Westliche Ideen zur Durchführung der Sommer-Olympiade 1968 in Berlin
30. Mai 1963
Einzelinformation Nr. 346/63 über das Bonner Propagandamanöver um die Durchführung der Sommer-Olympiade 1968 in Berlin
Über die Vorbereitung der im März dieses Jahres beim IOC eingereichten Bewerbung1 Brandts,2 die Olympischen Sommerspiele 1968 nach Berlin zu vergeben, und über die damit verbundenen Absichten Bonner und Westberliner Stellen berichtete eine zuverlässige Quelle nähere Einzelheiten.
Nach der Information begann die Vorbereitung dieses Manövers schon im Herbst vorigen Jahres, wo in einem internen Gespräch zwischen Daume3 und Brandt eine entsprechende Absprache erfolgte. Außerdem habe Daume anlässlich seiner Besprechungen mit dem IOC-Präsidenten Brundage4 Anfang Januar dieses Jahres in Chicago mit Brundage über diesen Vorschlag gesprochen.
Entsprechend den der Bonner Regierung und dem Westberliner Senat jetzt vorliegenden Informationen Daumes über dieses Gespräch habe Brundage diesen Vorschlag begrüßt und Daume erklärt, dass er als IOC-Präsident im Exekutivkomitee und auf der nächsten Vollversammlung seinen ganzen Einfluss geltend machen wolle, wenn eine entsprechende Bewerbung eingereicht werde.
Brundage sei dabei von seiner allgemein bekannten Vorstellung ausgegangen, wonach er die gesamtdeutsche Mannschaft als eine Art »Lieblingskind« ansehe und die Durchsetzung gesamtdeutscher Interessen auf sportlichem Gebiet als einen Sieg über die derzeitigen »politischen Widerwärtigkeiten« in Deutschland betrachte.
Brundage habe in seinem damaligen Gespräch mit Daume gleichzeitig betont, dass die Olympischen Sommerspiele 1968 nicht etwa nur in Westberlin durchgeführt oder nur von Westberlin beantragt werden könnten, sondern dass das IOC die Sommer-Olympiade nur gemeinsam an das demokratische Berlin5 und an Westberlin vergeben könne. Brundage habe weiter hervorgehoben, die Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung eines solchen Antrages müsse in einer deutschen Initiative bestehen, beide Teile Berlins für eine gemeinsame Bewerbung zu interessieren. Daume habe daraufhin Brundage versichert, dass er mit dem Präsidenten des NOK der DDR, der seinerseits wieder mit dem Berliner Magistrat verhandeln müsse, in Verbindung treten werde.
Nachdem Brandt von Daume erfahren habe, dass Brundage einer Bewerbung Berlins aufgeschlossen gegenüberstehe, habe er, ungeachtet der von Brundage geforderten Bedingungen, von sich aus ein formloses Bewerbungsschreiben nach Lausanne abgesandt. Brandt habe darin u. a. mitgeteilt, dass eine Delegation der »Stadt Berlin« auf dem bevorstehenden IOC-Kongress die Bewerbung noch einmal vortragen möchte. Weiter habe Brandt geschrieben, dass das westdeutsche Olympische Komitee prüfen und ein Gespräch führen wolle, inwieweit diese Spiele in ganz Berlin stattfinden könnten. Brandt habe in diesem Bewerbungsschreiben immer nur »Berlin« betont, ohne anzudeuten, ob er nur Westberlin oder das ganze Berlin meint.
Wie von der Quelle weiter berichtet wird, sei nach Erklärungen führender Westberliner Politiker die Bonner Regierung von dem zwischen Daume und Brandt abgesprochenen Vorhaben vorher nicht informiert gewesen. Über dieses Vorhaben habe Daume Anfang dieses Jahres lediglich einmal mit Innenminister Höcherl6 gesprochen, was aber zu diesem Zeitpunkt von Höcherl nur informativ aufgenommen und nicht zum Gegenstand einer Beratung im Bonner Kabinett gemacht worden sei. Da sich die Bonner Regierung noch nicht mit diesem Manöver Brandts befasst habe, sei sie gegenwärtig über die erfolgte Veröffentlichung der Bewerbung Brandts und über die dieser Indiskretion gefolgten Stellungnahmen »schockiert«, zumal diese Fragen, wie Minister Barzel7 erklärte, für Bonn ein »Politikum ersten Ranges« darstellen würden.
