllaufen, unter Leitung des Trainers Löwenberger, Erich1 in der Zeit vom 3. bis 11.3.1963 an den Sportspielen in Tampere und Kajaani teil. Die Delegation hielt sich vom 11.3. bis 13.3.1963 in Helsinki auf, um von dort aus in die DDR zurückzukehren.
Der Delegation gehörten neben dem Trainer Erich Löwenberger die Eisschnellläufer Schüler, Manfred,2 geb. am [Tag, Monat] 1935 in Berlin, Schriftsetzer im Verlag »Tribüne« Berlin, Halbach, Dieter3 und Heinicke4, Erika an.
Während des Aufenthaltes der Eisschnellläufer in Helsinki entfernte sich der Sportler Schüler am 12.3.1963 gegen 14.00 Uhr unerlaubt von der Delegation und suchte die westdeutsche Handelsmission5 auf, um von dort aus illegal nach Westdeutschland zu gelangen. Er benutzte dazu eine kurze Abwesenheit der anderen Sportler, die sich für das Mittagessen herrichten wollten.
Sofort nach Bekanntwerden des Entfernens des Schüler von der Delegation wurden durch den Trainer Löwenberger Nachforschungen nach dem Aufenthalt des Schüler angestellt. Aufgrund verschiedener Hinweise suchte Löwenberger nach Abstimmung mit dem DDR-Konsul Ranft6 im Verlauf seiner Nachforschungen die westdeutsche Handelsvertretung in Helsinki auf in der Vermutung, dort den Schüler anzutreffen. Löwenberger erhielt Zutritt zu den Räumen der westdeutschen Handelsvertretung, da dort angenommen wurde, auch L. wolle nach Westdeutschland republikflüchtig werden.
In den Räumen der westdeutschen Handelsvertretung traf Löwenberger mit Schüler zusammen und forderte ihn auf, zur Delegation zurückzukommen. Schüler lehnte ab und zeigte L. eine von ihm niedergeschriebene Erklärung, wonach er die DDR aus eigenem Entschluss verlassen wolle, da er »politischem Druck ausgesetzt sei«. Löwenberger wurde aus der westdeutschen Vertretung verwiesen, als er Schüler in Erregung über dessen Verhalten ins Gesicht schlug. L. kehrte mit der Delegation am 13.3.1963 in die DDR zurück.
Am 13.3.1963, gegen 22.45 Uhr, kehrte auch der Eisschnellläufer Manfred Schüler von Westdeutschland kommend in die DDR zurück und stellte sich am Kontrollpunkt Selmsdorf den Kontrollorganen der DDR.
Die Untersuchung zum Verhalten des Manfred Schüler hatte folgendes Ergebnis:
Nach den Angaben des Schüler bestanden bei ihm während der Wintersportspiele in Nordfinnland zunächst keinerlei Absichten, die DDR illegal zu verlassen. Der Entschluss, sich zur westdeutschen Handelsmission in Helsinki zu begeben und mit deren Unterstützung republikflüchtig zu werden, sei erst im Verlauf des 12.3.1963 von ihm aufgrund nervlicher Belastungen und gewisser Spannungen gefasst worden. Diese hätten sich – nach Angaben Schülers – aus dem Verhältnis zu seiner Verlobten [Name 1, Vorname], Mannequin im Deutschen Modeinstitut Berlin, wohnhaft Berlin-Pankow, [Straße, Nr.] ergeben. Durch die Unmöglichkeit einer Verbindungsaufnahme zu seiner Verlobten (die sich zu dieser Zeit in Leipzig zur Messe befand) – hervorgerufen durch den in Finnland stattfindenden Streik der Angestellten des Post-, Eisenbahn- und Flugwesens – hätten sich die nervlichen Belastungen noch verstärkt und bei ihm zu dem Entschluss geführt, sich dieser Probleme durch die Republikflucht zu entledigen.
Nach eigenen Angaben wollte er jedoch von Westdeutschland aus Verbindung zu seinem früheren Klubvorsitzenden der ehemaligen Sportvereinigung »Einheit« Berlin,7 Alex Krusche, aufnehmen, um mit dessen Hilfe zu versuchen, eine Klärung des Verhältnisses zu seiner Verlobten zu erreichen. (Krusche ist im demokratischen Berlin8 wohnhaft.)
Schüler gibt an, sofort beim Eintreffen in der westdeutschen Handelsvertretung in Helsinki dem Konsularsekretär Krattke vorgestellt worden zu sein. Durch ihn wurde zu verstehen gegeben, er würde bereits erwartet. Später stellte sich heraus, dass andere Sportler von der deutschen Delegation erwartet wurden, wobei es sich vermutlich um die Eishockeyspieler Maus9 und Mauer10 handelt, die in Helsinki republikflüchtig wurden.
