Verhinderte Ausschleusung nach Westberlin (1)
7. Mai 1963
Einzelinformation Nr. 293/63 über den Versuch einer Schleusung
Folgendes Vorkommnis wurde dem MfS bekannt: Am 6.5.1963, gegen 18.30 Uhr, wurde die Person [Name 1, Vorname 1], geb. am [Tag, Monat] 1931 in Zehdenick, wohnhaft Berlin-Lichtenberg, [Straße, Nr.], Beruf: Schuhmacher, in seiner Wohnung von einer ihm unbekannten männlichen Person aufgesucht, die ihm mitteilte, dass er im Auftrage seiner Mutter [Name 1, Vorname 2], geb. [Tag, Monat] 1912, wohnhaft Berlin 61, [Straße, Nr.], 1958 illegal das Gebiet der DDR verlassen, nach Westberlin geschleust werden soll. Die männliche Person nannte dabei Kennworte wie »Ich komme vom Haus des Kindes«, mit denen [Name 1, Vorname 1] nichts anzufangen wusste. [Name 1] will in der Vergangenheit nie etwas über die geplante Schleusung von seiner Mutter erfahren haben.
Obwohl [Name 1] angeblich von der beabsichtigten Schleusung und von den Losungen keine Kenntnis hatte, wurde er von der männlichen Person, die sich als [Vorname Name 2] vorgestellt und einen Ausweis der Bundesrepublik vorgezeigt hatte, aufgefordert, sich in Vorbereitung der Aktion am 7.5.1963, 13.00 Uhr, an einem Treffpunkt in der Karl-Marx-Allee einzufinden. [Name 1] sollte zum bezeichneten Treffpunkt unbedingt im weißen Oberhemd und Binder erscheinen, da er von dort aus in einem Diplomatenfahrzeug sofort nach Westberlin geschleust werden sollte.
Nachdem [Name 1] vom Volkswagen der unbekannten Person aus (Farbe hellblau, polizeiliches Kennzeichen unbekannt) mit dem Treffpunkt in der Karl-Marx-Allee vertraut gemacht wurde, teilte die männliche Person die Parolen mit, die lauteten »Ich möchte zum Haus des Kindes« und »Die Maschine fliegt um 16.00 Uhr«.
Zum vereinbarten Treff wurde [Name 1] von einer weiblichen Person mit der bekannten Parole angesprochen. Die weibliche Person war in einem Pkw Mercedes, polizeiliches Kennzeichen [Nr.], Farbe: schwarz, mit CD-Kennzeichen und Zoll-Nr.-Schild vorgefahren; sie forderte [Name 1] auf, ebenfalls den Pkw zu besteigen. In dem Pkw befanden sich außerdem der Fahrer und zwei Kleinkinder.
Wie die Festnahme aller Personen und die bisherige Untersuchung ergaben, handelt es sich bei dem Fahrer des Pkw um [Name 3, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1932 in Zürich, Pass-Nr. [Nr.], angeblicher Beruf: Kulturreferent, angeblich tätig als Sonderbeauftragter für rassenpolitische Nachforschungen in deutschsprachigen Ländern. Bei der weiblichen Person handelt es sich um die [Name 4, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1939 in Berlin, wohnhaft Berlin-Hohenschönhausen, [Straße, Nr.]. Die beiden Kleinkinder gehören der [Name 4]. Die [Name 4] gab an, dass ebenfalls ihre Schleusung beabsichtigt gewesen sei. Ihr Verlobter, der sich zzt. in Lübeck aufhält, habe die Schleusung organisiert.
Bei der Durchsuchung des Pkw Mercedes wurden zwei Diplomaten-Pässe sichergestellt, ausgestellt auf die Namen der beiden Personen, die geschleust werden sollten ([Name 1] und [Name 4]), mit entsprechenden Lichtbildern. Beide Pässe waren in Genf ausgestellt; sie waren noch nicht mit der Unterschrift der zu schleusenden Personen versehen.
Weitere Untersuchungen wurden eingeleitet. Ermittlungen zur Identifizierung dieser Personen sind im Gange. Es wird nachberichtet.