Daume habe der Bonner Regierung schriftlich versichert, dass er die Indiskretion bedauere und zum gegebenen Zeitpunkt bereit gewesen wäre, die Bonner Regierung entsprechend zu informieren.
Von der Haltung Barzels in dieser Frage wurde berichtet, dass er die Meinung eines führenden Westberliner Sportfunktionärs akzeptiert habe, der die Austragung der Olympischen Sommerspiele 1968 in Berlin aufgrund der Spaltung der Stadt für unreal halte und, falls trotzdem eine Bewerbung für ganz Berlin infrage käme, es für notwendig halte, sehr geschickt über Zwischenkanäle mit dem NOK der DDR und dem Berliner Magistrat in Verbindung zu treten. Es hätte darauf ankommen müssen, im demokratischen Berlin die Bereitschaft für einen solchen Vorschlag zu wecken. Eine Mitunterzeichnung eines entsprechenden Antrages durch den Berliner Magistrat hätte man von westlicher Seite ohne Weiteres hinnehmen können.
Barzel habe dieser Auffassung zugestimmt und erklärt, dass er diese Gedanken bei seiner Berichterstattung im Bonner Kabinett vortragen wolle.
In diesem Zusammenhang habe Barzel die große mit dem Vorschlag verbundene propagandistische Wirkung hervorgehoben und betont, dass man diese Frage als »Instrument« des gesamtdeutschen Sportverkehrs und für eine Machtprobe dahingehend ausnutzen könne, wirksam zu testen, inwieweit die Regierung der DDR zu einem Kompromiss bereit sei.
Von Bonner Seite sei jetzt festgelegt worden, dass der Vorschlag nach Durchführung der Olympischen Sommerspiele 1968 in Berlin vom westdeutschen Mitglied im Exekutivkomitee des IOC Ritter von Halt8 gemeinsam mit Daume, der ebenfalls nach Lausanne reisen werde, auf der kommenden Tagung des Exekutivkomitees vertraulich besprochen werden soll. Das Bonner Kabinett habe diese Angelegenheit ebenfalls auf die Tagesordnung gesetzt, jedoch bis zur Rückkehr und Berichterstattung von Halts und Daumes zurückgestellt.
Vom Westberliner Senat habe die Bonner Regierung ein Exposé angefordert, in welcher Form der Senat die Organisation und die Partnerschaft mit dem Berliner Magistrat durchzuführen beabsichtigt. Barzel habe dazu erklärt, dass die Bonner Regierung dem eigensinnigen Vorgehen Brandts skeptisch und zurückhaltend gegenüberstehe. In Bonner Kabinettskreisen habe man eingeschätzt, dass Brandt diesen attraktiven Vorschlag im Interesse der »Belebung der Berliner Situation« und der Propaganda um eine größere internationale Veranstaltung gemacht hat, obwohl Brandt selbst nicht an die Realität seines Vorschlages glaube.
Barzel sei von einem führenden Westberliner Sportfunktionär auch darauf hingewiesen worden, dass der Vorschlag Daumes und Brandts bei der Abstimmung im IOC keine solide Mehrheit erhalten werde, da viele Länder die gespaltene Stadt nicht als den geeigneten Austragungsort für Olympische Spiele ansehen würden, zumal die Vergabe der Olympiade 1968 schon im Herbst beschlossen wird. In Bonn sollen die Gespräche zwischen der Regierung und dem westdeutschen Olympischen Komitee intern weitergeführt werden. Von Daume sei beabsichtigt, unabhängig von den angesetzten Tagungen der beiden deutschen Olympischen Komitees, jedoch nicht vor der Tagung des Exekutivkomitees am 6. und 7. 6., mit Schöbel9 ein persönliches Gespräch zu führen.
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