Verhinderte Ausschleusung nach Westberlin (2)
9. Mai 1963
Einzelinformation Nr. 297/63 über weitere Untersuchungsergebnisse im Zusammenhang mit der am 7. Mai 1963 durch das MfS verhinderten Schleusung
In Ergänzung unserer Einzelinformation Nr. 293/63 vom 7. Mai 1963 über den Versuch einer Schleusung wird Folgendes bekannt:
Die weiteren Untersuchungen des MfS ergaben, dass es sich bei dem Fahrer des Pkw Mercedes nicht, wie in dem sichergestellten Diplomaten-Pass angegeben, um den Schweizer Bürger [Name 3, Vorname], handelt, sondern um den selbstständigen Westberliner Taxiunternehmer [Name 5, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1936 in Berlin, wohnhaft in Berlin-Tempelhof, [Straße, Nr.].
[Name 5] wurde vom MfS – wie berichtet – am 7.5.1963 festgenommen, als er den Versuch unternahm, zwei Bürger der DDR und zwei Kinder in einem als Diplomatenfahrzeug getarnten Personenkraftwagen nach Westberlin zu schleusen.
In den bisherigen Vernehmungen des [Name 5] durch das MfS sagt er aus, im Auftrage einer Westberliner Schleuserorganisation – an deren Aufklärung noch gearbeitet wird – mittels gefälschter und verfälschter Diplomatenpässe der Vereinten Nationen Personenschleusungen aus dem demokratischen Berlin nach Westberlin vorgenommen zu haben.
[Name 5] gibt an, von dieser Schleuserorganisation den bei ihm sichergestellten UNO-Diplomatenpass auf den Namen [Name 3, Vorname], geb. am [Tag, Monat] 1932 in Luzern, wohnhaft in Zürich, mit seinem Lichtbild versehen, erhalten zu haben.
Nach den bisherigen Untersuchungen hat [Name 5] seit April 1963 bis zu seiner Festnahme insgesamt sechs Fahrten mit verschiedenen Kraftfahrzeugen in das demokratische Berlin durchgeführt, wobei er 16 angeblich ihm namentlich nicht bekannte DDR-Bürger nach Westberlin schleuste. Er habe sich zum Zwecke der Schleusung an vereinbarten Trefforten – wie u. a. am Sowjetischen Ehrenmal, am Tierpark, am »Haus des Kindes«, an der Sporthalle und in der Karl-Marx-Allee – durch Losungsworte mit den zu schleusenden DDR-Bürgern bekannt gemacht. Die zu schleusenden Personen seien durch ihm unbekannte Kuriere von den Trefforten informiert worden.
Die DDR-Bürger erhielten von [Name 5] die für sie bestimmten UNO-Diplomatenpässe zur Unterschriftsleistung und wurden – jeweils mehrere DDR-Bürger gemeinsam – danach in dem als Diplomatenfahrzeug gekennzeichneten Pkw über den Kontrollpunkt Berlin Zimmer-/Friedrichstraße nach Westberlin geschleust.
Die von [Name 5] zu den Schleusungsfahrten benutzten Kraftfahrzeuge erhielt er nach eigenen Aussagen von der Schleuserorganisation in fahrbereitem Zustand mit den entsprechenden Kraftfahrzeugpapieren. Es handelt sich um die Typen Citroën, Opel Kapitän und Mercedes 220, die entweder internationale Zulassungsnummern oder Westberliner Kennzeichen trugen und immer mit »CD« gekennzeichnet waren.
Weitere Maßnahmen zur Aufklärung des Gesamtumfanges der Feindtätigkeit des [Name 5], der von ihm geschleusten Personen und der Herkunft sowie der Fälschungen der verwandten UNO-Pässe wurden eingeleitet.
Es wird vorgeschlagen, bis zum Vorliegen dieser Untersuchungsergebnisse von einer eventuell beabsichtigten Auswertung dieses Vorkommnisses Abstand zu nehmen.