In der weiteren Unterredung zwischen Schüler und Mitarbeitern der westdeutschen Handelsvertretung in Helsinki wurde Sch. über die Möglichkeiten, umgehend nach Westdeutschland zu gelangen, informiert. Schüler wurde in Kenntnis gesetzt, dass er sofort einen westdeutschen Reisepass erhalten würde, mit dem er unverzüglich das finnische Territorium nach Westdeutschland verlassen müsste. Zu diesem Zweck müsse er mit einem Flugzeug nach Stockholm fliegen und von dort die Reise per Eisenbahn nach Flensburg fortsetzen.
Schüler erhielt eine entsprechende Flugkarte und einen Geldbetrag zum Kauf einer Eisenbahnfahrkarte nach Flensburg.
Der Reisepass der DDR wurde ihm in der Handelsmission abgenommen (Personalausweis der DDR und Mitgliedsbuch des Deutschen Turn- und Sportbundes wurden ihm belassen); dafür erhielt er einen westdeutschen Reisepass für eine Reise von Helsinki nach Flensburg mit dem Hinweis, ihn bei der Zollkontrolle in Flensburg abzugeben.
Nach der bereits geschilderten Zusammenkunft mit Trainer Löwenberger (die dabei vorgewiesene schriftliche Erklärung über die Gründe seiner Republikflucht hätte er ohne Aufforderung von westdeutscher Seite selbst verfasst und wollte er durch einen Mitarbeiter der westdeutschen Handelsmission seinem Trainer überbringen lassen) wurde Schüler mit einem Auto der Handelsvertretung zum Flugplatz Helsinki gefahren, von wo er gegen 16.30 Uhr mit einem Flugzeug nach Stockholm flog.
Vom Flugplatz in Stockholm fuhr Schüler mit einem Autobus zum Bahnhof, löste eine Fahrkarte nach Flensburg und verließ Stockholm mit dem Abendzug. In Flensburg traf Schüler nach eigenen Angaben am 13.3.1963 gegen 16.30 Uhr ein.
In Flensburg wurde Schüler von einem Angehörigen der Zollkontrolle der in Helsinki erhaltene westdeutsche Reisepass gegen eine Bescheinigung abgenommen.
Im Ergebnis mehrerer Telefongespräche teilte ein Zollangestellter dem Schüler mit, dass er sich nach Lübeck begeben müsse, wo er von zwei Herren erwartet würde.
Daraufhin erklärte Schüler – nach eigenen Angaben – dem Zollbeamten, er beabsichtige auf dem schnellsten Wege in die DDR zurückzukehren.
Schüler hatte bereits von Stockholm aus ein Telegramm an seine Verlobte [Vorname Name 1] abgesandt, in dem er mitteilte, sie solle sich keine Sorgen um ihn machen, er werde weitere Mitteilungen geben. Angeblich hatte er sich bereits in Stockholm dazu entschlossen, in die DDR zurückzukehren. Er sei zu diesem Zeitpunkt bereits zu der Auffassung gelangt gewesen, er könne die ihn bewegenden Probleme am besten in der DDR klären.
Von Flensburg aus sandte Schüler je ein Telegramm an den bereits genannten Alex Krusche sowie an die Freundin seiner Verlobten, [Vorname Name 2], Berlin-Pankow, [Straße, Nr.]. Krusche teilte er in dem Telegramm mit, er hätte 48 Stunden nachgedacht und wüsste nun, wohin er gehöre. Die [Vorname Name 2] bat er, sich um seine Verlobte zu kümmern. Die Telegramme wurden von der Zolldienststelle in Flensburg bezahlt.
In Flensburg hielt sich Schüler bis gegen 19.30 Uhr im Warteraum der Zolldienststelle auf. Danach begleitete ein Zollangestellter den Schüler nach dessen Angaben zum Fahrkartenschalter, löste dort für ihn eine Fahrkarte über Kiel nach Lübeck und übergab ihm das Fahrgeld für den Omnibus von Lübeck nach Schlutup.11
Schüler wurde bei seiner Ankunft in Lübeck an der Sperre von einer männlichen Person in Zivil erwartet, die sich als Angehöriger der Bahnpolizei ausgab. Diese Person erklärte Sch. den Weg zum Omnibus, mit dem die Staatsgrenze der DDR zu erreichen sei. Mit diesem Bus begab sich Schüler nach Schlutup, traf dort etwa gegen 23.45 Uhr ein und begab sich nach eigenen Angaben sofort zum Grenzkontrollpunkt der DDR in Selmsdorf.
Schüler gibt an, weder in der westdeutschen Handelsvertretung in Helsinki noch in anderen Dienststellen irgendwelche Informationen zu seiner Person oder über andere Angelegenheiten gegeben zu haben.